Luftwaffe

Wiedervereinigung: Verbund POLYGONE bei der Pilotenausbildung

Wiedervereinigung: Verbund POLYGONE bei der Pilotenausbildung

Datum:
Ort:
Rheinland-Pfalz
Lesedauer:
3 MIN

Mit der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 wurde der Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands eingeleitet. Zehn Monate nach dem Fall der innerdeutschen Grenze machte der Zwei-plus-Vier-Vertrag endgültig die Wege zur Réunion von Ost- und Westdeutschland frei. Vor 30 Jahren, am 3.Oktober 1990, war es dann so weit. Fünf sogenannte „neue Bundesländer“ schlossen sich der Bundesrepublik Deutschland an. Die Nation war wieder vereint.

Viele Menschen, die auf und vor der Berliner Mauer stehen. Im Hintergrund steht das Brandenburger Tor.

Mit dem Fall der Mauer, die Ost- und Westdeutschland getrennt hat, hat alles begonnen. Ein Jahr später war die Bundesrepublik Deutschland wieder vereint.

Bundeswehr/Klaus Lehnartz

Mit diesem Neuanfang folgten auch direkt drei Aufgaben vor denen die Republik stand: Die Auflösung der Nationalen Volksarmee (NVANationale Volksarmee), die Reduktion und die Neukonzipierung der Bundeswehr. Trotz der, durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag beschlossenen Abrüstung auf 370.000 Soldaten, wurden zunächst rund 76.000 Soldaten der ehemaligen NVANationale Volksarmee in die Bundeswehr integriert. Die „Armee der Einheit“ wurde geboren.

Neben dem Personal übernahm die Bundeswehr auch Material. Bis zum Jahr 2004 flog das ehemalige russische Jagdflugzeug MiGMikoyan-Gurewitsch 29 Fulcrum beim Taktischen Luftwaffengeschwader 73 „Steinhoff“. Es wurden russische Bodenstörstationen SPN-30 und SPN-40, die gegen das Tornado-Geländefolgeradar agieren konnten, sowie die russischen Flugabwehrraketensysteme SA-6 und SA-8 übernommen.

Zwei alte sowjetische Flugabwehrraketensysteme.

Von der NVANationale Volksarmee zur Bundeswehr - Die Flugabwehrraketensysteme SA-6 und SA-8 vom Zentrum Elektronischer Kampf Fliegende Waffensysteme

Bundeswehr/Nurgün Ecmekcibasi

Essentieller Bestandteil der heutigen Jetpilotenausbildung

Diese vier Systeme wurden 1994 dem deutsch-französisch-USUnited States-amerikanischen Verbund POLYGONE zur Verfügung gestellt. Er besteht seit einem Abkommen von 1979 zwischen den drei Nationen und ist ein gemeinsames Übungszentrum für die Piloten der Streitkräfte. Der deutsche Anteil POLYGONE ist Teil des Zentrums Elektronischer Kampf Fliegende Waffensysteme in Oberarnbach in Rheinland-Pfalz. Dort sind auch die ehemaligen russischen Systeme stationiert.

Nachdem die Bodenstörstationen außer Dienst gestellt wurden, werden heute die Systeme SA-6 und SA-8, die aus den 70er und 80er Jahren stammen, weiterhin genutzt. Durch ständige technische Weiterentwicklungen sind die Waffensysteme mittlerweile komplett digital.

Das ehemalige sowjetische Flugabwehrraketensystem SA-8.

Die alten sowjetischen Flugabwehrraketensysteme SA-6 und SA-8 unterstützen heutzutage die Kampfflugzeugpiloten bei ihrer Ausbildung

Bundeswehr/Holger Draheim

Sie sind ein essentieller Bestandteil der taktischen Ausbildung von Piloten gegen radargelenkte Flugabwehrraketensysteme. Die Staffeln der Geschwader buchen für das Training ihrer Piloten bei POLYGONE einen Übungszeitraum von jeweils 15 Minuten und üben gegen die in der Westpfalz verteilten Systeme.

