Ostsee-Großmanöver Northern Coasts 2023 abgeschlossen
Die Marineübung ist am 20. September, rund 40 Stunden früher als geplant, beendet worden. Ihr Erfolg gilt als gesichert.
Am maritimen Großmanöver unter deutscher Führung in der Ostsee haben 14 NATONorth Atlantic Treaty Organization- und EUEuropäische Union-Partner teilgenommen. Die militärischen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung von mehr als 3.200 Soldatinnen und Soldaten waren rund um die Uhr gefordert. Sie konnten den Großteil ihres Trainingsprogramms umsetzen.
Der Befehlshaber der Flotte, Vizeadmiral Frank Lenski, auf Truppenbesuch bei Northern Coasts 2023 am 18. September
2023 Bundeswehr/Nico TheskaNorthern Coasts 2023, kurz auch NOCO23, dauerte vom 9. bis zum 20. September. Der erste große Abschnitt der maritimen Großübung bis zum 17. September verlief wie vorab detailliert geplant. Für diese Phase, dem Combat Enhancement Training/Force Integration Training (CETCombat Enhancement Training/FITForce Integration Training), waren insgesamt knapp 90 Einzelübungen vorgesehen gewesen. Nur wenige Änderungen im täglichen Übungsprogramm waren erforderlich. Das geht aus ersten internen Auswertungen der Übungsleitung hervor.
Neben den direkten Übungsverantwortlichen zeigt sich auch der deutsche Befehlshaber der Flotte, Vizeadmiral Frank Lenski, zufrieden. „Um den Schutz unseres Landes und unserer Verbündeten zu gewährleisten, bedarf es vor allem regelmäßiger Übungen, kontinuierlicher Präsenz und ständiger Wachsamkeit – gemeinsam mit unseren Partnern in der NATONorth Atlantic Treaty Organization und in der EUEuropäische Union“, erklärt er. „Northern Coasts 2023 hat diese Bemühungen direkt unterstützt. Ich bin mit dem bisher vorliegenden Auswertungsergebnis sehr zufrieden.“
Der Medientag 18. September diente zugleich für den Truppenbesuch von militärischen Verantwortungsträgern. Hier der deutsche Befehlshaber der Flotte, Vizeadmiral Frank Lenski, im Gespräch mit italienischen Marineinfanteristen der Brigade „San Marco“
Bundeswehr/Nico TheskaDie vorläufige Evaluation bewertet die tatsächlich durchgeführten Einzelübungen, militärisch-fachlich Serials genannt, überwiegend positiv. Etwas mehr als die Hälfte der sogenannten Serials befasste sich mit grundlegenden Manövern, die kommunikationstechnische, seemännische, fliegerische und taktische Verfahren übten. Dazu gehörten zum Beispiel das schnelle Umpositionieren in Formation genauso wie der Personaltransfer per Hubschrauber oder die Abstimmung des Datenaustauschs per Funk- und Satellitenverbindungen.
In die verschiedenen Serials waren in der Regel nur je eine Handvoll Schiffe involviert. Dafür verliefen viele Einzelübungen gleichzeitig, um so viele Angehörige des „Training Audience“ wie möglich zu beteiligen. So arbeiteten alle Besatzungsangehörigen der an NOCO23 teilnehmenden Schiffe und Boote – wie auch das Personal der Einheiten an Land und nicht zuletzt des Führungsstabs DEU MARFORGerman Maritime Forces – Tag und Nacht ihre jeweiligen individuellen Übungsvorhaben gemäß Serial-Plan ab.
Über 30 Serials dienten dazu, dass die Beteiligten sich in den drei Hauptgebieten der Seekriegsführung trainierten: dem Überwasserkampf, der Luftverteidigung und der U-Boot-Abwehr. So waren die wohl komplexesten CETCombat Enhancement Training/FITForce Integration Training-Serials die U-Jagd-Übungen unter zusätzlicher Luftbedrohung. Die sechs beteiligten dänischen, deutschen, niederländischen und französischen Fregatten beziehungsweise Zerstörer mussten hierbei den Einsatz ihrer Sonargeräte und ihrer Bordhubschrauber untereinander sowie mit einem unterstützenden Seefernaufklärer koordinieren. Ihr gemeinsames Ziel war, ein angreifendes Unterseeboot zu entdecken und abzuwehren. Die zeitgleiche Gefahr aus der Luft simulierten Zieldarstellungsflugzeuge einer zivilen Firma.
