Luftwaffe

Vom Schreiner zum Eurofighter-Piloten

Vom Schreiner zum Eurofighter-Piloten

Datum:
Ort:
Neuburg an der Donau
Lesedauer:
8 MIN

Mittlere Reife, Schreinerlehre, eine Linienpilotenausbildung. Nicht der klassische Weg ins Eurofighter-Cockpit der Luftwaffe. Doch Gabriel ist auf dem besten Weg, genau das zu schaffen. Und er will auch anderen Mut machen, ihre Träume zu verwirklichen. Selbst, wenn es mit dem Abi nicht geklappt hat. „Alles ist möglich!“ Davon ist der 24-Jährige überzeugt.

Gabriel in Pilotenmontur hockt vor einem Eurofighter. Den Helm hat er vor sich auf den Boden gelegt.

Noch darf Gabriel den Eurofighter nicht fliegen, aber er kennt jedes Detail, vom Kerosinverbrauch über das Leitwerk und die Bordkanone bis zum Außenknopf für den Schleudersitz

Bundeswehr/Lena Djokic

Da steht er. Ein junger Mann mit kurzen Haaren, kurzem Bart, fröhlichem Grinsen und Fliegerkombi. Soldat, Fähnrich derzeit. Sein Blick geht zur Startbahn. Zwei Eurofighter rasen kurz hintereinander mit donnerndem Nachbrenner darauf entlang und steigen fast senkrecht in den blauen Himmel. Ein bisschen sehnsüchtig schaut Gabriel ihnen nach. Aber heute steht er schon nah dran, auf dem Flugplatz, der zum Taktischen Luftwaffengeschwader 74 (TLG 74)gehört.

Top Gun“ und „Apollo 13“

Früher konnte er nur von draußen zusehen, vom Zaun aus, wenn die Jets starteten und landeten. „Als Kind wollte ich Astronaut oder Jetpilot werden. Ein Großonkel von mir war beim Jagdbombergeschwader 32 in Lagerlechfeld, ein anderer war Privatpilot.“, erinnert er sich. Filme wie „Top Gun“ und „Apollo 13“ gehörten zu seinen Lieblingsfilmen. Aber dann kam die Pubertät. „Da hatte ich anderes im Kopf als das Lernen fürs Abitur und so habe ich nur mit der Mittleren Reife abgeschlossen“, erzählt Gabriel.

Schreinerlehre und Musik

In Augsburg ist er geboren, aufgewachsen in der etwa 30 Kilometer entfernten Gemeinde Altenmünster. Hier hat sein Vater eine Schreinerei. Die sollte der Sohn übernehmen. Die anderen Geschwister hatten andere Pläne. Also machte Gabriel eine Schreinerlehre, zuerst in einem anderen Betrieb, dann in der heimischen Werkstatt. „Den Traum von der Fliegerei habe ich erst mal weggeschoben. Ich war überzeugt, man braucht ein Einser-Abitur, um Jetpilot zu werden.“

Gabriel bohrt mit einer Standbohrmaschine Löcher in ein Brett.

Gelernt ist gelernt: Egal, ob es etwas zu sägen, zu bohren oder auszumessen gibt, Gabriel fühlt sich in der Werkstatt seines Vaters immer noch in seinem Element

Bundeswehr/Lena Djokic
Gabriel spielt auf seiner E-Gitarre im eigenen Proberaum.

Schlagzeug hat er als erstes Instrument gelernt, aber E-Gitarre spielt er am liebsten. „Meine ganze Familie ist musikalisch“, sagt Gabriel. Gibt es etwas, was er gar nicht kann? „Fußball spielen!“

Bundeswehr/Lena Djokic

Sein Gesellenstück ist ein Gitarrenschrank. Darauf ist er heute noch stolz. Denn die Musik ist ihm wichtig. Er spielt Schlagzeug, Gitarre, Bass und Klavier, schreibt eigene Songs. Mit seiner Band ist er in der Umgebung oft aufgetreten. Vielleicht hätte er auch Musiker werden können. Aber „der Wunsch, Pilot zu werden, hat mich nicht losgelassen“.

