Tradition

Kasernen der Bundeswehr: Warum ihre Namen traditionsstiftend für die Truppe sind

Kasernen der Bundeswehr: Warum ihre Namen traditionsstiftend für die Truppe sind

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
6 MIN

Kasernen tragen Namen, die das Traditionsverständnis der Bundeswehr widerspiegeln. Das stärkt Zusammenhalt und Identitätsgefühl der Bundeswehrangehörigen. Der Traditionserlass von 2018 gibt vor, nach welchen Kriterien Namen zu vergeben sind. Wenn Kasernennamen nicht mehr dem Traditionsgut der Truppe entsprechen, wird umbenannt.

Zwei Soldaten stehen neben einem Schild, welches vor einem Kasernengebäude steht

Traditionspflege der Bundeswehr: Sie gründet auf den Werten und Normen des Grundgesetzes und des Leitbildes des mündigen Staatsbürgers in Uniform. Die ehemalige Marseille-Kaserne in Appen trägt seit 2021 den Namen Jürgen-Schumann-Kaserne.

Bundeswehr/Jane Schmidt

Kasernennamen der Bundeswehr sind Teil der Traditionspflege. Als „Kern ihrer Erinnerungskultur“ und „bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in gewachsenen Ausdrucksformen“ spiegelt Tradition das „werteorientierte Selbstverständnis der Bundeswehr“ wider – so ist es im Traditionserlass nachzulesen.

Kasernennamen kommen „von unten“

Doch wer bestimmt, wie eine Kaserne heißen soll? Das Namensgebungsverfahren von Kasernen schreibt die Allgemeine Regelung A-2650/2 der Streitkräfte vor. Sie legt fest, dass die Truppe, die in der jeweiligen Kaserne liegt, über den Namen entscheidet – also laut Oberst Dr. Sven Lange, Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr), eine Namensgebung „von unten“. Tradition solle gelebt werden, darum überlasse man es der Truppe, selbst einen Namen auszusuchen. 

Auch die jeweilige Kommune, in der die Kaserne ihren Standort habe, werde bei der Namensfindung miteinbezogen. Doch bevor die Liegenschaft den Wunschnamen der dort stationierten Dienststellenangehörigen erhält, bittet das Bundesministerium der Verteidigung zunächst das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr um fachliche Expertise.

Zur Überprüfung von Namensvorschlägen und -umbenennungen von Liegenschaften gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Potsdam dann Fragen wie diesen nach: Wer verbirgt sich hinter dem Namen, der vielleicht nur in der Region, aber nicht überregional bekannt ist? Wie hat sich diese Person durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht? Das vom ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr erstellte Gutachten geht der Leitung des Organisationsbereiches zu, aus dem der Namensvorschlag kam, bevor dieser „zur finalen Genehmigung dem Verteidigungsminister auf den Tisch gelegt wird“. 

„Tradition füllt die Weitergabe von Werten“

Kasernennamen haben laut Lange eine herausragende Bedeutung, weil Namen einen starken persönlichen Bezug und Identifizierung ermöglichen. Das stärkt den Zusammenhalt in der Truppe. Dabei sei die Namensgebung von unten aus der Truppe gleichzeitig ein wichtiger Teil der Traditionspflege, so Lange. Es gehe dabei jedoch nicht darum, „kalte Asche zu bewahren, sondern die Glut“ weiterzugeben.

Am Beispiel der 2018 in Tobias-Lagenstein-Kaserne umbenannten, ehemaligen Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover – ursprünglich benannt nach einem preußischen General und der Schlacht von Cambrai im Ersten Weltkrieg – zeigt sich der stetige Wandel der Bedeutung von Tradition in der Bundeswehr laut Lange so: Man müsse sich fragen, was junge Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr heute mit Namen aus den Weltkriegen verbinden würden: „Sind diese Namen für uns unverändert traditionsstiftend?“

Oberst Dr. Sven Lange, Kommandeur ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Wir machen Geschichte, indem wir aus unserer Gegenwart heraus Fragen an die Vergangenheit richten. Wichtig ist daher: Ist eine Tradition für unsere Gegenwart und Zukunft wichtig?

