Kabul, Sudan, Israel: Die Rettung deutscher Staatsangehöriger aus Isolations- und Krisenlagen im Ausland ist ein Dauerauftrag der Bundeswehr. Für Evakuierungsoperationen stehen jederzeit abrufbare militärische Kräfte bereit. Bei der Stabsrahmenübung Extricate Owl 2025 wurde die Ausplanung und Führung drei Wochen lang im Operativen Führungskommando der Bundeswehr geübt.
Bei Extricate Owl 2025 wurde vom 3. bis 20. November 2025 eine komplexe Evakuierungsoperation in allen Prozessschritten ausgeplant – erstmals mit einem real existierenden Land als Ausgangspunkt des fiktiven Übungsszenarios. Die Wahl fiel dabei auf Nigeria – nicht aus tagesaktuellem Anlass, sondern für einen realitätsnahen, aber hypothetischen Übungsansatz in der Krisenvorsorge.
Die Übungsplanung hat ein herausforderndes fiktives Szenario entworfen: Ein Putsch gegen die Regierung, Überfälle islamistischer Terrorgruppen und Separationsbestrebungen führen zu einer unübersichtlichen, zunehmend eskalierenden sicherheitspolitischen Lage. Die Zahl ausreisewilliger Deutscher und anderer schutzbedürftiger Personen, überwiegend Staatsangehörige anderer europäischer Nationen ohne eigene Evakuierungsmöglichkeiten, ist dabei hoch angesetzt. Über 4.300 Menschen sind im Übungsszenario beim Auswärtigen Amt registriert, das die Federführung bei diplomatischen Evakuierungen deutscher Staatsbürgerinnen und -bürger innehat.
„Übungen sind kein Selbstzweck. Im Zweifel wird es nächsten Monat, nächste Woche, morgen ernst und die Truppe ist im Einsatz“, sagt Oberst i.G. Thomas G., Leiter der Übungssteuerung bei Extricate Owl 2025. Ein nicht-fiktives Übungsland biete realitätsnähere Übungsmöglichkeiten als eine rein hypothetische Krisenregion – mit echten konsularischen Schnittstellen, realen Entfernungen und realistischeren Gefährdungslagen.
Die Mission beginnt mit einer Ausreiseempfehlung des Auswärtigen Amtes. Deutsche, die sich frühzeitig für das Verlassen des Landes entscheiden, werden zivil ausgeflogen. Die Bundeswehr unterstützt dabei das Auswärtige Amt mit Soldatinnen und Soldaten in Krisenunterstützungsteams (KUTKrisenunterstützungsteam) – unbewaffnet und in Zivil. Insgesamt rund 1.000 Menschen verlassen so das Krisenland. Doch mit zunehmender Eskalation sind auch internationale Flughäfen und Seehäfen von den Unruhen betroffen. Ausländische Staatsangehörige können das Land nicht mehr verlassen.
In den kommenden Tagen gibt es selbst für diplomatische Evakuierungen nur enge Zeitfenster. Die Bundeswehr erhält vom Krisenstab der Bundesregierung den Auftrag zur schnellen See- und Luftabholung deutscher Staatsangehöriger. Aufgrund der guten diplomatischen Beziehungen und der logistischen Kapazitäten wählt die Übungstruppe Ghana als sicheres Gastland und logistisches Drehkreuz. Doch die Distanzen sind groß – auf dem Seeweg 38 Stunden nach Lagos in Nigeria und zurück. Auf dem Luftweg müssen Togo und Benin überflogen werden. Dennoch gelingt es, mit einem Einsatzgruppenversorger der Marine und den Transportflugzeugen A400M der Luftwaffe mehr als 2.900 Menschen zu evakuieren.
Ressortübergreifend: Bei Evakuierungsoperationen arbeiten Bundeswehr, Bundespolizei und Auswärtiges Amt Hand in Hand - auch im Einsatzstab der Übung Extricate Owl
Bundeswehr/Anne Weinrich
Beratung und Organisation: Soldaten - unbewaffnet und in Zivil - unterstützen in ressortübergreifenden Krisenunterststützungsteams deutsche Auslandsvertretungen bei Evakuierungsoperationen, hier bei der MilEvakOp Sudan 2023
Bundeswehr/Jana Neumann
Multinationale Koordination fester Bestandteil
Im Szenario werden durch ein Schiff der französischen Marine weitere 846 Menschen in Sicherheit gebracht. Insgesamt sieben Partnernationen sind in Extricate Owl 2025 eingebunden. Denn auch im Ernstfall agiert die Bundeswehr niemals allein in einem Krisenland. Oberst i. G.im Generalstabsdienst Stephan T. – in der Übung genauso wie bei vergangenen Evakuierungen Chef des Stabes des Einsatzstabs Evakuierungsoperationen – sagt: „Evakuierungsoperationen werden national geführt, aber immer multinational koordiniert. Denn im Ernstfall geht es genauso wie in der Übung darum, knappe Ressourcen bestmöglich zu nutzen.“
Ist nur ein Liegeplatz am Hafen verfügbar, stimmen die an der Evakuierung beteiligten Nationen ab, welches Schiff die meisten Menschen aufnehmen kann. Hat ein Land einen Slot am Flughafen zugeteilt bekommen, den es nicht nutzen kann, wird nach Möglichkeit getauscht. „Jede Nation will schnellstmöglich die eigenen Staatsangehörigen in Sicherheit bringen. Das ist die verbindende Klammer“, sagt Stephan T.
