Der A400M als fliegende Intensivstation
Der A400M ist seit August 2018 auch als fliegende Intensivstation unterwegs. Bis zu sechs Patienten können medizinisch versorgt werden.
Wenn Sekunden zählen, ist die CH-53 mehr als nur ein Transporthubschrauber: Sie wird zur fliegenden Intensivstation. Doch in einem Helikopter über den Wolken ist vieles anders als in einem Rettungswagen auf der Straße. Wie werden die Ärztinnen und Sanitäter der Bundeswehr auf solche Einsätze vorbereitet?
Im Tiefflug nähert sich die CH-53: Für die Verwundeten ist sie die Rettung aus der Luft.
Bundeswehr/Michelle KutzLautes Dröhnen der Rotoren, intensiver Geruch von Kerosin, ein vibrierender Boden unter den Stiefeln, Temperaturabfall, sinkender Luftdruck: Medizinisches Personal im Hubschrauber CH-53 muss trotz dieser Bedingungen Blickkontakt zum Patienten halten, Blutungen abdrücken oder Infusionen legen können. Darauf vorbereitet werden die Soldatinnen und Soldaten in Laupheim in Baden-Württemberg.
„Ich bin Notfallsanitäter in der Bundeswehr und unterstütze hier den Lehrgang Tactical Aeromedical Evacuation“, sagt Hauptfeldwebel Christian K., der in Laupheim Notfallsanitäter, Ärzte, Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Feldjäger für den Einsatz auf der CH-53 ausbildet. Zum Lehrgang gehört zunächst ein Hubschrauberflug, um die Besonderheiten an Bord kennenzulernen. Erst danach werden die medizinischen Verfahren Schritt für Schritt im Flugbetrieb trainiert. „Die CH-53 macht es möglich, Verwundete nicht nur zu transportieren, sondern auch schon während des Fluges intensivmedizinisch zu versorgen. Diese Ausbildung ist anspruchsvoll, aber sie rettet Menschenleben.“
Für eine Rettung braucht es mehr als Arzt und Notfallsanitäter. Zum Beispiel braucht es Piloten, die die bis zu 19 Tonnen schwere CH-53 durch Täler steuern oder auf offenen Wiesen landen und Bordtechniker, die jede Bewegung des Personals im Laderaum koordinieren. Zum Schutz des Rettungsteams vor Gefahren stehen Feldjäger bereit.
Aeromedical Evacuation beschreibt den qualifizierten Verwundetentransport mit medizinischer Versorgung bereits während des Fluges. Oft wird auch der Begriff AirMedEvacAeromedical Evacuation verwendet – gemeint ist das Gleiche. Die Bundeswehr unterscheidet drei Stufen der medizinischen Evakuierung. Mit der CH-53 wird die Tactical AirMedEvacAeromedical Evacuation trainiert. Dabei werden Patienten innerhalb eines Einsatzgebietes verlegt, also über mittlere Distanzen. Hierfür hält sich die CH-53 in einem Camp bereit und ist innerhalb von 30 Minuten in der Luft. Im Übungsszenario in Laupheim flog sie zu einer Verwundetensammelstelle. Solche befinden sich in relativ sicherer Entfernung von laufenden Gefechten.
Darüber hinaus gibt es noch die Forward AirMedEvacAeromedical Evacuation und die Strategic AirMedEvacAeromedical Evacuation. Forward AirMedEvacAeromedical Evacuation bedeutet die direkte Rettung von Verwundeten während laufender Gefechte. Diese Aufgabe liegt nicht bei der Luftwaffe: Sie wird von Hubschraubern des Heeres übernommen. Strategic Aeromedical Evacuation ist die Rückführung über große Entfernungen, meist vom Einsatzgebiet bis nach Deutschland. Hierfür setzt die Luftwaffe auf den Airbus A330 MRTTMulti Role Tanker Transport und das Transportflugzeug A400M. Jede dieser Ebenen erfordert andere Verfahren und Ausrüstung.
Eine gute Vorbereitung für die Crew ist entscheidend, deshalb wird ein AirMedEvacAeromedical Evacuation-Einsatz mit einem standardisierten Verfahren eingeleitet: dem sogenannten „Nine-Liner“.
