Transkription Podcast

Transkription Podcast

Datum:
Lesedauer:
21 MIN

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Dr. Sarah Reichel: Ich möchte Sie begrüßen zum dritten IF-Podcast der IF-Ausgabe 2|23 mit dem Thema Tod und Verwundung: „Wir für euch“ und Invictus Games. Mein Name ist Sarah Reichel, ich bin die leitende Redakteurin der Zeitschrift für Innere Führung am Zentrum Innere Führung und ich begrüße meinen Co-Moderator Oberstleutnant Tim Kullmann. Hallo Tim.

Oberstleutnant Tim Kullmann: Hallo, schön das ich da sein darf. Und neben mir an meiner rechten Seite sitzt Frau Tanja Menz. Ihr Sohn Konstantin war als Soldat im Einsatz in Afghanistan, als er vor fast auf den Tag genau 12 Jahren beim Warten eines Schützenpanzers Marder einem Anschlag durch einen Afghanen zum Opfer fiel. Wir gehen jetzt fast 12 Jahre zurück in die Kirche in den Bayerischen Wald in die Gemeinde oder das Städtchen Regen. Dort war die Trauerfeier für die drei insgesamt ums Leben gekommenen Soldaten.

Karl-Theodor zu Guttenberg [Anm. d. Red.: Audioausschnitt aus der Rede anlässlich der Trauerfeier]: Um den Frieden zu sichern, um den Aufbau voranzubringen und um zu helfen. Sie wollten helfen. Den Menschen in Afghanistan den Weg in eine bessere Zukunft zu bereiten. Verloren haben sie dabei ihre eigene Zukunft und in Zukunft mit Ihnen, liebe Angehörige. Hauptfeldwebel Georg Missulia, Stabsgefreiter Konstantin Menz, Hauptgefreiter Georg Kurat. Sie haben in ihrem Eid geschworen der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie haben diesen Eid erfüllt und sie haben dafür das denkbar größte, ihr Leben, gegeben. Wir alle verneigen uns vor ihnen. In Dankbarkeit und in Anerkennung.

Reichel: Das war der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg während der Trauerfeier für die drei verstorbenen Soldaten vom 18. Februar 2011. Unter den verstorbenen Soldaten war ihr Sohn Konstantin. Er war im Einsatz in Afghanistan, als er vor 12 Jahren einem Anschlag durch einen Afghanen zum Opfer fiel. Mit Konstantin sind zwei weitere Kameraden verstorben und sechs weitere deutsche Soldaten erlitten teils schwere Verwundungen. Der Attentäter wurde erschossen. Frau Menz, wie haben Sie von dieser erschütternden Nachricht damals erfahren?

Tanja Menz: Ich bin am Nachmittag früher als sonst an einem Freitag nach Hause gefahren und habe im Auto zumindest schonmal von einem Anschlag gehört  Es war noch nicht sehr viel konkretes, es war ein Anschlag in Afghanistan an einem Außenposten damals und es kam dann aber dann relativ schnell die Info, dass es wohl einen 32-jährigen deutschen verstorbenen Soldaten gebe. Unsere Sohn war 22. Dann denkt man so: gut, ok und fährt dann erstmal nach Hause. Es war insofern ein etwas besonderer Abend, da unsere Tochter Leistungssportlerin ist und an dem Abend eine Ehrung als Sportlerin des Jahres erhalten sollte. Deswegen war ich auch früher zu Hause und so nach einer Stunde klingelte es an der Tür und da stand dann eben ein Offizier und ein Militärgeistlicher. Eigentlich glaube ich, geht es dann meisten Eltern so, dass man dann im Prinzip schon weiß, warum die dastehen. Also es war während des Einsatzes so, dass es manchmal wohl bei anderen Familien Anrufe von Menschen gab, die seltsame Späße machten, indem sie gesagt haben: eurem Sohn ist im Einsatz etwas passiert. Deswegen hatte man uns damals bei dem Treffen mit Eltern ganz klar gesagt, wenn was wäre, dann stehen diese zwei Menschen bei Ihnen vor der Tür. Insofern war es dann eigentlich klar.

Kullmann: Was haben Sie in dieser Situation getan, bevor geklingelt wurde? Haben Sie Fernsehen geschaut? Wie kann ich mir das vorstellen? Wie lief Ihr Leben vor dem Klingeln ab?