Der Namensgeber der Tobias-Lagenstein-Kaserne dagegen ist mit der Gegenwart der Streitkräfte unmittelbar verbunden: Erstmals wurde eine Kaserne nach einem im Einsatz ums Leben gekommenen Soldaten der Bundeswehr benannt. Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein war im Rahmen der ISAFInternational Security Assistance Force-Mission in Afghanistan als Personenschützer im Einsatz und verlor am 28. Mai 2011 bei einem Sprengstoffanschlag sein Leben. 

Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zeichnete am 28. März 2018 im Rahmen der Feierlichkeiten der Kasernenumbenennung den aktuellen Traditionserlass, der an den bisherigen Erlass aus 1982 anknüpft. Die Auslandseinsätze mit Gefallenen wie Lagenstein haben die Bundeswehr laut Lange stark geprägt. Daher sei es „nur natürlich“, wenn die Bundeswehr auch aus ihren Einsätzen Namen für Liegenschaften verwende.

„Es ist wichtig, dass wir unsere eigene Tradition schaffen, stiften und erhalten und an die Menschen erinnern, die im Rahmen ihrer Auftragserfüllung zu Tode gekommen sind“, bestätigt Stabsfeldwebel Michael Eichstaedt, Einsatzveteran und Besucherführer im Wald der Erinnerung in Potsdam-Schwielowsee. Ein guter und einfacher Weg dafür sei es, Kasernen der Bundeswehr umzubenennen und dies auch im zivilen Bereich auf eine Benennung öffentlicher Straßen und Plätze nach im Einsatz ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen auszuweiten. 

Das habe nichts mit Glorifizierung oder Heroisierung zu tun, sondern sei wichtig, damit die Toten nicht in Vergessenheit gerieten. Die Truppe brauche das „zur Identifizierung und Sensibilisierung“ insbesondere mit Blick auf das Berufsrisiko von Soldatinnen und Soldaten. 

Eine Mauer in einer Kaserne, an der ein Namensschild von der Kaserne hängt

Erinnern: Mit der 2018 in Tobias-Lagenstein-Kaserne umbenannten Stabsdienst- und Feldjägerschule in Hannover ist erstmals eine Liegenschaft der Bundeswehr nach einem im Auslandseinsatz ums Leben gekommenen Soldaten der Bundeswehr benannt worden

Bundeswehr/Kai-Axel Döpke
Mehrere Personen stehen links und rechts neben einem Schild mit der Aufschrift „Von-Düring-Kaserne".

Kämpfte in den Freiheitskriegen: Johann Christian von Düring. Erst nach dem Wehrmachtpiloten Helmut Lent benannt, heißt die Kaserne in Rotenburg seit 2020 „Von-Düring-Kaserne“. Ein Fliegername für einen Heeresverband ist nicht traditionsstiftend.

Bundeswehr/Rainer Stolze

Traditionserlass schließt Wehrmacht und NVANationale Volksarmee aus

Laut Lange rückt der neue Traditionserlass zwei Dinge in den Vordergrund: erstens die Geschichte der Bundeswehr, die bei der Traditionspflege im Zentrum stehen soll, und zweitens zwei klare Ausschlüsse: die Wehrmacht und die Nationale Volksarmee (NVANationale Volksarmee). Denn die Bundeswehr „pflegt keine Tradition von Personen, Truppenverbänden und militärischen Institutionen der deutschen Geschichte, die nach heutigem Verständnis verbrecherisch, rassistisch oder menschenverachtend gehandelt haben“ – so steht es im Erlass.

Deshalb musste auch für die ehemalige Marseille-Kaserne in Appen ein neuer Name her: Ihr Namensgeber galt als nicht mehr mit den Richtlinien des Traditionserlasses vereinbar. Ursprünglich 1975 nach Hauptmann Hans-Joachim Marseille benannt, einem deutschen Jagdflieger und Offizier im Zweiten Weltkrieg, wurde die Heimat der Unteroffizierschule der Luftwaffe 2021 in Jürgen-Schumann-Kaserne umbenannt. 

