Marineschifffahrtleitung informiert zivile Schifffahrt über BALTOPSBaltic Operations
Marineschifffahrtleitung informiert zivile Schifffahrt über BALTOPSBaltic Operations
- Datum:
- Ort:
- Hamburg
- Lesedauer:
- 5 MIN
Bei der Großübung BALTOPSBaltic Operations vermitteln Experten der Marineschifffahrtleitung zwischen den am Manöver beteiligten Seestreitkräften und der zivilen Schifffahrt. Oberleutnant zur See Markus S. ist einer davon. Er erklärt, was genau die Schifffahrtleitung tut und warum der gängige Begriff „Schattenflotte“ in die Irre führen kann.
Welche Aufgaben hat die Marineschifffahrtleitung beim Großmanöver Baltic Operations?
Unser Personal nimmt in Deutschland die Aufgaben der Naval Cooperation and Guidance for Shipping, kurz NCAGSNaval Cooperation and Guidance for Shipping, wie die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bezeichnung lautet, wahr. Wir haben unsere Expertise bei der Beratung ziviler Schiffe eingebracht, die das Übungsgebiet von BALTOPSBaltic Operations durchfahren oder in unmittelbarer Nähe passieren. Zu diesem Zweck wurde in Kiel ein spezielles Team gebildet, ein Deployed NCAGSNaval Cooperation and Guidance for Shipping Element, kurz DNE. Rund ein Dutzend Marinesoldaten und -soldatinnen gehören dazu. Ihre Hauptaufgabe ist, der zivilen Schifffahrt, also den Kapitänen an Bord, Briefings anzubieten und zu geben.
Wir sprechen zum einen im Hafen von Kiel regelmäßig verkehrende Fähren und Kreuzfahrtschiffe an. Zum anderen informieren wir Schiffe, die in die Ostsee einlaufen, auch in den Schleusen zum Nord-Ostsee-Kanal. Zusätzlich können wir dort auch Informationen von Schiffen erhalten, die den Kanal aus der Ostsee kommend befahren und gegebenenfalls Beobachtungen gemacht haben.
Wir klären darüber auf, wie lange das Manöver BALTOPSBaltic Operations dauert, wie viele Schiffe beteiligt sind und welche Seegebiete, vor allem in der Nähe der großen Schifffahrtsrouten, die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Marinen nutzen. Im Gegenzug sind wir offen für alle Hinweise, die wir von Handelsschiffen erhalten, angefangen bei Gefahren für die Schifffahrt allgemein wie Störungen des GPSGlobal Positioning System-Signals.
Mit welchen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partnern arbeiten Sie dabei zusammen und wie funktioniert diese Kooperation?
Neben der Deutschen Marine sind im DNE Kiel auch Kameradinnen und Kameraden aus Dänemark, Estland, Lettland und den USA vertreten. Untereinander wie auch mit den zivilen Schiffen sprechen wir problemlos auf Englisch. Grundlage für die funktionierende Kommunikation zwischen militärischen Partnern und mit zivilen Schiffen sind aber NATONorth Atlantic Treaty Organization-Standards.
Speziell mit Marinereservisten aus so unterschiedlichen Ländern kann man auf eine breite Expertise zurückgreifen. Aus ihren zivilen Berufen bringen sie Fachwissen und Kontakte mit. Und gemeinsam kennen wir praktisch die gesamte Ostsee sehr gut. Dieses Netzwerk ist für viele von uns in den letzten Jahren sowas wie eine Familie geworden. So können wir das Übungsgeschehen auch von unserer fachlichen Seite her ideal begleiten, unabhängig davon, wo es geografisch aktuell stattfindet.
Sie müssen einerseits einem fiktiven Übungsszenario folgen, andererseits immer ein Auge auf das reale Geschehen haben. Und im „real life“ in der Ostsee haben jüngst die russische Schattenflotte und Beschädigungen von Pipelines, Daten- und Stromkabeln Schlagzeilen gemacht. Spielen diese aktuellen Bedrohungen auch während BALTOPSBaltic Operations eine Rolle?
Die zivile Schifffahrt ist natürlich in erster Linie daran interessiert, inwieweit das fiktive Manövergeschehen das reale Geschehen beeinflusst. Daher müssen wir bei der Beratung zum einen Übungskünstlichkeiten berücksichtigen, zum anderen aber auch zwischen Übung und Realität unterscheiden. Wir erklären zum Beispiel nicht die fiktiven Lagen, unter anderem weil das zu Missverständnissen führen könnte.
Für uns ist wichtig, nur die für die zivile Schifffahrt relevanten Informationen zu vermitteln. Handelsschiffe möchten gerne wissen, wo und wann genau Marinemanöver in internationalen Gewässern stattfinden, nicht aber was die Marineschiffe im Einzelnen üben. Das Interesse an Informationen ist dieses Jahr natürlich besonders groß.