Menz: Ich war tatsächlich gerade dabei, dass ich die Kleidung für den Abend ausgesucht habe und in Richtung Bad gehen wollte. Die ganz normalen Dinge, bevor man sich abends umzieht eigentlich macht und ja, da klingelte es an der Tür.

Kullmann: Dann haben Sie aufgemacht und da standen die zwei Männer und was ist dann passiert?

Menz: Die standen erstmal draußen und wollten noch nicht so recht rein. Ich glaube, die wollten mir draußen noch irgendetwas sagen. Mir war es wichtig, dass die erstmal reinkommen. Ich glaube, wir sind dann reingegangen und sie haben dann erstmal gefragt, haben Sie Nachrichten gehört. Haben Sie schon irgendetwas gehört. Ich habe dann gesagt, ja, ich habe was gehört, aber noch nicht so viel, was ist passiert? Ja, die haben dann so ganz langsam angefangen. Ich glaube, sie haben es am Anfang noch nicht so ganz eindeutig ausgesprochen. Aber ich glaube mir war es klar und ich habe dann schon gefragt, was es passiert? Die selbst hatten natürlich noch nicht so viel Informationen. Aber es wurden dann im Laufe der Stunden mehr und die haben dann erst mal erzählt, was passiert ist. Ich habe dann relativ schnell entschieden, ich muss jetzt die Veranstaltung für den Abend absagen ohne dort zu sagen, warum. Hab das dann gemacht. Habe auch gesagt, wir warten bis mein Mann und die anderen drei Kinder zu Hause sind, weil ich möchte jetzt nicht, dass die irgendwo, es waren alle unterwegs, das erfahren. Die sind dann bei mir geblieben und die anderen kamen dann nach einer Stunde ungefähr. Unser Sohn war schon zu Hause, unser jüngster, der hat es dann auch mitbekommen und meine beiden Töchter und mein Mann kamen dann so nach einer Stunde. Es war mir wichtig, dass ich es ihnen dann selbst sage.

Kullmann: Wie überbringt man so eine Nachricht der Familie?

Menz: Ich glaube ich bin ein direkter Mensch. Also ich habe es einfach sofort ausgesprochen. Ich glaube, man hat es mir ja auch angesehen. Schwierig fand ich dann, dass wir an dem Abend noch gesagt haben, wir müssen zu Konstantins Freundin fahren. Wie machen wir das. Wir müssen zu den Großeltern fahren. Wir haben dann entschieden, dass bevor irgendwas in den Nachrichten kommt, dass wir zu den Großeltern selbst an dem Abend noch fahren und haben dann die Mutter von Konstantin Freundin angerufen, dass sie zu ihr geht und bei ihr bleibt und es ihr erzählt. Wir sind dann erst am nächsten Morgen zu ihr gefahren. So haben wir die ersten Nachrichten überbracht.

Reichel: Die beiden Herren von der Bundeswehr, der Militärseelsorger und der andere Soldat, sind noch länger bei Ihnen geblieben?

Menz: Die sind bestimmt zwei, drei Stunden bei uns gewesen. Es ist so ein bisschen schwierig, weil man das Zeitgefühl verliert. Ich denke, es hat so eine Stunde gedauert bis mein Mann und die beiden Mädchen da waren. Mein Mann hatte dann natürlich ganz andere Fragen als ich. Der wollte ganz andere Dinge wissen. Bis dann alles soweit geregelt war, haben wir entschieden, sie können jetzt gehen und wir fahren dann eben zu den Großeltern. So lange waren die beiden da.

Reichel: Und wie ging es dann weiter? Inwiefern hat die Bundeswehr in den ersten Tagen dann Ihnen helfen können? Welchen Kontakt und welche Unterstützung bekamen Sie Vorgesetzten von Konstantin, von Kameraden und möglicherweise auch von den Militärseelsorgern im Anschluss? 

