Führungsakademie: Militärdekan leistet Hilfe zur Selbsthilfe

Nur drei Straßen von der Führungsakademie der Bundeswehr entfernt, ist Andreas-Christian Tübler ab seinem zehnten Lebensjahr aufgewachsen. An den Pforten habe er jedoch nicht gerüttelt, wie Gerhard Schröder damals an den Zäunen des Kanzleramtes, sagt er mit einem Lächeln. „Ich bin immer hier vorbeigegangen und hatte gedacht, zur Bundeswehr könnte ich gehen, als Soldat oder später als Pastor.“ Aus einer anfänglichen Idee wurde nun Wirklichkeit: Seit dem 1. Oktober 2019 ist der gebürtige Möllner Militärdekan an der höchsten militärischen Ausbildungsstätte in Deutschland. Wie es ihm bisher so ergangen ist, was ihn motiviert, diesen Job auszuüben und wie seine Aufgaben aussehen, hat er im Gespräch verraten.


Andreas-Christian Tübler hat ein offenes Ohr für Akademieangehörige

Andreas-Christian Tübler ist seit dem 1. Oktober 2019 Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr

Führungsakademie der Bundeswehr/Katharina Roggmann

Herr Tübler, warum wollten Sie Pastor werden?

Das hat verschiedene Gründe. Ich bin sozusagen im Zuge meiner Konfirmation damit aufgewachsen. Meinen Konfirmandenunterricht habe ich in Iserbrook genossen. Dieser wurde Anfang der 1970er Jahre von einem sehr modernen Pastor geleitet. Das hat mich als Jugendlicher natürlich angesprochen. Es ging darum, kreativ zu sein, anderen Menschen zu helfen und offen für andere Kulturen zu sein. Irgendwann stand dann die Frage im Raum, was ich werden möchte. Ich wusste, dass ich einen helfenden Beruf ausüben wollte. So kam ich dann darauf, Theologie zu studieren.

Was bedeutet Ihnen der Glaube?

Mir ist der Glaube wichtig, weil es mit Vertrauen zu tun hat. Ich wollte mit den Menschen kommunizieren und ihnen ein möglichst sicheres Gefühl, also einen Halt vermitteln. Ich habe in der Militärseelsorge, aber auch schon vorher, immer wieder Situationen gehabt, wo ich diese Erfahrung und dieses Wissen in Gesprächen anwenden konnte: Leute zu stabilisieren, ihnen zu helfen, mit sich selber klar zu kommen und ihnen Auswege aus scheinbaren Krisen aufzuzeigen.

Andreas-Christian Tübler begleitet Soldaten als Militärpfarrer auch in den Auslandseinsatz

Bevor Militärpfarrer Andreas-Christian Tübler an die Führungsakademie der Bundeswehr kam, war er mehrmals im Auslandseinsatz

Führungsakademie der Bundeswehr/Privat

Sie haben schon viele Stationen durchlaufen: Sie waren Gemeindepastor in Hamburg-Dulsberg, persönlicher Referent der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen, Theologischer Kirchenrat der Lippischen Landeskirche und evangelischer Militärseelsorger in der Marseille-Kaserne Appen. Seit dem 1. Oktober vergangenen Jahres sind sie nun Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr. Wie kam es dazu?

Ich habe viel Gemeindearbeit gemacht, habe auch viel übergemeindlich gearbeitet, ich war in der Kirchenleitung einer kleineren Kirche in Nordrhein-Westfalen tätig, habe sehr viel Büro- und Verwaltungstätigkeiten gemacht, aber das hat mich innerlich nicht ausgefüllt. Ich brauchte mal wieder Kontakt zu einer besonderen Zielgruppe und das waren die Soldaten. So kam ich zur Militärseelsorge. Ich arbeitete dann in der Marseille-Kaserne in Appen und habe anschließend die Chance ergriffen, mich an der Führungsakademie zu bewerben.

Als Militärdekan unterrichtet Andreas-Christian Tübler Soldaten an der Führungsakademie der Bundeswehr

Andreas-Christian Tübler bereitet in seinem Büro den Lebenskundlichen Unterricht für Soldaten an der Führungsakademie der Bundeswehr vor

Führungsakademie der Bundeswehr/Katharina Roggmann

Was sind Ihre Aufgaben an der höchsten militärischen Ausbildungsstätte in Deutschland?

