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Northern Coast 21 - Die Unterwasserspezialisten

Northern Coast 21 - Die Unterwasserspezialisten

Datum:
Ort:
Ostsee
Lesedauer:
9 MIN

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Sie sind mit 18 Knoten nicht die Schnellsten, mit 54 Meter nicht die Längsten und auch nicht die Gefährlichsten im Hinblick auf ihre Bewaffnung, aber das müssen sie auch nicht sein. Ihre Fähigkeiten liegen schließlich nicht Über-, sondern Unterwasser: die Minenjagdboote der Deutschen Marine.

Drei graue Boote fahren in Formation versetzt hintereinander.

Das Minenjagdboot „Sulzbach-Rosenberg“ während einer Verbandsfahrt

Bundeswehr/Nico Theska

„Wo die Flotte ist, waren wir schon da. So lautet unser Motto und das meinen wir wortwörtlich. Minenabwehreinheiten sorgen dafür, dass der Rest der Flotte möglichst risikoarm in küstennahen Gewässern operieren kann. Das tun wir, indem wir unter Wasser nach Minen oder anderen explosiven Objekten suchen. Das ist unser Beitrag für die Sicherheit der Seewege und Transitzonen.“, so beschreibt Frau Korvettenkapitän Beata Król die Aufgabe dieser Einheiten. Sie sollte das wissen schließlich ist sie seit 2019 Kommandantin im 3. Minensuchgeschwader, seit 2020 trägt sie die Verantwortung für die fast 40-köpfige Besatzung des Minenjagdbootes „Weilheim“.

Mit dem Entsenden der Minenjagdboote „Sulzbach-Rosenberg“ und „Weilheim“, zeigte die Deutsche Marine bereits im Vorfeld, wo der Schwerpunkt des diesjährigen Großmanövers Northern Coast 21 lag. Das Gastgeberland Schweden, der diesjährige Ausrichter des Manövers, hatte die Hanö-Bucht und die Inseln um Öland und Gotland als Übungsgebiet entsprechend vorbereitet. Das Übungsgebiet eignet sich hervorragend für eine Verminung: kleiner Inselgruppen und Fjorde, der Meeresboden ist durch und durch bedeckt mit kleinen und großen Steinen. Es ist ein Paradies für jeden, der Minen verstecken möchte und eine Hölle für alle, die Minen suchen. Gleichzeitig ist es der perfekte Ort, um die eigenen Fähigkeiten auf den Prüfstand zu stellen, sie zu verbessern und im internationalen Rahmen gemeinsam zu trainieren.

Eine Übungsmine wird in das Meer geworfen.

Eine deutsche Übungsmine dient beim Manöver als Suchobjekt.

Bundeswehr/Nico Theska

Für die „Weilheim“ beginnt das Manöver mit dem Auslaufen am 12. September aus Kiel, dem Heimathafen der Minenjagdboote. Knapp 250 Seemeilen nordöstlich, bei Karlskrona, liegt der Startpunkt des Manövers. Die Besatzung fährt im sogenannten zweier Wachsystem, es gibt also nur Fahr- oder Freiwachen abwechselnd in einem sechs Stunden Rhythmus. Die Freiwachen dienen einer kurzen Erholung. Essen, duschen und schlafen sind die beliebtesten „Freizeitbeschäftigungen“. Aber auch Sport, wenn auch auf begrenztem Raum, ist möglich. Die Mannschaften und Unteroffiziere schlafen in Acht-Mann Decks. Nichts Ungewöhnliches auf den Schiffen und Booten der Flotte. Hier entstehen Freundschaften für das Leben, hier lernt man, aufeinander Rücksicht zu nehmen.

Gemeinsames Training

Nach 25 Stunden Fahrzeit erreicht die 40-köpfige Besatzung das Übungsgebiet vor Schweden. Die Übung ist in zwei Abschnitte aufgeteilt. Im ersten Abschnitt, der CETCombat Enhancement Training/FITForce Integration Training Phase (Combat Enhancement/Force Integration Training), geht es vor allem um die Integration der Einheiten in den Verband. 30 Schiffe und Boote aus 15 teilnehmenden Nationen üben gemeinsam taktische, seemännische und operative Manöver.

