11. Juni 2024: 25 Jahre KFORKosovo Force-Einsatz in Kosovo
Ein Vierteljahrhundert ist seit dem Ende des Kosovokrieges vergangen. Die kurz danach am 11. Juni 1999 aufgestellte KFORKosovo Force-Truppe bekam den Auftrag, für Stabilität und Sicherheit in Kosovo zu sorgen. 25 Jahre später stellt sich die Frage: Warum ist die Präsenz der Bundeswehr noch immer notwendig? Und wie geht es weiter in Kosovo?
Vorgeschichte: Erster Kampfeinsatz der Bundeswehr
Vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Jahr 2022 hat die Bundeswehr schon einmal eine Art Zeitenwende durchlebt. In den späten 1990er-Jahren verschärften sich die ethnischen Konflikte in der damaligen serbischen Provinz Kosovo. Serbien war neben Montenegro die letzte verbliebene Teilrepublik Jugoslawiens und im Staat die dominierende Kraft. Autonomiebestrebungen der kosovo-albanischen Minderheit wurden gewaltsam unterdrückt und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen erschütterten die Weltöffentlichkeit.
NATONorth Atlantic Treaty Organization interveniert im Kosovokrieg
Nachdem alle Bemühungen um eine friedliche Beilegung des Konflikts am Widerstand Jugoslawiens und Russlands gescheitert waren, musste den Vertreibungen, Massakern und Gräueltaten schließlich ohne UNUnited Nations-Mandat ein Ende gesetzt werden. Am 24. März 1999 begann die NATONorth Atlantic Treaty Organization mit der Mission Allied Force mit Luftangriffen, um das jugoslawische Milošević-Regime zum Einlenken zu zwingen.
Bundeswehr-Kampfjets beteiligen sich an Luftangriffen
Nach einer intensiven politischen Debatte in Deutschland beteiligte sich auch die Bundeswehr mit 14 Tornado-Jets an der Mission. Es wurde der erste Kampfeinsatz deutscher Streitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit über 200 Lenkflugkörpern zerstörten die deutschen Tornadobesatzungen mehrere feindliche Radarstationen. Nach 79 Tagen endete die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mission Allied Force – erfolgreich.
Letzte Vorbereitungen vor dem Abflug Richtung Kosovo: Manche Tornado-Piloten hatten einen Aufklärungsauftrag, andere mussten damals ihre Waffen einsetzen, um der Mission zum Erfolg zu verhelfen
IMAGO/Markus Matzel
Am 9. Juni 1999 trat das Abkommen von Kumanovo in Kraft, das vor allem den Abzug der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo zum Inhalt hatte. Tags darauf folgte in New York, dem Sitz des Hauptquartiers der Vereinten Nationen, die Geburtsstunde der Kosovo Force – kurz KFORKosovo Force – die schließlich vor genau 25 Jahren, am 11. Juni 1999, aufgestellt wurde.
Die Resolution 1244 (1999) des UNUnited Nations-Sicherheitsrats vom 10. Juni 1999 bildet die völkerrechtliche Grundlage für gleich mehrere Missionen in Kosovo: einerseits für die Einrichtung der Übergangsverwaltung für Kosovo durch die Vereinten Nationen (UNMIKMission der Vereinten Nationen im Kosovo), andererseits für die Stationierung der internationalen KFORKosovo Force-Truppe unter Führung der NATONorth Atlantic Treaty Organization.
Im UNUnited Nations-Sicherheitsrat wurde mit der Resolution 1244 nicht nur KFORKosovo Force aufgestellt. Thema war auch die Souveränität Kosovos, das zunächst für statusneutral erklärt wurde. Die Frage der Unabhängigkeit Kosovos spaltet bis heute die Staatengemeinschaft.
Bundeswehr/Andrea Bienert
Bundestags-Mandat
Auf Grundlage der Resolution des UNUnited Nations-Sicherheitsrats beschließt der Bundestag am 11. Juni 1999 die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der KFORKosovo Force-Mission. Dem UNUnited Nations-Mandat folgend ist der Auftrag zunächst, den Abzug der jugoslawischen Truppen zu überwachen und ein sicheres Umfeld für die Rückkehr der geflüchteten Menschen aus dem Kosovo zu schaffen. Bis zu 8.500 Soldatinnen und Soldaten umfasst das deutsche KFORKosovo Force-Mandat (PDF, 481,0 KB) zunächst.