Menz: Also das ist eigentlich optimal gewesen. Wir hatten ab dem nächsten Morgen einen jungen Offizier aus Regen bei uns in der Nähe. Er hat in einem Hotel die ersten Tage bis zur Beerdigung gewohnt und der eben auch die Kontakte zu allen hergestellt hat, die so im Laufe der ersten Tage natürlich alle vorbei kommen. Kommandeur und so waren ja noch in Afghanistan zu der Zeit, die konnten ja noch gar nicht direkt gekommen. Aber es kamen dann eben schon, vom Sozialdienst alle möglichen Menschen, im Laufe der Tage. Nach drei, vier Tagen kamen dann auch der Kommandeur und der Spieß. Es war wirklich eine große Unterstützung. Bei einem normalen Todesfall ist es schon schwierig, alles zu organisieren. In so einem Fall, wo es dann neben Trauerfeiern auch darum geht, wie kriegen wir die Presse wieder los, die irgendwie alles Mögliche versucht, um Kontakt zu finden. Wir mussten dann noch irgendwann ein Filmverbot für die private Beerdigung aussprechen und lauter so Dinge, da ist es einfach eine Unterstützung, wenn man jemanden da hat, der sich auch ein bisschen auskennt mit solchen Themen.

Reichel: Wir haben hier am Zentrum den Lehrgang „Der militärische Führer im Umgang mit Tod und Trauer“. Wir haben die Leiterin dieses Lehrgangs gefragt: Frau Astrid Bardubitzki, welche Erfahrungen haben Sie selbst mit Tod und Verwundung?

Astrid Bardubitzki: Beruflich hatte ich vor allem nach Suiziden und Suizidversuchen mit dem Thema Tod und Trauer zu tun. Meine Aufgaben umfassen dabei zum einen die Beratung der Vorgesetzten als auch zum anderen die Stabilisierung der Truppe in Einzel- und Gruppengesprächen.

Reichel: Welchen Hinweis an die Vorgesetzten, die mit Angehörigen von Verstorbenen Soldatinnen und Soldaten zu tun haben, halten Sie für essentiell?

Bardubitzki: Die Angehörigen sind natürlich von dem tragischen Ereignis häufig so geschockt, dass Sachinfos nicht sofort aufgenommen werden können. Die Vorgesetzten sollten deshalb lernen, auch die Gefühle der Angehörigen zu berücksichtigen und diese in ihren Gesprächen gegebenenfalls zu stabilisieren. Das können Vorgesetzte zum Beispiel im Lehrgang „Der militärische Führer im Umgang mit Tod und Trauer“ lernen.


Reichel: Frau Menz, würden Sie das so unterstreichen? Wie war das bei Ihnen?

Menz: Es ist natürlich auch, glaube ich, eine der schwierigsten Aufgaben, so eine Nachricht zu überbringen. Ich denke, das ist sicherlich etwas, das wünscht sich keiner, jemals machen zu müssen. Daher kann ich die schon auch verstehen. Ich glaube aber es wäre besser, tatsächlich klar zu sagen, was passiert ist. Ich halte es für richtiger.

Kullmann: Der Soldatenberuf ist ja kein Beruf, wie jeder andere. Ihr Sohn Konstantin war Stabsgefreiter bei der Bundeswehr und ist im Einsatz gefallen. Stellen Sie sich manchmal die Frage, wofür er und insgesamt 58 weiteren Soldaten in Afghanistan ihr Leben gelassen haben?

Menz: Ja, ich habe mich da natürlich auch vor einem guten Jahr einfach ein bisschen über die Presse geärgert. Die immer diese Sätze „Es hat gar nichts genützt“ brachten. Ich glaube das ist etwas, dass man vielleicht auch noch nicht beantworten kann. Klar, dass was man sich gewünscht hat, was es bringen soll, das ist nicht gelungen in diesem Land: Das es schnell Verbesserungen für Frauen, für Kinder, für Mädchen gibt. Ich glaube aber, wenn man 20 Jahre lang eine Generation die Möglichkeit hatte, in die Schule zu gehen. Wenn 20 Jahre lang Mädchen die Möglichkeit hatten, lesen und schreiben zu lernen, dann sind das einfach die Mütter der nächsten Generation und in denen hat es was verändert. Das wäre ohne den Einsatz nicht geschehen. Ich denke ein Teil von diesen Frauen wird sicherlich ihre Kinder wiederum anders erziehen, als sie es ohne die Möglichkeit getan hätte. Deswegen denke ich, müssen wir einfach Geduld haben.

Reichel: Was genau hat Sie an der Presse vor einem Jahr gestört?

