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Stimmen von 1990 & 2025: Hoffnungen und Sorgen

Geschichte
Ort:
Berlin
Lesedauer:
2 MIN

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Am dritten Oktober 1990 wechselten tausende NVANationale Volksarmee-Soldaten in die Uniform der Bundeswehr. Eine neue und ungewöhnliche Situation für beide Seiten. In der Ausgabe der damaligen Bundeswehr-Zeitung „Bundeswehr aktuell“ erzählten einige, welche Wünsche, Hoffnungen und Ängste sie in Bezug auf die Eingliederung beschäftigten.

Die Titelseite der Zeitung „Bundeswehr aktuell“ mit Foto von jubelnden Personen am Brandenburger Tor

Die Bundeswehr aktuell war die interne Wochenzeitung der Bundeswehr. Von 1965 bis 2018 erschien sie wöchentlich montags

Bundeswehr

Stimmen von 1990: Ost und West

  • Peter K., Hauptmann (Ost):
    „Ich sehe der Einheit Deutschlands positiv entgegen, verbunden mit dem Wunsch, dass dann so schnell wie möglich ein normales militärisches Leben einzieht, nach Gesetz, Ordnung und Vorschriften. Natürlich bewegt auch mich die Frage, wie es weitergeht, nach welchen Kriterien ausgewählt wird, wenn man weiterdienen möchte. Ich werde zunächst als Zugführer weiter tätig sein, und ich will mich bemühen, junge Menschen im Sinne der freiheitlich-demokratischen Ordnung zu erziehen und zu bilden.“
  • Holger Q., Stabsfeldwebel (Ost):
    „Deutschland wird nach seiner Vereinigung noch mehr Verantwortung für Frieden und Freiheit bekommen. Der Frieden zum Beispiel kommt nicht von allein, sondern müsste schon jeden Tag neugestaltet, nicht zuletzt mit Waffendienst errungen werden. Ich bin gespannt darauf, wie beide Armeen zusammenwachsen werden. Wir müssen es packen, auch wegen der Mitverantwortung für Frieden und Freiheit.“
  • Michael D., Obergefreiter (West):
    „Das Zusammenwachsen der deutschen Streitkräfte ist sicherlich mit mehr oder weniger großen Schwierigkeiten verbunden – eine der größten sehe ich in dem Umdenken bei den Soldaten der dann ehemaligen NVANationale Volksarmee. Für manchen, vor allem Längergedienten, wird es schwierig sein, sich von einer Überzeugung, die jahrzehntelang galt, zu trennen. Es wird wohl eine Weile dauern, bis aus den beiden Streitkräften ein homogenes Gefüge, eine Streitkraft entstanden ist, in der man Hand in Hand arbeitet.“
  • Frank D., Matrose (West):
    „Ich bin der Auffassung, dass diese Soldaten eingegliedert werden sollten, wie andere auch. Nicht alle sind noch heute überzeugte SEDSozialistische Einheitspartei Deutschlands-Anhänger, und diese werden mit Sicherheit auch nicht in die Bundeswehr kommen, da diese unsere soldatische rechtstaatliche demokratische Ordnung nicht mit ihrer Gesinnung vereinbaren können. Die anderen Soldaten sollten eine gerechte Chance haben, zu beweisen, dass sie in der DDR nur in ein System gezwungen wurden, mit welchem sie sich nicht identifiziert haben.“

Stimmen von 2025

35 Jahre nach der Wiedervereinigung erzählen ehemalige Bundeswehr- und NVANationale Volksarmee-Soldaten von ihrem Dienst zur Zeit der Wende, vom Zusammentreffen mit den ehemaligen Feinden und wie daraus Kameradschaft wuchs. Ein Stück Geschichte, das bis heute prägt.

Interview mit:

  • Ein Soldat im Porträt

    Oberstabsfeldwebel der Reserve, Thomas R. Thomas R. ist seit fast drei Jahrzehnten beim Reservistenverband tätig. Er wurde als Grundwehrdienstleistender vom NVA-Soldaten zum Bundeswehrangehörigen.

    © privat
  • Ein Soldat im Porträt

    Hauptmann a.D., Wolfgang Böltzig Wolfgang Böltzig erlebte die Eingliederung ehemaliger NVA-Soldaten beim Flugsicherungssektor in Berlin-Tempelhof.

    © privat

Was haben Sie zur Zeit der Wende gemacht?

Oberstabsfeldwebel der Reserve, Thomas R.

Ich leistete meinen Grundwehrdienst vom 8. Mai 1990 bis 30. April 1991. Das war eine bewegte Zeit. Einige Wochen vor der Wiedervereinigung hatten wir bereits die neue Uniform erhalten – aber nur oliv. Den Dienstanzug haben wir erstmal gar nicht bekommen. Am 2. Oktober 1990 habe ich dann noch bis 18:00 Uhr Wache in der NVANationale Volksarmee-Uniform geschoben. Am nächsten Tag, dem 3. Oktober, bin ich um 09:00 Uhr in der neuen Bundeswehr-Uniform angetreten. Das zeigt, wie schnell sich alles verändert hat.