Den Traum vom Fliegen selbst finanziert

Also begann der damals 18-Jährige, sich zu erkundigen, wo man auch ohne Abi eine Flugausbildung machen kann. In Salzburg wurde er fündig. Mit 19 fing er dort an. „Die Ausbildung an dieser Flugschule, in Kooperation mit einer bekannten Airline, habe ich selbst finanziert, mit einem Kredit. Da ich keine Sicherheiten hatte, war der Zinssatz etwas höher. Aber ich habe Nebenjobs übernommen, als Ramp Agent und bei der Flughafenfeuerwehr.“ Gabriel erzählt das, als ob es nichts Besonderes sei. Ist es für ihn auch nicht. Denn als Ramp Agent konnte er auf dem Flughafen und den Fliegern ganz nah sein, und die Flughafenfeuerwehr ist sowieso sein Ding. Auch in seinem Heimatdorf gehören er und seine ganze Familie zur Freiwilligen Feuerwehr. Er ist hier Zeugwart und Jugendleiter. „Ich engagiere mich gerne“, sagt er. Das tut Gabriel auch an der Flugschule, an der er gelernt hat. „Dort arbeite ich zeitweise ehrenamtlich als Fluglehrer. Ich finde es wichtig, Erfahrungen an die nächsten Pilotengenerationen weiterzugeben.“

Seiteneinstieg mit Hindernissen

Nach seiner Abschlussprüfung als Linienpilot hätte er direkt bei zwei Airlines anfangen können. „Aber dann habe ich erfahren, dass die Bundeswehr Seiteneinsteiger für den A400M sucht.“ Das wollte er viel lieber. Also bewarb er sich mit Hilfe seines Karriereberaters und wurde wegen seines fehlenden Abiturs erst einmal abgelehnt. „Da habe ich schon gedacht: Naja, dann hol ich das Abi eben noch nach.“

Gabriel als Ramp Agent mit Warnweste steht auf dem Flughafen von Salzburg bei einer Boeing 757.

Seine private Ausbildung hat er unter anderem als Ramp Agent finanziert. Ramp Agents sorgen dafür, dass bei jedem Abflug alles reibungslos funktioniert: vom Gepäck über das Kerosin bis zum Catering.

Bundeswehr/Privat
Gabriel steht am Löschfahrzeug der Freiwilligen Feuerwehr in seinem Heimatort.

In seinem Heimatort ist Gabriel schon lange Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr – wie seine ganze Familie

Bundeswehr/Lena Djokic

Doch dann rief seine Mutter in Salzburg an und sagte: „Du hast Post von der Bundeswehr.“ Es war die Einladung zum ersten Auswahlgespräch. Das fand in Köln statt und war ein Auswahlverfahren für alle Offiziersanwärter, nicht nur für Piloten. Obwohl er kein Abitur hatte, hielten die Prüfer ihn für geeignet. Er wurde zu Phase 2 des Auswahlverfahrens nach Fürstenfeldbruck eingeladen.

Zu Fuß zum Mond

Hier fanden die medizinische Auswahl und der fliegerische Nachweis statt. „Wir hatten fünf Tage lang Tests, mussten Berechnungen anstellen, Simulator-Missionen fliegen und die ganze Zeit fanden Psychologengespräche statt“, erklärt Gabriel. „Viele schafften es nicht bis zum letzten Tag. Im Abschlussgespräch sagten mir die Prüfer, dass meine Ergebnisse gut gewesen seien; so gut, dass sie reichen würden, um einen Jet zu fliegen. Das war für mich unglaublich – als ob ich von hier zum Mond zu Fuß gegangen wäre!“

Auf dem Foto sind eine Landkarte, Stifte und zwei Flight Computer zu sehen, mit denen Pilotenschüler Flugpläne erstellen.

Die Elektronik in modernen Flugzeugen leistet viel. Aber jeder Pilot lernt, anhand von Faktoren wie Wind, Flugrichtung und Gewicht die genaue Flugdauer und den Kerosinverbrauch „analog“ zu berechnen.