Die Lehre ist ein großer Bereich. Ich unterrichte Soldaten in Hinblick auf den Lebenskundlichen Unterricht. Wir sprechen über ethisches Verhalten in Grenzsituationen, beispielsweise in Konfliktlagen im Ausland. Es geht darum, moralische Sicherheit zu geben bei bestimmten strittigen Fragen, aber auch gesellschaftliche Tendenzen aufzunehmen und zu reflektieren. Jeden Freitag im Monat gibt es im Wechsel mit meinem sehr geschätzten katholischen Kollegen in der Clausewitz Kaserne zudem eine 15- bis 20-minütige Andacht mit Impulsen für den Tag oder für den Wochenabschluss. Zu meinen Aufgaben gehören aber auch Ansprachen zu Weihnachten, bei Trauerfeiern, Hochzeiten oder Taufen. Einiges davon auch in der Blankeneser Kirche, wo ich mich zugehörig fühle, zumal ich dort vor über 40 Jahren als Jugendlicher nach meiner Konfirmation offene Jugendarbeit genossen habe.

Wenn Akademieangehörige ein Problem haben, können diese dann einfach zu Ihnen kommen?

Wenn ein Soldat, eine Soldatin, ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ein Problem haben, können sie jederzeit zum Pfarrer gehen. Das ist hier genauso üblich wie in jeder anderen Kaserne auch. Wenn sie sich bei ihrem Vorgesetzten abmelden, müssen sie auch nicht sagen warum. Sie bekommen in der Regel überall frei. Wir haben hier auch ein sogenanntes psychosoziales Netzwerk. Diesem gehören der katholische Pfarrer, Psychologen und Sozialarbeiter an. Wenn die jeweilige Person zustimmt, dass wir den Fall im Netzwerk besprechen können, dann überlegen wir gemeinsam, wie wir helfen können. Wir führen auch Einzelgespräche. Ansonsten versuchen wir erst einmal zuzuhören und Lösungswege aufzuzeigen.

Andreas-Christian Tübler war bereits viermal im Einsatz

Vor fünf Jahren hat sich Andreas-Christian Tübler freiwillig für den Hilfseinsatz in Afrika gegen Ebola gemeldet

Führungsakademie der Bundeswehr/Privat

Als Militärpfarrer waren Sie bereits mehrmals im Einsatz, darunter in Afghanistan, Irak, Mali und in Liberia. Wie kam es dazu?

Es ist üblich, dass Militärpfarrer auch in den Einsatz gehen, weil wir natürlich auch die Soldaten überall hinbegleiten – nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Ich war viermal im Einsatz. Für den Anti-Ebola-Einsatz habe ich mich vor fünf Jahren freiwillig gemeldet. Alle anderen Einsätze wurden turnusmäßig angefragt. Ich konnte immer entscheiden, wo ich hingehe. Das hat sich dann so ergeben.

Andreas-Christian Tübler ist auch bei Auslandseinsätzen für Soldaten da

Auch Gottesdienste im Einsatz gehören zu den Aufgaben eines Militärpfarrers

Führungsakademie der Bundeswehr/Privat

Warum ist der religiöse Beistand vor allem auch im Einsatz wichtig?

Nicht nur der religiöse Beistand spielt eine Rolle, sondern überhaupt der Beistand. Die Gottesdienste sind im Einsatz in der Regel sehr gut besucht. Aber es geht dabei weniger um die Religion im engeren Sinne, sondern vielmehr um die Sinnsuche im Einsatz. Für viele Soldaten ist es wichtig, darüber ins Gespräch zu kommen. Es geht darum, ihnen die Zweifel zu nehmen und zu diskutieren. Es gibt aber auch Beratungsgespräche für Soldaten, die beispielsweise Schwierigkeiten zu Hause haben und merken, dass die Kinder in der Schule schlecht werden, weil sie im Einsatz sind. Wir nehmen aus dem Einsatz heraus auch Kontakt zu den Familienbetreuungszentren auf, die sich dann um die Angehörigen kümmern. Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Hilfe, sich und die Welt besser zu verstehen und konkrete Notlagen zu erkennen.