Menz: Ich denke dieses kurzfristige Denken, das nicht mal überlegen, nützt gar nichts. Was ist denn vielleicht in 20 Jahren oder auch zu sehen, heute hat es vielleicht nichts genützt. Aber wie wäre vielleicht die Welt, wenn es diese 20 Jahre nicht gegeben hätte? Wissen wir, ob es andere Anschläge noch gegeben hätte aus dem Land heraus? Das sind alles Dinge, die wissen wir nicht, wir können ja nicht sehen, was wäre genau geschehen ohne diese 20 Jahre Einsatz.

Kullmann: Ich habe noch eine Nachfrage: Wie haben Sie denn Ihre Trauer ganz konkret bewältigt? Sie waren glaube ich auch in Afghanistan oder?

Menz: Ich war tatsächlich sogar drei Mal in Afghanistan. Ich war einmal, das war ein knappes Jahr nach Konstantins Tod Anfang Februar, ein Jahr später in Afghanistan und da haben wir natürlich auch versucht in den OP North zu kommen, wo der Anschlag war. Das Wetter ließ es nicht zu. Wir kreisten zwei Stunden mit dem Hubschrauber und konnten nicht landen. Sind dann im Prinzip wieder zurückgeflogen ohne an dem Ort gewesen zu sein, an dem er war. Das war natürlich ein nicht so schönes Gefühl.

Ich hatte dann ein Jahr später im Mai nochmal die Gelegenheit ein zweites Mal hin zu fahren. Da haben wir tatsächlich alle Pläne umgeworfen, weil auch schon wieder das Wetter schwierig werden sollte und sind dann noch sofort am ersten Tag reingeflogen. Für mich war es wichtig da gewesen zu sein. Natürlich hat man Fotos gesehen von einem solchen Lager, aber ich finde, wenn ich selbst in einem Land bin und den Boden und den Sand spüre, ist es was anderes, als wenn ich ein Foto sehe. Auch Größen und Dimensionen: was ist denn der Blick den er hatte, wenn er morgens aufgestanden ist, den wollte ich einfach selbst haben.

Reichel: Mit Ihrem Sohn sind mit dem Anschlag zwei weitere Kameraden zum Opfer gefallen. Waren die Familien der beiden eine Stütze, konnten Sie sich emotional austauschen und stärken? Haben Sie Kontakt zu den damals sechs Verwundeten oder ihren Familien gehabt?

Menz: Ja, das war auch eine gute Idee von Konstantins Vorgesetzten und den beiden Georgs, weil eigentlich bei der offiziellen Trauerfeier und auch als wir in Nürnberg waren als die Särge in Deutschlang gelandet waren, war es so vorgesehen, dass die drei Familien in drei Räumen sind. Er hat gesagt, nein wir machen das nicht, wir setzen die in einen Raum. Ich glaube, das war eine ganz gute Entscheidung, dass wir uns relativ schnell kennengelernt haben. Man saß erst nach Familien getrennt, jeder an einem Tisch. Irgendwann haben dann die jungen angefangen, wo sind denn noch Geschwister, haben dann einen Geschwister-Tisch gemacht. Einen Ehefrau-Freundinnen-Tisch, einen Eltern-Großeltern-Tisch. Ich glaube, da sind so die ersten Kontakte entstanden.

Zu den Kameraden gibt's natürlich auch ganz viel Kontakt, bis heute gibt es da ganz viel Kontakt. Die waren bei allen drei Beerdigungen hintereinander, die waren bei der offiziellen Trauerfeier, man hat da schon die ersten Kontakte geknüpft, einer der Verwundeten kam, hat sich aus dem Krankenhaus entlassen, kam noch mit seiner Infusion. Da gab’s natürlich immer wieder Kontakte und die gibt es bis heute.

Kullmann: Sie sind eine sehr starke Frau, wenn wir uns jetzt unterhalten. Wenn ich mir überlege, mein Sohn ist auch 22, arbeitet bei der Polizei und da würde was passieren…

Ich wäre mir nicht sicher, ob ich 12 Jahre später so offen darüber sprechen kann. Was gibt Ihnen die Kraft?

Menz: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, jeder ist da anders und jeder muss da auch seinen Weg finden. Ich denke, dass so eine extreme Situation vielleicht einen Menschen nicht total verändert, aber ich glaube, dass es das verstärkt, wie man schon immer war. Ich denke, wenn jemand schon immer ein Mensch war, der eher nicht geredet hat, sondern sich zurückgezogen hat, wird er das da noch mehr tun. Das war ich eben nie. Es einfach besser zu mir passt, ich hätte mich sonst verstellen müssen.

