Relikte des Kalten Krieges: Wallmeister und vorbereitete Sperranlagen
Relikte des Kalten Krieges: Wallmeister und vorbereitete Sperranlagen
- Datum:
- Ort:
- Eutin
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Nach und nach verschwinden die Sperranlagen aus der Zeit des Kalten Krieges aus der zivilen Infrastruktur. Aber da die Sperren aus Kostengründen nur im Zusammenhang mit geplanten Baumaßnahmen entfernt werden, kümmert sich die Bundeswehr auch weiter um die Aufgaben der früheren Wallmeister.
Prüfend tritt Thorben O. auf den Rand einer runden, in den Boden eingelassenen Betonplatte. Ringsherum testet der Oberfeldwebel den Sitz des Deckels am Rand eines abgelegenen Weges, der hier über die Alte Schwentine, ein Gewässer in Schleswig-Holstein, führt. Der schmale Schotterweg, der heute von Fußgängern und Radfahrenden genutzt wird, diente Anfang des 20. Jahrhunderts einige Jahre als Trasse für eine Kleinbahn zwischen Lütjenburg und Kirchbarkau. In den Zeiten des Kalten Kriegs war diese Engstelle mit dem unscheinbaren Deckel im Boden allerdings ein Punkt mit militärischer Bedeutung. Denn unter dem Deckel befindet sich ein Sprengschacht, eine sogenannte vorbereitete Sperre. Im Verteidigungsfall wäre der Schacht mit Sprengstoff bestückt worden. Hätten die eigenen Pioniere diesen Sprengstoff gezündet, wäre die Engstelle für den Feind unpassierbar gewesen.
Zum Höhepunkt des Kalten Krieges waren in Westdeutschland rund 6.000 dieser vorbereiteten Sperren verteilt – Stecksperren, Fallsperren, Hubsperren, Sprengröhren, Sprengschächte und andere „Überraschungen“, die einem möglichen Feind das Vordringen, wenn nicht unmöglich, so doch schwerer machen sollten. Heute gibt es im nördlichsten Bundesland noch etwa 100 Sperren, die eine Hälfte nördlich und die andere Hälfte südlich des Nord-Ostsee-Kanals.
Nur noch 100 Sperren im Norden
Für letztere ist Thorben O. zuständig. Gebraucht werden diese Sperren nicht mehr. „Aber jede einzelne dieser Sperren wird von mir zweimal im Jahr kontrolliert“, sagt Thorben O. Die Bundeswehr will auf diese Weise verhindern, dass bei Veränderungen in den Straßen und Wegen für die Allgemeinheit Gefahren durch die Sperren entstehen – zum Beispiel hervorstehende Kanten, über die Fußgängerinnen und Fußgänger stolpern oder Radfahrende ins Straucheln kommen können. Einige wenige noch vorhandene Sperren wurden in den vergangenen Jahren aus der Verantwortung der Bundeswehr entlassen, wenn Investoren ehemalige Liegenschaften der Streitkräfte mitsamt den Sperranlagen übernahmen. In der Hansestadt Lübeck sind zudem mehrere Sperranlagen unter Denkmalschutz gestellt worden – so die Panzersperren vor den Brücken zur Altstadt.
„Wallmeister“: Ursprung im Lager- und Festungsbau
„Wallmeister“ war früher die Bezeichnung der Spezialisten unter den Pionieren, die sich um die Sperranlagen in Westdeutschland kümmerten. Um nicht zu sehr aufzufallen, waren die Wallmeister bei ihren Kontrollfahrten meist in ziviler Kleidung unterwegs. Doch diese Zeiten sind vorbei.
Sperranlagen verlieren ihren Sinn
„Ausgedehnte Sperranlagen wie früher sind heute in dieser Form nicht mehr nötig“, sagt Thorben O. Selbst im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung wäre Deutschland kein Frontstaat mehr – anders als im Kalten Krieg. Heute müssten vor allem die Aufgaben einer großen logistischen „Drehscheibe“ gemeistert werden – um Truppen, Material und Fahrzeuge zügig durch das Land an die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Grenzen zu bringen.
Nach und nach verschwinden deshalb die einstmals Tausenden Sperren aus der Infrastruktur. Nur noch neun Personen in der Bundeswehr, allesamt Infrastruktur-Feldwebel, beschäftigen sich mit den „Wallmeister-Aufgaben“. Thorben O. mit Dienstsitz in der holsteinischen Kreisstadt Eutin ist einer davon.
Um keine unnötigen Kosten entstehen zu lassen, werden die noch vorhandenen Sperren immer dann beseitigt, wenn von ziviler Seite Sanierungsarbeiten an betroffenen Straßen, Brücken, Kanälen oder Bahnstrecken geplant sind. In diesem Zusammenhang werden dann die alten militärischen Hindernisse beseitigt. Die anteiligen Kosten für diesen militärischen Rückbau übernimmt der Bund.
Unterschiedliche Sperren – unterschiedlicher Aufwand
Dabei sei nicht jede Sperre auf die gleiche Weise zu behandeln, erklärt der Oberfeldwebel. Könnten frühere Schächte in Straßen und Wegen einfach verfüllt, der Betonrand am oberen Ende entfernt werden, sei die Beseitigung von Sperren in Bahnanlagen ungleich komplizierter: „Hier besteht die Bahn darauf, dass der komplette Schacht mit seinen Wänden entfernt wird.“ Das macht die Angelegenheit etwas aufwendiger. Aber immer noch nicht so aufwendig wie bei besonders großen Sperren, zum Beispiel an der Südseite des Hamburger Elbtunnels: Ende der 60er-Jahre waren dort massive Fallkörper-Sperren aus Beton über den Tunnel-Eingängen installiert worden, die dann vor wenigen Jahren im Zuge anderer Baumaßnahmen wieder entfernt wurden.
Bis es zum Rückbau der letzten verbliebenen Sperren kommt, wird es laut Thorben O. noch etliche Jahre dauern. Hier an der Engstelle der Alten Schwentine zum Beispiel besteht auf absehbare Zeit überhaupt keine Notwendigkeit, in die Infrastruktur des alten Schotterweges einzugreifen. Und so werden der Oberfeldwebel und seine wenigen mit dieser Aufgabe betrauten Kameradinnen und Kameraden weiterhin ihre Kontrollfahrten zu diesen Relikten des Kalten Krieges machen.