„Es besteht ein erhöhter Ausbildungsbedarf für Instandsetzungskräfte bis 2029“
Ausbildung- Datum:
- Ort:
- Aachen
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Deutschland investiert in den nächsten Jahren in die Landes- und Bündnisverteidigung. Daher erhält die Bundeswehr mehr neue Technik und Waffensysteme. Für deren Instandsetzung braucht es Fachkräfte. Der Kommandeur der Technischen Schule des Heeres in Aachen, Oberst Stephan Kurjahn, erläutert, wie sich seine Ausbildungseinrichtung darauf einstellt und was für ihn die Lehren aus dem Krieg in der Ukraine sind.
Die Technische Schule des Heeres (TSH Technische Schule des Heeres) ist verantwortlich für die Aus- und Weiterbildung aller Instandsetzungskräfte für Landsysteme. Die Komplexität der Landsysteme des Heeres erfordert hohes technisches Verständnis. Lehrinhalte sind unter anderem die Instandsetzung aller gepanzerten Ketten- und Radfahrzeuge wie dem Schützenpanzer Puma, dem Kampfpanzer Leopard 2 oder dem Transportpanzer GTKGepanzertes Transport-Kraftfahrzeug Boxer, aber auch von Waffen wie dem Gewehr G36 und der Elektronik, Optik und Hydraulik an Fahrzeugen und Geräten wie zum Beispiel Drohnen.
Herr Oberst Kurjahn, welche Ziele verfolgen Sie als Kommandeur dieser Ausbildungseinrichtung?
Zunächst muss ich mich als Kommandeur in dieser Zeit fragen: Wie mache ich bis 2029 meinen Verband kriegstüchtig? Die Schule ist eine ortsfeste Ausbildungseinrichtung, die im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung nicht verlegt wird. Aber jeder Einzelne muss damit rechnen, auch schnell woanders gebraucht zu werden, beispielsweise an der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke. Zudem müssen wir die Trainings so umstellen, dass wir nicht schulisch ausbilden, sondern so gut wie möglich die Realität der Landes- und Bündnisverteidigung abbilden. Im Ernstfall findet Instandsetzung nur selten in Hallen bei hellen 500 Lux Beleuchtungsstärke und bei einer Temperatur von 20 Grad statt.
Es besteht also ein erhöhter Ausbildungsbedarf für die Instandsetzungskräfte bis 2029?
Ja, und der wird im Wesentlichen durch zwei Kernfaktoren getrieben: Zum einen wird das Heer bereits in den nächsten Jahren eine Vielzahl neuer Waffensysteme erhalten und die technische Ausbildung für alle Landsysteme findet an der TSH Technische Schule des Heeres statt. Zum anderen werden zusätzliche Truppengattungen wie die Heeresflugabwehrtruppe wieder aufgebaut. Die Zahl der Heimatschutzkräfte wird erhöht und der Aufbau der Mittleren Kräfte, also der schwer bewaffneten Infanteristen, vorangetrieben. Auch werden die Divisionen mit eigenen Versorgungsbataillonen für die Divisionstruppen ausgestattet.
Sie sind ja auch General der Heereslogistiktruppen. Wo sehen Sie in diesem Bereich Handlungsbedarf?
Als General der Heereslogistiktruppen repräsentiere ich rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten im Deutschen Heer mit den derzeitigen sieben Versorgungsbataillonen und vier selbstständigen Kompanien. Da die Anzahl der Bataillone zunehmen wird, wird auch dieser Bereich personell wachsen. Als Beispiele seien das Versorgungsbataillon 456 der Panzerbrigade 45 in Litauen genannt, das neu aufgestellt wird, aber auch perspektivisch weitere neue Versorgungskräfte etwa für die Divisionstruppen der 1. Panzerdivision. Die größten Herausforderungen für uns – wie bei nahezu der gesamten Bundeswehr – sind das fehlende Personal und Material. In der Heereslogistik sind derzeit durchschnittlich 70 Prozent aller Dienstposten besetzt. Beim Material wurde einiges erreicht, insbesondere Transportplattformen beschafft. Wir benötigen allerdings bei den logistischen Systemen, unter anderem bei den Tankcontainern, Bergemitteln, Umschlagmitteln und Kränen, noch einen erheblichen Zuwachs.
Welche Änderungen im Vergleich zur Struktur Heer 2011 sind für die Versorgungsbataillone und die logistischen Dienste des Heeres geplant beziehungsweise eingeleitet?
Die Heereslogistiktruppen wurden, beginnend im Jahr 2011, umstrukturiert und zwar von Systemkompanien – das waren klassische Nachschub- oder Instandsetzungskompanien – hin zu Fähigkeitskompanien, also zu Versorgungskompanien, um damit auf dem Gefechtsfeld flexibel zu sein. Dabei entwickeln wir uns ständig weiter. Beispielsweise wird derzeit untersucht, wie das Versorgungsbataillon für die Mittleren Kräfte aussehen muss. Die Mittleren Kräfte, schwer bewaffnet und auf eigenen Rädern verlegbar, haben andere Einsatzgrundsätze als die Schweren und die Leichten Kräfte und damit auch andere Anforderungen an die Logistik.
Was hat sich inhaltlich geändert?
