
G95 – Der neue Standard
Die Auslieferung des neuen Standard-Sturmgewehrs an die Bundeswehr beginnt noch 2025. Vorausgegangen sind aufwändige Erprobungen.
Die Auslieferung des neuen Standard-Sturmgewehrs an die Bundeswehr beginnt noch 2025. Vorausgegangen sind aufwändige Erprobungen.
Es war ein Paukenschlag, als die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im April 2015 verkündete, das G36 habe keine Zukunft mehr in der Bundeswehr. Das Standardgewehr stand wegen mutmaßlicher Präzisions- und Sicherheitsmängel in der Kritik. Fast 20 Jahre war es zu dem Zeitpunkt bereits in der Truppe, eine technische Weiterentwicklung kam nicht infrage. Die Soldatinnen und Soldaten sollten ein neues Sturmgewehr erhalten, um für alle Einsatzszenarien bestmöglich ausgerüstet zu sein – von der Landes-und Bündnisverteidigung bis zu den Auslandseinsätzen.
Ausgeschrieben wurde nicht nur ein Gewehr, sondern das System Sturmgewehr, das heißt auch ein neues Hauptkampfvisier, Reflexvisier und Laser-Licht-Modul. „Der Anforderungskatalog, den die Truppe formuliert hat, war sehr umfangreich“, sagt Julia Raidel*. Die Technische Regierungsrätin ist seit 2021 Teil des zuständigen Projektteams im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr).
Jeder Truppenteil hat eigene Erwartungen an das neue Standardgewehr: Die Gebirgsjäger brauchen zum Beispiel eine kälteresistente Waffe. Das Seebataillon erwartet ein Gewehr, das auch nach Wasserkontakt einsatzfähig bleibt. Das Gewehr muss zudem für Links- und Rechtshänder geeignet und an verschiedene Armlängen anpassbar sein.
„Der Forderungskatalog hatte am Ende rund 30 Seiten“, berichtet Raidel. 118.718 Sturmgewehre und die gleiche Anzahl an Zubehörsets, Visieren und Laser-Licht-Modulen hat das Planungsamt der Bundeswehr als Bedarf ermittelt. Darin inbegriffen ist eine Umlaufreserve, also Ersatzgeräte, um eine stetige Wartung und Instandsetzung zu gewährleisten. Rund 772 Millionen Euro wurden für die Umsetzung veranschlagt.
Der Ausschreibungsprozess stockte mehrfach, erst im Dezember 2022 gab der Bundestag schließlich die Mittel zur Beschaffung frei. Beim Sturmgewehr hat sich das HK416A8 von Heckler & Koch durchgesetzt, das Laser-Licht-Modul ist von Rheinmetall und der kanadische Hersteller Raytheon ELCAN liefert die Optik. Anders als beim G36 sind das Hauptkampf- und das Reflexvisier in einem Kombivisier vereint. „Alle Produkte waren auf dem Markt verfügbar, aber sie mussten an die Bedürfnisse der Truppe angepasst werden“, sagt Raidel.
Wie diese Anpassung auszusehen hat, haben zahlreiche Tests ergeben. 390 Nachweismuster wurden der Bundeswehr von den Herstellern zur Verfügung gestellt. Die Wehrtechnische Dienststelle 91 in Meppen hat sie unter Laborbedingungen geprüft: heiß schießen, kalt und feucht einlagern, Salzwassertauch und Lebensdauertests. Danach erhielt die Truppe die Waffen, um sie im taktischen Einsatz zu testen.
Vom Truppenübungsplatz in Deutschland über die Heiß-Feucht-Erprobung in Panama bis zur Gebirgsjägerübung in Alaska – bei rund 20 Gelegenheiten wurde das Gesamtsystem getestet. „Wir haben die Geräte auf Herz und Nieren geprüft und sind von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugt“, erklärt Raidel. Die Nachweismuster gingen zurück an die Hersteller. Dort werden momentan die letzten technischen Anpassungen umgesetzt. Die Halterungen des Trageriemens müssen zum Beispiel noch anders positioniert werden. „Wir sind zuversichtlich, dass wir Ende 2025 die ersten Gewehre ausliefern können“, sagt Raidel. Bis 2031 soll der Zulauf abgeschlossen sein.
