Luftwaffe

Jetpilot für zehn Minuten

Jetpilot für zehn Minuten

Datum:
Ort:
Neuburg an der Donau
Lesedauer:
6 MIN

Bis Piloten der Bundeswehr den Eurofighter fliegen dürfen, durchlaufen sie eine anspruchsvolle und äußerst fordernde Ausbildung – auch im Simulator. Nur die Besten schaffen es ins Cockpit. Oberstabsgefreiter Dennis Kremer hat einen Selbstversuch im Eurofighter-Simulator in Neuburg gestartet und sich über die „Aircrew Synthetic Training Aids“ informiert.

Dennis Kremer im Cockpit des Simulators. Auf dem Projektor vor ihm das nächtliche Las Vegas

Dennis Kremer im Cockpit über Las Vegas: Ein ungewohntes Arbeitsumfeld für den Reservisten, der sich sonst mit Schulklassen beschäftigt

Bundeswehr/Lena Djokic

Absturz in Las Vegas

Unter mir leuchtet das nächtliche Lichtermeer der amerikanischen Wüstenstadt Las Vegas. Sanft stoße ich den Steuerknüppel seitlich an, um den Eurofighter in eine leichte Seitenlage zu bringen und eine Kurve zu fliegen. Mein Blick fällt aus dem Cockpit auf ein berühmtes Hotel. Der Brunnen vor dem Gebäude spuckt riesige Fontänen in die Luft. Ich konzentriere mich wieder und überprüfe die Instrumente. Durch das Ziehen an einem Hebel links von mir verringere ich den Schub. Vor mir liegt der McCarren-Airport. Vorsichtig bringe ich den Kampfjet wieder in eine waagerechte Position. Mit einer behutsamen Vorwärtsbewegung des Steuerknüppels drücke ich die Nase des Flugzeugs nach unten. Eine Anzeige im Head-up-Display (HUD), einer Projektion auf einer kleinen Glasscheibe, zeigt 185 Knoten. Das entspricht etwa 340 Kilometern pro Stunde. Die Landebahn kommt näher und näher. Immer wieder kontrolliere ich meine Sinkrate. Der Winkel passt. Das Fahrwerk ist ausgefahren. Plötzlich geht irgendetwas schief. Das Flugzeug macht eine Rolle nach rechts. Hektisch versuche ich auszugleichen. Es geschieht das Unvermeidliche. Der Kampfjet schießt zu Boden.

Franz Männling vor dem Bild eines Eurofighters

Der Herr über das hochkomplexe Simulationssystem: Franz Männling ist verantwortlich für den Eurofighter-ASTA-Simulator in Neuburg

Bundeswehr/Lena Djokic

„Tja, das war wohl nix“, höre ich eine Stimme sagen. Lichter gehen an. Die Stimme gehört Franz Männling. Er ist Leiter des Eurofighter-ASTA-Simulators der Luftwaffe, den die GFD GmbHGesellschaft mit beschränkter Haftung (ehemals GFD Gesellschaft für Flugzieldarstellung mbHmit beschränkter Haftung) in Neuburg an der Donau betreibt. ASTA steht für „Aircrew Synthetic Training Aids“ – ein hochkomplexes Simulationssystem, mit dem Kampfpiloten ausgebildet und stetig geschult werden.

Männling hilft mir aus dem Cockpit. Es ist ein optisch exakter Nachbau genau jener etwa zweieinhalb Meter des Eurofighters, in denen sich im Original Pilot, Schleudersitz und Instrumente befinden. Außen klebt sogar ein Hoheitszeichen – ein Eisernes Kreuz in Schwarz und Weiß – wie es an allen Luftfahrzeugen der Luftwaffe angebracht ist. Lediglich auf die Glaskuppel wurde verzichtet. 


Drei Jahre Ausbildung zum Jetpiloten

Ich bin ein wenig enttäuscht von mir und meiner Leistung. Als Reservist habe ich vorübergehend mein Lehrerpult im Gymnasium gegen eine Flecktarnuniform getauscht und sonst eher wenig mit der Fliegerei zu tun. Dass ich meine Fähigkeiten als Pilot im Simulator testen kann, verdanke ich einzig und allein meiner Reservedienstleistung in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 und der Recherche zu diesem Artikel. Aber auch das hilft mir nicht über meine Enttäuschung hinweg.

Doch Männling beruhigt mich. Nicht umsonst würden die Männer und Frauen im Cockpit drei Jahre lang zum Strahlflugzeugführer ausgebildet. So einfach sei das nämlich nicht. Der ehemalige Bundeswehrpilot weiß, wovon er spricht. 1983 war er zum Wehrdienst eingezogen worden und flog bis zu seinem einundvierzigsten Lebensjahr Düsenjäger. „Damals war üblich, dass man als Jet-Pilot mit 41 ausscheiden musste, es sei denn, man war Berufssoldat.“ In dieser Zeit bekleidete Männling mehrere begehrte Dienstposten. Er war nicht nur Staffelkapitän, was für Personal mit besonderer Altersgrenze gar nicht vorgesehen war, er brachte es sogar zum ‚Director of Operations‘ bei der 88th Flying Training Squadron (FTS) auf der Air Force Base in Sheppard/USA. Diese Einheit dient als NATO-Flugschule, wo die Bundeswehr ihren Nachwuchs zu Jet-Piloten ausbilden lässt. Dort war er für die Planung und Koordinierung von jährlich mehr als 6.000 Flugstunden verantwortlich.

Franz Männling und Dennis Kremer stehen im Simulatorgebäude und sprechen miteinander.

