Heer
Aufsatz des Inspekteurs

„Stark sein, um den Frieden zu bewahren“

„Stark sein, um den Frieden zu bewahren“

Datum:
Ort:
Strausberg
Lesedauer:
9 MIN

Die Ausrichtung des Kernauftrages des Deutschen Heeres auf die Bündnis- und Landesverteidigung ist mit einer Sicherheitspolitik nach Kassenlage schwer vereinbar, schreibt der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, in einem Artikel für den Förderkreis des Deutschen Heeres e. V.eingetragener Verein Der materielle und strukturelle Bedarf der Landstreitkräfte sollte sich konsequent an den gegnerischen militärischen Potenzialen orientieren. Wir geben den Namensbeitrag wieder.

Zwei Kampfpanzer stehen versetzt auf einer Freifläche.

Die Landes- und Bündnisverteidigung ist der Schwerpunkt des Deutschen Heeres

Bundeswehr/Carl Schulze

Das Zitat der Bundesministerin der Verteidigung in ihrem Dezemberinterview in der Neuen Zürcher Zeitung setzt in kurzen, aber einprägsamen Worten den Rahmen der Vorhaben des Deutschen Heeres im Jahr 2021. Mit diesem Zitat im Ohr wollen und müssen wir alles daransetzen, das Deutsche Heer wieder konsequent auf seinen Kernauftrag – die Landes- und Bündnisverteidigung (LVBV) – auszurichten, ohne in den gegenwärtigen Einsätzen nachzulassen. Wir müssen bereits heute, trotz der aktuellen und in ihren Auswirkungen noch nicht vollständig begreifbaren Coronabelastungen, mit strategischem Weitblick für morgen planen, um für übermorgen vorzusorgen. Deutschland braucht starke Landstreitkräfte und in deren Kern ein starkes Heer, vollausgestattet und einsatzbereit, personell wie materiell. Nur mit einem hochwertigen, verlässlichen Beitrag deutscher Landstreitkräfte zur Bündnisverteidigung und im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements bewahren wir gemeinsam den Frieden in und für Europa. Eine Sicherheitspolitik „nach Kassenlage“ ist mit diesem Anspruch nur schwer vereinbar. Die negativen Konsequenzen vergangener Einsparungen begleiten uns bis heute und sind wesentlicher Teil unserer jetzigen Herausforderungen.

„Großbritannien hat ein wichtiges Signal gegeben, als es Ende 2020 eine zehnprozentige Steigerung seines Wehretats verkündete. Deutschland sollte selbst auch weiter klare Prioritäten setzen: für einen stabilen Wachstumskurs im Verteidigungshaushalt. Gerade in einem Wahljahr gilt: Verteidigung ist eine Kernaufgabe des Staates. Der ehrliche öffentliche Austausch darüber tut der sicherheitspolitischen Debatte gut. Am Ende muss dann das Ergebnis aber auch in harten Zahlen stimmen„, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer.

Gegnerpotenziale – eigene Schwächen – kein Wunschdenken!

Verschiedene Waffensysteme stehen nebeneinander aufgereiht.

Die Beschaffung von Material und die Bedarfsdeckung der Landstreitkräfte haben oberste Priorität, um die Aufträge zu meistern

Bundeswehr/Marco Dorow

LVBV ist (wieder) der strukturbestimmende und anspruchsvollste Auftrag deutscher Streitkräfte; die Auslandseinsätze bleiben unser wahrscheinlichster. Das Heer hat im Rahmen vergangener und laufender Einsätze wiederholt seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Glaubwürdige Abschreckung sowie die Forderung, zukünftig mehr Verantwortung auch in robusten Szenaren zu übernehmen – wie sie zurzeit immer wieder diskutiert wird – lassen sich jedoch nur dann realisieren, wenn gerade die Landstreitkräfte dafür entsprechend ausgerüstet sind.

„Für eine glaubwürdige Abschreckung im Rahmen der LVBV brauchen wir wieder eine vollausgestattete Bundeswehr. (…) Deshalb benötigen wir das Material bereits im Frieden für Ausbildung und Übung, nur so können wir ‚üben, wie wir kämpfen‘, um für einen Krieg gewappnet zu sein„, erklärte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, an der Unteroffizierschule des Heeres in Delitzsch.

