Bensberger Gespräche

"Der Soldat ist kein Dienstleister, er ist ein verfassungsgebundener Auftragnehmer"

"Der Soldat ist kein Dienstleister, er ist ein verfassungsgebundener Auftragnehmer"

Datum:
Ort:
Bonn
Lesedauer:
5 MIN

Im Dienstalltag, der politischen Bildung oder im Austausch untereinander stehen Fragen rund um den russischen Angriff auf die Ukraine und die Folgen dieses Krieges in Europa auch knapp einem Jahr nach dem Einmarsch weiterhin im Mittelpunkt. Dies spiegelt sich auch in Veranstaltungen der Bundeswehr, wie den 18. Bensberger Gesprächen vom 23. bis 25. Januar 2023, wieder. 

Der Kommandeur des ZInFü, Generalmajor Markus Kurczyk spricht zu den Gästen der Tagung.

Generalmajor Markus Kurczyk bei seiner Eröffnungsrede der 18. Bensberger Gespräche

Bundeswehr/Franziska Hunold

In der jährlich von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und dem Zentrum Innere Führung (ZInFüZentrum Innere Führung) durchgeführten „Leuchtturm-Veranstaltung“ zur politischen Bildung in der Bundeswehr, tauschten sich die teilnehmenden Expertinnen und Experten rund um Vorträge, Workshops und Podiumsdiskussionen aus. Die Themen handelten von den „Auswirkungen des Krieges auf Deutschland und die Bundeswehr“, der „europäischen Zeitenwende“, den „Neuerungen in der politischen Bildung“, dem „Umgang mit Desinformationen“ bis zur Wertediskussion „Dienen – wofür?“

Nachdem das Format aufgrund der COVID-19Coronavirus Disease 2019-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren nicht stattfinden konnte, war der Gesprächsbedarf groß. Unter der kontroversen These „Die Zeitenwende ist bisher nur Rhetorik“, trug Dr. Peter Tauber, ehemaliger parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, zu den Auswirkungen der geänderten Sicherheitslage in Europa für Deutschland und die Bundeswehr vor. Vor über 100 Teilnehmenden im nahezu voll besetzten Konferenzsaal des Gustav-Stresemann-Instituts in Bonn teilte er seine Sichtweise zum „Ist-Zustand“ der deutschen Streitkräfte sowie Möglichkeiten, die volle Einsatzbereitschaft wiederherzustellen.

Ziel der Zeitenwende ist die Handlungsfähigkeit

Dr. Peter Tauber, Parlamentarischer Staatssekretär a.D., spricht zu den Teilnehmenden.

Dr. Peter Tauber, ehemaliger parlamentarischer Staatssekretär, in seinem Impulsvortrag zu den Auswirkungen der neuen sicherheitspolitischen Lage

Bundeswehr/Nicolas Caldas Hofmann

Die Zeitenwende müsse querschnittlich gedacht und unter Beteiligung aller Resorts genutzt werden, um die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr zu erhöhen. Dazu solle eine nationale Sicherheitsstrategie entwickelt, schnellere Beschaffungswege etabliert, systemische Fehler aufgedeckt und die Nachwuchsstrategie angepasst werden. Dr. Tauber sprach aber auch die Rolle der Inneren Führung an. Diese müsse in den Bildungsangeboten und der Neuausrichtung in den Fokus gerückt werden. Die zentrale Frage sei dabei: Wie stehen die einzelnen Soldaten zu den neuen Herausforderungen? Dr. Tauber zitierte dazu Carl von Clausewitz: „Militärisches Führertum beruht nicht auf rationalem Kalkül, spezialisiertem Fachwissen und technischer Routine, sondern auf hoher Geistigkeit, vereint mit Charakter- und Seelenstärke.“ Diese Forderung mündet in einem der diesjährigen Hauptthemen für die Persönlichkeitsbildung der Bundeswehr: „Dienen - Wofür?“

Politische Bildung stärkt das innere Gefüge von Soldaten

Teilnehmende sprechen beim Markt der Möglichkeiten miteinander

Reger Austausch beim Markt der Möglichkeiten zum Thema „Politische Bildung 2023“

Bundeswehr/Franziska Hunold

Die Bensberger Gespräche sind auch eine Veranstaltung, auf der Vertretende des „Netzwerks Politische Bildung in der Bundeswehr“ zusammenkommen und ihre Erfahrungen austauschen. Das Angebot zur politischen Bildung in der Bundeswehr soll dabei optimiert werden. Politik, Streitkräfte, Gesellschaft und Verbündete müssen mit dem „Mindset LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung“ gesamtstaatlich verbunden werden, um das Selbstbild zu schärfen und eine pluralistische, offene Gesellschaft zu fördern, so der Tenor auf der Veranstaltung.