Kosovo-Einmarsch beginnt
Am 12. Juni 1999 überschreiten die ersten KFORKosovo Force-Kräfte die Grenze zu Kosovo. Zu den rund 42.500 NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bodentruppen gehören auch gut 6.400 Angehörige der Bundeswehr. Für sie sind die ersten Stunden und Tage oft eine Gratwanderung: auf der einen Seite die jubelnde kosovo-albanische Bevölkerung, auf der anderen Seite eine sich nicht immer an die Abmachungen haltende jugoslawische Armee. Insgesamt bleibt die Situation jedoch weitgehend friedlich.
Schon vor dem Einmarsch haben die Alliierten einen Plan geschmiedet, wie sie Kosovo stabilisieren wollen. Fünf multinationale Brigaden mit jeweils einigen tausend Soldatinnen und Soldaten übernehmen die Verantwortung für jeweils eine Zone in Kosovo. Die Bundeswehr führt den Verband in einer südlichen Region – rund um die Provinzhauptstadt Prizren.
Hier kommen auch die ersten Kräfte des Heeres an. Transporthubschrauber vom Typ CH-53 bringen Fallschirmjäger mit ihrem Waffenträger Wiesel an den Ortsrand von Prizren. Die Provinzhauptstadt muss als Erstes gesichert werden. Das Feldlager, das die Bundeswehr hier bald errichtet, war bis 2018 Ausgangspunkt der meisten Bundeswehroperationen in Kosovo. Gut 50.000 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland waren über die Jahre hinweg genau hier im Einsatz.
150 Kampfpanzer gehörten anfangs zum deutschen Kontingent. Aus dem Feldlager Prizren ging es mit ihnen auf Patrouille – ein überzeugendes Argument für die Truppen der jugoslawischen Armee, sich vertragsgemäß aus Kosovo zurückzuziehen.
Bundeswehr/BMVg
Die ersten Tage und Monate von KFORKosovo Force verlaufen wie geplant. Die verbliebenen jugoslawischen Streitkräfte ziehen sich innerhalb nur weniger Tage zurück. Mithilfe von Bundeswehr und NATONorth Atlantic Treaty Organization entsteht ein sicheres Umfeld für die Zivilbevölkerung, sodass hunderttausende vertriebene Kosovo-Albaner in ihre Heimat zurückkehren können.
Der Auftrag der multinationalen KFORKosovo Force-Truppe hat sich über die Jahrzehnte nicht allzu stark verändert. Der Anspruch ist es, den Aufbau eines demokratischen, friedlichen und multiethnischen Kosovo zu unterstützen und militärisch abzusichern. Zudem soll die Bewegungsfreiheit aller Menschen in Kosovo garantiert werden. 1999 trägt die Bundeswehr noch mit gut 6.400 Soldatinnen und Soldaten zu diesen Aufgaben bei. Doch es gibt viel mehr zu tun. Zunächst muss KFORKosovo Force die Versorgung der zurückkehrenden Geflüchteten sicherstellen.
Zu Beginn des Kosovo-Einsatzes ist die Bundeswehr nicht nur für Sicherheit zuständig. Um die katastrophale humanitäre Situation zu bewältigen, verteilen Soldaten Hilfsgüter des Technischen Hilfswerks.
Bundeswehr/Marcus Rott
Trügerische Ruhe der 2000er-Jahre
Planmäßig werden die meisten Aufgaben im Laufe der Jahre von lokalen Sicherheitskräften wie der kosovarischen Polizei übernommen, wodurch KFORKosovo Force-Kräfte abgezogen werden können. Im Laufe der 2000er-Jahre schrumpft das Bundeswehrkontingent auf rund 2.000 Soldatinnen und Soldaten. Andere Funktionen des Einsatzes werden jetzt wichtiger: KFORKosovo Force-Offiziere stehen den Sicherheitsorganen Kosovos jetzt etwa als Berater zur Seite.