Ergänzt wird der Nine-Liner durch den MISTMechanism of injury, Injuries, Signs/Symptoms, Treatment-Report, eine international standardisierte Kurzmeldung unter Medizinern. MISTMechanism of injury, Injuries, Signs/Symptoms, Treatment steht für: Mechanism of injury, Injuries, Signs/Symptoms, Treatment. Die Meldung fasst also die Verletzungen, Symptome und bisher durchgeführten Behandlungsschritte kurz zusammen. Ein Beispiel ist die eingespielte Lage auf dem Lehrgang von Hauptfeldwebel Christian K.: „IEDImprovised Explosive Device-Explosion, offene Oberschenkelfraktur rechts, Blutdruck 90/60, Sauerstoffsättigung 92, Schmerzmittel und Infusion gegeben.“ Dank dieser Informationen weiß die Crew also schon vor dem Start genau, was sie vor Ort erwarten wird.
Der taktische Flugdienst im Einsatzland verlangt höchste Konzentration. Abrupte Ausweichmanöver oder die ständige Bedrohung durch Beschuss vom Boden sind keine Ausnahme. Die Verletzungsart des transportierten Patienten kann direkte Auswirkungen auf den Flugweg haben. So kann es notwendig sein, dass der Rettungsarzt aufgrund von schweren Kopfverletzungen dem Piloten empfiehlt, möglichst tief zu fliegen, da sich eine zu starke Luftdruckänderung negativ auf den Zustand des Patienten auswirken kann. Schwierige Abwägungen müssen getroffen werden, wenn die Sicherheitslage nur eine andere Flughöhe zulässt, weil mit Feindkontakt zu rechnen ist.
Es erfordert Routine, Nervenstärke, einen großen Erfahrungsschatz und moderne Technik, um unter solchen Bedingungen Patienten zu versorgen.
Lehrgangsteilnehmer machen sich mit den medizinischen Geräten vertraut, die auch im Einsatz an Bord der CH-53 genutzt werden – vom Beatmungsgerät bis zur Perfusorspritze
Bundeswehr/Michelle KutzDie CH-53 ist eigentlich ein Transporthubschrauber, lässt sich aber in kürzester Zeit umrüsten: Tragen, Überwachungsgeräte, Sauerstoffversorgung und ein speziell ausgebildetes Sanitätsteam machen den Hubschrauber zu einer fliegenden Intensivstation. Stolz beschreibt Christian K. seine Ausrüstung: „An Bord finden sich dafür Überwachungsgeräte wie das C3-System, mit welchem Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung gemessen werden.“ Spritzenpumpen ermöglichen die kontinuierliche Gabe von Medikamenten. Gekühlte Medikamente werden in mobilen Kühlschränken transportiert, die auch bei extremer Hitze oder Kälte funktionieren. Beatmungsgeräte sichern die Atemwege von Schwerstverwundeten. Alles ist darauf ausgelegt, unter widrigsten Bedingungen einsatzbereit zu sein.
Unterstützt wird die Rettungskette durch speziell klimatisierte Hangars oder Zelte in Einsatzländern, die die sensible Technik und das medizinische Equipment schonen.
AirMedEvacAeromedical Evacuation mit der CH-53 ist das militärische Gegenstück zum Rettungswagen im zivilen Alltag – nur unter Einsatzbedingungen, also mit Helmen, Waffen und Bedrohungslage. All das wird nicht ohne Grund in Laupheim regelmäßig trainiert. Denn für die Beteiligten bleibt jeder Einsatz etwas Besonderes. Ein Pilot des Hubschraubergeschwaders 64 erinnert sich an seine Einsätze in Afghanistan: „Es ist einerseits ein mulmiges Gefühl, weil man nie weiß, ob alles klappt. Gleichzeitig ist es auch ein Gefühl der Freude, weil man Menschen helfen kann. Besonders angespannt ist der Flug, wenn die Art der Verletzungen kritisch ist und es auf jede Sekunde ankommt“.
Vertrauen auf das Gelernte ist hier nicht nur wichtig, es ist überlebenswichtig. Hinter jedem Nine-Liner steckt ein Mensch, der auf Hilfe angewiesen ist. Das wissen nicht nur die Ausbilder aus eigener Erfahrung. Für die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz schnelle Hilfe brauchen, ist diese Fähigkeit der CH-53 deshalb nicht nur eine Aufgabe der Luftwaffe – sie ist eine fliegende Lebensversicherung.
von Michelle Kutz