Heer
Gelber Wettiner und Wettiner Heide

Das digitale Herz der VJTFVery High Readiness Joint Task Force schlägt

Das digitale Herz der VJTFVery High Readiness Joint Task Force schlägt

Datum:
Ort:
Bergen
Lesedauer:
6 MIN

Die Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ ist ein technologisches Aushängeschild des Heeres. Für ihren aktuellen NATO-Auftrag von 2022 bis 2024 erhielt sie die neuesten Kampf- und Schützenpanzer der Bundeswehr, multinationale Verstärkung sowie ein hochmodernes Führungssystem. Wie digital ist die Truppe? Wir sprechen mit Insidern bei den Übungen Gelber Wettiner und Wettiner Heide und zeigen den aktuellen Stand. 

Auf einem Parkplatz unter Bäumen stehen grüne Fahrzeuge mit Containern und einer runden Antenne.

Mit einem Service Delivery Point, eine Art Bereitstellungspunkt, des Organisationsbereiches Cyber- und Informationsraum steht die Satellitenverbindung zwischen dem Brigadegefechtsstand der VJTFVery High Readiness Joint Task Force -Brigade und der Truppe auf Sardinien, in Bergen und …

Bundeswehr/Lena Schiehandl

Zurzeit ist die Panzergrenadierbrigade 37 der multinationale Leitverband der Landanteile der NATO Response Force (NRFNATO Response Force) sowie in diesem Jahr zusätzlich die einsatzbereite Speerspitze der NATO, die Very High Readiness Joint Task Force (VJTFVery High Readiness Joint Task Force ). Sie wird im Ernstfall ganz vorn eingesetzt. Innerhalb von zwei Jahren wurde die Brigade auf Hochtouren digitalisiert und erhielt unter anderem das neue Führungsinformationssystem Sitaware. Die aktuelle Herausforderung: Die primäre Hardwarebasis für die ausgefeilte und multinational angepasste Systemsoftware sind noch die alten, analogen Funkgeräte, zumindest übergangsweise. Künftig werden sie durch neue digitale Funkgeräte abgelöst. Wie schlägt sich die interessante Kombination in der Truppe und wie weit ist die Digitalisierung des Heeres wirklich? Es geht um viel. Schließlich kann die Digitalisierung der eigenen Truppe auf dem Gefechtsfeld immense Vorteile verschaffen: Es geht darum, schneller als der Gegner zu sein, stets ein klares Lagebild zu haben – vom NATO-Stab bis runter auf die Gruppenebene, um letztendlich den Kampf für sich zu entscheiden. Das ist das Ziel. Spannende und aufschlussreiche Antworten finden wir in Bergen in Niedersachsen. 

Truppe sammelt Erfahrungen mit neuem Führungssystem

Auf einem Platz stehen Militärfahrzeuge nebeneinander. Im Vordersten sitzt ein Soldat am Computer.

In den Einheiten sind die Administratoren für das Aufsetzen und die Betreuung des Führungssystems auf den Fahrzeugen zuständig

Bundeswehr/Lena Schiehandl

Die Motoren werden gestartet. Wir sitzen auf und schließen die schweren Türen des gepanzerten Führungsfahrzeuges Eagle. Der Beifahrer vor uns blickt auf einen kastenartigen, stabilen Monitor mit einer digitalen Lagekarte. Militärische Symbole, darunter Panzergrenadiere, Artilleristen, ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrkräfte, Pioniere und Versorger, wandern wie an einer Perlenkette in Kolonne von Nord nach Süd. Nebenbei wird gefunkt und gechattet. Die Marschkolonne ist Teil der Übung Gelber Wettiner. Sie ist eine sogenannte Anschaltübung, bei der ITInformationstechnik-Administratoren des NRFNATO Response Force-Verbandes weitergebildet werden. 

Die Soldatinnen und Soldaten wollen verschiedene Fahrzeugtypen nutzen und sie gegenseitig „aufsetzen“, wie die Administratoren zum Anlegen der ITInformationstechnik-Anbindung sagen. Wie bei einem Experiment geht es um das gegenseitige Kennenlernen der unterschiedlichen Fahrzeuge und ihrer Besonderheiten. „Jedes Fahrzeug ist anders ITInformationstechnik-technisch aufzusetzen“, erklärt Oberstleutnant Matthias B. Er ist der S6, sprich der Stabsoffizier für Führungsunterstützung im Stab der NRFNATO Response Force-Brigade.