Kullmann: Was tun Sie oder welche Rituale haben Sie vielleicht entwickelt, um aktiv zu trauern in dieser Zeit?

Menz: Es gibt so ein paar Tage im Jahr, in denen wir besondere Dinge machen. Wir sind seitdem immer am 18. Februar in Regen, treffen uns mit den anderen Familien, da kommen ganz viele von den damaligen Freunden und Kameraden, auch teilweise von den Verwundeten sind manche dabei. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Ritual oder Treffpunkt. Wir gehen im Herbst einmal, das haben wir nach einem Jahr angefangen, mit denen die damals dabei waren, auf eine Hütte. Da haben wir immer drei Familien eingeladen, das ist ein schöner Abend, eine schöne Nacht. Das geht bis ins Frühstück. Da kommen viele inzwischen auch von weit weg. Es gab einfach viele interessante Gespräche. Am Anfang dachten wir, das machen wir einmal und dann war aber das Interesse von allen immer da, so dass auch das inzwischen ein fester Termin im Jahr geworden ist. 

Kullmann: Wie geht das Leben für die Geschwister von Konstantin weiter?

Menz: Die haben alle, jeder auf seine Art und Weise, erstmal einen kurzen Durchhänger gehabt. Unsere große Tochter im Studium hatte im Leistungssport ihren Hänger, die anderen beiden hatten in der Schule ihr schlechtes halbes Jahr. Dann haben sie sich alle wieder, vielleicht auch gemeinsam, weil sie eben zu dritt waren, weil sie Kontakt zu seiner Freundin hatten, weil es da einfach eine gute Gemeinschaft immer gab, haben die sich inzwischen in einem Normal, wie sie sich auch ohne dieses Ereignis weiterentwickelt hätten, entwickelt haben.

Ich glaube, dass es vielleicht die Familie nochmal ein bisschen enger zusammengebracht hat. Hört sich für manche Menschen seltsam an, aber unsere Kinder finden das ganz toll, dass wir noch immer einmal im Jahr alle zusammen in Urlaub fahren. Würde man sonst vielleicht mit 30-Jährigen Kindern nicht zwingend tun, aber das ist für alle eine schöne Sache. Jeder macht natürlich auch was Eigenes, aber einmal im Jahr gehen wir noch immer gemeinsam irgendwo hin. Wir sehen uns oft und das ist vielleicht auch dadurch intensiver geworden.

Reichel: Frau Menz, wie wurden Ihre anderen drei Kinder unterstützt in ihrer Trauer? Gab es da Angebote von der Bundeswehr oder von woanders? Ich denke, dass Kinder da auch nochmal eine ganz andere Begleitung brauchen.

Menz: Richtig. Sie waren am Anfang beim Volkstrauertag mit dabei, das war schon ganz gut für sie. Am Anfang gab es kein richtiges Angebot für Geschwisterkinder. Die waren auch einmal bei einem Hinterbliebenen-Wochenende mit uns Eltern dabei, da waren sie die einzig jüngeren. Dann haben wir gesagt, gäbe es nicht auch mal die Möglichkeit ein Wochenende für Geschwisterkinder zu machen und das ist dann auch tatsächlich relativ schnell geschehen. Die Militärseelsorge hat das dann organisiert. Wir waren dann mit anderen Betroffenen ein Wochenende in der Nähe von Leipzig. Sie waren klettern, haben sich zwischendurch unterhalten. Ich finde das ganz wichtig, denn Jugendliche kann man nicht irgendwo ein Wochenende in einen Raum setzen und jetzt redet mal. Da ist es ganz wichtig, dass sie eine Aktion zwischendurch haben und gemeinsam was unternehmen. Sie waren dann ein paar Mal klettern und das war eine sehr gute Sache.

Reichel: Würden Sie sagen, dass die drei Geschwister, weil sie ihren Bruder verloren haben, anders leben heute oder bestimmte Wichtigkeiten haben, mehr aus dem Leben schöpfen?