Die Übungsabsicht des deutschen „U 36“ hingegen war, ein sogenanntes Hochwertziel, wie zum Beispiel das amerikanische Landungsschiff „Mesa Verde“ oder einen der beiden deutschen Flottentanker „Rhön“ und „Spessart“, zu finden und anzugreifen. Diese sogenannten Combined Anti-Submarine Exercises dauerten mehrere Stunden und verliefen teils von spätabends bis in die frühen Morgenstunden.
„Gerade die Komplexität solcher Serials führt zu einer Stärkung der Interoperabilität der eingesetzten eigenen See- und Luftstreitkräfte“, urteilt Korvettenkapitän Benjamin M. Er leitet das Evaluierungsteam für Northern Coasts 2023. „‚U 36‘ als realer Ziel- und Gegnerdarsteller war für alle Beteiligten ein großer Zugewinn.“ Die Information, ob die Fregatten oder das U-Boot ihr jeweiliges Ziel abwehren oder zerstören konnten, bleibt allerdings eingestuft.
Neben den rein simulierten Seekriegsszenarios können die Minenabwehrkräfte, die in NOCO23 involviert waren, neben dem Erreichen ihrer eigenen Übungsziele auch reale Erfolge melden. Die Minenjagd- und Minensuchboote aus Polen, Kanada, Belgien, Deutschland und den drei baltischen Staaten entdeckten an zwölf Stellen im Übungsgebiet vor den Küsten Lettlands und Estlands gefährliche Altmunition aus den vergangenen Weltkriegen. Zehn Munitionsfunde beseitigten sie vor Ort, teils durch eine gezielte Sprengung. Zwei Funde konnten sie aufgrund Risiken für die Umwelt und den zivilen Schiffsverkehr nicht zerstören, aber an örtliche Behörden weitermelden.
Aufteilung und Aufgaben der verschiedenen Task Groups des Manövers Northern Coasts 2023. Die grundlegende Struktur bleibt jedes Jahr sehr ähnlich, aber die Teilnehmer wechseln durch.
Bundeswehr/Peter BrandenburgMusste die Übungsleitung einzelne Serials verschieben oder sogar streichen, war die Ursache in der Regel die Witterung beziehungsweise Rücksichtnahme auf Sicherheit. So verzögerte zum Beispiel am 12. September starker Nebel über der mittleren Ostsee eine erste amphibische Landungsübung amerikanischer, italienischer und deutscher Marineinfanteristen um mehrere Stunden. Schließlich fällte die Führung auf dem USUnited States-Docklandungsschiff USSUnited States Ship „Mesa Verde“ in Absprache mit der Übungsleitung die Entscheidung, auf den Transport per Kipprotorflugzeug zu verzichten und stattdessen alle Truppen per Luftkissenboot an den Landestrand zu bringen.
Schlechtes Wetter verkürzte dann auch den zweiten großen Abschnitt des Manövers, die sogenannte OPS-Phase, von geplanten vier auf zweieinhalb Tage, die Gesamtdauer von Northern Coasts 2023 also um weniger als ein Fünftel. Über das Übungsgebiet zog in der zweiten Manöverwoche ein Sturmtief mit bis zu fünf Metern Wellenhöhe. „Bei jeder realen Operationsplanung müssen Wetterbedingungen einkalkuliert werden“, erläutert Korvettenkapitän M. „Bei Übungen aber geht die Sicherheit des Personals immer vor.“
Im Stab DEU MARFORGerman Maritime Forces wird sich das Evaluationsteam in den kommenden Wochen mit einer detaillierten Auswertung des gesamten Manövers befassen, inklusive der verkürzten OPS- beziehungsweise Free-Play-Phase. Die Ergebnisse fließen dann in die Planung von Northern Coasts 2024 ein, die wieder Deutschland übernimmt. Auf den knapp 100-köpfigen, multinational zusammengesetzten Marine-Führungsstab in Rostock kommt damit wieder Verantwortung zu.
