Die totale Erinnerung – Die Terroranschläge vom 11. September 2001

Die totale Erinnerung – Die Terroranschläge vom 11. September 2001

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
7 MIN

Vor 20 Jahren griffen islamistische Terroristen die Vereinigten Staaten an. Die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington D. C. trafen den Westen ins Herz und markierten eine Zäsur in der Sicherheitspolitik Deutschlands und der NATO. Doch wie erlebten Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Armeen diesen Tag der Anschläge?

Blick auf die brennenden Türme des World Trade Center in New York

Blick auf das brennende World Trade Center in New York nach dem Anschlag. Zwei Flugzeuge sind an diesem Morgen kurz hintereinander in die Türme des World Trade Center gerast. Es war ein Angriff auf Amerika.

picture-alliance / dpa

Wer weiß, was er am 11. September 2001 gemacht hat? Hand hoch! Wohl jeder, der damals mindestens im Teenageralter stand, weiß es genau. Die schockierenden Bilder der Terroranschläge in New York und Washington D. C. haben sich ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation eingebrannt. Für viele Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bedeutete „9/11“ zudem eine Wegscheide in ihrem Leben. Bereits am 13. September 2001 stellten die NATO-Vertragsstaaten förmlich den kollektiven Verteidigungsfall fest. Wenige Wochen nach den Terroranschlägen verlegten Soldaten des KSKKommando Spezialkräfte nach Afghanistan, wo sie an der Seite amerikanischer und britischer Spezialkräfte die Terroristen der al-Qaida jagten. Kurz darauf machte der Deutsche Bundestag den Weg für die Teilnahme der Bundeswehr an der Mission International Security Assistance Force (ISAFInternational Security Assistance Force) frei.  

Datum als Wegscheide für viele Bundeswehrangehörige

Zehntausende deutsche Soldatinnen und Soldaten sollten in den folgenden knapp 20 Jahren im Rahmen von ISAFInternational Security Assistance Force und Resolute Support (RS) in Afghanistan dienen. 59 dieser Soldaten verloren dort ihr Leben, 35 fielen im Gefecht mit Aufständischen. Die Begriffe „Krieg“ und „Gefallene“ würden sich in Deutschland erst durch das Engagement am Hindukusch durchsetzen. Die Terroranschläge führten die Bundesrepublik also in eine neue sicherheitspolitische Realität. Am 11. September 2001 war all das noch nicht en Detail abzusehen. Umso mehr lohnt der Blick in die Gefühls- und Gedankenwelt von Soldaten an ihrem persönlichen „Point Zero“. Ein Streifzug.

Ein deutscher Soldat mit Fallschirm läuft über eine Wiese
Oberstleutnant Jens Janis, NATO Joint Warfare Center Stavanger Bundeswehr/Gerrit Burow
War das ein Unfall oder ein Anschlag?“

Ich habe damals an der Universität in München für eine Klausur gebüffelt. Nebenbei lief das Fernsehen und plötzlich kamen auf einem Kanal die ersten Meldungen rein. Ich war schockiert und bin raus auf den Gang. Alle sind zusammengelaufen und haben versucht, das irgendwie einzuordnen. War das ein Unfall oder ein Anschlag? Bald hat sich abgezeichnet, dass es eine Terrorattacke ist. Keiner konnte abschätzen, was das für uns in der Zukunft bedeutet. 2006 war ich dann als Zugführer mit meinem Fallschirmjägerbataillon 373 in Afghanistan.

Generalinspekteur Zorn
General Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr Bundeswehr/Marc Tessensohn
„Was passiert jetzt? Das ist eine Zäsur.“

Ich war damals Kommandeur des Artilleriebataillons 295 in Immendingen. Am 11. September waren wir bei der Gefechtsstandausbildung auf dem Standortübungsplatz, als ein völlig aufgelöster Obergefreiter zu mir kam: „Herr Oberstleutnant, Sie müssen dringend in den Besprechungsraum kommen. Man hat die USA angegriffen.” Wir sind sofort reingefahren, erschrocken und sprachlos. Im Besprechungsraum saß der ganze Stab vor den bekannten Fernsehbildern, scheinbar in Endlosschleife. Es war mucksmäuschenstill. Ich dachte nur: „Was passiert jetzt? Das ist eine Zäsur.” Gut drei Monate später hat der Deutsche Bundestag das erste Afghanistan-Mandat verabschiedet. Dieser Einsatz prägt die Bundeswehr bis heute.“