Die Logistische Ebene 1, also die letzten 100 Meter bis zur Frontlinie, wurde gestärkt. Die Kampftruppenbataillone können jetzt bei Bedarf, und wenn es die Lage zulässt, mit einer Instandsetzungsgruppe für das Hauptwaffensystem weit vorn instand setzen, um dann das Gerät schnell wieder der Truppe zuzuführen. Das hat natürlich auch seine Grenzen, wenn bei der hochbeweglichen Gefechtsführung die Verweildauer vorn bei der Kampftruppe sehr kurz ist. Allerdings muss man sich heute fragen: Brauchen wir nicht noch hochmobilere Einheiten, die noch schneller verlegen können, mit kürzeren Instandsetzungszeiten, aber damit auch eingeschränkteren Instandsetzungsfähigkeiten?
Werden die im Krieg in der Ukraine gewonnenen logistischen Erfahrungen – zum Beispiel in Bezug auf das „gläserne Gefechtsfeld“ – in der Struktur, der Ausbildung und der Einsatzlogistik des Heeres umgesetzt?
Erstens werden die Erkenntnisse aus dem Russland-Ukraine-Krieg in die nationale technische Ausbildung eingebracht. Wir haben durch die Ausbildung der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten an der TSH Technische Schule des Heeres unmittelbar Kontakte zu ihnen und die Chance, von ihren Erkenntnissen zu profitieren. Wenn zum Beispiel an der Panzerhaubitze 2000 der Artillerie wegen der hohen Schussbelastung im Krieg ein bestimmtes Teil häufig gewechselt werden muss, dann wird diese Erfahrung gezielt und unverzüglich in die Ausbildung eingebracht, auch wenn das in Deutschland aufgrund des hiesigen Nutzungsprofils nie so wahrgenommen wurde.
Und zweitens?
In Bezug auf das „gläserne Gefechtsfeld“ fragen wir uns: Wie kann die Truppe vor Drohnen geschützt werden? Oder wie können die Aufklärungs- und Wirkungsmöglichkeiten von feindlichen Drohnen zumindest abgemildert werden? Wie setzt das Heer selbst Drohnen zur Erkundung, Aufklärung und Marschüberwachung ein? In der Aus- und Weiterbildung des Führungspersonals wird an der TSH Technische Schule des Heeres bereits hierzu eine zweistellige Anzahl von Drohnen genutzt. Für uns ist die höchste Prämisse – auch das ist eine Lehre des Kriegs in der Ukraine – der Schutz logistischer Einrichtungen. Unabhängig von Bewaffnungsfragen für die Heereslogistiktruppen müssen wir, was die Bereithaltung von Versorgungsgütern betrifft, uns besser tarnen, mehr auflockern und größere Räume nutzen, um der Bedrohung von logistischen Einrichtungen entgegenzuwirken.
In welche Zukunftstechnologien sollte bei der Logistik für Landsysteme und bei der Ausbildung künftig verstärkt investiert werden?
Ich sehe hier vornehmlich fünf Bereiche. Erstens: der automatisierte Transport von Versorgungsgütern. Dabei geht es um luftgestützte und vor allem bodengebundene unbemannte Systeme. Insbesondere für die Logistische Ebene 1, beispielsweise für die Kampftruppe im Orts- und Häuserkampf oder auch im Waldkampf, sind autonome Systeme in Zukunft erforderlich. Zweitens: die vernetzte Steuerung von Logistik, insbesondere eine KIkünstliche Intelligenz-basierte Lagerhaltung.
Drittens: die Überwachung der technischen Daten der Waffensysteme. Das heißt, jedes Fahrzeug zeigt IP-basiert an, welche Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten zeitnah durchzuführen sind. Die Sensorik stellt fest, welche Ersatzteile wann für welches Waffensystem benötigt werden und übermittelt diese Daten IP-basiert an die betrieblichen Abläufe. Viertens: Technologie zur Tarnung von Einrichtungen und Fahrzeugen insbesondere zum Schutz vor Drohnenaufklärung aus der Luft. Fünftens: die Fertigung von Ersatzteilen mittels 3D-Druck. Um die eigene Ersatzteilbeschaffung zu entlasten, können Ersatzteile, wo möglich, selbst hergestellt, also gedruckt, werden. Damit beschäftigen wir uns intensiv. Allerdings wird es noch einige Zeit dauern, bis wir beispielsweise in der Lage sind, ein Radlager „auszudrucken“. Aber wir müssen diesen Bereich für uns weiter ausbauen.
Gibt es aus Sicht der Heereslogistik wesentliche Forderungen, die dringend erfüllt werden müssen, damit das Heer kriegstauglich, kaltstart- und durchhaltefähig wird?
Der Inspekteur des Heeres bezeichnet die logistischen Systeme und die logistischen Fähigkeiten gern als den Mörtel, der die Steine zusammenhält. Ohne diesen Mörtel wird ein Heer die genannten Ziele nicht erreichen. Das große Getriebe Brigade, um es mal technisch auszudrücken, braucht jedes Zahnrad: Aufklärung, Wirkung, Führungsfähigkeit und natürlich auch Unterstützungsfähigkeiten, sprich die Logistik. Logistik ist nicht alles, aber ohne Logistik ist alles nichts, wenn ich frei abgewandelt Willy Brandt zitieren darf. Wenn es uns nicht gelingt, die Logistik so auszustatten, dass die Brigaden auch in einem hochintensiven Gefecht logistisch durchhaltefähig sind, dann werden wir die Kriegstauglichkeit nicht erreichen.