Dazu wird die „Formation One“ für ein anberaumtes Seezielschießen durch die Führungseinheit befohlen . Auf dem Steuerstand herrscht absolute Konzentration. Durch verschlüsselte Funksprüche kommen die Befehle wie Abstand zwischen den Einheiten, die Geschwindigkeit des Verbandes oder den befohlenen Kurs. Den Start des Schießens zeigt ein internationaler Flaggencode, aus vier übereinander gehissten Flaggen, an. In der Seefahrt gibt es ein Flaggenalphabet. Hinter jedem Buchstaben steht ein Zweck. Nacheinander schießt jedes Boot auf ein geschlepptes Seeziel. Der Schlepper der Zielscheibe ist durch Sicherheitsabstände und bestimmte Sicherheitswinkel natürlich jederzeit sicher vor einem Treffer. Als Schützen fungieren die Posten „Ausguck“. Sie sollen in der Lage sein, bei aufkommender Gefahr das schwere Maschinengewehr zu beherrschen und müssen daher  die sichere Handhabung der Waffe üben. In komplettem Gefechtsanzug stehen die Soldaten vor dem Geschütz. Eine Schutzweste sowie eine Haube mit integriertem Flammschutz, Handschuhe, Helm und eine Schutzbrille komplettieren ihren blauen Borddienstanzug. In schnellen Feuerstößen, das sind meist zwei bis drei Schüsse hintereinander, bekämpen sie sicher ihr Ziel.

Soldaten stehen an Deck eines Bootes. Einer schießt mit einem Gewehr aufs offenes Gewässer.

Das Ziel sicher zu bekämpfen steht an oberster Stelle. Dafür trainiert die Besatzung.

Bundeswehr/Nico Theska

Neben dem Seezielschießen stehen auch Flugabwehrübungen, Verbandsfahrten, Seenotrettungs- und Kommunikationsübungen auf dem Tagesprogramm. Gerade bei multinationalen Manövern müssen sich die Partner aufeinander verlassen können und dafür dienen diese Übungen. Alle Einheiten zeigen ihr Können, damit die Verbandsführung weiß, was jeder Einzelne in der Lage ist zu leisten. Um möglichst realistische Rahmenbedingungen bei Northern Coast 21 zu schaffen, hat sich die schwedische Marine, eine fiktive Lage mit Verbündeten und Feinden ausgedacht. Jeder der 2000 Soldaten und Soldatinnen spielt dabei eine wichtige Rolle und muss daher stets über die drohende Gefahr für den Verband informiert werden

Die Kommandantin der „Weilheim“ erklärt das so: „Der Informationsfluss sowohl nach Außen als auch nach Innen ist enorm wichtig. Wir müssen nicht nur mit unseren Partnern sicher kommunizieren können, sondern die eigene Besatzung stets über die Geschehnisse auf dem Laufenden halten. Nichts ist schlimmer als Unwissenheit und die daraus resultierende Ungewissheit.“

Der zweite Abschnitt der Übung ist das sogenannte Free Play, also ein freies Spiel. Es gibt keine engen Vorgaben durch die Leitung an Land. Die Einheiten müssen sich auf alles, jederzeit und überall einstellen. Das ist der Zeitpunkt, bei dem sich die Minenabwehreinheiten vollkommen auf ihre Kernkompetenz fokussieren können. In sogenannten Boxen erhält jedes Schiff ein Seegebiet, welches sie nach gefährlichen Unterwasserkontakten absuchen muss. Nun sind die Spezialisten an Bord gefragt. Auf der „Weilheim“ befinden sich, neben dem bordeigenen Personal, vier zusätzlich eingeschiffte Minentaucher sowie ein REMUS-Team aus Eckernförde.