Bis auf wenige Ausnahmen gerät der KFORKosovo Force-Einsatz mit schrumpfenden Kontingentzahlen in Deutschland aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Eigentlich ist das eine gute Entwicklung, denn die Situation ist weitgehend friedlich und das Eingreifen der multinationalen Truppe nur selten erforderlich. 2018 ist das deutsche Kontingent schließlich klein genug, um das Feldlager Prizren an die kosovarischen Zivilbehörden zu übergeben.
Aus der Einsatzliegenschaft der Bundeswehr ist seit 2018 mithilfe der deutschen Entwicklungshilfeorganisation GIZGesellschaft für internationale Zusammenarbeit ein Innovations- und Trainingspark geworden. Daher steht statt „KFORKosovo Force“ heute „ITP PRIZREN“ an der ehemaligen Truppenküche des Feldlagers.
Bundeswehr/Marc Tessensohn/Simone Meyer
Der deutsche KFORKosovo Force-Beitrag sinkt zwischenzeitlich auf nur noch einige Dutzend Soldatinnen und Soldaten. Sie sind vor allem im Hauptquartier in Pristina tätig oder gehören zu den multinationalen Aufklärungskräften.
Leider ist die Ruhe trügerisch. Kosovo bleibt ein Pulverfass. Ausschreitungen erschüttern immer wieder die Region und sind nur mit militärischen Kräften zu bewältigen. Ab 2023 deutet sich an, dass die KFORKosovo Force-Truppe wieder wachsen muss.
Die ersten fünf Jahre des KFORKosovo Force-Einsatzes gaben Anlass zur Hoffnung, dass eine friedliche, demokratische und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft für Kosovo nah ist. Die humanitäre Situation war weitgehend unter Kontrolle und auch die Sicherheitslage verbesserte sich Schritt für Schritt.
2004 kommt es dann jedoch zum Rückschlag. Spannungen zwischen ethnischen Serben und Kosovo-Albanern entladen sich gewaltsam. Auch KFORKosovo Force-Truppen geraten ins Visier von Gewalttätern. Rund 1.000 Menschen werden verletzt, mehr als ein Dutzend getötet und Kirchen in Brand gesetzt. Erneut werden viele tausend Menschen vertrieben – diesmal vor allem serbische Kosovaren. Das vergrößert die Kluft zwischen den Ethnien erneut.
Die Mitrovica-Brücke ist Symbol der Spaltung Kosovos. Der Fluss Ibar trennt die ethnischen Serben im Norden von den Kosovo-Albanern weiter südlich. Um Ausschreitungen zu verhindern, wird der Brennpunkt für viele Jahre von KFORKosovo Force-Soldaten überwacht.
Bundeswehr/Michael Müller
Als Reaktion holt KFORKosovo Force Verstärkung nach Kosovo: 2.500 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten mehrerer Verbündeter verstärken die Kräfte vor Ort und bringen die Situation unter Kontrolle. Im Kosovo-Einsatz ist eine Fähigkeit der Bundeswehr nun besonders gefragt: Bei CRCCrowd and Riot Control – Crowd and Riot Control – geht es um die Eindämmung von Krawallen und die Beherrschung unfriedlicher Menschenmassen.
Mit Helm, Räumschild und Stock sind KFORKosovo Force-Soldaten gewappnet, um sich gewalttätigen Demonstranten in den Weg zu stellen. Um Menschenmassen von Krawallen abzuhalten, kann unter anderem auch Tränengas eingesetzt werden.
Bundeswehr/Sebastian Wilke
2008: Die kosovarische Unabhängigkeitserklärung
Jahrelang beschäftigt die albanische Mehrheitsbevölkerung in Kosovo vor allem ihr Wunsch nach Frieden und Unabhängigkeit. Doch international – und gerade im Verhältnis zu Serbien – ist die Statusfrage Kosovos umstritten. Serbien betrachtet Kosovo weiterhin als Teil seines Landes. Internationale diplomatische Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung der Statusfrage in den 2000er-Jahren bleiben ohne Erfolg. Am 17. Februar 2008 schafft Kosovo Fakten und erklärt sich einseitig für unabhängig. Als einer von 115 Staaten erkennt die Bundesrepublik Deutschland die Unabhängigkeit des Kosovos an.
