Heer
Gebirgsjäger auf Probe

Eine Woche wie keine: Discovery Days 2023 in Mittenwald

Eine Woche wie keine: Discovery Days 2023 in Mittenwald

Datum:
Ort:
Mittenwald
Lesedauer:
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In schwindelerregende Höhe und mit rasantem Tempo saust eine junge Frau an einem Seil hinunter – unter ihr rauscht in dreißig Meter Tiefe der Seinsbach. Eine Woche lang ist sie in eine Bundeswehruniform geschlüpft und lernt mit 21 anderen Gewinnerinnen und Gewinnern eines Bundeswehrquiz den Alltag der Gebirgsjäger kennen – bei den Discovery Days in Mittenwald.

Eine Frau mit Helm und Klettergurt hängt freischwebend neben einer Felswand.

Ungewohnte Hängepartie: Langsam wird die Teilnehmerin in die dreißig Meter tiefe Seinsbachklamm herabgelassen. Bei den Discovery Days 2023 in Mittenwald erleben die Jugendlichen, was es bedeutet Soldat zu sein.

Bundeswehr/Sebastian Krämer


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  • Eine Gruppe Jugendlicher sitzen im Halbkreis vor Pappschachteln.
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    Direkter Einblick in den Truppenalltag

    Die Hände gingen nur zaghaft nach oben“, erinnert sich Zugführer Eric L. als er in die Runde fragte, wer sich eine berufliche Zukunft bei der Bundeswehr vorstellen könne: „Das war ein gutes Drittel.“ Ob sich weitere noch überzeugen oder gar mitreißen lassen, wird sich in den folgenden vier Tagen zeigen. Die gemischte Gruppe besteht aus Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Deutschland. Sie alle haben bei einem Quiz zur Onlinemesse „Operation Heer“ teilgenommen. Normalerweise richten sich die Discovery Days an Schüler und Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren. Es geht um einen direkten, ungeschönten Einblick in den Truppenalltag. Dieses Mal sind auch junge Erwachsene dabei, die bereits Berufs- und Lebenserfahrung mitbringen.

    Die Wandlung vom Zivilisten zum Uniformträger verläuft im Handumdrehen: Vom Mittenwalder Bahnhof geht es am ersten Tag direkt in die Bekleidungskammer. Tarnfarbene Feldanzüge, Gebirgsrucksäcke, Isomatten, Schlafsäcke und andere Gegenstände, die ein Gebirgsjäger in Feld und Fels zum Überleben braucht, liegen schon bereit. Eine Einweisung in die Stuben, Betten machen, Begrüßung durch den Chef der 2. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 233, Major Hermann P., sowie ein erstes Kennenlernen mit den betreuenden Soldaten stehen noch vor dem Zapfenstreich, also dem Zubettgehen auf dem Dienstplan.

  • Soldat am Sicherungsseil geht in eine tiefe Hocke, am anderen Ende hält sich eine junge Frau fest.
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    Nur nicht hängen lassen – Abseilen am Seinsbach