Die Spezialisten am Werk

Das REMUS-Team besteht aus einem Sonarmeister und einem Sonarmaaten. Das eingespielte Duo ist in der Lage, mit der autonomen Unterwasserdrohne (AUV) REMUS100 ein Seegebiet mit dem Seitensichtsonar abzusuchen. Dazu programmiert der Maat die Drohne entsprechend ihrem Auftrag. Mit dem Speedboot fährt das Team zum vorprogrammierten Startpunkt. Anschließend lassen zwei Soldaten die Drohne zu Wasser. Sind alle Startkriterien erfüllt und die Drohne hat eine Verbindung zum Überwachungsgerät aufgebaut, bekommt sie den Befehl, abzutauchen und das Gebiet entlang der vorgegebenen Route abzufahren. Das integrierte Seitensichtsonar vermisst den Grund und speichert die Daten. Nachdem der REMUS100 mit seinem Auftrag fertig ist, taucht er langsam wieder auf. Er wartet auf einer bestimmten Wassertiefe 30 Minuten lang auf ein Auftauchsignal. Dieses gibt der Sonarmeister, sobald sein Team klar zum Einholen der Drohne ist. Anschließend kann das Personal in der Operationszentrale (OPZOperationszentrale) an Bord die Sonarbilder auswerten, indem es die Aufnahmen wie einen Film abspielt und alle auffälligen Kontakte markiert. Die Ergebnisse werden dem Kommandanten vorgelegt. Er entscheidet, welche Kontakte es wert sind, näher angeschaut zu werden. Die Unterwasserdrohne eignet sich besonders für flache Küstenabschnitte.

Eine Unterwasserdrohne liegt in einer grauen Kiste.

Die Unterwasserdrohne REMUS100 ist 1,64 Meter lang und 36 Kilogramm schwer.

Bundeswehr

Für tiefere Gewässer besitzen die Minenjagdboote ein im vorderem Bereich des Bootsrumpfes fest installiertes, hochauflösendes Sonar. Um sich besonders leise über ein mögliches Minenfeld bewegen zu können, verfügen die Boote zudem über gekapselte Elektrodieselmotoren. Diese Fähigkeit ist nicht nur einmalig in der Deutschen Marine, sondern auch wichtig bei der Suche nach Minen.

Im Grunde kann man sich Minen wie tickende Zeitbomben vorstellen, die nur auf ihr Ziel warten. Manche detonieren, sobald sich eine Chance dafür ergibt, andere werden auf bestimmte Ziele programmiert. Jedes Schiff hat seine Eigenheiten, eine sogenannte Signatur. Es ist wie ein Daumenabdruck, der sich aus bestimmten Linien zusammensetzt. Der Daumenabdruck bei Schiffen setzt sich zusammen aus dem Schraubengeräusch, dem Gewicht und somit der Menge an Wasser, welches sie bei ihrer Fahrt verdrängen und einem Magnetfeld, welches sie, sofern sie aus Stahl gebaut sind, erzeugen. Die Mine kann zum Beispiel nur auf ein bestimmtes Geräusch eingestellt werden oder nur auf eine gezielte Verdrängung oder aber sie reagiert auf mehrere dieser sogenannten Zündkriterien.

Mit einer möglichst geräuscharmen, langsamen Fahrt durchs Wasser und einer magnetischen Schutzanlage an Bord reduzieren wir bestmöglich das Risiko für die Besatzung. Im Langsamfahrbetrieb steuert der Einsatzleiter Minenjagd, meistens einer der Wachoffiziere an Bord, das Boot aus der OPZOperationszentrale heraus. Über 650t Stahl werden dabei mit einem kleinen Joystick sicher manövriert. Seine Augen Überwasser werden durch einen Sicherheitswachoffizier auf der Brücke ersetzt, seine Augen Unterwasser durch einen Sonarbediener. Beides verantwortungsvolle Aufgaben, denn von der Zusammenarbeit dieser drei Personen hängt die Sicherheit der gesamten Besatzung ab. Die Schultern, auf denen diese Verantwortung lastet, sind keinesfalls allein die eines Offiziers. Zum Beispiel werden als Sonarbediener meistens Mannschaften oder Unteroffiziere mit entsprechender fachlicher Ausbildung eingesetzt.

Erscheint ein verdächtiges Objekt im Sonar, markiert und vermisst es der Sonarbediener. Anschließend stuft der Einsatzleiter Minenjagd den Kontakt ein. Ist es möglicherweise eine Seemine, bereitet sich die Besatzung auf die Identifikation des Kontaktes mit Hilfe der ferngelenkten Unterwasserdrohne (ROV) „Seefuchs-I(ndia)“ vor. Diese Drohne verfügt unter anderem über eine festinstallierte Kamera, mit dem sie Objekte unter Wasser überprüft. Dazu steuert der Einsatzleiter Minenjagd das Boot so, dass ein Seefuchseinsatz möglich ist. Sollte der Kontakt als Mine identifiziert werden, besteht die Möglichkeit, sie mit einem „Seefuchs-C(harlie)“, der mit einer kleinen Ladung ausgestatteten Kampfversion der Drohne, oder sie durch den Einsatz von Minentauchern zur Detonation zu bringen.