Wir müssen am modernen Großgerät fit sein und mit unseren Landstreitkräften eine „starke Hand“ ausbilden, um im Rahmen der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge Deutschlands der Politik glaubwürdige Handlungsoptionen zu eröffnen. Dabei kommt insbesondere der Ebene der Großverbände zukünftig eine neue Bedeutung zu, um die qualitativ und quantitativ kontinuierlich wachsenden konventionellen Potenziale Russlands abzuschrecken, die Führungsfähigkeit innerhalb eines immer komplexer und kleinteiliger werdenden Konfliktbildes zu sichern und gleichzeitig als Rahmen für die Integration multinationaler Fähigkeitspakete zu fungieren. Unsere Landstreitkräfte gehören zu den wenigen in Europa, die dies leisten können und müssen. Zudem wird Deutschland seiner multinationalen Ambition nur gerecht, wenn es die verlässliche Schulter ausprägt, die kleinere Partner suchen – auch dafür eignet sich die Divisionsebene in besonderem Maße.

Dabei sollten sich die materiellen wie auch strukturellen Bedarfe des Heeres zum Aufstellen solcher Großverbände und zur Schließung eigener (Fähigkeits-)Lücken konsequent an der Auswertung gegnerischer militärischer Potentiale orientieren. In den drei Divisionen des Heeres muss sich wieder technologische Überlegenheit abbilden. Moderne Vollausstattung ist dazu der Startpunkt, nicht das Ziel. Technologisch überlegen bedeutet aber gerade eines nicht: sündhaft teure Einzelstücke, überkomplex und kaum wirksam, weil mehr in der Wartung als im Einsatz. Hier sehe ich uns alle in der Pflicht: das Heer bei der Definition realistischer Anforderungen und die deutsche Industrie mit all ihrer Ingenieurskunst und Findigkeit in der Umsetzung. Logistische Beherrschbarkeit und Ausbildungslandschaft genauso im Blick wie die operationelle Effektivität der Systeme.

2021 – ein Jahr mit wichtigen Weichenstellungen

Drei Schützenpanzer Puma fahren hintereinander um eine Kurve.

Ab 2023 wird die Panzergrenadierbrigade 37 der Leitverband für die VJTFVery High Readiness Joint Task Force , die Schnelle Eingreiftruppe der NATO, sein

Bundeswehr/Marco Dorow

Die Very High Readiness Joint Task Force Land (VJTFVery High Readiness Joint Task Force (L)) 2023, hauptsächlich gestellt von der Panzergrenadierbrigade 37, muss 2021 nationale Zertifizierungsziele nachweisen. Wir haben in den vergangenen Jahren einiges erreicht, insbesondere die bis Jahresende abgeschlossene Einrüstung eines ebenenübergreifenden Battle Management Systems ist ein qualitativer Sprung in der Führungsfähigkeit. Es ist uns aber leider erneut nicht gelungen, die Panzergrenadierbrigade 37 aus sich heraus für ihren Auftrag auszurüsten. Materialverschiebungen werden – wenngleich in geringerem Maße als noch in 2019 – nicht vermieden werden können. Ein sachgerechtes Erwartungsmanagement im Sinne von „Wahrheit und Klarheit!“ mache ich mir deshalb gerade in 2021 für das gesamte Heer zur Aufgabe, denn Materialverschiebungen schmerzen besonders, wenn die abgebende Truppe dadurch in ihren Ausbildungsmöglichkeiten Abstriche hinnehmen muss. Dies potenziert sich, wo Covid-19-bedingt bereits in 2020 Ausbildungs- und Übungsvorhaben nicht wie geplant durchgeführt werden konnten.

Eng mit der VJTFVery High Readiness Joint Task Force (L) 2023 verbunden bleibt die taktische und logistische Einsatzprüfung des Pumas. Allen Beteiligten ist klar: Nur ein Erfolg wird das Vertrauen in das neue System stärken und unterstreichen, dass das Investment lohnt. Das gilt für die Truppe wie auch die politischen Entscheidungsträger gleichermaßen. Aber nur, wenn sich die positiven Signale der Stabilität des Systems in der Praxis auch tatsächlich bewahrheiten, ist der Rahmen gesetzt, die Entscheidung zur Nutzung des Pumas im Rahmen der VJTFVery High Readiness Joint Task Force (L) 2023 sowie zur Beschaffung der für die Division 2027 benötigten 266 modernisierten Schützenpanzer und des Systems Panzergrenadier ohne Bedenken zu fällen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das gemeinsam schaffen.