Bundeswehr/Privat
Gabriel sitzt im Flugsimulator in Fürstenfeldbruck.

Gabriel bei der fliegerischen Auswahl im Simulator in Fürstenfeldbruck. Im Simulator üben aber nicht nur angehende, sondern auch gestandene Piloten der Luftwaffe regelmäßig.

Bundeswehr/Privat

Wann wollen Sie anfangen?

Nach vier langen Wochen, in denen Gabriel immer noch nicht sicher war, ob es klappen würde, kam der erlösende Anruf: „Wann wollen Sie denn bei uns anfangen?“ Und so trat er seinen Dienst bei der Bundeswehr am 1. Juli 2018 an.

Drei Wege zum Jetpiloten

Seit Anfang 2019 gibt es für den fliegerischen Dienst bei der Luftwaffe im Bereich Jet ein 3-Säulen-Modell. In der ersten Säule wird man Berufsoffizier im Truppendienst. Hier ist ein Studium vorgesehen, da die Pilotinnen und Piloten später zunehmend Führungsaufgaben übernehmen. Wer studieren, aber auch bald fliegen will, hat seit einiger Zeit die Möglichkeit, den dualen Studiengang Aeronautical Engineering zu belegen. Dieser verbindet akademische und fliegerische Ausbildung und dauert nur viereinhalb Jahre.

Eine weitere Säule ermöglicht es jungen Menschen mit Abitur, sich für 16 Jahre als Soldat auf Zeit zu verpflichten. Hier steht das Fliegen im Vordergrund, ein Studium ist nicht vorgesehen. Das gilt auch für die dritte Möglichkeit, Offizier im militärfachlichen Dienst zu werden. Zugangsvoraussetzung für diese Laufbahn ist der Realschulabschluss.

Grundausbildung, Offizierschule, Humanzentrifuge

Wie alle Soldaten begann Gabriel zunächst mit einer dreimonatigen Grundausbildung, dann absolvierte er die Offizierslehrgänge an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck. Seine Stammeinheit ist jetzt der Fachbereich Aero an der Universität in München, weil von dort die fliegerische Ausbildung gesteuert wird, auch wenn er nicht studiert. Zum Unterricht gehörten bereits ein Intensivkurs in Fliegerenglisch, das Initial Flight Training für fliegerische Grundlagen und ein Monat Theorie.

Gabriel auf dem Besucherhügel des Fliegerhorstes Neuburg. Hinter ihm verläuft der Taxiway.

Statt draußen am Zaun auf die Eurofighter zu warten, wie er es als Kind getan hat, ist Gabriel jetzt ganz nah dran, beim Taktischen Luftwaffengeschwader 74

Bundeswehr/Lena Djokic

Außerdem hat er eine Woche in Königsbrück verbracht, wo die angehenden Jetpiloten in der Humanzentrifuge 7 G, also das Siebenfache ihres Körpergewichts, aushalten müssen. In der Höhendruckkammer lernen sie, sich auch bei Sauerstoffmangel zu konzentrieren. „Dieses Programm ist körperlich extrem anstrengend“, sagt Gabriel. Auch eine Woche „Überleben See“ stand auf dem Lehrplan. „Hier haben wir unter anderem gelernt, wie der Schleudersitz funktioniert, was wir tun müssen, wenn der Fallschirm im Meer über uns landet. Wir waren in einer Tauchkabine auf See und wurden im Rettungsboot auf der Nordsee ausgesetzt.“ Gabriel grinst ein bisschen und sieht sich um.

Beim TLG 74 in Neuburg an der Donau ist es für ihn etwas ruhiger, obwohl hier regelmäßig die Eurofighter zu Übungs- und Patrouillenflügen starten. Im Juni 2019 war er für ein zweiwöchiges Truppenpraktikum in Neuburg. Jetzt ist er seit dem 25. Mai hier, bevor es am 9. September in die USA geht. „Das ist eine Zwischenverwendung, bevor die richtige Ausbildung weitergeht“, sagt er. „Hier kann ich in verschiedene Bereiche reinschnuppern, wie bei einem Praktikum.“
Das nutzt er. Im Bereich für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit führt er unter anderem Besuchergruppen über das Gelände, erklärt ihnen den Eurofighter, die Pilotenausrüstung, die Wartung, den Tower und auch die Militärhistorische Ausstellung, so weit das derzeit aufgrund der Corona-Beschränkungen möglich ist.