    Mastwurf, Achter oder Seilstich – sie alle gehören zur kompakten Knotenkunde, welche die Teilnehmer noch am Vormittag in der Kletterhalle auf dem Gelände der Edelweißkaserne in Mittenwald erwartet. Der ersten Unsicherheit beim Bouldern folgt nach den ersten Handgriffen und Fußtritten überschwängliche Freude.
    Ernst wird es erst wieder in der Seinsbachklamm. Das Wissen um Knoten und Bunde muss praktisch angewendet werden. Den Klettergurt fest am Körper verzurrt, stehen die Teilnehmer in einer Reihe fast ehrfürchtig vor der Felskante. Manchem wird wohl hierbei bewusst, dass das gesamte Körpergewicht an Klettergurt, Seil und Reepschnur hängt, die mit Karabinern und Knoten wie Seilstich oder Mastwurf befestigt sind. Die routinierten Handgriffe der Ausbilder, die die Klettergurte kontrollieren, lässt die Angst schwinden. Eine Abiturientin wird in das Seil gebunden, an dem sie abgelassen werden soll. Die junge Frau zögert an der Felskante. Zugführer Oberfeldwebel Eric L. demonstriert nochmals, wie sie sich in das Seil reinhängen soll. Mit einem „Schwupps“ ist sie hinter der Felskante verschwunden und schwebt freudestrahlend in die Klamm hinunter. Auf dem Klammboden angekommen, geht es schnurstracks am Seilgelände die Felsen wieder hinauf. Wer möchte, wagt sich an den einfachen Seilsteg, am Klettergurt gesichert, zieht man sich im sogenannten „Bärenhang“ mit den Armen hinüber. Zurück kommen die Teilnehmer nur über die Seilrutsche. Wer immer noch nicht genug hat, kann sich anschließend selbst abseilen. Trotz Erschöpfung heißt es für alle nochmals am Abend, „nur nicht hängen lassen“ – eine Ausbildung an der Kletterwand beschließt den Tag.

  • Eine Gruppe von Soldaten läuft in einer Linie mit Schneeschuhen und Skistöcken.
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    Bergmarsch zum Hohen Kranzberg

    Die Jugendlichen haben die Kletter-Strapazen noch in den Knochen. Doch am Folgetag geht es mit Schneeschuhen und Biwak-Ausrüstung im Rucksack den Jägersteig hinauf. Ein kurzer heftiger Aufstieg mit 20 Prozent Steigung zu Beginn. Die gut fünf Kilometer lange Tour auf den Hohen Kranzberg hat es in sich, 500 Höhenmeter sind dabei zu überwinden. Einer 18-jährigen Brandenburgerin geht schnell die Puste aus, als die Gruppe sich am Rande der Skipiste am Luttensee hocharbeitet. Ab sofort bestimmt sie nun das Tempo der ganzen Gruppe und läuft direkt hinter Zugführer Eric, der zeitweise auch ihren Rucksack trägt.

    „Wir hatten uns schon überlegt, ob wir nicht zwei Leistungsgruppen machen“, erklärt der Oberfeldwebel. „Wir haben uns dann doch für eine gemeinsame Gruppe entschieden. Jeder soll erfahren, dass jeder mitgenommen wird und jeder ankommt. Keiner bleibt zurück.“ Schnaufend und schwitzend schiebt sich die 25-köpfige Gruppe den Hang hoch. Ohne dass die mitlaufenden Soldaten Anweisungen geben, helfen sich die Tourengänger eigenständig untereinander, wenn beispielsweise der Wanderschuh aus den Schneeschuhen rutscht oder das Gepäck zu schwer wird. Davon ist auch Tourenleiter Eric L. angetan: „Unsere Teilnehmer haben sofort Kameradschaft gelebt.“ Die Kameradschaft sei ein wichtiger Grund, weshalb sich einer der Teilnehmer überlegt, wieder in die Bundeswehr zurückzukehren. Der 35-Jährige ist der einzige, der unter den Teilnehmern ein originales Namensschild trägt – das hat er noch aus seiner aktiven Dienstzeit behalten: „Im Beruf geht es nur noch um Geld und Karriere. Zusammenhalt und Kollegialität zählen nichts mehr“, erzählt er ernüchtert.

  • Eine Gruppe von Soldaten sitzt auf Bänken vor einem Bergpanorama.
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    Erschöpft und glückselig auf dem Gipfel