Mit Blick auf die Division 2027 werden wir auch nicht umhinkommen, die Nutzungsdauerverlängerung unserer aktuellen Funkgeräte der SEM-Familie (Sender/Empfänger, mobil) durch ein „Retrofit“ zu entscheiden, bis im Rahmen der Digitalisierung Landbasierter Operationen (D-LBO) – und der damit einhergehenden Zukunftsfähigkeit der Domäne Führung – Software Defined Radios in ausreichendem Maße eingeführt sind. Das bedeutet aber auch, dass die D-LBO auch gegen Widerstände nicht nur die Ablauflinie überschreiten, sondern auch an Angriffsschwung aufnehmen muss, denn eines ist für mich kristallklar: Beherrschung großer Räume, Konkurrenzfähigkeit gegen Hochtechnologie nutzende Gegner, ein Höchstmaß an eigener taktisch-operativer und räumlicher Flexibilität sowie das daraus resultierende überlegene Operationstempo wird es nur mit durchdigitalisierten Kräften geben. Das wird Geld kosten. Doch es wird nicht günstiger, wenn wir weiter warten und schieben. Damit würde nur ein Fähigkeitsverlust erreicht, den wir uns als ambitionierte Anlehnungsnation nicht leisten können. Digitalisierung ist keine Frage des „Ob“, sondern allenfalls des „Wie“, um auf dem Gefechtsfeld bestehen zu können und die Akzeptanz unserer Partner zu erhalten. Es ist für unsere Truppenführer unzumutbar, wenn unsere Partner ihre modernen Funksysteme in den Notbetrieb schalten müssen, um mit der Rahmennation taktische Funkkreise aufbauen zu können. Für die Soldatinnen und Soldaten des Heeres entscheidet sich die Akzeptanz der Digitalisierung am Ende des Tages nicht am Umfang von Homeoffice-Arbeitsplätzen (die wir in der Pandemie von 6 Prozent aller ITInformationstechnik-Nutzer auf über 30 Prozent steigern konnten), sondern an der Verbesserung der Führungsfähigkeit und Effektivität im Einsatz.

Heer schwimmt mit „qualifizierter Fliegerabwehr“ konzeptionell vor der Welle

Deutsche Soldaten sprechen mit Einheimischen eines Dorfes in Mali.

Das Deutsche Heer setzt sich aktuell mit den eigenen Fähigkeiten auseinander und analysiert die Bedeutung der Landstreitkräfte in Deutschland, Europa und der Welt

Bundeswehr/Elisabeth Rabe

Besonders treibt mich zur Zeit der Schutz unserer Einsatztruppenteile vor Bedrohungen aus der Luft um. Bereits vor vier Jahren hat das Heer in der Auswertung aktueller Konflikte (Kampf gegen den IS„Islamischer Staat“, sicherheitsrelevante Zwischenfälle in Afghanistan etc.), in der Wahrnehmung eines boomenden Privatdrohnenmarktes sowie in nüchterner Einschätzung eigener Fähigkeitsdefizite in der Aufstellung der VJTFVery High Readiness Joint Task Force 2019 eine Initiative gestartet, die dieses Bedrohungsspektrum unterhalb der Forderungsbandbreite schon damals aktueller Rüstungsprojekte (TLVSTaktisches Luftverteidigungssystem , NNBS ) adressieren sollte. Daraus entstand das Projekt der „qualifizierten Fliegerabwehr“, quantitativ schmal, aber hinreichend aufgesetzt und mit hohem Zeitdruck versehen, um als Fähigkeitsbeitrag zur VJTFVery High Readiness Joint Task Force (L) 2023 verfügbar zu sein. Die Auswertung des Konfliktes in Bergkarabach mit Blick auf den taktischen Einsatz von Drohnen bestätigt nachdrücklich unsere Lagebewertung aus dem Jahre 2017 und unterstreicht die Dringlichkeit zum Schließen dieser Fähigkeitslücke. Es gilt daher 2021 zu nutzen, um das Projekt endlich ins Ziel zu führen, damit die VJTFVery High Readiness Joint Task Force (L) 2023 möglichst noch in 2023 mit entsprechenden Systemen ausgestattet werden kann – denn auch alliierte Partner können diese Fähigkeitslücke nicht schließen. Hier muss das schnelle Ergebnis für alle Beteiligten im Vordergrund stehen.