Jürgen Schumann, Pilot der am 13. Oktober 1977 entführten Lufthansa-Maschine Landshut und Ex-Offizier der Luftwaffe der Bundeswehr, hatte sich mutig vor Besatzung und Passagiere gestellt. Die Entführer ermordeten ihn.

Einzelpersonen dennoch traditionswürdig

Einzelpersonen können laut Lange in Ausnahmefällen als traditionswürdig gelten, obwohl sie in der Wehrmacht dienten, „wenn deren individuelle Leistung sinnstiftend für die Bundeswehr ist“. Obwohl Marseille ein erfolgreicher Jagdflieger gewesen sei, zähle er jedoch nicht zu diesem Personenkreis. Denn seine militärische Exzellenz sei nicht mit einem Wert zu verbinden, „weil er seine Leistungen für ein verbrecherisches Regime erbracht hat“, erklärt der Militärhistoriker. Militärische Exzellenz allein reiche gemäß neuem Traditionserlass nicht aus.

Anders ist das bei einem nach wie vor bedeutungsvollen Namen, den zwei Kasernen in Augustdorf und Dornstadt tragen: Erwin Rommel. Generalfeldmarschall Rommel sei ein gutes Beispiel dafür, dass einzelne Persönlichkeiten durchaus zum Traditionsgut der Bundeswehr zählten, obwohl sie in der Wehrmacht gedient hätten, betont Dr. Peter Lieb, Fachreferent für Militärgeschichte und Tradition am Berliner Sitz des Verteidigungsministeriums. Denn Rommel habe bewusst verbrecherische Befehle wie den Kommandobefehl nicht befolgt und sei am Ende aufgrund seiner Verstrickungen mit dem militärischen Widerstand sowie den dadurch erzwungenen Selbstmord selbst Opfer des NSNationalsozialismus-Regimes geworden.

Namen brauchen Wertebezug

Lieb fasst den Namensfindungsprozess und mögliche  -umbenennungen von Kasernen so zusammen: „Wir schreiten im Ministerium nur ein, wenn der Name nicht mit den Traditionsrichtlinien vereinbar ist.“ 

Denkbar ist laut Lange auch, dass eine Person durch einen Archivfund oder eine neue Quellenlage plötzlich in einem anderen Licht erscheine. Dann könne es zu Umbenennungen von Liegenschaften kommen, auch wenn schon seit Jahrzehnten ihren Namen trügen – der Wertebezug sei entscheidend, unerheblich davon, wie lange der Name schon genutzt werde. „Wenn neue Forschungsergebnisse vorliegen, muss man auch den Mut haben, zu einer neuen Bewertung zu kommen.“

Verstorbene Persönlichkeiten als Vorbilder

Der Name einer Kaserne diene der Selbstidentifikation und dem eigenen Ansporn – besonders, wenn es sich um eine verstorbene Persönlichkeit handele. „Eine Person kann ein viel stärkeres Vorbild setzen als eine Sache.“ Es müsse sich dabei um keine völlig untadelige Person handeln, sondern es komme darauf an, eine Person zu finden, deren „Einzeltat oder gesamtes Wirken vorbildlich in die Gegenwart wirkt“, so Lange. In Ausnahmefällen jedoch erlaubt die Vorschrift, dass Kasernen „auch nach regionalen oder lokalen Bezügen, nach Truppengattungen oder nach Institutionen und historischen Ereignissen“ benannt werden dürfen.

Mehrere Personen ziehen eine Deutschlandflagge von einem Schild, auf dem ein Name steht

Feierlich enthüllt: Im Juni 2022 erhielt die Ostmark-Kaserne in Weiden ihren neuen Namen. Sie wurde in Major-Radloff- Kaserne umbenannt. Jörn Radloff kam am 15. April 2010 bei einem Anschlag in Afghanistan ums Leben.