Für Befehlshaber der Flotte Lenski fügt sich das zu einem größeren Bild. Er weist auf einen weiteren Meilenstein im Zusammenhang mit Northern Coasts hin. „Anlässlich des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gipfels 2022 in Madrid hatte Bundeskanzler Scholz angeboten, ein regionales maritimes Hauptquartier für die Ostsee bereitzustellen“, sagt der Admiral. „Nun hat der deutsche Generalinspekteur am 7. September dem NATONorth Atlantic Treaty Organization-Oberbefehlshaber SACEURSupreme Allied Commander Europe in Brüssel formell anbieten können, dass der deutsche Stab DEU MARFORGerman Maritime Forces die Rolle eines ‚Commander Task Force Baltic‘ übernehmen kann – gemäß der künftigen maritimen Kommando- und Kontrollstruktur der NATONorth Atlantic Treaty Organization.“
von Marcus Mohr E-Mail schreiben
Zu Beginn von NOCO23 sammelten sich die Schiffe des Manöververbands in Riga. Der Hafen der Stadt liegt entlang der Mündung des Flusses Daugava. Die deutschen und dänischen Fregatten hatten das Privileg, direkt vor der Altstadt anlegen zu dürfen.
Latvian Armed Forces/Gatis Diezins
Manöver dienen immer auch zum Austausch auf Führungsebene. Hier der Kommandeur des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Minenabwehrverbands SNMCMG1, der polnische Fregattenkapitän Piotr Bartosewicz, (links) und der Chef der lettischen Marine, Kapitän zur See Maris Polencs
Latvian National Armed Forces/Gatis Diezins
Neben 13 NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partnern war Schweden als EUEuropäische Union-Verbündeter Teilnehmer von NOCO23. Hier die Stealth-Korvette „Nyköping“ in der Daugava-Mündung
Latvian Armed Forces/Gatis Diezins
Unmittelbar nach Auslaufen aus Riga am 11. September steht ein sogenanntes PHOTEX auf dem Serial Plan. Alle Schiffe fahren in enger Formation für ein „Gruppenfoto“. Hier der zugehörige Plan in einem Brückenfenster der deutschen Fregatte „Hamburg“
Bundeswehr/Leon Rodewald
Die Fregatte „Hamburg“, flankiert links von der niederländischen „Tromp“, rechts von der französischen „Bretagne“. „Hamburg“ war das Flaggschiff des zweiten Überwasserkampfverbandes des Manövers, der Task Group 421.02.
Bundeswehr/Nico Theska
Moderne Kriegsschiffe besitzen für Kooperation in See ein Flugdeck. So gehört zu seemännischen und zugleich fliegerischen Basics der Flugbetrieb. Hier übt das polnische Mehrzweckschiff „Kontradmiral Xawery Czernicki“ mit einem dänischen Hubschrauber.
NATO/Lukasz Koziarski
Wie Deutschland hatte Dänemark gleich zwei Fregatten zu NOCO23 entsandt, hier die „Niels Juel“. Sie hat ähnliche Fähigkeiten wie die deutschen Luftverteidigungsfregatten der Sachsen-Klasse, zu der auch die „Hamburg“ gehört.
Latvian Armed Forces/Armins Janiks
Das wohl wichtigste Training bei Northern Coasts 2023 haben die Operateure unter den Besatzungen erhalten. Hier ein Blick in die Operationszentrale der Fregatte „Hamburg“
Bundeswehr/Leon Rodewald
Ein niederländischer U-Jagd-Helikopter vom Typ NHNATO-Helicopter-90 NFHNato Frigate Helicopter, hier mit noch ausgefahrenem Tauchsonar. Für die deutschen Fregatten, hier die „Hessen“ im Hintergrund, war NOCO23 eine Gelegenheit, auch mit ihrem zukünftigen Bordhubschraubertyp zu üben.