Zusätzlich beeinflusst die Übung auch die Realität. Wir gehen davon aus, dass Drittstaaten als Reaktion auf die Anwesenheit der vielen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Schiffe zum Beispiel elektronische Navigationshilfen stören oder das NATONorth Atlantic Treaty Organization-Manöver als maritimes Sicherheitsrisiko darstellen. Und das können nicht nur Falschinformationen sein, sondern auch Schikanen: dass etwa Häfen wegen angeblicher Bedrohung ihre Sicherheitsstufen erhöhen und der Umschlag für alle länger dauert. Schuld daran wäre die NATONorth Atlantic Treaty Organization. Das führt zu einer zunehmend komplexen Vermengung zwischen Übung und Realität, in der wir den Überblick behalten müssen.
Mit Blick auf den Schutz kritischer Infrastruktur beraten wir zivile Schiffe auch, wie verdächtiges Verhalten, das zur Beeinträchtigung der Anlagen führen könnte, erkennbar ist. Wir informieren auch, welche Ansprechpartner zur Verfügung stehen, denen sie so etwas melden könnten. Auf solches Verhalten speziell in der Region Ostsee zu achten, dazu hat das NATONorth Atlantic Treaty Organization Shipping Centre – unser Counterpart auf Bündnisebene – die zivile Schifffahrt ebenfalls bereits in den öffentlich verbreiteten Nachrichten für Seefahrer aufgefordert.
Der Aspekt verdächtiges Verhalten ist auch deshalb so wichtig, weil sehr unterschiedliche Schiffe kritische Infrastruktur in der Ostsee beschädigt haben. Wir müssen also eher eine Vielzahl von Einzelschiffen, sogenannte Vessels of interest, beobachten. Der häufig verwendete Begriff Schattenflotte lässt eine einheitliche Gruppe vermuten, und als Experten sehen wir das kritisch.
Was bedeutet denn dieser Fachbegriff Vessel of interest statt der Verallgemeinerung genauer?
Unter Vessel of interest versteht man Fahrzeuge in einem Seegebiet, die sich von der Masse aller Schiffe und Boote, die dort unterwegs sind, durch ein ungewöhnliches Verhalten abgrenzen. Das können zum Beispiel unklare Angaben des Bestimmungshafens eines Frachters sein, der unbewusste oder absichtliche Verlust des automatischen Schiffsidentifizierungssignals, außergewöhnliche Kurs- und Geschwindigkeitsänderungen in der Nähe kritischer Unterwasseranlagen. Eine Annäherung eines Tankers an ein anderes Fahrzeug unterhalb des üblichen Sicherheitsabstands kann auch auf einen Schiff-Schiff-Transfer hindeuten – wie in der Ostsee vor Kaliningrad oder im Ostchinesischen Meer.
Ein solches Verhalten muss dann weiter überprüft werden, da sich aus diesen Beobachtungen nicht direkt gesetzwidriges Handeln ableiten lässt. Es kann ja auch ein technischer Defekt vorliegen oder ein akutes Ausweichmanöver nötig gewesen sein. Es besteht also seitens der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Marinen grundsätzlich ein Interesse an weiterer Aufklärung einzelner Schiffe, nicht mehr aber auch nicht weniger. Daher rührt auch diese neutrale Bezeichnung. Eine gute Vernetzung mit der zivilen Schifffahrt hilft, schnell Informationen zu erhalten und die Zahl der Vessels of interest gering zu halten.
Wie ist denn das Feedback der zivilen Seefahrer auf Ihre Briefings?
Die sind dankbar für die Informationen. Das zeigt sich im aufgebauten Vertrauen und darin, dass wir von den Handelsschiffen viele Meldungen über lokales Jamming und Spoofing erhalten haben. Wenn die Navigationsanlagen eines Schiffes plötzlich anzeigen, dass es über Land und nur im Kreis fährt, ist das verdächtig – und eine echte Gefahr. Auch haben Kapitäne von Fehlinformationen, Fake News, über das Manöver berichtet.
Auch die russische Marine hat während BALTOPSBaltic Operations im größeren Rahmen in der Ostsee geübt. Gibt es einen solchen Austausch mit der zivilen Schifffahrt wie bei Ihnen auch auf dieser Gegenseite?
Meiner Kenntnis nach nicht. Aber wie international üblich nutzt auch die russische Marine Publikationen wie die Nachrichten für Seefahrer, ihre Großübungen offen anzukündigen. Unfälle wollen wir alle vermeiden wie auch einen reibungslosen Ablauf unserer Manöver ermöglichen.