Da sein für Soldatinnen und Soldaten aller Glaubensrichtungen.

Da sein für Soldatinnen und Soldaten aller Glaubensrichtungen.

Datum:
Ort:
Koblenz
Lesedauer:
4 MIN

Nirgendwo ist der kameradschaftliche Zusammenhalt wichtiger als in den Streitkräften. Wer im Einsatz gemeinsam die Herausforderungen meistern will, weiß, wie elementar wichtig es ist, aufeinander Acht zu geben. Und dann muss man auch wissen, wie sein Gegenüber denkt und fühlt.

Gruppenfoto von Oberstleutnant Carsten Lange und Hauptfeldwebel Hülya Süzen

Oberstleutnant Carsten Lange und Hauptfeldwebel Hülya Süzen

Bundeswehr / Martin Brachmann

Auch Angehörigen der Religionsgruppen einen Anlaufpunkt zu geben, die nicht der evangelischen oder der katholischen Kirche angehören, ist seit vier Jahren der Auftrag der „Zentralen Ansprechstelle für andere Glaubensrichtungen“ (ZASaGZentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen) am Zentrum Innere Führung. Sie wurde am 1. Juli 2015 eingerichtet um der Frage nachzugehen, ob ein Bedarf nach Militärseelsorge außerhalb der evangelischen oder katholischen Militärseelsorge besteht.

Die Kameraden der Ansprechstelle arbeiten nicht als Seelsorger, sind aber für alle Angehörige in den Streitkräften ansprechbar, die Antworten auf religiöse Fragen rund um den täglichen Dienst in der Bundeswehr suchen. Ob es Jesiden, Hindus, Sikhs oder russisch-orthodoxe Geistliche waren: ZASaGZentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen hat sich im Laufe der Jahre als gesuchte Anlauf- und Vermittlungsstelle etabliert.

Eine schnelle Reaktion, eine sorgfältige Bearbeitung und der bewusste zwischenmenschliche Kontakt sind gleichwohl wichtige Aspekte, die bei vielen Interessenten aus allen Bereichen der Bundeswehr im Laufe der Jahre Vertrauen geschaffen hat.

Wie wichtig das Thema Militärseelsorge im Bundesministerium der Verteidigung (BMVgBundesministerium der Verteidigung) ist, zeigte nicht zuletzt die Entscheidung Anfang April dieses Jahres, das Militärseelsorgeangebot zu erweitern. Jüdisch gläubigen Soldatinnen und Soldaten soll zukünftig auf Basis eines Staatsvertrages die Möglichkeit einer seelsorgerischen Betreuung durch Rabbiner angeboten werden. Auch für Muslime in der Bundeswehr ist eine Betreuung geplant.

Wie hoch dieser Bedarf ist, weiß keiner besser als Oberstleutnant Lange, der Leiter der Zentralen Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen: „Das Interesse der Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen ist immer noch groß. Insbesondere die Signalwirkung, dass auch für diese Zielgruppe ein Ansprechpartner da ist, findet über die Bundeswehr hinaus große Anerkennung.

Worum es bei der täglichen Arbeit im Zusammenhang mit der Arbeit für Glaubensrichtungen geht, ist zum Beispiel die Frage, wie religiös geforderte Kopfbedeckungen (Kippa, Kopftuch, Turban) zur Uniform passen. Ein Soldat mit Kippa würde Verwirrung stiften, und tatsächlich lässt die Vorschriftenlage dies nicht zu. Fragen, die Antworten suchen und die gleichfalls Impuls für Veränderung sein können.

Auf mehr als hundert Anfragen im Jahr taxiert Oberstleutnant Lange die Anzahl, die ZASaGZentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen jährlich beantwortet. Die Zusammensetzung hat sich im Laufe der Zeit verändert. Waren es anfangs noch meist die Vorgesetzten von Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen, die sich an die Ansprechstelle gewandt haben, liegt der Schwerpunkt nun auf den Soldatinnen und Soldaten selbst. Auch die Zusammensetzung der Religionen hat sich verändert. Betrafen anfangs noch ca. 70 Prozent der Anfragen den Islam, sind es heute nur noch etwa die Hälfte.

Ein Aufgabenfeld, das auch zukünftig gefragt sein wird, ist die Beratung von Vorgesetzten. „Es kommt immer wieder vor, dass durch religiöse Verpflichtungen Störungen im Dienstbetrieb vermutet werden oder tatsächlich im Einzelfall auch eintreten. Beispiele dafür sind Fastengebote oder Gebetszeiten. Hier wollen wir beraten und vermitteln. Die Erfahrung zeigt, dass die Vorgesetzten in der Bundeswehr in fast allen Fällen das Thema sensibel handhaben und sich schon an uns wenden, bevor ein Problem akut wird. Aufgrund unserer Erfahrung und der Tatsache, dass sich die Probleme oftmals gleichen, können wir in einem Beratungsgespräch meist direkt und unkompliziert helfen.“

Der Bedarf einer religiösen Betreuung insbesondere von Angehörigen kleinerer Glaubensrichtungen hat gezeigt, dass eine institutionalisierte, für alle einfach erreichbare Ansprechstelle grundsätzlich der richtige Weg ist. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass es in Einzelfällen besser sein kann, wenn die Betreuung durch einen Seelsorger mit identischer Religionszugehörigkeit geleistet wird.

Mit der Einrichtung der Ansprechstelle haben viele Soldatinnen und Soldaten, gerade aus dem muslimischen Bereich erlebt, dass sie in den Streitkräften anerkannt sind und sich anerkannt fühlen dürfen. Eine erweiterte Militärseelsorge fördert nicht nur aus der Einschätzung der ZASaGZentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen auch die Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften.

Wie wichtig die Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb der Bundeswehr ist, unterstreicht das Netzwerk „Religiöse Vielfalt“. Es ist wichtig schnell zu wissen, wen man fragen kann. Wo gibt es wichtige Ansprechpartner und Fachleute, die mit Ihrem Fachwissen unterstützen können? Dieses Netzwerk hat die Qualität der Beratung von ZASaGZentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen maßgeblich ausgemacht. Eine Gemeinschaft der Wissensträger und Erfahrenen, die auch dann noch tragen wird, wenn die Strukturen längst andere geworden sind.

Die von den Kameraden der Ansprechstelle in den letzten Jahren geleistete Arbeit hat als Seismograf wesentlich dazu beigetragen festzustellen, wie bedeutsam die Auseinandersetzung der Bundeswehr mit Religion und Vielfalt ist. Zum 1. April 2020 wird u.a. auch die ZASaGZentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen in eine „Zentrale Ansprechstelle für den Umgang mit Vielfalt“ überführt werden und ein professionelles Umfeld bilden, in dem die Anliegen der der Soldatinnen und Soldaten auch weiterhin wahrgenommen werden. Es bleibt spannend zu sehen, wie die jetzt angestoßenen unterschiedlichen Entwicklungen dann ab dem nächsten Jahr zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten ineinandergreifen werden.

von Carsten Lange / Wilke Rohde