Menz: Ist immer schwierig zu sagen. Ich habe nicht erlebt, wie sie geworden sind ohne dieses Erlebnis, deshalb ist es schwer zu sagen, aber vielleicht sind sie tatsächlich enger miteinander oder auch enger mit uns als Familie immer noch zusammen, weil sie einfach gemerkt haben, wie wichtig Familie ist, wie wichtig der Kontakt zueinander ist. Ich glaube, das wäre vielleicht ein bisschen anders ohne gelaufen. Die haben heute noch ein sehr, sehr enges Verhältnis und ich glaube, das ist nicht bei allen um die 30-Jährigen so, dass das Verhältnis zu den Geschwistern doch so eng ist.

Reichel: Wie muss man sich vorstellen, wie Trauer sich verändert? Eine Wunde, die da ist, die bleibt und es verändert sich eigentlich nur das Leben, das drum herum passiert, bekommt wieder mehr Bedeutung und die Wunde ist aber nach wie vor da oder wie lebt es sich weiter?

Menz: Ich weiß auch nicht, ob das bei jedem gleich ist. Ich glaube, das ist wie mit Trauer insgesamt, das ist einfach bei jedem Menschen individuell unterschiedlich. Ich glaube, da kann man nicht sagen, dass es bei jedem gleich. Ich bin von Beruf Trauerbegleiterin und arbeite in einem Hospiz und habe viel mit trauernden Menschen zu tun. Ich sehe das einfach jeden Tag, dass das bei jedem eine andere Sache ist, wie er damit umgeht. Ich glaube Trauer darf und muss nicht ganz weggehen. Ich denke, das wäre ein Zeichen, dass wir uns an die Menschen nicht mehr erinnern oder dass sie uns nicht wichtig wären. Ich glaube sie muss so sein, dass wir gut damit leben können. Ich denke am Anfang in den ersten Tagen, Wochen, Monaten ist es der erste und letzte Gedanke an denjenigen und das verändert sich einfach irgendwann. Es gibt immer noch Tage, da fehlen sie einem, dafür gibt es Tage wo es mehr ist, es gibt Tage wo es weniger ist, sie sind immer in Gedanken mit dabei, aber man kann trotzdem ganz gut leben. Vielleicht auch bewusster leben, weil man vielleicht deutlicher wahrnimmt, was gibt es auch Schönes. Was habe ich auch Gutes?

Kullmann: Frau Menz, hat sich Ihr Verhältnis zum Leben als auch zum Tod in irgendeiner Weise verändert?

Menz: Ja, ich glaube schon. Beim Leben bin ich tatsächlich weniger ängstlich geworden. Für mich war immer diese Vorstellung, wenn einem meiner Kinder was passiert, das ist die schlimmste Vorstellung, die ich habe und das bekomme ich irgendwie gar nicht hin. Heute habe ich gemerkt, ja es ist eigentlich so das Schlimmste was mir passieren kann, aber irgendwie bekomme ich es doch hin. Das hat mich in vielem sicherer oder gelassener gemacht. Dieses Wissen, es können zwar schreckliche Dinge passieren, aber irgendwie kann ich damit umgehen.

Reichel: Sie sagten, Menschen gehen unterschiedlich mit Trauer um. Sie gehen in die Öffentlichkeit und haben auch vergangenen November bei der Eröffnung des Ehrenhains bei Potsdam mit dem Felsblock aus Afghanistan eine Rede gehalten. Sie engagieren sich auch schon seit 2012 im Beirat der Inneren Führung und sind dort insbesondere in den Arbeitsgruppen Einsatzrückkehrer / Einsatzfolgen sowie Bundeswehr in der Gesellschaft. Was können Sie durch Ihre Offenheit und Ihr Engagement bewirken?

Menz: Ich glaube, das ist immer eine Teamsache, das bin nicht nur ich alleine. Im Beirat haben wir viel bewirken können, gerade in den Bereichen Einsatzfolgen, Einsatzrückkehrer. Da hat sich in den letzten Jahren schon vieles verbessert, auch gerade für die Familien drumherum, die ja vor zehn 15 Jahren noch nicht so im Blickpunkt waren. Da hat sich schon manches verändert.

