Spitzenforschung an den UniBwUniversität der Bundeswehr

(K)ISS - Künstliche Intelligenz für die Diagnose der Internationalen Raumstation ISS

(K)ISS - Künstliche Intelligenz für die Diagnose der Internationalen Raumstation ISS

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
4 MIN

Im Rahmen des dtec.bw-geförderten (K)ISS-Projektes an der HSU/UniBwUniversität der Bundeswehr H wird an KIkünstliche Intelligenz-basierten Lösungen zur Anomalieerkennung, Diagnose und Rekonfiguration für die Internationale Raumstation ISS geforscht.

Raumsonde

Das von Univ.-Prof. Dr. Oliver Niggemann geleitete Forschungsprojekt (K)ISS an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg wird durch das dtec.bw – Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr gefördert.

iStock/Getty Images Plus, 3DSculptor (bearbeitet)

Pro Sekunde mehr als 20.000 Telemetriewerte 

Die Internationale Raumstation ISS ist ein hochkomplexes, technologisches System, welches in erster Linie der Forschung im Weltall dient. Im Falle eines Fehlers, zum Beispiel einer Störung im Lebenserhaltungssystem, ist eine schnelle und zielgerichtete Identifikation der Fehlerursache notwendig, um den Betrieb sicherzustellen und Gefahren für die Astronauten auszuschließen. Allein für das von der ESAEuropean Space Agency betriebene Columbus Modul, werden aktuell die Daten von mehr als 20.000 Signalen in ein Kontrollzentrum auf der Erde übertragen und dort von einem Team von Technikern manuell analysiert. Der Fokus liegt hier auf der Erkennung und Behebung von gefährlichen bzw. ungewollten Situationen im ISS-Betrieb.

Die Erkennung von Anomalien im Lebenserhaltungssystem oder beim Ressourcenverbrauch (Strom, Spannung, Temperatur), die dazugehörige Fehlerursache sowie die Einleitung von Gegenmaßnahmen sind Beispiele für typische Anomalieerkennungs- und Diagnoseprobleme. Künstliche Intelligenz (KIkünstliche Intelligenz) und Maschinelles Lernen (ML) haben hier insbesondere aufgrund der großen Datenmengen das Potenzial zur Bewältigung dieser Herausforderungen.

Von Anomalieerkennung bis automatisierten Rekonfiguration 

Im Rahmen des (K)ISS Projekt wird daher an KIkünstliche Intelligenz-basierten Lösungen für die Teilprobleme Anomalieerkennung, Diagnose und Rekonfiguration geforscht. Für jedes dieser Teilprobleme werden moderne Methoden erforscht und eingesetzt, um jeweils KIkünstliche Intelligenz-Services zu entwickeln. Beispielsweise werden für die Anomalieerkennung tiefe neuronale Netzwerke genutzt, die ein Modell des Normalverhaltens des Columbus Moduls erlernen und bei Abweichungen der Sensordaten entsprechende Warnungen generieren. In der Diagnose, die auf den Anomalien basiert, werden Fehlerursachen (Root Causes) bestimmt. Dies kann nicht mehr nur datenbasiert, also mit maschinellem Lernen, geschehen. Vielmehr ist hierzu Wissen bzgl. Systemkausalitäten, Zeitabhängigkeiten und Systemstrukturen notwendig: Wie wirkt sich ein Fehler auf das Gesamtsystem aus? Über welchen zeitlichen Horizont erstreckt sich der Fehler? Welche Subsysteme sind unabhängig von anderen Teilen des Systems? Hier wird im (K)ISS Projekt auf die modellbasierte Diagnose gesetzt, bei der Modelle verwendet werden, die hauptsächlich die Kausalitäten des Systems beschreiben. In der Rekonfiguration geht es schließlich darum, basierend auf der Diagnose, Schritte einzuleiten, die das Columbus Modul beziehungsweise das betreffende Subsystem wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzuführen. Hierzu werden moderne Methoden aus dem Gebiet der Regelungstechnik eingesetzt.