Worauf kommt es bei der Anschaltübung an? Der Begriff klingt erst einmal abstrakt. „Eigentlich ist es wie früher“, so B. Zunächst überprüfen die Soldaten, ob alle Teilnehmer, alle Fahrzeuge über die gleichen Settings verfügen, sprich alle die gleichen Funkgeräte mit den gleichen Frequenzen haben, die benötigt werden. Dann geht es darum, die einzelnen Fahrzeuge im System zu finden, um sie miteinander zu vernetzen. Die nächste Schwierigkeitsstufe ist die Übung alltäglicher Lagen des Gefechtsdienstes, wie ein Fahrzeugmarsch. Wie wird ein Fahrzeug im Führungssystem an einen anderen Verband unterstellt? Und wie funktionieren die militärischen Meldungen per Chatraum trotz der schwierigen Hardware-Voraussetzungen optimal? Das möchten die Führungsunterstützer bei der Übung Gelber Wettiner trainieren. Gelb deshalb, weil es die Farbe der Fernmeldetruppe bei den Landstreitkräften ist. 

Funktioniert das System im Gefechtsdienst?

Wie sieht es in der Truppe aus? „Wir sind auf einem sehr guten Weg in der Nutzung des Systems“, so der Oberstleutnant. Die Lagedarstellung und Datenübertragung zwischen den Fahrzeugen liefen gut trotz der analogen Funktechnik. Mittlerweile sind jetzt fast alle modernen Fahrzeuge der Brigade mit der Sitaware-Version Frontline ausgestattet und administriert – auch die Fahrzeuge der Unterstützungskräfte, vom Spähwagen Fennek über VW Widder, Eagle und das GTKGepanzertes Transport-Kraftfahrzeug Boxer bis hin zum Ungeschützten Transportfahrzeug.

Die Truppe habe die Umrüstung begleitet und zusammen mit dem Test- und Versuchsverband in Munster und den Unternehmen die Fahrzeuge zuvor erprobt und getestet. „Die Kinderkrankheiten haben wir zum Großteil ausmerzen können. Es gibt nur noch ganz, ganz wenig, wo wir sagen, okay, da müssen wir noch mal nachsteuern. Wir sind auf einem sehr guten Weg auf der Fahrzeugebene und arbeiten sehr proaktiv mit dem Beschaffungsamt der Bundeswehr, dem BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, und mit der Industrie zusammen. Dabei bringen wir kontinuierlich unsere fachlichen Wünsche aus der Truppe mit ein“, beschreibt der S6-Stabsoffizier den Sachstand.

Auf solchen Übungen hat die Truppe die Möglichkeit, sich mit den Feinheiten der Operationsführung aus ITInformationstechnik-Sicht zu beschäftigen sowie mit den taktischen Besonderheiten und Notwendigkeiten, die sonst bei der Nutzung der ITInformationstechnik im Tagesdienst nicht so sichtbar werden. Der Stabsoffizier erklärt weiter: „Wir wollen probieren, die Geschwindigkeit zu erhöhen, ohne dass sich administrative Belange negativ auf die taktische Operationsführung auswirken.“ Gerade das Umkonfigurieren sei mühsam. Die Fachleute wollen daher das System so aufsetzen, dass es so weit wie möglich intuitiv genutzt werden könne und schnell änderbar sei. Letztendlich müsse die Truppe es auch unter Stress und Zeitdruck bedienen können. 

Auf einem Platz stehen Soldaten um einen Ausbilder vor einem Fahrzeug im Halbkreis.

Bei der Übung Gelber Wettiner ist Hauptfeldwebel Philipp G. aus der Fernmeldekompanie der Panzergrenadierbrigade 37 für die Ausbildung der ITInformationstechnik-Administratoren zuständig

Bundeswehr/Lena Schiehandl
Auf dem Beifahrersitz in einem Fahrzeug sitzt ein Soldat vor einem Bildschirm.

Auf dem Führungsfahrzeug Eagle der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrkräfte aus Bruchsal läuft das neue Führungsinformationssystem Sitaware. Die Soldaten sind Teil der NRFNATO Response Force-Landanteile.

Bundeswehr/Lena Schiehandl

Beim Gelben Wettiner geht es in der letzten Phase ins Gelände. Wird die Übertragung funktionieren oder abbrechen? Bis jetzt sind noch alle militärischen Symbole auf der Karte zu erkennen. Dabei erteilt der Ausbilder immer wieder Aufträge über die Chatfunktion. „Das Chatten ist wie eine SMSShort Message Service zu schreiben. In ein Textfeld wird etwas eingetragen und es können auch Anlagen beigefügt werden. Man hat dann wie auf dem Handy einen Bestätigungshaken, der gleichzeitig anzeigt, ob die Nachricht empfangen und gelesen wurde“, erklärt Hauptfeldwebel Philipp G., Ausbilder bei der Übung Gelber Wettiner. 

