Führung aus dem Cockpit – Warum Luftwaffen-Chefs fliegen müssen
Führung aus dem Cockpit – Warum Luftwaffen-Chefs fliegen müssen
- Datum:
- Ort:
- Laage
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Es ist 10:38 Uhr über der Ostsee, nahe der Insel Rügen. 26 Kampfjets und Transportflugzeuge der Luftwaffe formieren sich zu einem Verband und fliegen eine taktische Mission. An der nehmen auch der Inspekteur der Luftwaffe und die Kommodores aller fliegenden Geschwader teil. Sie führen von vorn – aus dem Cockpit.
Kommodores der fliegenden Verbände, ranghohe Offiziere und sogar der ein oder andere General sitzen in ihren jeweiligen Waffensystemen, um an der Seite ihres Inspekteurs zu fliegen. Denn militärische Führung bedeutet auch, mitten im Geschehen zu sein, die Herausforderungen hautnah zu erleben und gemeinsam die gesteckten Ziele zu erreichen. Wer selbst die Belastung einer Einsatzmission spürt, trifft Entscheidungen fundierter. So funktioniert Führungsverantwortung zwischen 250 und 40.000 Fuß Flughöhe.
Realistische Bedrohung – anspruchsvolles Szenario
Thema der Übung ist, den sogenannten Wirkverbund – das Zusammenspiel der verschiedenen Fähigkeiten jedes einzelnen Flugzeugtyps – maximal auszunutzen und gleichzeitig mögliche Schwächen im System aufzudecken. Darum ist das Szenario der Übung komplex und realitätsnah: Feindliche Kräfte rücken von der Ostseeküste ins Landesinnere vor, haben die Luftüberlegenheit übernommen und die Flugplätze Laage und Neubrandenburg besetzt. Ziel der Mission ist die Evakuierung von Zielpersonen aus beiden Orten.
Doch bevor Transportflugzeuge landen können, muss die Luftüberlegenheit zurückgewonnen und der Feind am Boden neutralisiert werden. Erst dann kann der eigentliche Rettungsauftrag beginnen – ein fein abgestimmter Ablauf, bei dem jeder Schritt auf den vorhergehenden aufbaut. Beispielsweise ist ein Anflug zur Aufnahme der Zielpersonen unmöglich, solange feindliche Bodentruppen die Flugplätze kontrollieren. Ebenso können Transportflugzeuge nicht landen, wenn der Landeplatz durch die simulierte Flugabwehr geschützt ist. Und die Bekämpfung dieser Flugabwehr durch Bomber wiederum setzt die vorherige Herstellung der Luftüberlegenheit voraus.
Insgesamt 26 Luftfahrzeuge – darunter Kampfjets von Typ Eurofighter und Tornado, Transportmaschinen der Typen A400M, CH-53 und C-130J, Tankflugzeuge und ein A321 der Flugbereitschaft – sowie über 150 Soldatinnen und Soldaten nehmen an der Mission teil. Alle fliegenden Führungskräfte der Luftwaffe bis zum Generalarzt sind beteiligt. Die Übung beginnt mit einem gemeinsamen Briefing in Laage. Dort werden letzte Informationen ausgetauscht, bevor die Maschinen in den Übungsraum starten – inklusive Luftbetankung, um die Operationsdauer zu verlängern.
Komplexität unter Echtzeitbedingungen
Besondere Herausforderung: Die Bedrohungslage ist dynamisch, die Führung hat nur einen Tag Zeit für die Planung der Mission. Jede beteiligte Einheit muss in Echtzeit wissen, ob die Voraussetzungen für den eigenen Beitrag erfüllt sind – etwa, ob der Flugplatz gesichert ist oder ob die Flugabwehr bereits ausgeschaltet wurde. Fehler einzelner können unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Mission haben. Anders als in herkömmlichen Übungen mit drillartigen Wiederholungen gibt es hier nur eine Chance – ein echtes Belastungsszenario für Personal, Technik und Verfahren.
Warum sind die Kommodores der fliegenden Verbände dabei? „Unser Inspekteur führt von vorne – auch fliegerisch – das ist das Führungsverständnis in der Luftwaffe, da sind wir als Kommodores Seite an Seite mit dabei“, betont Oberst Gerd Schnell, Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 73 „Steinhoff“. Es ist ein klares Zeichen: Führung heißt, dabei zu sein, nicht nur zu delegieren. Sie fliegen, weil sie wissen: Wer am Firmament bestehen will, muss tief in seinem Verband verankert sein.
Nach der Landung ist die Mission noch nicht beendet. Die Flugspuren aller Maschinen werden auf dem Bildschirm im Briefing-Raum analysiert, jede Entscheidung in Echtzeit nachvollzogen. Ziel: Schwächen erkennen, Abläufe optimieren – und beim nächsten Mal noch besser sein. Auch in dieser Phase wird deutlich: Diese Übung gilt als Hochwerttraining und dient der echten Weiterentwicklung der Luftwaffe.
Abschied von der Luftwaffe – Neuanfang bei der NATONorth Atlantic Treaty Organization
Die taktische Mission markiert nicht nur die „Last Mission“ von Generalleutnant Ingo Gerhartz als Inspekteur der Luftwaffe, sondern auch das Ende einer prägenden Ära. Unter seiner Führung hat die Luftwaffe tiefgreifende Modernisierungsprozesse durchlaufen. Unter anderem erhöhte sich die Einsatzbereitschaft der Eurofighterflotte von 30 auf 80 Prozent. Auch stellte Gerhartz die Luftwaffe mit den Hochwertübungen Pacific Skies und Air Defender auf neue sicherheitspolitische Bedrohungen ein. Im Juni 2025 übernimmt Gerhartz das Kommando über das Allied Joint Forces Command (JFCJoint Force Command) der NATONorth Atlantic Treaty Organization in Brunssum in den Niederlanden – eine Schlüsselrolle für die Verteidigung Europas im Raum nördlich der Alpen.
Die letzte Mission des Inspekteurs zeigt, dass Führung in der Luftwaffe nicht am Schreibtisch endet. Sie findet dort statt, wo die Entscheidungen umgesetzt werden – im Cockpit, unter realen Bedingungen, inmitten der Truppe. „Führen von vorn“, „Führen im Cockpit“ ist ein Führungsprinzip, das in der ganzen Bundeswehr und somit auch in der Luftwaffe großgeschrieben und gelebt wird. Diese Philosophie, die Verantwortung und Nähe miteinander verbindet, ist nicht nur Kern der Führungskultur, sondern auch ein Signal an die nächste Generation. Junge Offizierinnen und Offiziere, Pilotinnen und Piloten sehen in diesen Einsätzen mehr als bloße Flugmanöver – sie erleben gelebte Führung.