Interview in entspannter Atmosphäre: Franz Männling weiß, worauf es beim Fliegen ankommt, in der Realität und virtuell

Bundeswehr/Lena Djokic

Im ASTA ist Franz Männling Fachvorgesetzter von zehn ehemaligen Kampffliegern und sieben Technikern. Neun der Männer sind ausgebildete Fluglehrer. Sie beraten die aktiven Eurofighter-Piloten vor allem in taktischen Fragen und bereiten sie am Boden auf mögliche Szenarien in der Luft vor. Diese Vorbereitung sei mitunter so intensiv, dass schon einige Teilnehmer von internationalen Übungen zurückgekehrt seien und von Déjà-vu-Erlebnissen berichtet hätten, so Männling. 

„Trockenübung“ für den Ernstfall

Die GFD betreibt insgesamt vier Eurofighter-ASTA-Standorte: Wittmund, Laage, Neuburg und Nörvenich. Dort schulen zivile Ausbilder alle deutschen Eurofighter-Piloten. Jeder ASTA verfügt über zwei Simulatoren, die beide als Cockpit mit einer Projektionskugel aufgebaut sind. Im Full Mission Simulator (FMSForeign Military Sales) werfen 17 Projektoren ein 360-Grad-Bild auf das Innere der Kugel. So können in jedem Eurofighter-Standort der Luftwaffe zwei Piloten zeitgleich trainieren. Werden die beiden Simulatoren eines Standorts zusammengeschaltet, können sie dieselbe Mission gemeinsam üben. Gerade für die Alarmrotte, die in Neuburg an der Donau stationiert ist, bietet das eine ideale Möglichkeit, während des Tagesdienstes Nacht-Szenarien abzubilden. Denn ihr Auftrag als „Quick Reaction Alert“ ist es, Flugzeuge, zu denen kein Funkkontakt besteht oder die sich entgegen den Luftfahrtbestimmungen verhalten, zu identifizieren und notfalls zur Landung zu zwingen. Und das rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr. „Dabei gibt es spezielle Flugmanöver, die immer wieder trainiert werden müssen“, erklärt der Spezialist.

Der Full-Mission-Simulator sieht von außen wie eine weiße Kugel aus. Davor in den Schränken hängen Helme.

Der Full-Mission-Simulator ist in einer eigenen Halle untergebracht. In den Schränken hat jeder Pilot seinen eigenen Trainingshelm

Bundeswehr/Lena Djokic

Leise und spritsparend

Doch nicht nur das Fliegen im heimischen Luftraum kann dargestellt werden. Mit genügend Vorlaufzeit sei es möglich, die „Flyer“, wie die Piloten auch genannt werden, auf nahezu jede Situation eines Auslandseinsatzes vorzubereiten. Wenn sich in Zukunft die Simulatoren aller vier Eurofighter-Standorte miteinander verbinden, können so bis zu acht Piloten miteinander fliegen, ohne einen einzigen Tropfen Treibstoff zu verbrauchen, ohne Lärmbelastung für die Anwohner und ohne sich im jeweiligen Einsatzland zu befinden.

„Dabei können etwa 100 Boden- und 200 Luftspieler programmiert werden“, erläutert Franz Männling und meint damit unter anderem Ziele, die es zu bekämpfen gilt, verbündete Einheiten oder auch zivilen Flugverkehr. Trotzdem sei das Ganze alles andere als ein Spielzeug. Jedem Trainingsdurchgang folgt eine ausführliche Nachbesprechung mit dem Fluglehrer, je nach Trainingsmission noch eine Besprechung mit dem Waffenlehrer. „Das kann bis zu fünf Stunden dauern“, sagt Männling. 

Simulatoren helfen, Leben zu retten

Franz Männling zeigt Dennis Kremer im Simulator-Cockpit, wo er hinfliegen soll.

Auch im Simulator geht es derzeit nur mit Mundschutz. Ein Beamer projiziert verschiedene Szenarien an die Leinwand. Dabei können die Gegebenheiten, wie Tag und Nacht oder das Wetter geändert werden

Bundeswehr/Lena Djokic

„Nach jedem Zwischenfall mit einem Eurofighter, egal in welchem Land, werden alle gesammelten Daten im ASTA verarbeitet, um den Hergang nachzustellen. Das hilft dabei, Fehlerquellen zu identifizieren.“ So sei es möglich, Personal gezielt zu schulen oder eine Nachbesserung seitens des Herstellers zu veranlassen, erklärt der ehemalige Jet-Pilot. 
Zum Erhalt der Fluglizenz fordert die NATO von jedem Luftfahrzeugführer mindestens 180 Flugstunden jährlich. Davon können bis zu 40 Stunden im Simulator angerechnet werden. Dazu stellt die GFD mit dem ASTA in Neuburg jedes Jahr bis zu 2.000 Stunden bereit.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Dienstbelastung und Verpflichtungen im Ausland sind die Flugsimulationen im ASTA eine innovative und ressourcenschonende Erweiterung der Ausbildung. Neben Material und Personal hat eine Verlegung intensiver Trainingsabschnitte in den Simulator auch positive Auswirkungen für Anwohner und Natur. Im Frühjahr 2021 wird das Taktische Luftwaffengeschwader 74 aus Neuburg an der Donau die Sicherung des baltischen Luftraums im Rahmen des „Verstärkten Air Policing Baltikum“ übernehmen. Auch hierauf werden sich die Piloten intensiv im Simulator vorbereiten. Trotzdem bleibt der Flug im Eurofighter das Tagesgeschäft eines Kampfpiloten. Nur im echten Cockpit können die Luftfahrzeugführer ihre Fähigkeiten unter reellen Bedingungen trainieren.
 


von Dennis Kremer