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Blindes Verständnis

Blindes Verständnis

Datum:
Ort:
Düsseldorf
Lesedauer:
4 MIN

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Alle warten auf den Shuttlebus. Athletinnen und Athleten aus Frankreich, Georgien und der Ukraine wollen von ihrem Teamhotel in der Düsseldorfer Innenstadt zur Merkur-Spiel-Arena. Einige sind angespannt, ihre Wettbewerbe stehen an. Als der Bus eintrifft, wird es ganz kurz unübersichtlich. Zum Glück behalten Hauptmann Andreas G. und sein Vater Wolfgang die Nerven.

Portätaufnahme von Hauptmann Andreas G. (rechts) und seinem Vater Wolfgang G. (links)

Ehrensache für Vater und Sohn: Der erblindete Hauptmann Andreas G. und sein Vater Wolfgang bilden das wohl ungewöhnlichsten Double der freiwilligen Helfer bei den Invictus Games in Düsseldorf

Bundeswehr/Helmut von Scheven

Die ersten Tage ging es hier drunter und drüber“, sagt Hauptmann G.*, nachdem er sogar noch für den Rollkoffer eines Nachzüglers einen Platz im Shuttlebus gefunden hat. „Mittlerweile hat sich das aber etwas beruhigt.“ Zusammen mit seinem Vater bildet er das wohl ungewöhnlichste Volunteer-Duo der Invictus Games 2023 in Düsseldorf: Hauptmann G. ist erblindet und sein 82-jähriger Vater Wolfgang ist der älteste von rund 1.200 Freiwilligen, die auf ehrenamtlicher Basis zum Gelingen der Spiele beitragen.

„Ich habe gehört, dass Volunteers gesucht werden – und hielt es sofort für eine grandiose Idee“, sagt Andreas G., der als Offizier im Stab der Führungsakademie der Bundeswehr arbeitet. „Nur hätte ich als Blinder einen eigenen Volunteer als Begleiter gebraucht, das hätte also keinen Sinn gemacht.“ Also fragte er seinen Vater, ob sie für die Spiele ein Tandem bilden könnten. „Andreas musste mich nicht lang bitten“, sagt dieser. „Als ich hörte, dass die Spiele nach Düsseldorf kommen, war klar: Ich bin dabei.“ Jetzt unterstützt Wolfgang G.* seinen Sohn bei der Arbeit und hält für ihn alles im Blick. 

Ansprechpartner für alles

Das Duo steht jeden Morgen ab 07:30 Uhr an seinem Informationspunkt in einem der Teamhotels, in dem die Athletinnen und Athleten der Invictus Games samt Familien untergebracht sind. Mit Rat und Tat stehen sie ihren Schützlingen zur Seite: Wird eine vergessene Schlüsselkarte gefunden, ermitteln sie den Besitzer. Braucht ein Rollstuhlfahrender einen Spezialtransport, besorgen sie einen. Will eine Familie den Abend in der Altstadt von Düsseldorf verbringen, empfehlen sie ein Restaurant. „Unsere wesentliche Leistung ist aber die Busabfertigung“, sagt Wolfgang G. „Vor allem geht es darum, da zu sein – und das ist ja auch ein bisschen das Motto der Spiele.“

Zwei Personen verabschieden sich voneinander, eine Person sitzt dabei in einem Rollstuhl

Faust drauf: Hauptmann Andreas G. verabschiedet sich von einem Athleten des Teams aus Georgien. Der Volunteer ist erster Ansprechpartner für die Delegationen aus Frankreich, Georgien und der Ukraine.