Sonst im Bereich Hinterbliebene bin ich auch im Netzwerk der Hilfe; da hat sich schon auch vieles verändert. Am Anfang 2011 gab es zwar das Ehrenmahl im Bendlerblock. Ich weiß selbst noch wie wir das erste Mal dort standen und meine Tochter wollte unbedingt an diesem Lichtband den Namen sehen und es war kalt und regnerisch und wir standen dreieinhalb Stunden, bis es dann endlich soweit war. Ich bin jemand der sagt, so kann das nicht gehen. Zwei, drei Jahre später wurde dort ein Bronze-Buch angebracht, so dass man die Möglichkeit hat, die Namen immer zu sehen.

Als es darum ging, was geschieht mit den Ehrenhainen, die in den Einsatzländern gebaut wurden, dass man den Wald der Erinnerung auch mit vielen Menschen gemeinsam errichtet hat und da ist es einfach gut und wichtig, dass auch Hinterbliebene gefragt werden, was wünscht ihr euch denn? Ich denke, da konnten diejenigen, die dabei waren, durchaus was bewirken.

Kullmann: Sie hatten es gerade eben auch schon angesprochen. Menschen trauern unterschiedlich. Der eine zieht sich zurück, manch anderer geht eher nach draußen und teilt den Schmerz. Hilft Ihr Engagement in Ihrer Trauer- und Schmerzbewältigung Ihnen persönlich?

Menz: Ich glaube schon, das würde einfach nicht zu mir passen, nichts zu machen. Ich bin immer in allem was ich gemacht habe, ein Mensch, der eher redet und eher nach außen geht und das hätte sich für mich einfach falsch angefühlt. Ich finde es wichtig, dass jeder genau das tut, was für ihn das Richtige ist und wenn es so möglich ist, vielleicht auch für jemand anderen was Positives zu bewirken. Dann ist es ja sinnvoll, wenn derjenige es macht, dem es nicht schwerfällt und nicht derjenige es tun muss, für den es eine viel größere Hürde ist.

Reichel: Sie haben vorhin schon Ihren Mann angesprochen, der auch in der ersten Situation ganz andere Fragen stellte. In keinem der Berichte ist Ihr Mann erwähnt. Offenbar trauert er anders.

Menz: Ja, er geht anders mit der Sache um und das ist das Wichtige bei uns beiden, dass wir sehr wohl verstehen, dass der andere das anders macht und es trotzdem als auch für ihn richtig empfindet. Dass nicht einer sagt „du trauerst falsch“, oder „du machst es irgendwie so wie es nicht passt,“ sondern ich finde das schöne jeder kann damit umgehen, wie es für ihn richtig ist und vieles kann man auch gemeinsam machen und manches macht jeder so wie es für ihn richtig ist. 

Reichel: Dann möchte ich Ihnen noch eine Frage stellen zum Schluss: Dieses Jahr finden in Düsseldorf im September die Invictus Games statt, die von Prinz Harry als Maßnahme für Rehabilitation für versehrte Soldatinnen und Soldaten ins Leben gerufen wurden, statt. Gehen Sie dahin?

Menz: Ja, ich werde wohl hingehen. Ich finde, es ist eine Sache, die verdient, dass viele Zuschauer dort sind. Ich finde es eine ganz tolle Sache, dass es einfach diese Möglichkeit gibt und ich finde es auch sehr schön, dass es in Deutschland, nicht wie vielleicht in vielen anderen Ländern, auch bei diesen verwundeten Kameraden nur um Leistung geht, sondern tatsächlich, dem tut es gut, dass man die so auswählt. Ich finde das eine ganz tolle Sache und ich finde, die haben verdient, dass die Hallen voll sind und dass einfach Menschen da sind.

Kullmann: Frau Menz, ich bedanke mich bei Ihnen sehr herzlich für dieses offene, sehr inspirierende Gespräch. Was ich persönlich mitnehme, ist das Trauer nicht ganz weggeht wie so eine Narbe, die man irgendwo hat und wenn man drüber streicht, erinnert man sich an das was da mal war. Das nehme ich persönlich mit und dafür danke ich Ihnen sehr.

Menz: Danke, dass ich da sein durfte.

Reichel: Frau Menz, ganz herzlichen Dank, dass Sie da waren und mit uns über dieses doch auch nicht ganz einfache Thema gesprochen haben. Herzlichen Dank für Ihre Offenheit! Kommen Sie gut nach Hause.

Menz: Ich freue mich, weil ich finde es ist ein wichtiges Thema. Ich finde es gut, wenn es einfach mehr Raum bekommt. Danke!

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.