Luftwaffe
Planung einer Großübung

Air Defender 2023 – Jahre der Vorbereitung, um 200 Flugzeuge in die Luft zu bekommen

Air Defender 2023 – Jahre der Vorbereitung, um 200 Flugzeuge in die Luft zu bekommen

Datum:
Ort:
Deutschland
Lesedauer:
7 MIN

Air Defender 23 ist die größte Live Flying Exercise der Bundeswehr seit über 40 Jahren. Im Juni trainieren mehr als 200 Luftfahrzeuge aus der ganzen Welt in Lufträumen über Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik komplexe Szenarien. Der Zeitansatz: Etwa zwei Wochen. Die Vorbereitungszeit für diese Luftkriegsübung: Vier Jahre. 

Zwei Tornados und zwei Eurofighter sind auf einem Flugplatz während der Übung Baltic Hunter.

Die Waffenschule der Luftwaffe nutzt regelmäßig die Übung Baltic Hunter zur Ausbildung ihrer Studenten. An der Übung nehmen, wie auch bei Air Defender, Eurofighter und Tornado-Kampfjets teil.

Bundeswehr/Michael Kötz

Großübung als Zertifizierung

Deutschland hat sich 2018 bereit erklärt, als Rahmennation für eine Multinational Air Group (MAG) gemeinsam mit NATO-Partnern einsatzbereite fliegende Großverbände aufzustellen. Dabei war eine der Vorgaben, eine erste operationelle Einsatzbereitschaft im Jahr 2023 nachzuweisen. Dies sollte anhand einer Großübung, der MAG-Exercise (MAGEX), geschehen. So entstand der erste Grundgedanke für eine größere fliegerische Übung für das Jahr 2023. 

Mehrere kleinere Übungen, die MAGDAYS, sollten auf dem Weg zur Großübung als Meilensteine umgesetzt werden. Diese wurden ab 2018 jährlich vom Luftwaffentruppenkommando in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Luftoperationen organisiert.

Die ersten Planungen

2019 begannen im Übungsdezernat im Luftwaffentruppenkommando die ersten Überlegungen und Planungen für die Großübung. Die Planer dort erstellten ein Übungskonzept für die MAGEX mit einem Einsatz von bis zu 50 Luftfahrzeugen. Erste Übungsluftraummodelle wurden entwickelt und in den MAGDAYS getestet. Die fliegenden Verbände trainierten das Zusammenspiel mit einer Führungsorganisation, dem Joint Force Air Component Headquarters (JFACJoint Forces Air Component HQHeadquarters), das vom Zentrum für Luftoperationen in Kalkar gestellt wurde. Aus den Ergebnissen flossen wichtige Gedankenansätze in ein Konzept. Dieses Konzept MAGEX 2023 wurde 2020 dem Inspekteur Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, vorgelegt und gebilligt. 

Aus der MAGEX wird Air Defender

Darüber hinaus entwickelten sich in den Jahren im Bereich Konzeption des Kommando Luftwaffe neue Ideen für mögliche Großübungen. Diese waren von den MAG-Vorgaben völlig losgelöst und orientierten sich an der großen USUnited States-Übung Defender Europe 20: Dies war eine große Heeres- und Streitkräftebasis-Übung in Kooperation mit den USA. Die amerikanischen Streitkräfte übten, eine komplette Division nach Europa zu verlegen. 20.000 USUnited States-Soldatinnen und -Soldaten samt Material und Fahrzeugen wurden damals nach Europa transportiert. Im Bereich der Luftwaffe wurde schnell der Ruf nach ebenso einer Übung laut. Und so kam es dann auch: Innerhalb der Luftwaffenführung wurden die konkurrierenden Ansätze MAGEX und der neuere Ansatz, der Air Defender heißen sollte, vereint. Die USA stimmten dem Vorhaben der Luftwaffe zu. Aus der MAGEX wurde Air Defender. Erste Reaktionen der USA verhießen eine Teilnahme mit bis zu 100 Luftfahrzeugen. Es gab nach wie vor den gleichen Zeitansatz zur Übungsvorbereitung, aber von nun an unter einem neuen Namen. 

Das Konzept MAGEX 2023 wurde 2021 in die Übungsspezifikation Air Defender 2023 überführt. Im Dezember desselben Jahres übernahm der kommandierende General des Luftwaffentruppenkommandos, Generalleutnant Günter Katz, die Verantwortung für die Durchführung der Übung Air Defender 2023. Unter der Federführung des Luftwaffentruppenkommandos wurde die Übung nun weiter ausgeplant und organisiert. 