Bundeswehr/Mario Hönig

Namen der eigenen Geschichte als Sinnbild

Lange schätzt, dass es noch bis zu 40 Kasernen in der Bundeswehr gibt, die nach Wehrmachtsangehörigen benannt sind, vor allem aus dem militärischen Widerstand. Mit Blick auf die Namen künftiger Kasernen prophezeit er: „In 30, 40 Jahren werden wir andere Namen haben.“ Namen aus der eigenen Geschichte wie der des gefallenen Tobias Lagenstein seien dafür sinnbildhaft: „Das Traditionsgut der Bundeswehr ist nicht statisch.“

3 Fragen an Oberst Dr. Sven Lange,

Kommandeur ZMSBw

Eine Portaitaufnahme von Oberst Dr. Sven Lange
Bundeswehr/Steve Eibe

Inwieweit hat der Traditionserlass von 2018 Auswirkungen auf die Namensgebung von Kasernen?

Eine Portaitaufnahme von Oberst Dr. Sven Lange

In zweierlei Hinsicht: Erstens ist die bundeswehreigene Geschichte ins Zentrum der Traditionspflege gerückt. Das bedeutet, dass mehr Kasernen nach mehr Bundeswehrangehörigen benannt werden sollen. Zweitens: Da der Traditionserlass von 2018 dezidiert die Wehrmacht und NVANationale Volksarmee als militärische Organisationen ausschließt, sind bei der Namensgebung hohe Ansprüche an deren Angehörige zu stellen. Das führte dazu, dass eine Handvoll Kasernen umbenannt wurde – so zum Beispiel die Jürgen-Schumann-Kaserne in Appen. In diesem Einzelfall hatte das Bundesministerium der Verteidigung angewiesen, die Kaserne umzubenennen. Aber die Wahl des Namens Schumann kam von der Truppe und wurde nicht vorgegeben.

Haben vor diesem Hintergrund die Grundsätze der Inneren Führung und ihr Leitbild des mündigen Staatsbürgers in Uniform eine andere Bedeutung bekommen?

Eine Portaitaufnahme von Oberst Dr. Sven Lange

Eine andere Bedeutung nicht. Aber dass die Truppe den Namen ihrer Kaserne selbst aussucht, ist ein gutes Beispiel dafür, wie Innere Führung gelebt wird. Der Traditionserlass ist eine Anlage der A-2600/1 „Innere Führung“ und ist im Verbund mit ihr, mit unserer Führungsphilosophie, zu sehen. Traditionspflege ist ein Gestaltungsfeld der Inneren Führung.

Die Tradition der Bundeswehr ist der „Kern ihrer Erinnerungskultur“ und die „bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in gewachsenen Ausdrucksformen“. Was bedeutet das mit Blick auf eine mögliche Umbenennung weiterer Traditionskasernen?

Eine Portaitaufnahme von Oberst Dr. Sven Lange

Die Bundeswehr ist keine statische Organisation. Ihr Auftrag verändert sich, von der Landes- und Bündnisverteidigung im Kalten Krieg, zu Auslandseinsätzen „out of area“ bis hin zur aktuellen Renaissance der Landes- und Bündnisverteidigung: Damit verändern sich auch die Anforderungen an unsere Tradition – etwa mit Blick auf die Auslandseinsätze, die die Bundeswehr in den vergangenen Jahren stark geprägt haben.

Das Kämpfen im Einsatz erhöht den Bedarf an eine Tradition für den Kampf – das war im Kalten Krieg noch nicht so. Für das scharfe Ende unseres Berufes benötigen wir auch Vorbilder für das Bestehen im Gefecht. Einen Kampf durchstehen können – das ist es, was der Generalinspekteur mit Kriegstüchtigkeit beschreibt. Welches Traditionsgut aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr letztlich erwächst, das sehen wir erst mit einiger Verzögerung. Wir benötigen aber auch Vorbilder für das treue Dienen im Friedensdienst. Auch aus der Bundeswehr im Kalten Krieg ist daher Vieles traditionswürdig. Entscheidend bleibt: Tradition ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Hat diese Vergangenheit Bedeutung für uns heute, dann ist es egal, wie lange diese Vergangenheit zurückliegt.

von Evelyn Schönsee

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