Das Ziel des Projekts ist ein Gesamtsystem, welches diese KIkünstliche Intelligenz-Services integriert und im Idealfall nicht nur Fehler erkennt, sondern diese auch direkt richtig diagnostiziert und eigenständig durch eine Rekonfiguration behebt. Ein solches System kann dabei helfen, den Schichtbetrieb in Kontrollzentren deutlich zu reduzieren. Anstelle von aufwändigen manuellen Prozessen zur Analyse der Fehlerursachen, die Tage, Wochen oder sogar Monate in Anspruch nehmen, sollen intelligente Assistenzsysteme innerhalb von Sekunden auf mögliche Zusammenhänge hinweisen, Fehler erklärbar machen und Lösungsvorschläge unterbreiten. So wird nicht nur wertvolle Zeit eingespart, sondern auch die operative Verfügbarkeit des komplexen Systems nachhaltig verbessert. Insgesamt soll auf diese Weise mehr Budget, Zeit und Verfügbarkeit für den eigentlichen Nutzungszweck der ISS geschaffen werden: die Wissenschaft.

Die ISS als Demonstrator für zukünftige Raumfahrtmissionen 

Ein wichtiges Kriterium für die zu entwickelnde Lösung ist die Skalierbarkeit und Generalisierbarkeit. Das System soll innerhalb von Airbus auch auf weitere Raumfahrtmissionen wie beispielsweise dem ORION Programm eingesetzt werden. Es handelt sich dabei um das neueste NASA-Raumschiff, das für bemannte Missionen, z.B. zum Mond, eingesetzt wird. Das grundlegende Konzept der Lösung sowie die technischen Komponenten könnten nicht nur für verschiedene zukünftige Raumfahrtmissionen eingesetzt werden, sondern auch für den Bereich der Nutzung von Militärflugzeugen (z.B. Ferndiagnose für Eurofighter, Transportflugzeuge oder unbemannte Flugsysteme) sowie den Bereich Kommunikation, Aufklärung und Sicherheit (z.B. militärische Satelliten, Verteidigungssysteme). Hier wird auch der Mehrwert für die Bundeswehr deutlich. Durch die Auswertung aufgezeichneter Daten, zum Beispiel von Flugzeugsystemen, lassen sich potenzielle Komponentenausfälle und deren Ursachen erkennen und gezielte Reparaturhinweise für das technische Personal generieren, um Fehler nachhaltig abzustellen. Dies lässt sich mittelfristig auch auf Systeme anderer Teilstreitkräfte anwenden.

Im Sinne der Skalierbarkeit und der Generalisierbarkeit der Lösung, wird im (K)ISS Projekt auf eine wiederverwendbare Daten-/ ML-Plattform gesetzt. Es kommen also nicht nur im Bereich der Algorithmik der einzelnen KIkünstliche Intelligenz-Services, sondern auch im Bereich der Infrastruktur und der Softwarearchitektur moderne Methoden zum Einsatz. Die Architektur basiert auf der „Container Orchestration“ Technologie, Kubernetes, und ist damit sehr flexibel im Einsatz und in der Erweiterung. Darüber hinaus werden state-of-the-art Tools aus dem Bereich ML-Ops eingesetzt, die die Entwicklung von ML-Services, von der Datenexploration bis hin zum Deployment der ML-Modelle vereinfachen und effizienter gestalten. Nicht zuletzt aufgrund des Projektsetups mit mehreren Projektpartnern wurde im Projekt von Beginn an auf „Infrastructure as Code“ gesetzt. Dadurch kann die gesamte Plattform automatisiert durch wenige „Knopfdrücke“ auf neuer Hardware aufgebaut werden.

Ein Mann

Univ.-Prof. Dr. Oliver Niggemann, Fakultät für Maschinenbau, Institut für Automatisierungstechnik, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg

HSU/UniBw H/Niggemann
Ein Mann in einem Anzug

Henrik Steude ist Doktorand an der Professur für Informatik im Maschinenbau an der HSU/UniBwUniversität der Bundeswehr H

HSU/UniBw H/Steude

Das Projekt „(K)ISS“ läuft vorerst bis Ende 2024 und wird aus Mitteln des dtec.bw gefördert. Das dtec.bw – Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr ist ein von den Universitäten der Bundeswehr München und Hamburg gemeinsam getragenes wissenschaftliches Zentrum und Bestandteil des Konjunkturprogramms der Bundesregierung zur Überwindung der COVID-19Coronavirus Disease 2019-Krise
 

von Univ.-Prof. Dr. Oliver Niggemann Univ.-Prof. Dr. Oliver Niggemann  E-Mail schreiben