Ein A400M, ein Tornado und ein Eurofighter fliegen bei blauem Himmel gemeinsam in einer Formation.

Schon früher sind A400M, Tornado und Eurofighter geflogen. Bei Air Defender 2023 sind alle drei Flugzeugtypen beteiligt.

Bundeswehr/Stefan Petersen

Teilnehmer-Akquise

Etwa zwei Jahre vor der eigentlichen Übung stand ein entscheidender Part der Übungsvorbereitung bevor: Die Nationen wurden zu Air Defender eingeladen. Die Übung Air Defender wurde vorgestellt sowie Möglichkeiten und Chancen für die Nationen durch eine Teilnahme erläutert. Die Teilnehmernationen haben, wie wir selbst, Übungskalender für militärische Großvorhaben, die mehrere Jahre im Voraus durchgeplant sind. Um mit der Großübung Air Defender 2023 in diese hineinzukommen, bedurfte es dieser langen Vorlaufzeit. 

Wenn sich die Nationen für eine Teilnahme entscheiden, melden sie dem Planungsteam, mit wie vielen und welchen Luftfahrzeugen sie sich einbringen möchten und welche Wünsche sie für den Einsatz ihrer Luftfahrzeuge haben. So bekommt der Planer der Übung eine ungefähre Idee, mit welchem Gerät er rechnen kann und welche unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten die einzelnen Luftfahrzeugmuster haben. Daraus entwickeln sich beim Übungsplaner taktisch-operationelle Ideen und Schwerpunkte, die in den Übungslufträumen umgesetzt werden sollen.

Das erste internationale Zusammenkommen

Im Juli 2022, kurz vor Beginn der operativen Umsetzung, fand die erste große Planungskonferenz mit 220 Teilnehmern statt. Auf dieser Initial Planning Conference (IPC) waren Vertreter aller bis dato bestätigten Nationen. Die Planer der Luftwaffe haben erläutert, wie Air Defender wahrscheinlich durchgeführt werden soll und haben Möglichkeiten aufgezeigt, von wo aus die Teilnehmer innerhalb Deutschlands während der Übung agieren könnten – für den Fall, dass die Anflugwege in die Übungslufträume zu weit sind, um von ihrem Heimatflugplatz zu starten. 

Das erste Konstrukt für die geplanten Übungslufträume wurde vorgestellt und weiter ausgebaut. Der Bereich ITInformationstechnik hat Anbindungsmöglichkeiten für alle Teilnehmer aufgezeigt, die Sanitäter haben Daten gesammelt, um ein erstes Konzept der medizinischen Versorgung zu erarbeiten. Der Bereich militärische Sicherheit hat sich um Bewachungskonzepte gekümmert. Das Presse- und Informationszentrum der Luftwaffe hat eine erste Pressestrategie vorgestellt. Alle deutschen Verbände waren anwesend und haben ihre Möglichkeiten und Forderungen an die Übung vorgebracht. So entstand ein erstes Gesamtbild zur Übung: Wer von den Nationen verlegt mit wieviel Personal und Material wohin? Wer nimmt vom Heimatstandort aus teil? In welchen Lufträumen werden Schwerpunkte gebildet? Wie wird alles zu einem ITInformationstechnik-Netzwerk verbunden? Für all die Fragen gab es nun erste Antworten.

In der Zwischenzeit begann die erneute Invasion der Ukraine durch Russland. Dies änderte den Blickwinkel auf die Sicherheitspolitik in Europa: Air Defender kam nun eine noch tragendere Rolle als weithin sichtbares Zeichen der Stärke der NATO und insbesondere des transatlantischen Bündnisses unter deutscher Führung zu.

Die Planungen werden umgesetzt

In der operativen Phase wurde das Zentrum Luftoperationen zur Vorbereitung von Air Defender 2023 hinzugezogen. Dieses war von nun an zuständig für die finale Durchführungsphase der Übung. Von dort werden die Einsatzbefehle für die Missionen, die sogenannten Air Task Orders, während der Kernübungszeit kommen. Ab der IPC haben die Planer im Zentrum Luftoperationen damit begonnen, das Herzstück für diese Live Flying Exercise zu erstellen: den Master Air Operations Plan. Jedes einzelne Luftfahrzeug wird in diesem Plan täglich einzelnen verbundenen Luftoperationen zugeordnet. Daraus entsteht der Flugbetrieb für die Übung. Dieser Plan wird bis zum Beginn der Übung ständig weiter ausgeplant. Daraus entstehen während Air Defender die einzelnen Air Task Orders, ohne die kein Flugzeug in die Luft gehen würde. 

