Luftwaffe

Erfolgsgeschichte: Integration der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr

Erfolgsgeschichte: Integration der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr

Datum:
Ort:
Schönewalde
Lesedauer:
6 MIN

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Die Wiedervereinigung krempelte das Leben vieler Menschen komplett um. Wie erlebten ehemalige NVANationale Volksarmee- Soldaten der Luftstreitkräfte den 3. Oktober?

Drei Soldaten stehen am Tisch und reden.

Im Gespräch kommt so manche Anekdote zum Vorschein: „Wir haben Bundeswehrsoldaten an russischen Radargeräten ausgebildet.“

Bundeswehr/Thomas Skiba

Wenn heute über die Soldaten der damaligen Nationalen Volksarmee gesprochen und sich an die Wende erinnert wird, dann tauchen immer noch solche Prädikate auf wie „Parteisoldaten“ oder „die, waren doch alle kommunistisch indoktriniert“. Besonders die Bundeswehrsoldaten zu Zeiten des sogenannten „Kalten Krieges“ charakterisierten genauso ihren militärischen Gegenüber – und meinten damit in erster Linie die Berufssoldaten der NVANationale Volksarmee. Offizier konnte nur der werden, so dachten sie, der hundertprozentig „auf Linie und in der SEDSozialistische Einheitspartei Deutschlandswar. Andersherum galt die Bundeswehr als eine Armee der „Imperialisten und Kriegstreiber“.

Umso mehr verwundert es noch heute manch Zeitgenossen, dass die Vereinigung der Bundeswehr mit der NVANationale Volksarmee und damit die Übernahme Tausender Soldaten und deren Kampftechnik ohne große Reibungsverluste, ja lautlos gelang. Und so fand sich im Zuge der Integration der NVANationale Volksarmee in die Bundeswehr so manches lieb gewonnenes Vorurteil schnell auf dem Müll wieder – auf beiden Seiten. Im gesamten Prozess der Wiedervereinigung stand schon früh fest, dass die Vereinigung der beiden Streitkräfte, wie sie gegensätzlicher nicht sein konnten, eine Erfolgsgeschichte ist. 

Drei Soldaten stehen auf einer Teerstraße und gucken in die Kamera

Die drei Berufssoldaten dienen schon lange zusammen am Standort Schönewalde

Bundeswehr/Thomas Skiba

Drei von 18.000

Das Wesen einer Truppe bestimmen immer die Menschen, die in ihr dienen und drei davon haben die Geschichte der „Armee der Einheit“ mit ihrem Einsatz ein klein wenig mitgeschrieben: Stabshauptmann Bernd Tienken, Hauptmann Jens Richter und Oberstabsfeldwebel Michael Weiß. Die Berufssoldaten gehörten zu 18.000 Soldaten der ehemaligen NVANationale Volksarmee, die zunächst als Zeitsoldaten mit einer Verpflichtungsdauer von zwei Jahren in die Bundeswehr übernommen wurden. Etwa 6.000 Offiziere, 11.000 Unteroffiziere und 800 Manschaftssoldaten erhielten die Option, entweder mit Übergangsbeihilfe auszuscheiden oder eine Weiterverpflichtung mit einer späteren Übernahme in das Dienstverhältnis als Berufssoldaten anzustreben.

Alle drei gingen aus unterschiedlichen Gründen „zur Fahne“, wie es damals hieß. Ja, stellen sie im Gespräch fest: Die Beeinflussung der Menschen durch Agitation und Propaganda begann schon im Kindergarten, setzte sich in der Schule fort und für NVANationale Volksarmee-Soldaten wurde mit dem regelmäßigen Politunterricht ein weiterer Nagel eingeschlagen. 

„Zur Fahne“ nicht aus idiologischen Gründen

„Doch das beeinflusste nicht meine Berufswahl“, erinnert sich Bernd Tienken. Er wollte ursprünglich Pilot werden, bei der Interflug der DDR-eigenen Fluglinie, und das ging nur über den Weg zur Armee. Eine zivile Pilotenausbildung, wie etwa bei der Lufthansa üblich, gab es nicht. „Also hieß es für mich ab zur Offiziersschule nach Kamenz“, sagt Tienken und sah sich schon am Steuerknüppel einer MIG. Doch es kam anders. Angeblich könne er aus gesundheitlichen Gründen kein Flieger werden, beschieden ihm die Ausbilder an der Offiziershochschule und boten ihm den Werdegang eines Steuermannes an - so hießen in der NVANationale Volksarmee die Controller oder Jägerleitoffiziere. 

Drei Soldaten stehen am Tisch und reden.

Nach gut 30 Jahren erinnern sich Stabshauptmann Bernd Tienken, Hauptmann Jens Richter und Oberstabsfeldwebel Michael Weiß an den 3. Oktober

Bundeswehr/Thomas Skiba

„Diese Erfahrung kann uns keiner nehmen“

Ähnliche Erfahrungen machten auch Richter und Weiß. Beide begeisterten sich schon als Jugendliche für die Fernmeldetechnik und den Fernmeldeingenieur erlernen konnte man am sichersten an der Offiziershochschule der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Kamenz/Sachsen. „Das ich danach in eine Flugabwehrraketenabteilung versetzt wurde und dort Stationsleiter einer Radarstation Dienst tun würde, wusste ich da noch nicht“, so Richter und der Oberstabsfeldwebel stimmt ihm zu.