Andreas-Christian Tübler im Gespräch

Gemeinsam nach Lösungen suchen: Das ist das Ziel von Andreas-Christian Tübler nicht nur im Inland, sondern auch bei Auslandseinsätzen

Führungsakademie der Bundeswehr/Privat

Gab es Erlebnisse, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Mich haben in Afrika die Kinder berührt, die uns freudig begrüßt haben. Es waren zum Teil Kinder, die beispielsweise durch eine Augenkrankheit blind waren. Die haben sich natürlich gefreut, wenn wir ihnen Bonbons geschenkt haben, aber die hingen nicht an unserem Rockzipfel und bettelten nicht permanent. Das war eine ganz besondere und berührende Situation. Grundsätzlich fand ich es schön, wie uns die Menschen wahrgenommen haben: Die Soldaten wurden in der Regel als Helfer – als Freunde – angesehen. Wir haben auch Gottesdienste vor jedem Arbeitseinsatz, also dem Aufbau von Zeltstädten, gefeiert. Das war vor allem in Liberia so. Die innere Fröhlichkeit der afrikanischen Menschen, trotz des Schicksals, trotz der Armut, trotz der Krisen, ist ganz bewegend. Das ist auch das, was mich nach wie vor prägt. Die Mentalität der Afrikaner, das Leben zu feiern, ist etwas, was wir uns eigentlich abgucken könnten.

Wie hat sich Ihr Leben durch diese Erfahrungen verändert?

Ich weise immer wieder daraufhin, was das Leben eigentlich wert ist und wie ich das Leben verstehe. Arbeiten gehört dazu, das ist klar, aber es gibt noch eine andere Seite des Lebens: sich miteinander in Beziehung zu setzen und dankbar zu sein, dass man leben darf. Dieses Motiv der Dankbarkeit ist es, was ich den Soldaten versuche zu vermitteln. Das Leben besteht nicht nur daraus, dass man etwas erreichen muss, um was zu sein. Diese Seite habe ich dort verstärkt mitgenommen.

Viele Kreuze, viele Tote: Die Ebola-Pandemie hat viele Opfer gefordert

Viele Menschen sind an Ebola gestorben: Das verdeutlicht das Foto, das Andreas-Christian Tübler im Anti-Ebola-Einsatz gemacht hat

Führungsakademie der Bundeswehr/Andreas-Christian Tübler

Im Einsatz sterben Menschen. Widerspricht das nicht der Religion?

Wenn Menschen sterben, dann widerspricht das einerseits jeder Religion. Andererseits müssen Menschen irgendwann sterben, weil sie Menschen sind. Es kommt auf den Anlass an, weswegen sie sterben. Wenn sie sterben, weil ihnen Gewalt angetan wurde, dann ist das ein Widerspruch gegen jede Religion und gegen jedes Menschenrecht.

Das versuchen wir auch im Unterricht in Form einer politischen Ethik zu vermitteln, dass wir versuchen zu klären, das Recht, auch das Menschenrecht, immer gegen den Krieg ist. Und da, wo es nicht der Fall ist, muss man schauen, dass man Strukturen und verschiedene Ebenen schafft, die gegensteuern - wie beispielsweise die Vereinten Nationen oder Rechtssatzungen. Im Unterricht erkläre ich den Soldaten, dass es nur einen Frieden gibt, wenn es ein gerechter Frieden ist. Es ist immer ein Verstoß gegen Gottesordnung und Gottesliebe, wenn man im Einsatz durch Gewalt ums Leben kommt. Das ist die Schwierigkeit, die wir vermitteln müssen und darüber müssen wir sprechen, wobei wir uns als Bundeswehr nur verteidigen. Dann gibt es Sinnfragen, warum lässt Gott das zu und weshalb ist überhaupt das Leid in der Welt. Darüber unterhalten wir uns in Einzelgesprächen oder in kleinen Gruppen.

Sie sind jetzt seit mehr als sieben Monaten an der Führungsakademie. Welches Resümee ziehen Sie aus den ersten Monaten?

An der Führungsakademie war bisher kein Tag wie jeder andere. Es ist sehr spannend. Ich habe bisher versucht, viele Kontakte zu knüpfen und mir ein Netzwerk aufzubauen. Ich fühle mich sehr wohl hier und habe das Gefühl, dass ich wertschätzend wahrgenommen werde. Mittlerweile würde ich sagen, ich bin im Alltag angekommen.

von Sophie Düsing