Nach der IPC gab es die ersten Site Surveys: Die Teilnehmernationen besuchten die deutschen Hauptstandorte von Air Defender und haben vor allem die Infrastruktur geprüft. Stellplätze für die eigenen Luftfahrzeuge, Arbeitsmöglichkeiten für die Crews, ITInformationstechnik-Schnittstellen, Büros, Unterkünfte, Küchen, medizinische Versorgung – alles muss passen. Denn jede Nation beteiligt sich mit unterschiedlichen Typen an Luftfahrzeugen, die dementsprechend unterschiedliche Anforderungen an Wartung, Versorgung und Inbetriebnahme haben. Die Nationen erstellen Bedarfslisten anhand der Gegebenheiten vor Ort. Diese müssen von Deutschland als Gastgebernation erfüllt werden. Was jetzt fehlt, muss entweder beschafft werden oder der Verlegeplan wird angepasst.

Learjets der GFD, Tornados und Eurofighter parken auf einem Flugplatz in der Wüste in Nevada.

Learjets der GFD (Gesellschaft für Flugzieldarstellung), Tornado vom Taktischen Luftwaffengeschader 51 "Immelmann" und Eurofighter vom Taktischen Luftwaffengeschwader 74 stehen einsatzbereit auf dem Flugplatz während der Übung Dynamic Duo

Bundeswehr/Jane Schmidt

Abstimmung der Lufträume

Im Dezember 2022 folgte die Main Planning Conference (MPC), nun schon mit 450 Teilnehmern. Dort entschied man über die finalen Übungsteilnehmer und teilte die Luftfahrzeuge auf unterschiedliche Lufträume auf. Die Übungslufträume hat die Luftwaffe während der vergangenen zwei Jahre permanent mit der Deutschen Flugsicherung (DFS) abgestimmt. In Deutschland hat kommerzieller Flugbetrieb Vorrang vor militärischem Übungsflugbetrieb. Da zu Air Defender mehr als 200 Luftfahrzeuge erwartet werden, muss im Vorfeld festgelegt sein, zu welchen Zeiten welche Lufträume für die zivile Luftfahrt gesperrt sind. 

Nachdem nun alle Teilnehmer feststehen und eingeplant sind, kommen noch weitere Teilnehmernationen dazu. In diesem Fall zuerst Großbritannien, Finnland, Japan und Schweden. Die Planer und Konzeptionisten der Übung stellt dies vor eine Herausforderung, denn zu diesem Zeitpunkt stehen die meisten Dinge schon fest. In die bestehenden Planungen müssen nun zusätzliche Übungsteilnehmer integriert werden. Erst wenn diese Integration geschafft ist, wird der finale Master Air Operation Plan erstellt. An diesem Punkt ist die Übung Air Defender im April 2023.

Die letzten Vorbereitungen

Im April folgt die Final Coordination Conference (FCC). Zu dieser werden, wie schon bei der MPC, mehr als 400 Teilnehmer erwartet. Die Teilnehmernationen erfahren dabei die genauen Abläufe der Übung und Szenarien. Danach ist der Kernübungszeitraum nicht mehr weit entfernt. Bevor es aber losgeht, gibt es eine Communication Exercise, in der alle wichtigen Kommunikationskanäle auf NATO Secret Level und unter Belastung getestet werden, die während Air Defender genutzt werden. 

Im Mai beginnen die ersten Nationen damit, ihre Luftfahrzeuge und Einheiten nach Deutschland zu verlegen. Das Zentrum Luftoperationen wird das JFACJoint Forces Air Component hochfahren. In Schleswig wird währenddessen der Hauptgefechtsstand aufgebaut und die Infrastruktur für die Übung finalisiert. Eine Woche vor Übungsbeginn im Juni wird es Briefings geben, die die Teilnehmer mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut machen sollen. 

Und dann ist es soweit: Vier Jahre Planung und Vorbereitung münden in zwei Wochen andauernden, harten und intensiven Flugbetrieb mit geplanten 1.800 einzelnen taktischen Flugbewegungen.

von Stephan Prietzel
Übung

Air Defender 23

Multinationale Luftoperationsübung in Europa

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