Gabriel erklärt einem Besucher der Militärgeschichtlichen Sammlung die F-4 Phantom. Der Besucher sitzt im Cockpit.

Militärgeschichte zum Anfassen und Probesitzen: Vor Corona waren Führungen durch die Sammlung des TLG 74 sehr gefragt.

Bundeswehr/Lena Djokic

Jedes Kind soll an sich glauben

„Mir macht das großen Spaß“, sagt er lächelnd. „Ich bin froh, dass ich Kampfflugzeugführer werden kann. Und es ist schön, auch andere für das zu begeistern, was wir tun.“ Aber es ist mehr als das. Gabriel war beim Karriere-Truck der Bundeswehr dabei, um junge Leute zu beraten und er hat ehrenamtlich und privat Vorträge an Schulen zum Thema Allgemeine Berufsfindung gehalten. „Das ist mir sehr, sehr wichtig. Ich möchte, dass jedes Kind an sich glaubt und daran, dass es alles erreichen kann, was es will, auch wenn es in der Schule gerade nicht so gut läuft. Alles ist möglich. Mein Lebenslauf zeigt, dass das geht.“

Piloten sind nicht Superman

Wenn er neben seiner Arbeit in Neuburg etwas Zeit hat, geht er gern zu den Technikern oder auf den Tower. „Piloten haben weder Superman-Eigenschaften, noch sind sie Helden, die alles allein können“, betont Gabriel. „Wir gehören zu einem großen Team, das den Flieger in die Luft bringt. Ohne unsere Techniker, die Fliegerärzte, die Leute im Tower und viele weitere geht gar nichts.“
Jetzt freut er sich auf die Ausbildung in den USA. Drei Monate wird er in Goodyear in Arizona verbringen, dann ein Jahr in Sheppard bei Wichita Falls im Norden von Texas. „In Goodyear lernt man zunächst einmal, wie man lernt“, erklärt Gabriel. „Es gibt Unterschiede zwischen militärischer und ziviler Luftfahrt, von der Art zu lernen. Es geht alles viel schneller und muss dann sitzen.“ Geflogen wird in Goodyear mit einmotorigen Propellermaschinen. Auch in Sheppard sind anfangs noch Propellermaschinen im Einsatz, die allerdings 500 km/h schnell sind. Später steigen die Pilotenschüler auf die Northrop T-38C Talon um. Das ist ein Schulflugzeug für den Flug im Überschallbereich und erreicht bis zu 1.380 km/h.

Gabriel mit seinem Labrador-Mischling Django.

Zwei-Familien-Hund: In die USA kann Django nicht mit. Aber der Labrador-Mischling gehört nicht nur ihm, sondern auch der Nachbarsfamilie. „So ist immer jemand da, der sich um ihn kümmert.“

Bundeswehr/Lena Djokic

Eine Frage der Leidenschaft

Sein eigentliches Ziel, der Eurofighter, wartet danach in Deutschland auf Gabriel. Denn die spezielle Ausbildung auf diesen Flugzeugtyp der Luftwaffe findet in Rostock-Laage statt und dauert acht Monate. „Von 8.000 Bewerbern schaffen es nur zehn bis zwölf ins Cockpit“, weiß der angehende Pilot. „Das ist sicher eine Frage des Talents, aber auch eine Frage der Leidenschaft.“ Er will es unbedingt schaffen und danach, wenn er sich etwas wünschen dürfte, zurück nach Neuburg und dort Eurofighter fliegen. „Davon träume ich, seit ich am Zaun stehen und Flugzeuge starten und landen sehen kann.“

Wir werden Gabriel weiter begleiten und über seine Erfahrungen in den weiteren Ausbildungsabschnitten in Goodyear, Sheppard und Rostock berichten.

von Stefanie Pfingsten