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Modernisierung

Radarmodernisierung: Zwei Fliegen mit einer Klappe

Radarmodernisierung: Zwei Fliegen mit einer Klappe

Datum:
Ort:
Rostock
Lesedauer:
3 MIN

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Die Bundeswehr hat eine wichtige Entscheidung zur NATONorth Atlantic Treaty Organization-Raketenabwehr getroffen. Die Fregatten der Sachsen-Klasse werden damit zu einem Baustein des komplexen seegestützten Systems zum Schutz Europas vor Massenvernichtungswaffen – und sie erweitern ihre Sicht nach oben.

Ein graues Kriegsschiff befindet sich bei gutem Wetter in See.

Die Fregatte „Hamburg“ in See. Gut sichtbar auf den hinteren Aufbauten: die großflächige Antenne des SMART-L-Radars

Bundeswehr

Die „Sachsen“ steht vor ihrer nächsten Modernisierung. Die Fregatte ist seit 2004 in der Deutschen Marine im Dienst und soll eine neue Radaranlage erhalten; für ihre Schwesterschiffe „Hamburg“ und „Hessen“ sieht es nicht anders aus. Diese Gelegenheit wird die Deutsche Marine nutzen, um nicht nur die Fähigkeiten der Schiffe der Klasse F124 auf den letzten Stand der Technik zu bringen, sondern gleichzeitig zugunsten des NATONorth Atlantic Treaty Organization-weiten Projekts Raketenabwehr zu erweitern.

„Damit erfüllt die Bundeswehr eine wesentliche Erwartung des Bündnisses“, erklärt Fregattenkapitän Andreas Uhl, Dezernent in der Planungsabteilung des Marinekommandos in Rostock. Seit 2010 baut die NATONorth Atlantic Treaty Organization ein komplexes System zur Abwehr von Mittel- und Langstreckenraketen auf, „Ballistic Missile Defence“ genannt, das die Allianz und ihre Bevölkerungen gegen immer weiter verbreitete Raketen mit Massenvernichtungswaffen schützen soll.

Die Marine wird künftig also dieses Anti-Raketen-System der NATONorth Atlantic Treaty Organization um ein seegestütztes Radar ergänzen. Die Grundlage dafür: Am 1. Dezember 2016 hat General Volker Wieker, Generalinspekteur der Bundeswehr, unter den Lösungsmöglichkeiten im Projekt „Obsoleszenzbeseitigung und Fähigkeitserweiterung in der Luftverteidigung Fregatte 124“ entschieden.

Die drei Fregatten der Sachsen-Klasse besitzen seit ihrer Indienststellung das Luftraumüberwachungsradar SMART-L des Herstellers Thales Nederland. Dessen Reichweite von rund 400 Kilometern deckt zum Beispiel weit mehr als die gesamte deutsche Küste von Emden bis Usedom ab. Das System aber wird ab circa 2020 veraltet, fachlich korrekt „obsolet“, werden: Die niederländische Marine, die auch das SMART-L nutzt, wird dann ihre vier damit ausgestatteten Schiffe auf eine neuere Variante umrüsten. Dänemark überlegt, für die drei ebenfalls mit SMART-L ausgerüsteten, modernsten Fregatten seiner Marine gleiches zu tun. Daraus wird für die Deutsche Marine absehbar ein technisch-logistischer Engpass entstehen.

„Sachsen“, „Hamburg“ und „Hessen“ blicken bald bis in den Weltraum

Um dem vorzubeugen – und zugleich den NATONorth Atlantic Treaty Organization-Auftrag Raketenabwehr zu erfüllen – hat die Bundeswehr beschlossen, das Weitbereichsradar der Sachsen-Klasse nicht nur zu modernisieren, sondern zugleich sein Einsatzspektrum zu vergrößern: Es soll nicht mehr nur wörtlich im Luftraum um sich herum angreifende Flugzeuge und Raketen entdecken und verfolgen, sondern künftig auch vor ballistischen Flugkörpern außerhalb der Atmosphäre, also im Weltraum, warnen können.

Integrierter Planungsprozess und Rüstungsprozess der Bundeswehr sehen jetzt vor, eine Leistungsbeschreibung zu erstellen, die wiederum potentiellen Herstellerfirmen marktverfügbarer Technologien ein Angebot ermöglicht. „Jetzt schließen sich Produktauswahl, Vertragsgestaltung und Umsetzung an. Ab 2021 könnte dann das neue Radar auf den deutschen Fregatten eingerüstet werden“, schätzt Fregattenkapitän Uhl die jetzt folgenden Schritte ab.

