Russland und seine großen militärstrategischen Veränderungen

Russland und seine großen militärstrategischen Veränderungen

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Hamburg
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Es war die erste Konferenz zu „Militärstrategien“ an der Führungsakademie der Bundeswehr, die in Kooperation zwischen Fregattenkapitän a.D. Thomas Böhlke von der Führungsakademie und Oberst i.G. Sönke Marahrens vom German Institute for Defence and Strategic Studies veranstaltet wurde. Während der zweitägigen Konferenz standen Russland und Afrika im Fokus. Prof. Dr. Joachim Krause, emeritierter Professor für Internationale Politik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Leiter des dortigen Instituts für Sicherheitspolitik, hielt einen Impulsvortrag zu Russlands militärstrategischen Aktivitäten. Die Führungsakademie sprach mit dem Experten über seine Einschätzung des russischen Vorgehens in militärstrategischen Fragen.

4 Fragen an Prof. Dr. Joachim Krause

Prof. Dr. Joachim Krause bereicherte mit seiner Expertise zu Russland die Tagung "Militärstrategie"
Führungsakademie der Bundeswehr/Lene Bartel

Russland 2000 – Russland 2020. Wo sehen Sie die großen militärisch-strategischen Veränderungen?

Prof. Dr. Joachim Krause bereicherte mit seiner Expertise zu Russland die Tagung "Militärstrategie"

Im Jahr 2000 war Russland weitgehend am Boden. Ursache war der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Unfähigkeit der Regierung unter Präsident Jelzin, den Staatsapparat zusammenzuhalten und eine erfolgversprechende Reform der Wirtschaft einzuleiten. In den 1990er Jahren hatte Russland einen Staatsbankrott erlebt, von dem sich das Land nur langsam erholte. Putin hat es verstanden, den föderalen Staatsapparat Russlands mit Hilfe einer Machtvertikalen unter Kontrolle zu bringen, bei der er sich auf Vertraute aus dem Bereich der Sicherheitsdienste und seines Petersburger Netzwerkes stützen konnte.

In den ersten zehn Jahren seiner Regierungszeit hatte er zudem das Glück, dass die Preise für Erdöl und Erdgas so hoch waren, dass sich das russische Bruttoinlandsprodukt fast verdoppelte. Heute ist die Machtvertikale das Hauptproblem Russlands, denn sie dient der Selbstbereicherung einer neuen Nomenklatur, stranguliert die Wirtschaft und den Energiesektor und verhindert die notwendigen wirtschaftlichen und politischen Reformen.

Zudem verhält sich Russland auffallend aggressiv gegenüber dem Westen und spielt wieder das alte imperiale Spiel, demzufolge seine Nachbarstaaten sich an Russland auszurichten haben – andererseits drohen harte Strafen und Destabilisierungsversuche. Diese Aggressivität hat ihre Ursache in dem innenpolitischen Legitimitätsdefizit der Machtvertikale. Putin und seine Mitstreiter hoffen offenbar, dass durch eine Politik der begrenzten Konfrontation mit dem Westen die innenpolitische Lage stabilisiert werden könne. Dazu gehört auch die teilweise ins Absurde gesteigerte Heroisierung der Person Putins.

Inwiefern spielt das Militär im politisch-strategischen Denken Russlands eine Rolle?

Prof. Dr. Joachim Krause bereicherte mit seiner Expertise zu Russland die Tagung "Militärstrategie"

Das Militär hat immer eine starke Rolle im strategischen Denken Russlands gespielt und das wird auch so bleiben. Der Satz „mit militärischen Mitteln kann man keine politischen Probleme lösen“ kommt keinem russischen Politiker über die Lippen. Wir haben in den vergangenen 15 Jahren eine erhebliche Modernisierung des russischen Militärs erlebt. Der Umfang der Streitkräfte ist gesunken, aber es sind kleinere, vielseitigere und besser ausgerüstete Streitkräfte entstanden, insbesondere im Bereich der Landstreitkräfte sowie der Luftlandeverbände, aber auch bei den fliegenden Einheiten, den Raketentruppen und im Cyber-Bereich.

Dadurch verfügt Russland heute über eine beachtliche Klaviatur militärischer Fähigkeiten, die zwar nicht an das heranreicht, was die USA beherrschen, aber die europäischen Mächte (Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Polen) stellt Russland schon deutlich in den Schatten, obwohl es Militärausgaben hat, die gering sind im Vergleich zu dem, was Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Polen zusammen ausgeben.

Wir konnten umfangreiche Aktivitäten der Landstreitkräfte während der großen Übung Zapad beobachten. Welche strategischen Signale entstehen daraus für die Nachbarstaaten und die NATO?

Prof. Dr. Joachim Krause bereicherte mit seiner Expertise zu Russland die Tagung "Militärstrategie"

Die Übungen Zapad 2013 und 2017 waren klare Signale an den Westen, dass Russland in der Lage ist, die baltischen Staaten und Teile Polens in relativ kurzer Zeit zu besetzen und dass es auch darauf vorbereitet ist, eine Offensive der NATO zur Rückeroberung dieser Länder abzuwehren – bis hin zum Einsatz von Kernwaffen. Diese Signalwirkung hat vor allem in den skandinavischen Ländern ihre Wirkung nicht verfehlt. In vielen NATO-Ländern, besonders in Frankreich und in Italien, wird diese Entwicklung weitgehend ignoriert und auch bei uns ist die Bereitschaft in der Politik gering, sich damit auseinanderzusetzen.

Welche militärischen und vor allem strategischen Entwicklungen, die uns im Westen erwarten können, sehen Sie?

Prof. Dr. Joachim Krause bereicherte mit seiner Expertise zu Russland die Tagung "Militärstrategie"

Russland stellt wieder eine militärische Bedrohung dar, wenngleich diese ungleich kleiner ist als zu Zeiten des Kalten Krieges und regional begrenzt bleibt (auf das Baltikum und die Ukraine, Moldawien und den Schwarzmeerbereich). Wir müssen uns aber damit auseinandersetzen, dass Russland konkrete Planungen für regionale Kriege an seiner Peripherie trifft, die nur von Russland aus initiiert werden können.

Diese Botschaft ist in der deutschen Politik noch nicht angekommen. Hier herrscht die Vorstellung vor, man müsse Putin entgegenkommen oder nur mit ihm reden, dann würden sich alle Probleme lösen lassen. Angesichts der Tatsache, dass die Aggressivität der Politik der russischen Regierung ihre Ursache in innenpolitischen Legitimitätsproblemen hat, ist die Aussicht gering, alles am diplomatischen Tisch lösen zu können. Bisher haben die entsprechenden Initiativen auch nichts erbracht, weder durch die deutsche Bundeskanzlerin, den amerikanischen Präsidenten noch den französischen Präsidenten.

Die NATO wird reagieren und auf eine begrenzte Bedrohung eine begrenzte und bedachtsam vorgenommene Abschreckungskulisse zeitnah aufbauen müssen. Zudem müssen die westlichen Länder eine Strategie der nicht-militärischen „coercive diplomacy“ entwickeln, denn die bisher verhängten Sanktionen bewirken wenig. Diplomatie hat nur dann wieder eine Chance, wenn wir sie mit entsprechenden machtpolitischen Hebeln unterstützen können.

von Victoria Eicker  E-Mail schreiben

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