„Nachgefragt“

Krise, Krieg und Konflikte

Bürger fragen, Führungskräfte aus Bundeswehr und Verteidigungsministerium antworten: Das ist die Idee von „Nachgefragt“. Die Reihe wurde mit Beginn des Ukrainekrieges gestartet. Alle zwei Wochen gibt es eine neue Folge mit wechselnden Gästen. Sie vermitteln sicherheitspolitische Informationen aus erster Hand.

Ein Soldat und ein Mann sitzen an einem Tisch während eines Interviews. Im Hintergrund zwei Flaggen.

„Europäer müssen jetzt zeigen, dass sie nach vorne zu gehen bereit sind“

Russland fordert mit dem Angriffskrieg in der Ukraine auch die liberalen Demokratien des Westens heraus. Diese setzen auf Abschreckung: Durch Aufrüstung und militärische Stärke soll Russland von weiteren Expansionsbestrebungen abgehalten werden. Doch insbesondere Europa müsse noch mehr machen, sagt Deutschlands bekanntester Militärhistoriker.

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Prof. Dr. Sönke Neitzel ist der bekannteste Militärhistoriker Deutschlands. Mit „Nachgefragt“-Moderator Hauptmann Jan Czarnitzki spricht er über die Ursachen und die Lehren des Krieges in der Ukraine.

„Es geht nicht um Bodenschätze. Es geht vielleicht noch nicht einmal wirklich um die Ukraine. Sondern es geht aus meiner Sicht um eine Auseinandersetzung mit dem Westen“, sagt Prof. Dr. Sönke Neitzel zu den Gründen für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Die Demokratisierung des Landes sei für Wladimir Putin eine rote Linie gewesen, so Neitzel im „Nachgefragt“-Gespräch mit Hauptmann Jan Czarnitzki. Die Hinwendung der Ukraine zum Westen habe den russischen Präsidenten die Nerven verlieren lassen, so der Militärhistoriker von der Universität Potsdam. Es folgten die Annexion der Krim 2014 und die Vollinvasion in der Ukraine 2022.

Deutschland habe sich nach der Wiedervereinigung falschen Hoffnungen in Bezug auf Russland hingegeben, so Neitzel. „Wir alle dachten, jetzt hat die liberale Demokratie gewonnen und der Sozialismus hat verloren.“ Russland sollte durch wirtschaftliche Zusammenarbeit in das westliche Gesellschaftsmodell eingebunden werden – doch Putin habe schon 2001 im Bundestag klargemacht, dass er das anders sehe. Er habe die USA aus Europa verdrängen und mit den russischen Atomwaffen eine militärische Hegemonie etablieren wollen, glaubt Neitzel. „Das war aber mit Deutschland oder mit Polen nie verhandelbar.“ Als der russische Präsident sich nicht durchsetzen konnte, sei er auf Konfrontationskurs gegangen.

Deutschland steht hinter der Bundeswehr

Die Bundeswehr sei nach dem Kalten Krieg genau wie die Streitkräfte anderer westlicher Nationen „bis auf die Schlacke abgerüstet“ worden, so Neitzel. Der Schock des russischen Angriffskrieges habe aber zu einem Umsteuern geführt. Nun müsse die Bundeswehr ihre PS so schnell wie möglich auf den Boden bekommen, so der Historiker. Es brauche schlankere Strukturen, um sich schneller auf technologische Veränderungen einzustellen – wie zum Beispiel in der Drohnenkriegsführung. „Nur wenn wir revolutionär genug sind und uns schnell genug anpassen, können wir einen Kampf dann auch bestehen, wenn er eines Tages kommt“, sagt Neitzel.

Die deutsche Gesellschaft sei bereit für eine neue Verteidigungspolitik, so der Militärhistoriker: „Ich glaube, dass die Lage der öffentlichen Meinung der Bevölkerung für grundlegende Veränderungen in der Bundeswehr in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nie so gut war.“ Es gebe eine deutliche Mehrheit sowohl für die Waffenlieferungen an die Ukraine als auch für die Stärkung der Bundeswehr, so Neitzel. Die Streitkräfte würden von 85 Prozent der Bevölkerung gestützt; nie zuvor sei die Zustimmung zur Arbeit der Bundeswehr so hoch gewesen. Nun müsse gehandelt werden.

Diplomatisches Gewicht durch militärische Stärke

Zumal die transatlantische Sicherheitspartnerschaft in der NATONorth Atlantic Treaty Organization nicht mehr nur von Russland, sondern auch von USUnited States-Präsident Donald Trump in Frage gestellt werde. „Die Europäer müssen jetzt zeigen, dass sie nach vorne zu gehen bereit sind“, fordert Neitzel. Mit dem Euro, dem gemeinsamen Wirtschaftsraum und dem Schengen-Abkommen seien bereits wesentliche Schritte der europäischen Integration getan worden. Nun sei es Zeit für eine gemeinsame Sicherheits- und Rüstungspolitik. „In diesem Bereich muss Europa jetzt wirklich vorangehen“, so der Militärhistoriker.

Ein starkes Europa hätte auch andere diplomatische Spielräume gegenüber Russland, ist sich Neitzel sicher. „Warum spielt jetzt Trump so eine große Rolle? Weil Putin ihn nicht ignorieren kann aufgrund seiner militärischen Stärke“, so der Militärhistoriker mit Blick auf die jüngsten Verhandlungen zur Beilegung des Krieges, die der USUnited States-Präsident quasi erzwungen hatte.

Es sei richtig, gegenüber Russland auf Stärke zu setzen, so Neitzel. „Abschreckung ist ein wichtiger Punkt. Aber zur Ehrlichkeit gehört dazu: Wir wissen nicht, ob es klappt.“ Weiter auf das Prinzip Hoffnung zu setzen und sich nicht auf eine etwaige Konfrontation vorzubereiten, sei aber auch keine Option, „Ich kenne kein Beispiel in der Geschichte, wo militärische Schwäche eine Revisionsmacht je gestoppt hätte“, sagt der Militärhistoriker aus Potsdam.

von Timo Kather

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