Mit dieser neuen Fähigkeit werden die „Sachsen“, „Hamburg“ und „Hessen“ in der Lage sein, Raketen zu lokalisieren, die das NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gebiet angreifen, und an die Raketenabwehr-Zentrale der NATONorth Atlantic Treaty Organization in Ramstein zu melden. Selbst abschießen können die Schiffe diese Flugkörper auf ihrer Flugbahn nicht. Die Zentrale entscheidet, welche andere NATONorth Atlantic Treaty Organization-Einheit dafür ihre Abwehrraketen starten soll.

Ein neuer deutscher Beitrag für die europäische NATONorth Atlantic Treaty Organization

Noch übernehmen diese Rolle vor allem USUnited States-Zerstörer; ab etwa 2025 könnten das auch belgische Schiffe. Das Land ist Ende Oktober einer Raketenabwehr-Projektgruppe der NATONorth Atlantic Treaty Organization beigetreten, zu der bislang Deutschland, Dänemark und die Niederlande gehörten. Zugleich hat es sich verpflichtet, in die Gruppe die Fähigkeit zur aktiven Abwehr einzubringen – neben den reinen Sensoren auf niederländischen, dänischen und bald auch deutschen Schiffen. Die belgische Seestreitmacht kooperiert ohnehin sehr eng mit der Königlich-Niederländischen Marine und baut gemeinsam mit ihr neue Fregatten, die dann mit weitreichenden Abfangraketen, „exo-atmospheric interceptors“, ausgerüstet werden.

Arbeitsschwerpunkt dieser Projektgruppe, seit Mai 2015 unter deutscher Führung, war bislang die Frühwarnung für die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Luftverteidigung mit der sogenannten Zielvoreinweisung für amerikanische Abfangraketen. Das Leistungsspektrum der europäischen Bündnispartner wird sich mit dem neuen deutschen und dem neuen belgischen Beitrag deutlich erweitern – und die Verteidigung der NATONorth Atlantic Treaty Organization als Ganzes wesentlich stärken.

von Marcus Mohr  E-Mail schreiben

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Hintergrund: „Ballistic Missile Defence“ gegen Massenvernichtungswaffen

Eine Europakarte.

Die Architektur der ballistischen Raketenabwehr der NATONorth Atlantic Treaty Organization, Stand: 2019. Zum seegestützten Radar („sea based radar“) werden in einigen Jahren die Fregatten der Sachsen-Klasse gehören

NATO

Experten warnen schon länger vor der globalen Verbreitung von Langstreckenraketen. Schätzungen zufolge besitzen inzwischen bereits mehr als 30 Staaten weltweit die Technologie, Flugkörper mit Reichweiten von 1.000 Kilometer und mehr zu bauen – also von der sogenannten Mittelstrecken- bis zur Interkontinentalrakete. Solche Raketen folgen nach ihrem Abfeuern einer ballistischen Flugbahn, das heißt, sie verlassen für einen Teil der Strecke zu ihrem Ziel die Erdatmosphäre in einem hohen Bogen, bevor sie einschlagen.

Eine besonders große Gefahr sind diese Flugkörper deshalb, weil sie potentiell mit Massenvernichtungswaffen bestückt werden können. Wenn ihre „Nutzlast“ nukleare, biologische oder chemische Waffen sind, dann bedrohen sie nicht nur punktuelle militärische Ziele wie zum Beispiel die Start- und Landebahn eines Flugplatzes, sondern den ganzen Flugplatz und alle Einwohner in seiner Nachbarschaft.

Unter anderen Alexander Vershbow, Stellvertretender NATONorth Atlantic Treaty Organization-Generalsekretär, beschrieb die militärischen Gegenmaßnahmen des Atlantikbündnisses auf einer internationalen Konferenz im Mai als rein defensiv: „Unsere ballistische Raketenabwehr ist dafür gedacht, unser Territorium, unsere Bevölkerungen und unsere Truppen gegen eine Spannbreite von Bedrohungen zu verteidigen, die von außerhalb des europäisch-atlantischen Gebiets stammen.“

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