Tesla Tender

Digital und maßgeschneidert für die Crew

Der Tender „Mosel“ hat alle Daten aus der Umgebung und der Luft auf einen Blick. Möglich macht das die Software eines Fregattenkapitäns.

Drei Soldaten stehen auf der Schiffsbrücke und schauen auf einen Bildschirm.

Einer tippt, einer misst, bohrt und sägt. Es ist ein ungewöhnliches Bild, das sich auf der Brücke des Tenders „Mosel“ bietet. Alles gehört zum Projekt Tesla Tender: Das Versorgungsschiff erhält ein digitales Lagebild. Möglich macht es das Programm MESE (Militärische Erweiterbare Software-Entwicklung), das Lebenswerk von Fregattenkapitän Volker Voß.

Wachsam und neugierig beobachten die Soldatinnen und Soldaten, was auf der Brücke vor sich geht. Ein herunterklappbares Whiteboard verschwindet, ein großes Touchdisplay wird angebracht. Die Arbeit für die Besatzung wird sich künftig ganz anders als bisher gestalten –  digital und modern sowie für die Frauen und Männer maßgeschneidert. „Wir machen das für die Besatzung, dann soll sie auch sagen können, was sie wo haben möchte“, sagt Kapitänleutnant Leon Evers, während er einen Monitor für die Montage vorbereitet.

Ihm gegenüber sitzt Fregattenkapitän Volker Voß und arbeitet an der Software MESE. Der 42-Jährige ist der Kopf hinter MESE und hinter dem Projekt Tesla Tender, Evers ist seine rechte Hand und Teil des Teams hinter Voß. Neben Evers sind noch sechs weitere Personen involviert, sie kümmern sich insbesondere um Dokumentation und Administration. Fast die Hälfte seiner Dienstzeit widmet sich der 1999 in die Bundeswehr eingetretene Voß dem Projekt MESE. Jetzt wird sein System erstmals dauerhaft auf einem Schiff integriert. „Das hat man vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten. Und jetzt sind wir hier und machen es.“

Zwei Soldaten hantieren mit einem Zollstock, um einen neuen Bildschirm anzubringen

Alles muss genau passen: Kapitänleutnant Leon Evers legt den Zollstock an. Hier soll ein neuer Bildschirm angebracht werden.

Bundeswehr/Tom Twardy

Nach einigem Bohren, Sägen und Montieren ist der große Bildschirm am Platz des Operateurs angebracht. Dort sitzt ein ausgebildeter Nautiker, der jetzt alles auf einem Bildschirm im Blick hat, was die Sensoren und Kameras des Tenders zeigen: das gesamte militärische Lagebild digital und auf einem Monitor. Dazu gehören beispielsweise die Aufnahmen der Kameras an den Marineleichtgeschützen steuerbord und backbord.

Außerdem hat der Operateur Zugriff auf die Kamera auf dem Dach, die Wärme- und Nachtsichtaufnahmen ermöglicht, um die Umgebung genau im Blick zu behalten. Dabei handelt es sich um eine Multi-Sensor-Platform– kurz: MSPMultisensorplattform.  Aufbereitet und dargestellt werden die Sensorinformationen auf einer digitalen Seekarte oder vielen anderen wählbaren Kartenlayern, inklusive einem hochauflösenden Höhenmodell der Erde.

Tesla Tender

Alles auf einen Blick

„eine deutliche Verbesserung“

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Neues Programm begeistert

Doch damit das möglich ist, müssen Voß und Evers erst einmal auf die Informationen der bereits vorhandenen Systeme und Sensoren zugreifen können. Kein einfacher Prozess, weil es durch den lesenden Datenabgriff keine Beeinträchtigungen geben darf. Um das zu überprüfen, reisen Experten der Wehrtechnischen Dienststelle 71 an. Sie kontrollieren die Arbeiten und die Funktionen – und geben grünes Licht.

Jetzt heißt es weitermachen, denn die Besatzung hat noch einen vollen Terminplan, bevor es in wenigen Tagen auf See geht. Doch plötzlich wird es dunkel und still auf dem Tender – Stromausfall. „Das kann heute noch häufiger passieren, wegen der aktuellen Arbeiten am Tender.“ Ob es das Vorhaben des Projektteams beeinträchtigt? „Wir kommen in einen laufenden Betrieb, wir passen uns an und müssen dann eben in diesem Rhythmus arbeiten“, so Voß. 

Ein Soldat, der einen Laptop hält im Portrait.
Leon Evers, Kapitänleutnant Bundeswehr/Tom Twardy
Wir haben kein großes Handbuch, sondern folgen dem Prinzip: Learning by Doing.

Während Voß und Evers auf der Brücke programmieren und einrüsten, laufen parallel die Vorbereitungen für die bevorstehenden Übungen und Aufgaben. Schon bald geht es mit dem Programm MESE auf See. Gemeinsam mit den Soldatinnen und Soldaten sucht Evers die Plätze für die Laptops aus. Die Besatzung bestimmt, was wo auf den Bildschirmen zu sehen sein soll. Es folgt die erste „Klicker-Runde“. „Wir haben kein großes Handbuch, sondern folgen dem Prinzip: Learning by Doing“, erklärt Evers.