Ein belgischer Soldat, von hinten zu sehen, steht vor zwei Militärflugzeugen auf einem Flugfeld
Adjudant Tom W., Belgische Streitkräfte Bundeswehr/Gerrit Burow
„Das war natürlich ein Schock.“

Zu dieser Zeit diente ich in der Multinational Division Central mit Hauptquartier bei Mönchengladbach. Ich hatte Urlaub und bin mit einem Kameraden tausende Kilometer durch Europa gefahren. Zum Zeitpunkt der Anschläge waren wir in der Nähe von Santander an der spanischen Atlantikküste. Es war schon Nachsaison und deshalb war auf dem Campingplatz nicht viel los. Fernsehen hatten wir nicht und die Handys waren aus. Also haben wir zunächst von den Attacken nichts mitgekriegt. Irgendwann fiel uns aber dieses ständige Getuschel der anderen Gäste auf. An irgendeinem Fernseher haben wir dann die Bilder aus New York gesehen. Ich glaube sogar, erst zwei Tage später. Das war natürlich ein Schock. Kurz darauf haben wir uns wieder bei der Division gemeldet.

Ein Soldat mit Sonnenbrille im Porträt vor einem Flugzeug
Colonel Michel Lipski, Armée de l’Aire privat
„Ich dachte, es wird Krieg geben.“

Ich hatte an diesem Tag als junger Hauptmann einen Versorgungsflug für senegalesische Truppen auszuführen, die für die UNUnited Nations-Mission MONUCMission des Nations Unies en République Démocratique du Congo in der Demokratischen Republik Kongo im Einsatz waren. Wir flogen mit unserer Transall von Libreville in Gabun nach Kananga. Zweimal fünf Stunden Flug über dem Dschungel ohne externe Unterstützung beim Navigieren und mein erster Flug als Kommandant einer Besatzung überhaupt. Das Wetter war scheußlich, man sah nichts. Es war wie in einer Waschmaschine, ein reiner Instrumentenflug. Gegen 22 Uhr Ortszeit landeten wir völlig erledigt in Libreville, ohne zwischendurch Kontakt mit unseren Leuten gehabt zu haben. Die Mechaniker eilten aufgeregt zur Maschine. Ich dachte, dass unsere Transall beschädigt sei. Aber dann berichteten sie uns von den Anschlägen in Amerika. Sie schleppten uns vor den Fernseher, wo wir immer wieder sahen, wie die Flugzeuge in die Türme fliegen. Keiner sagte ein Wort, es war totenstill. Ich hatte ein komisches Gefühl, ganz schwer zu beschreiben. Gerade weil ich Soldat bin und nun bloß Zuschauer war. Ich wollte gern helfen, aber wir konnten nichts tun. Die Konsequenzen der Anschläge waren damals noch unklar, aber ich dachte, es wird Krieg geben. Das waren unsere Gedanken.

Ein deutscher Soldat im Porträt
Oberstabsfeldwebel Holm Apitz, Redaktion der Bundeswehr Bundeswehr/Torsten Kraatz
„Muss ich jetzt sofort zurück?“

Am 11. September 2001 waren wir mit unserem damals zweijährigen Sohn im Urlaub auf Mallorca. Zur Mittagszeit hatten wir uns gerade ein Restaurant ausgesucht. Auf der Terrasse liefen im Fernsehen Bilder eines Flugzeugs, das in ein Hochhaus fliegt und explodiert. Wir waren irritiert und haben den Kellner gefragt, warum sie hier so etwas zeigen. Er sagte, das sei live aus New York. Ein Schock. Wir sind zurück ins Hotel und haben Nachrichten geguckt, auf Aufklärung gewartet. Als klar wurde, dass es koordinierte Anschläge waren, war das schwer zu verdauen. Mein erster Gedanke war: „Muss ich jetzt sofort zurück?”