Bis 2022 ist es alles in allem wieder ruhiger geworden in Kosovo. Doch es brodelt weiter im Land. Im Norden des Landes leben vor allem ethnische Serben, die sich gegen die Souveränität Kosovos auflehnen. Aus Protest boykottieren viele serbische Kosovaren die Kommunalwahlen im April 2023. Das führt dazu, dass Kosovo-Albaner mit nur sehr wenigen Stimmen zu Bürgermeistern gewählt werden. Mit Unterstützung von Sicherheitskräften verschaffen sich die neuen Amtsinhaber unter heftigem Widerstand der serbisch-stämmigen Bevölkerung teilweise gewaltsam Zugang zu den Rathäusern.
Gewaltsame Ausschreitungen im Norden Kosovos Ende Mai 2023: Bei den Unruhen werden mehr als 90 KFORKosovo Force-Kräfte verletzt, manche von ihnen lebensgefährlich. Spätestens jetzt ist klar: die multinationale Truppe muss aufgestockt werden.
picture alliance/AA/Erkin Keci
Ende September 2023 folgt eine weitere schwere Eskalation. Bei einem terroristischen Anschlag auf eine Polizeipatrouille wird ein kosovarischer Ordnungshüter getötet. Im Zuge der Untersuchungen des Vorfalls deutet sich an, dass serbische Akteure an der Attacke beteiligt waren.
April 2024: Bundeswehr stockt Kräfte auf
Danach wurde das KFORKosovo Force-Kontingent zunächst mit Reservekräften aufgestockt – um 700 auf fast 5.000 Soldatinnen und Soldaten aus 28 Ländern. Deutschland ist im April 2024 nun die erste Nation, die regulär neue Kräfte in die Mission entsendet hat. Auch wenn die Zahlen weit entfernt sind von den gut 6.000 Bundeswehrangehörigen in den Anfangstagen der Mission im Jahr 1999: Mit nun rund 300 deutschen Soldatinnen und Soldaten ist KFORKosovo Force gegenwärtig der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements.
Da das Feldlager Prizren bereits 2018 abgegeben wurde, finden die neuen Bundeswehrkräfte nun an anderer Stelle Unterschlupf. Spezialpioniere errichten neue Unterkünfte im USUnited States-Camp Bondsteel in der Nähe der Stadt Ferizaj.
Bundeswehr/Sebastian Sänger
Brandlöscher Bundeswehr
Nach Jahren schrumpfender Kontingente werden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Kosovo bald wieder Aufgaben erfüllen, die sie lange nicht mehr innehatten: Sie werden auf Patrouille gehen, Checkpoints betreiben und einschreiten, wenn Demonstrationen aus dem Ruder laufen. Gleichzeitig tragen sie aber auch dazu bei, dass Kosovo selbst für seine Sicherheit sorgen kann. Ihr Auftrag ist nämlich auch, den Aufbau professioneller, demokratischer und multiethnischer kosovarischer Sicherheitskräfte zu unterstützen.
Der Kosovo-Einsatz ist und bleibt wichtig
Die Gewaltausbrüche im Jahr 2023 im Norden Kosovos haben gezeigt, dass eine handlungsfähige internationale Militärpräsenz noch immer notwendig ist. KFORKosovo Force ist ein zentraler Stabilitätsanker und entscheidend zur Beherrschung der Sicherheitslage in Kosovo. Auch die Regierungen von Kosovo und Serbien begrüßen eine Fortführung von KFORKosovo Force. Deshalb wird die Bundeswehr ihren Einsatz weiter fortsetzen. Langfristiges Ziel bleibt die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die kosovarischen Sicherheitsinstitutionen. Mithilfe der Bundeswehr kann das gelingen.