US Marine Corps/Michele Clarke
High Value Unit: Eines der wichtigsten Schiffe im Bündnisverteidigungsszenario von Northern Coasts 2023 war das USUnited States-Docklandungsschiff „Mesa Verde“, hier im April 2023. Es brachte ein Bataillon Marineinfanterie in die angenommene Konfliktzone.
US Marine Corps/Kyle Jia
Ein Kipprotor-Flugzeug vom Typ MVMecklenburg-Vorpommern-22B Osprey des United States Marine Corps. Die „Mesa Verde“ verfügte bei NOCO23 über vier dieser Transportflugzeuge, um Marineinfanteristen weit hinter einer Küstenlinie in ein Landesinnere zu transportieren.
Bundeswehr/Nico Theska
Auf dem USUnited States-Schiff waren Soldaten des deutschen Seebataillons eingeschifft, um mit amerikanischen und italienischen Kameraden zu üben. Hier bei einer amphibischen Teilübung an einem Landestrand bei Ventspils
Bundeswehr/Nico Theska
Die deutschen Infanteristen beim Feuerkampf im Wald hinter dem Landestrand. Hier hat sich ein angenommener Feind auf eine Anhöhe zurückgezogen. Die Seesoldaten aus Eckernförde sind fürs Manöver in die 26th Marine Expeditionary Unit integriert.
Bundeswehr/Nico Theska
In der gefährlichsten Gefechtsart an Land, im Häuserkampf, üben amerikanische, italienische und deutsche Marineinfanteristen die ganz enge Zusammenarbeit. So eine tiefe Integration sorgt für große Interoperabilität der beteiligten Kräfte.
Bundeswehr/Nico Theska
Rund ein Drittel der Kriegsschiffe bei NOCO23 sind Minenjäger, unter ihnen die kanadischen HCMS „Shawinigan“ (im Bild) und HCMS „Summerside“. Die beiden Mehrzweckboote haben Missionsmodule für die Minenabwehr auf ihrem Achterdeck geladen.
Canadian Armed Forces/Taylor Congdon
Die Kanadier und ihre zwei Minenjagdboote sind an der Ostküste ihrer Heimat stationiert. Für die kanadische Operation Reassurance sind sie auf der anderen Seite des Atlantiks im Einsatz und hier in den NATONorth Atlantic Treaty Organization-Minenabwehrverband SNMCMGStanding NATO Mine Countermeasures Group 1 integriert.
Canadian Armed Forces/Taylor Congdon
Besonder in der Bucht von Riga und ihren Zuwegen liegen noch viele Seeminen aus den vergangenen Weltkriegen. Hier konnten die Minenjäger bei NOCO23 solche gefährliche Altmunition durch gezielte Sprengung unschädlich machen.
Bundeswehr/Nico Theska
Strategische Kommunikation gehörte ebenfalls zu den Zielen von Northern Coasts 2023. Hier Übungsleiter beziehungsweise Exercise Director Flottillenadmiral Stephan Haisch im Interview am Medientag 18. September vor der Küste Lettlands in See
Bundeswehr/Nico Theska
Das deutsche „U 36“ vor der lettischen Küste. Seine Einbindung ins Manöver gilt als voller Trainingserfolg. „Auch für die nächsten Übungen der Northern-Coasts-Reihe planen wir mit eigenen U-Booten“, sagt Evaluationsleiter M.
Bundeswehr/Nico Theska
Für die teilnehmenden Schiffe spielte „U 36“ den wohl gefährlichsten Gegner. Hier hat sich das Boot in Schussposition vor den deutschen Flottentanker „Spessart“ und die niederländische Fregatte „Tromp“ gebracht, wie der Blick aus dem Periskop belegt.
Bundeswehr/Christoph Bär
Die russische Ostseeflotte hat NOCO23 von internationalen Gewässern aus beobachtet, hier mit einem Aufklärungsschiff der Vishnya-Klasse. Dieses Vorgehen ist im Prinzip seit Jahrzehnten etabliert und von allen Seiten akzeptiert.
Bundeswehr/Leon Rodewald