    Auf dem Hohen Kranzberg angekommen, verschnaufen alle ausgiebig und genießen die atemberaubende Aussicht auf das schneebedeckte Karwendelgebirge. Am Fuß liegt Mittenwald mit der Kaserne. Dreieinhalb Stunden Bergmarsch liegen hinter der Gruppe. Es geht wieder bergab, am Wildensee vorbei zum Biwakplatz. Dort wird erstmal Essen gefasst. Total erschöpft und verschwitzt kommt auch die letzte Teilnehmerin an, ein Feldwebel hat sie begleitet und immer wieder motiviert weiterzulaufen. Freudig wird sie von den anderen Kameradinnen begrüßt. Kompaniechef Major Hermann P. erkundigt sich nach den ersten Eindrücken: Anstrengend sei es gewesen, sagen viele. Aber die jungen Leute sind Feuer und Flamme. Der Major verdeutlicht, dass einem Gebirgsjäger noch mehr abverlangt wird als das, was die Gruppe in den fünf Tagen an Herausforderungen erlebt. Generell hätten die Gebirgsjäger Spaß, sich in den Bergen zu bewegen. „Es gibt drei Arten von Spaß“, so der Kompaniechef. Den ersten habe man unmittelbar beim Erleben, den zweiten erlebt man unmittelbar danach. Der dritte wird einem eventuell erst nach in einem halben Jahr bewusst, wenn man an die erlebten Anstrengungen und Strapazen zurückdenke. „Diese Woche gehört zur dritten Art des Spaßes“, unterstreicht der Major.

    „Das Leben im Gelände, das Zusammensein am Lagerfeuer – das sind die Momente, die zusammenschweißen“, betont der Major. Obwohl in dieser Gruppe unterschiedliche Typen an Menschen aus unterschiedlichen Regionen, mit unterschiedlichem Alter und Bildungsstand zusammengekommen sind, beeindruckt ihn die Gruppendynamik: „Alle haben ein Gespür für Kameradschaft und leben diese. Der Zusammenhalt wird auch dadurch gefördert, dass man etwas gemeinsam schafft.“

  • Zwei Männer mit Klettergurt und Helm hängen an einem Seil.
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    Die Schnupperwoche macht Appetit auf mehr

    Selbst Zugführer Eric L. ist erstaunt, wie schnell die jungen Leute innerhalb von vier Tagen die Grundzüge des kameradschaftlichen Miteinanders gelernt haben: „Die Kameradschaft bei den Gebirgsjägern ist schon anders als in anderen Truppenteilen“, resümiert er. Das habe die Gruppe gezeigt. Ob das nun der anstrengende Bergmarsch, das Abseil-Abenteuer in der Seinsbachklamm oder der gemeinsame Besuch am Ehrenmal der Gebirgstruppe auf dem Hohen Brendten, die Waffenschau oder die Nahkampf-Ausbildung waren. Auch er selbst sei von der Stimmung mitgerissen worden. Der Oberfeldwebel leitete zum ersten Mal diese Schnupperwoche in der 2. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 233. Beim Abschlussgrillen am Donnerstagabend sitzen nochmals alle zusammen und erzählen begeistert von ihren Erfahrungen.

    „Als ich noch als Jäger bei der Bundeswehr war, hätte ich mir Gebirgsjäger nie zugetraut“, gibt eine junge Frau zu, die sich auch wieder verpflichten lassen möchte: „Nun weiß ich, dass da noch was geht.“ Auf die Frage von Zugführer Eric L., wer sich jetzt eine berufliche Zukunft bei der Bundeswehr vorstellen könne, gehen fast alle Hände nach oben. Für den Oberfeldwebel selbst eine Überraschung, aber auch eine Bestätigung dafür, in der zurückliegenden Woche die Härte des Gebirgsjägerdaseins ungeschönt zu zeigen und von den Teilnehmern durchleben zu lassen. Selbst die Abiturientin aus Brandenburg ist noch berauscht, obwohl ihr die Strapazen noch anzumerken sind: „Das war wirklich ein Spaß der dritten Art, an den man sich nach einem halben Jahr gern zurückerinnern wird. Ich bin glücklich, das durchlebt zu haben. Das erlebt man im Zivilen nicht.“ Sie will ab jetzt an ihrer Fitness arbeiten, um als Freiwillig Dienstleistende eventuell im Herbst in Mittenwald ihre Grundausbildung zu machen: „Die Bundeswehr hat mich richtig gecatcht.“

    von Sebastian Krämer