Hauptmann a.D., Wolfgang Böltzig

Ich war damals als Nachrichtenoffizier in Münster eingesetzt und habe den Mauerfall in der Presse verfolgt. Nach der Wiedervereinigung habe ich mich für eine Verwendung in den neuen Bundesländern beworben. Es gab dann einen freien Dienstposten beim Flugsicherungssektor in Berlin-Tempelhof. So kam ich zurück in meine Heimatstadt. Ungefähr ein halbes Jahr nach der Wiedervereinigung habe ich dort meinen Dienst angetreten und traf zum ersten Mal auf ehemalige Angehörige der NVANationale Volksarmee – sowohl Zivilpersonal als auch Soldaten. Von Beginn an herrschte ein kameradschaftlicher Umgang miteinander.

Wie haben Sie den Übergang persönlich erlebt?

Oberstabsfeldwebel der Reserve, Thomas R.

Über Nacht war alles anders. Also wirklich: Von heute auf morgen hat sich alles geändert. Viele Vorgesetzte, wie Zugführer oder Spieße, wurden kurz nach der Wiedervereinigung entlassen. Wegen ihrer engen Verbindung zum alten System. Da habe ich ehemalige Vorgesetzte, hochrangige NVANationale Volksarmee-Offiziere, eine Woche später in Zivil gesehen. Die hatten plötzlich nichts mehr zu sagen. Auch der Befehlston war ein anderer: In der NVANationale Volksarmee galt „Befehl ist Befehl“, das wurde nicht hinterfragt. Durch die Umstrukturierung galten auch ehemalige Befehle aus NVANationale Volksarmee-Zeiten teilweise von heute auf morgen nicht mehr. Es gab bei uns an der Unteroffizierschule zum Beispiel einen Platz, da war es strengstens verboten, drüber zu laufen. Und am 3. Oktober habe ich gesehen, wie dieses Verbot auf einmal aufgehoben war. Da liefen alle in der neuen Uniform über diesen Platz.

Hauptmann a.D., Wolfgang Böltzig

Aufgrund der politischen Umstände – die im Osten ja auch dazu geführt hatten, dass es zur Wiedervereinigung kam – stand ich dem Ganzen offen gegenüber. Gerade aus fachlicher Sicht hat die Wiedervereinigung auch einige Vorteile mit sich gebracht. Viele der Kameraden aus dem Osten hatten gute Kenntnisse in der russischen Sprache. Das erleichterte die Kommunikation mit Russland enorm. Gerade bei uns im Flugsicherungssektor hatten wir immer mal wieder Kontakt mit Moskau. Da war das schon echt eine große Hilfe. Negative Erfahrungen habe ich persönlich keine gemacht. Ich hatte auch hin und wieder mit ehemaligen NVANationale Volksarmee-Soldaten auf Stabsoffizierebene zu tun und selbst da gab es eigentlich nie Probleme.

Herr Oberstabsfeldwebel, hatten Sie Berührungspunkte mit Kameraden aus dem Westen?

Oberstabsfeldwebel der Reserve, Thomas R.

Ehrlich gesagt kaum. Bei uns sind vielleicht ein paar Offiziere aus dem Westen dazugekommen, aber so richtig gemerkt habe ich das nicht. Durch die ganzen Entlassungen hat es auch an allem gefehlt, vor allem an Feldwebeln. Das führte dazu, dass wir jungen Soldaten für unsere Dienstgradgruppe der Mannschaften untypische Aufgaben übernehmen mussten. Ich war als einfacher Gefreiter plötzlich stellvertretender Wachhabender. Weil es schlicht nicht genügend Unteroffiziere gab. Und teilweise mussten wir 48 Stunden Wache halten.

Wie haben Sie die Eingliederung wahrgenommen?

Oberstabsfeldwebel der Reserve, Thomas R.

Viele hochrangige Offiziere wurden entlassen oder degradiert. Aus einem Oberstleutnant wurde schnell mal ein Oberleutnant – oder die Betroffenen haben überhaupt erst keinen passenden Dienstposten in der Bundeswehr gefunden. Erst viele Jahre später haben einige ihren früheren Dienstgrad wieder erreicht. Das war sicher eine harte Erfahrung für viele. Ansonsten bin ich am Ende meines Wehrdienstes aus der Bundeswehr ausgetreten, weil ich gelernter Maurer war. Ich wollte im zivilen Leben arbeiten. Das war damals auch die richtige Entscheidung für mich. Vier Jahre später habe ich durch die Baukrise jedoch meinen Job verloren. Da habe ich mich dazu entschieden, als Reservist wieder bei der Bundeswehr einzusteigen. Und schließlich bin ich Angestellter beim Reservistenverband geworden, wo ich auch heute noch arbeite.

Hauptmann a.D., Wolfgang Böltzig

Für diejenigen, die übernommen wurden, war es eine gute Eingliederung – zumindest bei uns. Da kann ich nichts anderes sagen. Über den Verband der Reservisten hatte ich aber mehrmals einen Informationsstand auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Schönefeld. Da kam ich dann relativ häufig mit ehemaligen NVANationale Volksarmee-Angehörigen ins Gespräch. Das Thema der Eingliederung und die damit verbundenen Diskussionen waren – ehrlich gesagt – immer sehr, sehr schwierig. Man darf ja nicht vergessen, dass viele eben gar nicht erst übernommen wurden. Deren Karrieren waren einfach von heute auf morgen beendet. Da hingen viele persönliche Schicksale dran. Aber für die, die übernommen wurden, hat es funktioniert. Wir waren einfach Kameraden.

von Nele Schulz

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