In einem der Workshops widmete sich Militärhistoriker Dr. Klaus Naumann der Frage, wofür Soldaten dienen. Er führte aus, dass der russische Krieg gegen die Ukraine hier Auswirkungen habe: es gebe eine Rückbesinnung auf die inneren Werte des Soldatentums sowie eine europäische Wahrnehmung von Sicherheit. Alle Soldaten müssten sich mit der Frage beschäftigen, was sie verteidigen und wofür sie – neben der Loyalitätsbindung an den Auftrag – dienen. Die Eidesformel sei dabei die Grundlage und komprimiert „ein Sollen und ein Wollen des treuen Dienens“, so Naumann. Die Freiheit und Menschenwürde sind durch rechtliche Vorgaben und außerrechtliche Tugenden, wie Tapferkeit und Treue, verbunden. Die Bekräftigung einer Bindung an die freiheitliche demokratische Grundordnung steht dabei im Vordergrund. Der Soldat sei dabei „kein Arbeitnehmer oder Dienstleister, er ist ein verfassungsgebundener Auftragnehmer mit staatsbürgerlicher Obligation“ (Anm. der Redaktion: Verpflichtung).

Historische und ethische Bildung als Grundlage für die geforderte Zeitenwende

Die Besucherinnen und Besucher der Bensberger Gespräche sitzen im Konferenzsaal

Teilnehmende der Bensberger Gespräche

Bundeswehr/Markus Bredick

Soldaten kämpfen, neben der politischen Beauftragung, in einer inneren Überzeugung durch zweierlei: Erstens für den Gemeinschaftsgeist, welcher als Bindemittel der Truppe Teil der ehrenhaften Militärkultur ist. Zweitens spielt die innere Überzeugung von der Richtigkeit der Sache, nicht von außen aufgesetzt, eine ausschlaggebende Rolle. Dieses Wiederausrichten des inneren Wertekompasses spielt in der Inneren Führung eine permanente Rolle.

Und so betonte auch der neue Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Generalmajor Markus Kurczyk, dass politische Bildung mehr ist als die reine Vermittlung von Wissen. In seiner Rede hob er die Bedeutung einer wertegebundenen Prägung hervor, die nicht zuletzt das Ergebnis einer umfangreichen historischen und ethischen Bildung sei. Erst Soldaten mit eigener, gefestigter Persönlichkeit seien imstande, militärisch schlagkräftig zu agieren. Die notwendige Persönlichkeitsbildung sieht Kurczyk als lebenslangen Erziehungsprozess, dessen Leitplanken die Innere Führung darstellt. Damit wird die Innere Führung unerlässlich für die Umsetzung der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“.

 Die Auswirkungen von Desinformationen stehen im Fokus der Analyse

Expertinnen und Experten sitzen auf der Bühne und sprechen über die Gefahren von falschen Informationen

Expertinnen und Experten in der Podiumsdiskussion zu den Gefahren und Auswirkungen von Desinformation

Bundeswehr/Franziska Hunold

Die Ziele und Auswirkungen von Desinformation standen am dritten Tag der Bensberger Gespräche im Grundsatzvortrag und der anschließenden Podiumsdiskussion im Mittelpunkt. Expertinnen und Experten des Fachbereichs „Propaganda Awareness“ aus dem Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr und des „Institute of Strategic Dialogue“ präsentierten Analysen des medialen Interesses an der sicherheitspolitischen Thematik. Deutschland und die Bundeswehr seien Ziel russischer Propaganda, wobei Fehlwahrnehmungen, auch durch gezielte politische Falschmeldungen ein großes Einfallstor für Desinformation ermöglichen. Ziele seien, die Gesellschaft zu spalten, Existenzängste zu schüren sowie die deutsche Regierung zu diffamieren. Die Bundeswehr hat damit die Aufgabe, die Soldatinnen und Soldaten im Umgang mit Falschinformationen zu schulen, um die Kampfkraft und den Gefechtswert der deutschen Streitkräfte zu stärken, so die Meinung der Expertinnen und Experten sowie von Analystinnen und Analysten.


von Marlis Hoersch