Das Innere ist noch in Kyrillisch

In den kompakten gepanzerten Flugabwehrraketensystemen SA-6 und SA-8 finden jeweils vier Soldaten Platz. Der Einstieg in das Innere gelingt über enge Luken. Dort herrscht zunächst absolute Dunkelheit. Danach fahren die Systeme hoch und die Bildschirme fangen an zu leuchten. Der linke grüne Bildschirm mit einem Zeiger, der sich gleichmäßig im Uhrzeigersinn bewegt, ist das Suchradar des Waffensystems. Auf der rechten Seite befindet sich das Zielverfolgungsradar.

Es sind weitere Bildschirme im Inneren des Systems, wie beispielsweise der der Außenkamera, die den Himmel über dem System filmt. Neben den Anzeigen gibt es auch noch viele Knöpfe, Schalter und Messinstrumente, die größtenteils immer noch in Kyrillisch beschriftet sind. Für die Besatzungen der Flugabwehrraketensysteme ist das allerdings keine Hürde. Einige von ihnen sind ehemalige NVANationale Volksarmee-Soldaten und hatten in ihrer Ausbildung Russisch-Unterricht. Es sind jedoch nur noch wenige von ihnen aktiv im Dienst der Bundeswehr. Regelmäßig unterstützen die bereits ausgeschiedenen Soldaten als Reservedienstleistende die Truppe vom deutschen Anteil POLYGONE.

Ein Soldat sitzt vor einem Bildschirm, um den sich viele Schalter und Knöpfe befinden.

Im Inneren der Waffensysteme befinden sich verschiedene Bildschirme, Knöpfe und Schalter. Sie sind größten Teils immer noch auf Kyrillisch beschriftet.

Bundeswehr/Nurgün Ecmekcibasi

Höhenangaben, Entfernungen und Positionen der Kampfflugzeuge werden den Soldaten der Systeme SA-6 und SA-8 über Funk durchgegeben. Auf ihren Bildschirmen sehen sie kleine gelbe Striche, welche die Luftfahrzeuge darstellen. Haben sie einen von den Jets erfasst und beleuchtet, wird die Rakete abgefeuert. Sie folgt dem reflektierten Radarstrahl zu ihrem Ziel. Der Abschuss wird jedoch nur simuliert. Die Flugbahnen der fiktiven Rakete und des Kampfflugzeuges werden anschließend ausgewertet und miteinander verglichen. Die Treffer werden analysiert, um so den Erfolg der Übungsflüge festzustellen.

Ohne die Soldaten der ehemaligen NVANationale Volksarmee wäre es nicht möglich

Der komplette Ablauf der Bekämpfung der Luftfahrzeuge wird aufgezeichnet, live verfolgt und wird den Piloten für ihre anschließende Nachbesprechung zur Verfügung gestellt. Die Flugabwehrraketensysteme der POLYGONE besitzen damit eine weltweit einzigartige Fähigkeit.

Nur wegen der Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland war es möglich, diese alten russischen Systeme zu übernehmen. Sie tragen bis heute einen großen Teil zur Einsatzausbildung aller Piloten der Bundeswehr und befreundeter Streitkräfte bei. Doch nur dank des übernommenen ehemaligen NVANationale Volksarmee-Personals war und ist es möglich, SA-6 und SA-8 über drei Jahrzehnte instand zu halten und zu bedienen.

Die Flugabwehrraketensysteme SA-6 und SA-8 in einer Wartungs- und Instandsetzungshalle.

Der Einsatz, die Wartung und Instandsetzung der Waffensysteme wurde nach der Wiedervereinigung durch die ehemaligen NVANationale Volksarmee-Soldaten durchgeführt. Nur wegen ihnen, konnte die Bundeswehr SA-6 und SA-8 nutzen.

Bundeswehr/Archiv
von Nathalie Passon