Ein Soldat mit Tuch im Gesicht und weinrotem Barett im Porträt
Leutnant Andi Olbricht*, Kommando Spezialkräfte Bundeswehr/Jana Neumann
„Das wird nicht unbeantwortet bleiben.“

Im September 2001 diente ich als Unteroffizier beim Fallschirmjägerbataillon 261 in Lebach. Mit Kameraden waren wir am 11. September in einem NATO-Shop in Saarbrücken, wo auch ein Fernseher an der Decke hing. Dort habe ich den Einschlag des ersten Flugzeugs in den Turm gesehen. Wir waren alle gebannt und schockiert. Kurz darauf sind wir zurück zur Kaserne. Wegen der Anschläge wurden Fallschirmjäger aus unserem Bataillon als Wachunterstützung zu USUnited States-amerikanischen Stützpunkten in Baumholder und Ramstein geschickt. Es wurde viel spekuliert damals. Was passiert jetzt? Aber mir war völlig klar: Das wird nicht unbeantwortet bleiben.

Ein amerikanischer Soldat im Porträt vor einem ausgebombten Gebäude
Master Gunnery Sergeant (ret.) Chad McMeen, United States Marine Corps U.S. Marines
„Horror, der sich auf amerikanischem Boden abspielt.“

Ich war an diesem Tag mit den meisten Presseverantwortlichen des U. S. Marine Corps bei einer Konferenz in Reno, Nevada. Als ich mich morgens gerade für den Tag fertigmachte, schickte mir meine Frau eine Nachricht, ich solle den Fernseher einschalten. Ich saß auf der Kante meines Bettes und verfolgte, wie sich die Ereignisse abspielten und nach und nach mehr Details bekannt wurden. Es war eine Herausforderung, mit dem Horror umzugehen, der sich gerade auf amerikanischem Boden abspielte. Hinzu kam die Frage, wie wir gemeinsam unsere Arbeit erledigen sollten, während wir in Nevada festsaßen. Statt Kurse zum Krisenmanagement zu belegen, begannen wir an diesem Tag ganz schnell mit realer Krisenreaktion, während wir die Berichterstattung auf einem tragbaren Fernsehgerät im Konferenzraum verfolgten. Zu dieser Zeit arbeitete ich beim California Motion Picture Liaison Office in Los Angeles. Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Mietauto zurück. Im Oktober 2003 und später noch einmal 2006 war ich im Irak im Einsatz.

Ein deutscher Soldat im Porträt vor einem Flugzeug
Oberst i.G. Klaus Wolf, NATO Rapid Deployable Corps (NRDC) Istanbul privat
„Der Terror war plötzlich ganz nah.”

Ich diente damals als Referent für Abrüstung und Rüstungskontrolle im Bereich Militärpolitik des BMVgBundesministerium der Verteidigung. Wir haben im Büro die Live-Schalte mit dem ersten Flugzeug gesehen. Kurz danach raste die zweite Maschine in die Tower. Dieser Angriff auf Symbole westlicher Dominanz hat mich so gebannt, dass ich im ersten Moment noch keinerlei Konsequenzen absehen konnte. Zum Schock kam das Gefühl der Verwundbarkeit, der Terror war plötzlich ganz nah. Mich traf es auch deshalb persönlich, weil ich im Frühjahr 2001 über viele Wochen dienstlich in New York gewesen war. Es war ein Angriff auf das Herz des Westens.

Zehn Jahre nach dem Schock des 11. September 2001 war ich Militärattaché in Pakistan. Anfang Mai 2011 nahm ich gerade an einer Attaché-Konferenz in der Berliner Julius-Leber-Kaserne teil. Dort erfuhr ich von der USUnited States-Operation in Abbottabad, bei der Osama bin Laden getötet worden war. Als deutscher Militärattaché hatte ich mich erst kurze Zeit zuvor für einige Wochen in der Stadt aufgehalten und Vorträge vor den Kadetten der dortigen Militärakademie gehalten. Ich hatte sogar am Dienstbetrieb der Akademie teilgenommen. Es ist schon unglaublich, dass sich der Chefplaner von „9/11“ die ganze Zeit direkt in der Nähe dieser pakistanischen Kaderschmiede versteckt hat. Kurz darauf war ich wieder auf meinem Posten in Islamabad. Das Verhältnis der Pakistaner zu den Amerikanern war deutlich abgekühlt.

von Markus Tiedke