Ein riesiges digitales NATO-Netz entsteht

Auf einer Lichtung stehen grüne Fahrzeuge und Zelte mit Antennen unter einem grünen Tarnnetz.

Bei den Übungen Gelber Wettiner und Wettiner Heide werden Daten von A nach B geschickt. Das Relais erhöht dabei die Reichweite der Funksysteme. Hier befindet sich dieses Mal auch der MIFAP, der Multinationale Interoperable Funkanschaltpunkt.

Bundeswehr/Lena Schiehandl

Nebenbei spannen die Fachleute ein riesiges digitales Netz zu den Übungen Noble Jump auf Sardinien, Wettiner Heide in Bergen und zum Wettiner Schwert in Sachsen-Anhalt – und das international und teilstreitkraftübergreifend. So haben sich beispielsweise Norwegen und Deutschland abgesprochen, Übungen durchzuführen, bei denen sie prüfen, wie kompatibel die Systeme sind. Interoperabilität ist überall da gegeben, wo gleiche Systeme und Settings genutzt werden beziehungsweise Schnittstellen existieren. Beispielsweise verfügen die Deutschen unter anderem auch über die PRC 117 G der amerikanischen Streitkräfte. Der Idealfall: Wenn jede Nation das gleiche Funkgerät mitbringen würde, dann wäre es natürlich einfacher, die Interoperabilität, also die Verzahnung der Armeen, zu erreichen. Dies ist nicht immer möglich. Es geht vielmehr um gemeinsame Vorgaben und Settings und um Verschlüsselung von Daten.  Neu ist der Multinationale Interoperable Funkanschaltpunkt, kurz MIFAP. Er kann mehrere verschiedene Funksysteme und auch Geräte miteinander verbinden und kombinieren, um ein multinationales Relais zu schaffen. Hier wurde der Nachsteuerungsbedarf erkannt und es wird konsequent daran gearbeitet, die verschiedenen Arten von Betriebsvorgaben und technischen Eigenheiten der Systeme auszugleichen.

Wenn eine Verbindung ausfällt

Neben Bäumen stehen ein Militärlaster, ein beigefarbener Container und eine große Antennenschüssel.

Umgangssprachlich wird sie Satellitenschüssel genannt, die große, weiße SatComSatellitenkommunikation-Antenne für breitbandige Satellitenverbindung. Insgesamt vier Soldaten überwachen im 24/7-Schichtdienst den Betrieb.

Bundeswehr/Lena Schiehandl

Was passiert, wenn eine Verbindung ausfällt und es zu Problemen mit Sitaware kommt? Dann gibt es Lösungen, verdeutlichen die Führungsunterstützer. „Wir sind hier mit Sardinien verbunden und nutzen immer weitere, redundante Netze und Kommunikationswege, die unabhängig voneinander laufen“, erklärt Hauptmann Hendrik L. vom Informationstechnikbataillon 281 aus Gerolstein. Bei allem Hightech und aller Komplexität: Im Notfall übermitteln Kradmelder, Soldaten auf Motorrädern, die Informationen per USB-Sticks oder Meldeblockzettel. 

Hauptmann L. ist kein Heeressoldat, sondern Angehöriger des Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum, kurz CIRCyber- und Informationsraum. Seine Kompanie liefert die breitbandige Satelliten-Anbindung für die NRFNATO Response Force-Brigade und stellt Service Delivery Points zur Verfügung, um weite Entfernungen, wie nach Sardinien zu überbrücken. „Wir müssen unseren Auftrag gemeinsam meistern. Dazu sind wir mit dem Heer zusammengewachsen, das klappt sehr gut. Wir stellen uns immer mehr auf die Arbeitsprozesse und Eigenschaften der Truppe ein“, freut sich der Offizier. Die Zusammenarbeit zwischen CIRCyber- und Informationsraum und Heer hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. „Uns gelingt auch der Fokuswechsel weg von Stabilisierungsoperationen im Rahmen des Internationalen Krisen- und Konfliktmanagements hin zur Landes- und Bündnisverteidigung. Wir gleichen unsere Anforderungen, wie die von der NATO geforderte Durchhaltefähigkeit, an und bauen diese gemeinsam aus.“

von Peter Müller

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