Projekt Military Mobility: Für schnelle Truppenverlegungen in Europa
Wie die Truppe an die Ostflanke kommt: Im Ernstfall brauchen Armeen klare Verfahren, um Panzer und Truppen von A nach B zu verlegen.
Wie die Truppe an die Ostflanke kommt: Im Ernstfall brauchen Armeen klare Verfahren, um Panzer und Truppen von A nach B zu verlegen.
Bundesbürgerinnen und -bürger reisen völlig unkompliziert in Deutschlands Nachbarländer. Für Soldatinnen und Soldaten in Uniform ist das dienstliche Prozedere komplexer: Truppenverlegungen über Landesgrenzen müssen oft noch aufwendig genehmigt werden. Military Mobility vereinfacht und beschleunigt diese Verfahren europaweit.
Aus staatlicher Sicht ist völlig nachvollziehbar, warum dienstlich erforderliche Grenzübertritte von einzelnen Soldatinnen oder Soldaten bis hin zu größeren Einheiten nicht spontan erfolgen. Reiseziel, Zweck, Zeitpunkt, Route und Ort des Grenzübertritts müssen im Voraus beantragt und bewilligt werden. Denn kein Land möchte ohne seine Zustimmung militärische Kräfte anderer Nationen auf dem eigenen Territorium haben.
Was aber, wenn zahlreiche Verbände mit schwerer Ausrüstung, Waffensystemen und Versorgungsgütern schnellstmöglich aus verschiedenen Teilen Europas und aus Nordamerika an die Ostflanke der NATONorth Atlantic Treaty Organization gelangen müssen? Diese Prozesse, in der NATONorth Atlantic Treaty Organization als Deployment und Sustainment bezeichnet, verlangen eine enge Abstimmung zwischen den entsendenden Nationen, den Transitländern und den Gastnationen. Nur wenn diese Abläufe funktionieren, erreichen Kräfte im Krisenfall rechtzeitig ihren Einsatzort. Eine effiziente Verlegung durch die Hoheitsgebiete europäischer Mitgliedstaaten bildet daher einen zentralen Baustein glaubhafter Abschreckung und verlässlicher Verteidigungsfähigkeit.
Jahrzehnte des Friedens in Europa und lange Vorwarnzeiten führten dazu, dass viele Staaten eigene, teils aufwendige Genehmigungsprozesse für Militärtransporte entwickelten. Diese sind häufig national unterschiedlich geregelt und weichen im Detail voneinander ab. Aufgrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage und der Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung müssen grenzüberschreitende Truppenverlegungen vereinfacht und beschleunigt werden. Genau dies ist Kern der Initiative Military Mobility.
EUEuropäische Union- und NATONorth Atlantic Treaty Organization-Staaten arbeiten bereits seit Jahren daran, militärische Transporte durch Europa zu erleichtern. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat diesen Prozess jedoch deutlich beschleunigt. Unter dem Begriff Military Mobility werden verschiedene Maßnahmen gebündelt, die alle darauf abzielen, die Zeitspanne zwischen Alarmierung und Einsatzwirksamkeit zu verkürzen. Einfach gesagt: Military Mobility beschleunigt grenzüberschreitende militärische Transporte und steigert damit die Wirksamkeit der europäischen Verteidigung. Dieser Fähigkeitsaufbau stärkt die Sicherheit aller NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partner, nicht nur der Staaten an der Ostflanke.
In Deutschland umfasst Military Mobility vor allem die Beschleunigung von Genehmigungsprozessen. Aufgrund seiner geografischen Lage in der Mitte Europas kommt Deutschland eine besondere Bedeutung als Transit- und Gastnation zu. In nahezu allen denkbaren Szenarien der Landes- und Bündnisverteidigung beteiligt sich die Bundesrepublik an multinationalen Verlegungen. Vergleichbar sind die Rollen der Niederlande, die als Zugangspunkt nach Europa fungieren, und Polens als wichtige Verbindung zur NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke. Die physischen Strukturen für militärische Verlegungen – etwa Seehäfen, Flughäfen, Straßen und Schienenwege – wurden durch das NATONorth Atlantic Treaty Organization Joint Support and Enabling Command (JSECJoint Support and Enabling Command) in Ulm systematisch analysiert. Die tatsächliche Umsetzung von Aufmarsch und Versorgung, im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Sprech Reinforcement and Sustainment Plan genannt, verbleibt jedoch in der Verantwortung der einzelnen Nationen.
Deutschland, die Niederlande und Polen stellen gemeinsam einen zentralen Bewegungskorridor zur NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke bereit. Seit Januar 2024 arbeiten die drei Staaten daran, ihre grenzüberschreitenden Verfahren zu harmonisieren und zu standardisieren. Das deutsch-niederländische Military Mobility Office (DNO) in Ulm hat dazu in Zusammenarbeit mit polnischen Fachleuten innerhalb von 18 Monaten 20 Handlungsfelder analysiert und konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet.
Ziele des trilateralen Ansatzes sind:
Die Umsetzung erfolgt unter Federführung der Verteidigungsministerien der drei Staaten. Da viele der erarbeiteten Maßnahmen über die Verantwortung des Verteidigungsressorts hinausreichen, werden weitere Ressorts im Sinne eines Whole-of-Government-Ansatzes eingebunden. Ein wesentliches Ergebnis besteht in standardisierten Antrags- und Genehmigungsprozessen für den grenzüberschreitenden Verkehr. Sie erleichtern den militärischen Transit innerhalb des gemeinsamen Verkehrsraums zwischen der Niederlande, Deutschland und Polen erheblich. Die entstehende Military Mobility Area gilt als Leuchtturmprojekt der Zusammenarbeit zwischen NATONorth Atlantic Treaty Organization und EUEuropäische Union. Sie dient als Blaupause für weitere Bewegungskorridore in Europa, an denen bereits gearbeitet wird.
Nach Jahrzehnten, in denen die Einsätze der Bundeswehr und ihrer Verbündeten überwiegend außerhalb des Bündnisgebiets stattfanden, gilt es, Verfahren für großangelegte Verlegungen quer durch Europa neu zu planen, einzuüben und zu verinnerlichen. Daraus könnten sich gelegentliche Einschränkungen für die Bevölkerung ergeben. So kann es notwendig werden, Militärtransporten vorübergehend Vorrang vor dem Personen- oder Güterverkehr auf der Schiene einzuräumen. Military Mobility ist eine Herausforderung und Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für die Streitkräfte.
von Simona Kunz-Boyer und Egbert Sass