Eine Unterwasserdrohne wird mit einem Seil zu Wasser gelassen.

Der Bediener schießt den „Seefuchs-C“ mittels Druckluft einen Meter über dem Wasser ab.

Bundeswehr/Nico Theska

Mit den Minentaucher-Teams aus Eckernförde haben die beiden Minenjagdboote zusätzliche Spezialisten an Bord. Sie bestehen jeweils aus zwei Tauchereinsatzleitern sowie zwei Minentauchern. Ihre Ausbildung befähigt sie, bis zu 54 Meter tief zu tauchen. Ihre Spezialität ist die Identifizierung sowie Neutralisierung von gefährlichen Kontakten Über- und Unterwasser. Sie sind nicht nur Experten auf ihrem Gebiet, sondern auch topfit. Das müssen sie auch sein, denn der komplette Tauchanzug wiegt über 60 Kilogramm. Er besteht aus: Neoprenanzug, Tauchermesser, Flossen, Taucheruhr, Bleigewichten sowie dem 300-Bar Tauchgerät, welches mit Sauerstoff funktioniert. Atmet der Taucher Unterwasser aus, strömt die Luft in einen Behälter voll Atemkalk. Dort wird sie gereinigt und wieder mit Sauerstoff angereichert. Dieser geschlossene Kreislauf macht es unter Wasser möglich, besonders leise zu tauchen.

Taucher fahren in einem Speedboot an einem grauen Boot vorbei.

Die Minentaucher nähern sich ihrem Kontakt.

Bundeswehr/Nico Theska

Mit einem Speedboot agieren die Minentaucher abgesetzt vom Minenjagdboot. Kurz vor Ankunft wirft einer der Taucher das 25 Kilogramm schwere Grundgewicht aus dem Boot.  Ziel ist, die daran befestigte Boje möglichst nah an den Kontakt zu bringen. In einem zweiten Anlauf lässt sich der Minentaucher samt Ausrüstung vor Ort aus dem fahrenden Speedboot fallen. Punktlandung.
Sie operieren unter Wasser immer allein, um das kalkulierte Risiko möglichst gering zu halten. Ein Sicherheitstaucher ist jedoch immer bereit und behält die Lage über Wasser im Blick. Am Taucher befestigt ist die Sicherheitsleine samt „Bloob“, einer aufblasbaren Boje. Damit kann der Taucher durch Leinenzug mit dem Tauchereinsatzleiter im Speedboot in Kontakt bleiben. Unterwasser herrschen hervorragende Bedingungen. Bis zu neun Meter weit kann der Taucher den Meeresgrund absuchen. Für die Ostsee ein guter Wert. Die angetauchten Kontakte befinden sich in einer Wassertiefe von 18 bis 32 Meter. Mit dem sogenannten Kreisschlagverfahren nähert sich der Taucher dem Objekt. Schnell ist klar, hiervon geht keine Gefahr aus.

Ein Taucher schwimmt im Meer. Nben ihm schwimmt ein oranger Ball.

Der „Bloob“, die lebensrettende Boje, sichert den Taucher.

Bundeswehr/Nico Theska

Es waren nur Steine in Form von Minen. Im Sonarbild lassen sie sich nur schwer auseinanderhalten, daher ist die Identifikation entscheidend. Letztendlich wird jeder Kontakt, der mit dem Sonar aufgefasst wird und in Form und Größe einer Seemine entspricht, ernst genommen und untersucht. Zudem wird jeder identifizierte Kontakt verzeichnet und dem Unterwasserdatenzentrum im Marinekommando in Rostock zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise tragen die Minenabwehreinheiten bereits über Jahrzehnte nach und nach zur Erstellung von möglichst detaillierten Unterwasserkarten der Meere bei.

Am 24. September endete das Manöver Northern Coast 21. Die beiden Minenjagdboote haben alle Kontakte in den ihnen zugewiesenen Boxen untersucht und sie „green“ gemeldet. Damit ist das Seegebiet für den Rest des Verbandes befahrbar und die Voraussetzungen für das Durchführen einer Folgeoperation wie beispielsweise einer Evakuierungsmission geschaffen. Die Minenjagdboote waren eben dort, wo die Flotte noch hinfährt.

von Markus Ott  E-Mail schreiben

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