Michael Weiß nahm den gradlinigsten Weg: Als Diplom-Fernmeldeingenieur wurde er zum 31. August 1990 als Radartechniker zur damaligen Funktechnischen Kompanie 411 in Holzdorf versetzt. Wie erlebten die drei Berufssoldaten die Stunden kurz vor dem Flaggenwechsel und wie ging es danach weiter? Daran können sie sich heute noch im Detail erinnern. „Diese Erfahrung kann uns keiner nehmen“, so Jens Richter und weiß um die Bedeutung des Augenblicks, „denn einen Systemwechsel erleben sie viele nicht mit.“ Bevor die Übernahme in das zweijährige Dienstverhältnis erfolgte, konnten die Soldaten, die in der Bundeswehr weiter dienen wollten, beantragen, eventuell die Laufbahn zu wechseln. Damit wurde unter anderem den unterschiedlichen Dienstgradstrukturen von Bundeswehr und NVANationale Volksarmee Rechnung getragen. In der NVANationale Volksarmee beförderte man Offiziere sehr schnell, und anders als bei der Bundeswehr, gab es kein eigenständiges Unteroffizierkorps, dem man auch Führungsverantwortung übertrug. Viele Aufgaben, die in der Bundeswehr von Unteroffizieren mit Portepee übernommen wurden, bewältigten in der NVANationale Volksarmee Offiziere.

Um ihnen dennoch eine Möglichkeit zu eröffnen, weiterhin Soldat zu bleiben, bot man diesen eine Herabstufung im Dienstgrad oder eine Laufbahn als Unteroffizier an. Eine zusätzliche Alternative bestand in der Laufbahn der Fachdienstoffiziere. Mit dem Übernahmeangebot akzeptierten sie den Dienstgrad, den sie ihrem Dienstalter entsprechend bei einer regulären Laufbahn in der Bundeswehr erreicht hätten.

Eine Wandtafel mit Dienstgradklappen der NVA und der Bundeswehr.

An der Dienstgradreihung von Oberstabsfeldwebel Michael Weiß sieht der Betrachter den "Karriereknick" zum 3. Oktober, vom Leutnant zum Feldwebel

Bundeswehr/Thomas Skiba

Degradierung und Übernahme

Die „Degradierung“ erlebte auch Bernd Tienken, den man vom Hauptmann Truppendienst zum Oberleutnant im Fachdienst zurückstufte. Jens Richter durfte zu mindestens das O ab dem 3. Oktober im Dienstgrad behalten und wurde vom Oberleutnant zum Oberfeldwebel zurückgestuft. Michael Weiß, erst am 30. August 1989 zum Leutnant ernannt, nahm die größte Abstufung in Kauf: Er wechselte die Leutnants-Klappen gegen die einen Stabsunteroffiziers.

Ein vollkommen anderes Menschenbild

Als Angehörige der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung wechselten sie „mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland […] am 3. Oktober 1990“ zur Luftwaffe und trugen von da an die Schwingen auf ihren Dienstgradklappen. „Ich war im Oktober mit der Rekrutenausbildung beschäftigt“, blickt Jens Richter zurück und dabei unterstütze ihn ein Team von Bundeswehrsoldaten aus Roth. Die reisten schon Tage vorher an und nach dem ersten Beschnuppern stellten beide Seiten fest: „Wir ticken ähnlich.“ Das machte den Dienst spannender und Richter begeisterte sich für die Führungskultur in der Bundeswehr. Dort überraschte ihn zunächst ein anderes Verständnis von Disziplin und Ordnung. „Als ich das sah, habe ich erst mal überlegt, ist das jetzt richtig, ist das normal?„ Ja, in gewisser Weise versuchte Richter schon in seiner NVANationale Volksarmee-Dienstzeit den kooperativen Führungsstil zu leben, doch die Grenzen waren eng gesetzt. „Die ständige Einsatzbereitschaft von Material und Mensch stand jetzt nicht mehr im Vordergrund“, so Richter und wählt die Aufzählung bewusst. Funktionierte das Radargerät nicht, erinnert sich der jetzige Controller, wurde nach dem Fehler so lange gesucht, bis er behoben war, „und wenn es eine ganze Woche dauerte“. Dann durfte der damalige Oberleutnant die Kaserne nicht verlassen. „Das war mit einem Mal nicht mehr so – jetzt galt der Mensch.“ 

Luftraumüberwachung auch nach dem 3. Oktober 

Auch Weiß und Tienken kennen solche Geschichten und stimmen Richter zu. Alle drei sahen in der deutschen Einheit und der Übernahme in die Bundeswehr eine Chance, wollten teilhaben an dem Neubeginn. „Natürlich hatten wir alle einen Plan B in der Schublade, wären wir ausgeschieden“, meint Michael Weiß. Als Radarführer änderte sich, außer der anderen Uniform, so sagt er, nichts. Weiterhin arbeitete er im Diensthabende System (DHS) der Luftverteidigung in drei Schichten und hielt unter anderem Verbindung zu den russischen Flugplätzen auf deutschem Gebiet. „Die durften ja noch fliegen und das musste weiterhin organisiert werden.“ Den jetzt gesamtdeutschen Himmel überwachte Bernd Tienken am Tag der Wiedervereinigung. „Ich hatte eine ähnliche Aufgabe wie Michael Weiß – als Jägerleitoffizier Jagdflugzeuge an ein erfasstes Ziel zu bringen.“ Flugsicherheit, Luftraumüberwachung und das Abstimmen des Einsatz- und Übungsflugbetriebs hörten ja mit der Wiedervereinigung nicht auf und die Luftwaffe griff auf die Struktur und Organisation der DDR-Luftverteidigung zurück. Wenn sich die drei erinnern, war der 3. Oktober für sie „fast ein Tag, wie jeder andere“ – in einer anderen Uniform und mit Aussicht auf neue Wege. 

von Thomas Skiba

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