Offiziell eingeführt werden die Sturmgewehre als G95A1 in der Langversion mit 16,5 Zoll Rohrlänge (41,91 Zentimeter) und als G95KA1 für die Kurzversion mit 14 Zoll Rohrlänge (35,56 Zentimeter). Die Bezeichnung A1 steht für den Entwicklungsstand in der Bundeswehr – das G36 hat in seiner letzten Version den Entwicklungsstand A4. Die Nachweismuster waren sandbraun, bei der Auslieferung werden die Gewehre einheitlich grünbraun (RAL 8000) sein. Wie sein Vorgänger hat das G95 das Kaliber 5,56 mal 45 Millimeter. Es kann Hartkern, Doppelkern, Weichkern, Manöver und Übungsmunition im Einzel- und Dauerfeuer verschießen – bis zu 850 Schuss pro Minute. Die Optik und das Laser-Licht-Modul werden flexibel auf einer NATONorth Atlantic Treaty Organization-Schiene angebracht, so wie bei der neuesten G36 Version.
„Bei der Konstruktion gibt es die größten Unterschiede“, erklärt Alex Lembke. Der Technische Regierungshauptsekretär gehört seit 2022 dem Projektteam im BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr an. „Das G95 ist ein AR-15-Derivat. Es hat einen zentralen Ladehebel, und die Schließfeder ist in der Schulterstütze untergebracht.“ Die Stütze kann deshalb nicht mehr weggeklappt werden, sondern wird vor- und zurückgeschoben. Außerdem besteht das G95 überwiegend aus Metallteilen und nicht mehr aus Kunststoff. „Dadurch ist das Gewehr auch unter extremer Belastung sehr stabil und präzise“, sagt Lembke.
Die Bauweise macht das G95 allerdings auch etwas schwerer. Voll ausgerüstet und aufmunitioniert wiegt es knapp sechs Kilogramm. Das Metall braucht zudem mehr Wartung und Pflege. Das G95 verzeihe weniger als sein Vorgänger, so Lembke: „Es braucht einen Tropfen mehr Öl. Dafür bekommen die Soldatinnen und Soldaten aber eine hochmoderne Waffe, die bei guter Pflege keine merklichen Störungen aufweist.“ Das G95 wird bereits in Frankreich, Norwegen und Luxemburg eingesetzt, vor allem von Spezialisierten Kräften der Polizei und des Militärs.
Auch das Kommando Spezialkräfte (KSKKommando Spezialkräfte) in Calw nutzt seit 2021 die Kurzversion, das G95K. „Wir wollten ein Sturmgewehr, das sehr zuverlässig ist und mit dem wir bei Zubehör, Magazinen und Munition kompatibel zu unseren Partnerländern sind“, sagt Hauptfeldwebel Marc Zettner. Der Kommandosoldat trainiert täglich mit der Waffe und ist sehr zufrieden: „Die Präzision ist herausragend. Je nach Optik kann man mit dem G95K bis zu 800 Meter weit kämpfen, bei Tag und Nacht.“ Das höhere Gewicht und die andere Bedienung – wie den Durchladehebel, der hinten am Gehäuse sitzt – sind für Zettner Gewöhnungssache: „Mit einer guten Ausbildung und Training hat man das schnell drauf.“ Darauf wird es künftig in allen Truppenteilen ankommen: regelmäßig üben. Das G95 ist kein Allrounder mehr, sondern ein High-End-Gerät, darin sind sich die Expertinnen und Experten im BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr und beim Kommando Spezialkräfte einig.
*Alle Namen zum Schutz der Personen geändert.