Steigende Waffengewalt führt zu robustem Mandat
Mit Fortschreiten des Konflikts führen Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien, gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung und Flüchtlingsströme dazu, dass sich die zu evakuierenden Menschen nicht mehr ungefährdet im Land bewegen können. Zugleich versuchen immer mehr Einheimische, mit ihren Familien Zugang zu den Sammelpunkten für die Evakuierung ausländischer Staatsangehöriger zu erhalten.
Nach einem Beschluss des Krisenstabs wird eine robuste militärische Evakuierungsoperation eingeleitet, bei der auch Waffengewalt zum Schutz deutscher Staatsangehöriger eingesetzt werden kann. Damit handelt es sich um einen mandatierungspflichtigen Einsatz bewaffneter Streitkräfte. Die Zustimmung des Deutschen Bundestags kann jedoch bei Gefahr im Verzug nachträglich erfolgen. Menschen dürfen nun, von bewaffneten deutschen Soldatinnen und Soldaten geschützt, zu den Evakuierungspunkten und dann außer Landes gebracht werden.
„Die robuste Evakuierungsoperation ist die komplexeste und anspruchsvollste Form der militärischen Evakuierung“, erklärt Oberst Stephan T. Sie erfordere ein nahtloses Ineinandergreifen und Zusammenwirken der Einsatzkräfte an Land, auf See und in der Luft – bei einem potenziellen Einsatzverband von bis zu 1.000 Soldatinnen und Soldaten.
Der Einsatzverband einer militärischen Evakuierungsoperation kann bis zu 1.000 Einsatzsoldatinnen aus Heer, Luftwaffe und Marine sowie dem Unterstützungsbereich umfassen, hier spezialisierte Kräfte in Jordanien während der MilEvakOp Sudan
Bundeswehr/Andreas Hultgren
Ziel miliärischer Evakuierungsoperationen ist immer, die eigenen Staatsangehörigen und andere Schutzberechtigte so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen , hier eine Evakuierungsflug aus dem Sudan im April 2023
Bundeswehr/Jana Neumann
Rettung aus isolierten Lagen
Auch Isolationslagen – also Situationen, aus denen die betroffenen Menschen sich nicht aus eigener Kraft mehr retten können – werden geübt. Im Szenario geht es um vier Bundespolizisten, die zum Schutz der deutschen Botschaft in der Hauptstadt verblieben waren und nun auf dem Landweg ausreisen müssen.
„Isolationslagen sind immer zeitkritisch. Selbst ohne unmittelbare Gefahr für Leib und Leben kann sich daraus schnell eine Entführung oder Geiselnahme entwickeln“, sagt Stephan T. Schnelligkeit sei daher der Schlüssel zum Erfolg. „Im Szenario gedacht: Auf Personnel Recovery spezialisierte Kräfte aus Ghana einzufliegen, dauert länger, als die Fallschirmjägerkompanie einzusetzen, die zum Schutz des Flughafens für die Luftevakuierung bereits vor Ort sind“, so der Oberst.
Die Übungsserie Extricate Owl
Bei der Übungsserie Extricate Owl handelt es sich um eine Stabsrahmenübung ohne reale Truppenverlegung oder konkreten Einsatzbezug. Beübt wird der Einsatzstab für Evakuierungsoperation. Die beteiligten Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Angehörigen der Bundeswehr stammen mehrheitlich aus dem Operativen Führungskommando der Bundeswehr.
Mit Alarmierung des Einsatzstabes entsenden auch das Heer beziehungsweise die Division Schnelle Kräfte, Luftwaffe, Marine und Unterstützungsbereich Kräfte in den Stab. Um die ressortübergreifende Zusammenarbeit zu optimieren, sind unter anderem auch das Auswärtige Amt und die Bundespolizei in die Übung eingebunden. Denn auch sie sind im Ernstfall Teil des Einsatzstabs.
Oberst i.G.im Generalstabsdienst Stephan T., Chef des Stabes Einsatzstab
Potenzielle Krisenlagen können sich jederzeit so entwickeln, dass eine Evakuierung deutscher Staatsangehöriger erforderlich wird.“
„2023 haben wir bei Extricate Owl eine militärische Evakuierungsoperation geübt. Drei Wochen später kamen die Übungsteilnehmerinnen und -teilnehmer wieder zusammen – für eine reale Krisenlage, die Evakuierung aus dem Sudan“, sagt Oberst Stephan T. „Und die weltweite Sicherheitslage zeigt: Potenzielle Krisenlagen können sich jederzeit so entwickeln, dass eine Evakuierung deutscher Staatsangehöriger erforderlich wird.“