Gemeinsam mit dem Kapitänleutnant lernen die Frauen und Männer das System kennen und zu benutzen. Sie klicken sich durch die Funktionen. Daten bewegen sich virtuell durch das dreidimensionale Kartenmaterial – und sind begeistert, wie kompakt und einfach alles ist. Besonders viel Freude bereitet ihnen das Arbeiten am großen Touchscreen. Jeder will mal testen, mit zwei Fingern Karten verschieben, mit einem Fingerdruck die Ansicht ändern – alles kinderleicht und übersichtlich.

Für Evers, studierter Maschinenbauer, ist das Marine-Umfeld noch neu. Nach einer Verwendung als Zugführer in der Feldwebelausbildung ist er vor rund neun Monaten vom Heer zur Marine gewechselt, 2017 hatte er seine Masterarbeit über das Projekt MESE geschrieben. „Ich habe gemerkt, dass ich meine Dienstzeit diesem Projekt widmen möchte. Dadurch kann sich endlich etwas verändern“, betont der Kapitänleutnant, der noch gut drei Jahre in der Bundeswehr bleiben wird und spielt damit auf die öffentlich bereits oft diskutierten Probleme im gesamten Rüstungswesen der Bundeswehr an. Evers möchte sich aber gegebenenfalls auch weiterverpflichten, um dieses Projekt weiter wachsen sehen zu können und mitzugestalten. 

Digitales Lagebild

Auf dem Tender „Mosel“ wird Geschichte geschrieben

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Seefahrt gab den Anstoß

Voß beschäftigt sich bereits seit mehr als zehn Jahren mit MESE, das mit dem Projekt Tesla Tender erstmals für eine dauerhafte Nutzung integriert wird. Tesla im Projektnamen steht nicht für den Elektroantrieb wie bei den Autos der gleichnamigen Marke.

Es geht darum, dass etwas zu einem digitalen System wird, so wie bei dem System MESE, das Voß entwickelt hat. Mehr als zehn Jahre arbeitet er bereits an der Software. Den Anstoß dazu gab seine letzte Seefahrt 2011 als Informationstechnik-Offizier. „Ich habe gesehen, was an Bord fehlt und was besser gemacht werden kann“, sagt Voß, der seit 1999 bei der Bundeswehr ist und in München Informatik studierte. 

Eine Soldatin schreibt mit einem Filzstift auf die Lagekarte an einem Whiteboard

Seekarte und Filzstift: So wurde die Lagekarte vor dem Projekt Tesla Tender und dem Einbau des Systems MESE erstellt

Bundeswehr/Tom Twardy

Als Oberleutnant begann er bereits damit, Grundsteine für das zu legen, was MESE heute ist. Mittlerweile war er nicht mehr Seefahrer, sondern diente im Marineunterstützungskommando an Land und erhielt immer tiefere Einblicke, was an Software und Digitalisierung fehlt. So war der Grundstein für die eigene Software gelegt. Mit dem Einbau auf dem Tender „Mosel“ steht nun die Feuerprobe an. Zwar sei das System schon auf See zum Einsatz gekommen, aber bisher immer nur für einen begrenzten Zeitraum. „Ich möchte der Besatzung auch nicht zeigen, was man alles Tolles machen kann und dann alles wieder rausreißen“, sagt Voß und freut sich, dass die „Mosel“-Besatzung das System behalten kann.

Blaupause für andere Projekte

Wenn es für den Tender auf See geht, möchten Voß und Evers auch einige Tage dabei sein, um Schwachstellen ausfindig zu machen und Feinarbeiten angehen zu können. „Wir stellen uns gern der Kritik“, sagt das Team. Denn nur so könne die Crew davon profitieren und ein maßgeschneidertes System erhalten. Zudem werde der Tesla Tender dann „die Blaupause“ für andere Schiffe und Boote, so Voß. Das wäre für alle Seiten ein Gewinn und ein großer Erfolg für Voß.

Als er die ersten Ideen zu MESE hatte, hätten diese zwar Anklang gefunden, aber auch Gegenwind erfahren. „Es hieß immer, ich würde am Rüstungsprozess, der Konzernlobby, dem Absicherungsdenken vieler Akteure und an der Komplexität des Themas scheitern“, so der Fregattenkapitän. Sein Glück sei gewesen, dass er „vorausschauende Vorgesetzte“ gehabt habe, die an das Projekt glaubten und ihn unterstützten. Anfangs habe er an MESE neben seinen eigentlichen Aufgaben gearbeitet. Mittlerweile mache er das hauptberuflich in seiner Dienstzeit. „Jetzt haben einige schon gesehen, was das System kann und dass es sich lohnt, das weiterzuverfolgen. Ich gebe nicht auf. Auch wenn es Geduld und einen breiten Rücken erfordert.“ 

Ist der Tesla Tender ein Erfolg, würden weitere Projekte allerdings nicht vom Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr) finanziert. „Das geht nur beim Pilotprojekt“, so Voß. „Für alle weiteren Projekte muss es über den Rüstungsprozess laufen“, weiß Voß. Doch dann können er und sein Team bereits Erfolge vorweisen und mit ihrem System überzeugen. 

Ist die Marine erst einmal im Boot, möchte sich Voß auch auf weitere Teile der Bundeswehr konzentrieren. „Das System ist für alle Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche geeignet, da es sehr einfach angepasst und erweitert werden kann.“

von Amina Vieth