Bundeswehr/Helmut von Scheven

Gerade am Vormittag, wenn viele Athletinnen und Athleten auf das Veranstaltungsgelände wollen, kann das hektisch werden. Im Viertelstundentakt sausen die Shuttlebusse zwischen den Teamhotels umher, niemand möchte seinen großen Auftritt bei den Invictus Games verpassen. „Die Arbeit an einem Infopunkt kann man im Voraus kaum planen. Wir sind die ersten Ansprechpartner der Teilnehmenden“, sagt Andreas G. „Das Wichtigste ist, das Problem der Leute erstmal zu adressieren, ihnen Sicherheit zu vermitteln. Wir nehmen ihnen die Sorgen ab, und dann läuft vieles von alleine.“ Falls eine freundliche Auskunft und ein Lächeln nicht reichen, greift der ausgebildete Mediator zu einer handgeschriebenen Liste. Für jedes Problem findet sich ein passender Ansprechpartner.

Diagnose PTBSPosttraumatische Belastungsstörung

Hauptmann Andreas G. ist 2021 als Wiedereinsteller in die Streitkräfte zurückgekehrt. In seiner ersten Dienstzeit – von 1988 bis 2002 – hatte er als Truppenoffizier bei einer Fernmeldeeinheit gedient. Zweimal ging er für die Bundeswehr in den Kosovo. „Nach dem Ende meiner Dienstzeit hatte ich eigentlich mit der Bundeswehr abgeschlossen“, gesteht er. Doch die Spätfolgen dieser Einsätze brachten Andreas G. rund 20 Jahre später wieder zurück. 2019 erblindete er von einem Tag auf den anderen. „Ich bin morgens aufgewacht und konnte nichts mehr sehen“, sagt der Hauptmann.

Eine Autoimmunreaktion hatte seine Sehnerven so schwer beschädigt, dass er seitdem nur noch an den Rändern seines Sichtfeldes etwas wahrnehmen kann. Die Ärzte waren ratlos, Hauptmann G. ebenso. Dann hörte er einen Podcast über posttraumatische Belastungsstörungen, die viele Soldatinnen und Soldaten noch Jahre nach ihrem Kriegseinsatz entwickeln. Er rief die PTBSPosttraumatische Belastungsstörung-Hotline der Bundeswehr an. Wenig später fuhr er nach Berlin, um sich im Psychotraumazentrum der Bundeswehr vorzustellen.

Seine Befürchtung bestätigte sich: Andreas G.s Diagnose lautete PTBSPosttraumatische Belastungsstörung. Als Einsatzgeschädigter konnte er zu den Streitkräften zurückkehren. „Das funktionierte in meinem Fall wirklich mustergültig. Ich bin der Bundeswehr für ihre Fürsorge dankbar – und auch dafür, dass sie mir noch einmal diese Chance gibt.“ Kurz darauf begann er seine Therapie.

Eine Person überreicht zwei weiteren Personen ein Prospekt von einem Infostand

Hilfe in nahezu jeder Situation: An ihrem Informationspunkt können Hauptmann Andreas G. und sein Vater Wolfgang fast alle Fragen der Athletinnen und Athleten der Invictus Games 2023 beantworten

Bundeswehr/Helmut von Scheven

Von den Invictus-Athleten lernen

Auch deshalb steht Andreas G. zusammen mit seinem Vater freiwillig an seinem Informationspunkt. „Ich möchte einfach etwas zurückgeben. Viele der Leute, die ich hier treffe, sind vor mir den gleichen Weg gegangen.“ Der Einsatz als Freiwilliger sei für ihn auch ein stückweit ein Wagnis, eine Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte.

Sein Vater nickt zustimmend. Lange habe er nicht wirklich verstanden, was mit seinem Sohn los sei. Das habe sich in den vergangenen Tagen geändert. „Der Einsatz als Volunteer hilft auch mir, das Ganze ein wenig zu verstehen. Von den Athletinnen und Athleten können wir viel lernen. Denn viele von ihnen haben den schwierigen Weg zur Normalität schon hinter sich gebracht.“ Gegen 12 Uhr mittags ist die Schicht der beiden Männer beendet. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg – hin zu den Invictus Games.

*Namen zum Schutz der Personen abgekürzt.

von Timo Kather

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