Darüber hinaus zeigt der Konflikt in Bergkarabach erneut, wie eng die Dimensionen in der Konfliktdynamik auf der operativen und taktischen Ebene miteinander verwoben sind und wie wichtig das enge Zusammenspiel in der Jointness des Einsatzes von Streitkräften ist. Nicht nur in der koordinierten Wirkungsentfaltung, sondern auch im Schutz eigener Schwächen an den Schnittstellen zwischen den Dimensionen. So hat der intensive Einsatz von Drohnen wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg geschaffen und dabei eine gar nicht so neue Lektion gelehrt: Wer den gegnerischen Sensor- und Wirkungsverbund, insbesondere im bodennahen Luftraum, nicht erfolgreich bekämpfen und letztlich beherrschen kann, verliert Menschenleben und Hochwertgerät. Beobachtet man den Verlauf des Konflikts aber bis zum Ende, wird deutlich: Es waren letztlich Landstreitkräfte, die strategisch wichtige Dörfer in Bergkarabach in Besitz genommen und damit den Ausgang des Konflikts entschieden haben.

Zukunft der Landstreitkräfte bestimmen

Ein Soldat sitzt im Rotlicht eines Panzers vor einem Bildschirm, auf dem eine Lagekarte abgebildet ist.

Die Digitalisierung der Landstreitkräfte wird zukünftig für den Erfolg landbasierter Operationen von elementarer Bedeutung sein

Bundeswehr/Marco Dorow

Das Heer tritt in diesen Tagen an, die wesentlichen Weichenstellungen für die nächste Dekade vorzunehmen. Die Bestimmungsgröße für die Beantwortung solch grundsätzlicher Fragen ist die Auswertung des eigenen Auftrags, verbunden mit der Analyse der zukünftigen Potenziale erwartbarer Gegner in allen Phasen einer möglichen (militärischen) Auseinandersetzung unter parallelen hybriden Einwirkungen. Deshalb will ich identifiziert haben, welche Rolle Landstreitkräfte zukünftig voraussichtlich einnehmen werden, welche Fähigkeiten dafür notwendig werden und welche gegebenenfalls ihre Bedeutung verlieren. Deshalb befasst sich das Kommando Heer intensiv mit operativen Aspekten, die darauf abzielen, die Schlüsselfragen nach dem zukünftigen Wofür? Mit wem? Wogegen? Womit? und das Wie? zu beantworten. Letztendlich geht es darum, die Absicht des Generalinspekteurs und des Fähigkeitsprofils mit seinen strukturellen Vorgaben über eine operative Analyse auf die taktische Ebene zu übersetzen. Die sicherheitspolitische Zeitenwende ist ohne Zweifel 2014 erfolgt, nun muss der „Daseinsgrund“ deutscher Landstreitkräfte neu ausgemessen werden. Unser Ableiten auch unangenehmer Wahrheiten wird nicht überall auf Zustimmung stoßen. Das ändert nichts an der Notwendigkeit dieser Arbeit. Ganz bewusst stelle ich mich als Inspekteur des Heeres in die Tradition „Operativer Leitlinien“ meiner Vorgänger. Die Ableitungen und Bewertungen werden ein geradliniger militärischer Ratschlag sein. Dieser soll helfen, die Dimension Land der Zukunft in ihren Möglichkeiten und Grenzen besser zu erfassen und einen Weg nach vorne zu weisen.

Fokus auf unsere Menschen im Heer

Bewaffnete Soldaten greifen in Formation an.

Neben dem Ziel eines modernen, vollausgestatteten und digitalisierten Heeres sind die Soldaten die tragende Stütze des Militärs

Bundeswehr/Marco Dorow

Ich setze abschließend den entscheidenden Punkt, der in der öffentlichen Debatte um Fähigkeiten und Finanzen häufig zu kurz kommt: die Menschen im Heer. Die Soldatinnen und Soldaten des Heeres leisten in der aktuellen pandemischen Ausnahmesituation zu Tausenden im Rahmen der Amtshilfe wirksamen Dienst an der Bevölkerung. Ich weiß Sie in meiner Wertschätzung für diesen Dienst an meiner Seite! Diese Schwerpunktsetzung ist aktuell auch angezeigt. Dies darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass Amtshilfe nicht unser Kerngeschäft ist. Es ist das scharfe Ende der militärischen Auseinandersetzung, das in den Köpfen verankert bleiben muss. Es kann deshalb niemanden wundern, dass ich mich an vorderster, auch öffentlicher Front für eine moderne Vollausstattung des Deutschen Heeres einsetze. Die Menschen, die sich in den Großverbänden des Heeres im Gefecht bewähren sollen, haben eine hervorragende Ausbildung und kriegstaugliche, moderne Vollausstattung verdient.

von Alfons Mais

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