Interview mit:
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Oberstabsfeldwebel der Reserve, Thomas R. Thomas R. ist seit fast drei Jahrzehnten beim Reservistenverband tätig. Er wurde als Grundwehrdienstleistender vom NVA-Soldaten zum Bundeswehrangehörigen.
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Hauptmann a.D., Wolfgang Böltzig Wolfgang Böltzig erlebte die Eingliederung ehemaliger NVA-Soldaten beim Flugsicherungssektor in Berlin-Tempelhof.
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Was haben Sie zur Zeit der Wende gemacht?

Ich leistete meinen Grundwehrdienst vom 8. Mai 1990 bis 30. April 1991. Das war eine bewegte Zeit. Einige Wochen vor der Wiedervereinigung hatten wir bereits die neue Uniform erhalten – aber nur oliv. Den Dienstanzug haben wir erstmal gar nicht bekommen. Am 2. Oktober 1990 habe ich dann noch bis 18:00 Uhr Wache in der NVANationale Volksarmee-Uniform geschoben. Am nächsten Tag, dem 3. Oktober, bin ich um 09:00 Uhr in der neuen Bundeswehr-Uniform angetreten. Das zeigt, wie schnell sich alles verändert hat.

Ich war damals als Nachrichtenoffizier in Münster eingesetzt und habe den Mauerfall in der Presse verfolgt. Nach der Wiedervereinigung habe ich mich für eine Verwendung in den neuen Bundesländern beworben. Es gab dann einen freien Dienstposten beim Flugsicherungssektor in Berlin-Tempelhof. So kam ich zurück in meine Heimatstadt. Ungefähr ein halbes Jahr nach der Wiedervereinigung habe ich dort meinen Dienst angetreten und traf zum ersten Mal auf ehemalige Angehörige der NVANationale Volksarmee – sowohl Zivilpersonal als auch Soldaten. Von Beginn an herrschte ein kameradschaftlicher Umgang miteinander.
Wie haben Sie den Übergang persönlich erlebt?

Über Nacht war alles anders. Also wirklich: Von heute auf morgen hat sich alles geändert. Viele Vorgesetzte, wie Zugführer oder Spieße, wurden kurz nach der Wiedervereinigung entlassen. Wegen ihrer engen Verbindung zum alten System. Da habe ich ehemalige Vorgesetzte, hochrangige NVANationale Volksarmee-Offiziere, eine Woche später in Zivil gesehen. Die hatten plötzlich nichts mehr zu sagen. Auch der Befehlston war ein anderer: In der NVANationale Volksarmee galt „Befehl ist Befehl“, das wurde nicht hinterfragt. Durch die Umstrukturierung galten auch ehemalige Befehle aus NVANationale Volksarmee-Zeiten teilweise von heute auf morgen nicht mehr. Es gab bei uns an der Unteroffizierschule zum Beispiel einen Platz, da war es strengstens verboten, drüber zu laufen. Und am 3. Oktober habe ich gesehen, wie dieses Verbot auf einmal aufgehoben war. Da liefen alle in der neuen Uniform über diesen Platz.

Aufgrund der politischen Umstände – die im Osten ja auch dazu geführt hatten, dass es zur Wiedervereinigung kam – stand ich dem Ganzen offen gegenüber. Gerade aus fachlicher Sicht hat die Wiedervereinigung auch einige Vorteile mit sich gebracht. Viele der Kameraden aus dem Osten hatten gute Kenntnisse in der russischen Sprache. Das erleichterte die Kommunikation mit Russland enorm. Gerade bei uns im Flugsicherungssektor hatten wir immer mal wieder Kontakt mit Moskau. Da war das schon echt eine große Hilfe. Negative Erfahrungen habe ich persönlich keine gemacht. Ich hatte auch hin und wieder mit ehemaligen NVANationale Volksarmee-Soldaten auf Stabsoffizierebene zu tun und selbst da gab es eigentlich nie Probleme.
Herr Oberstabsfeldwebel, hatten Sie Berührungspunkte mit Kameraden aus dem Westen?

Ehrlich gesagt kaum. Bei uns sind vielleicht ein paar Offiziere aus dem Westen dazugekommen, aber so richtig gemerkt habe ich das nicht. Durch die ganzen Entlassungen hat es auch an allem gefehlt, vor allem an Feldwebeln. Das führte dazu, dass wir jungen Soldaten für unsere Dienstgradgruppe der Mannschaften untypische Aufgaben übernehmen mussten. Ich war als einfacher Gefreiter plötzlich stellvertretender Wachhabender. Weil es schlicht nicht genügend Unteroffiziere gab. Und teilweise mussten wir 48 Stunden Wache halten.
Wie haben Sie die Eingliederung wahrgenommen?

Viele hochrangige Offiziere wurden entlassen oder degradiert. Aus einem Oberstleutnant wurde schnell mal ein Oberleutnant – oder die Betroffenen haben überhaupt erst keinen passenden Dienstposten in der Bundeswehr gefunden. Erst viele Jahre später haben einige ihren früheren Dienstgrad wieder erreicht. Das war sicher eine harte Erfahrung für viele. Ansonsten bin ich am Ende meines Wehrdienstes aus der Bundeswehr ausgetreten, weil ich gelernter Maurer war. Ich wollte im zivilen Leben arbeiten. Das war damals auch die richtige Entscheidung für mich. Vier Jahre später habe ich durch die Baukrise jedoch meinen Job verloren. Da habe ich mich dazu entschieden, als Reservist wieder bei der Bundeswehr einzusteigen. Und schließlich bin ich Angestellter beim Reservistenverband geworden, wo ich auch heute noch arbeite.

Für diejenigen, die übernommen wurden, war es eine gute Eingliederung – zumindest bei uns. Da kann ich nichts anderes sagen. Über den Verband der Reservisten hatte ich aber mehrmals einen Informationsstand auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Schönefeld. Da kam ich dann relativ häufig mit ehemaligen NVANationale Volksarmee-Angehörigen ins Gespräch. Das Thema der Eingliederung und die damit verbundenen Diskussionen waren – ehrlich gesagt – immer sehr, sehr schwierig. Man darf ja nicht vergessen, dass viele eben gar nicht erst übernommen wurden. Deren Karrieren waren einfach von heute auf morgen beendet. Da hingen viele persönliche Schicksale dran. Aber für die, die übernommen wurden, hat es funktioniert. Wir waren einfach Kameraden.