Im Einsatz gefallen: „Papa kommt nicht wieder“

Im Einsatz gefallen: „Papa kommt nicht wieder“

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
5 MIN

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

„Nina, der Papa ist tot“. Es sind Worte, die Feldwebel Nina Tholi nie vergessen wird. Es waren jene Worte ihrer Großmutter, die der damals 18-Jährigen den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Es war ein Gefühl, das sie bis heute nicht in Worte fassen kann. Am 28. Mai 2011 traf sich Generalmajor Markus Kneip in der afghanischen Provinzhauptstadt Talokan mit Kommandeuren der örtlichen Polizei und Armee. Als das deutsch-afghanische Sicherheitstreffen beendet war, sprengte sich ein Selbstmordattentäter der Taliban vor dem Gouverneurspalast in die Luft. Major Thomas Tholi und Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein kamen bei diesem Anschlag ums Leben; weitere Personen, darunter auch General Kneip, wurden schwer verletzt.

Die Führungsakademie der Bundeswehr gedenkt Major Tholi

Im Jahr 2011 starb der Vater von Feldwebel Nina Tholi im Alter von 43 Jahren im Afghanistan-Einsatz

Führungsakademie der Bundeswehr/Marie Kellermann

Auch wenn der Anschlag mittlerweile neun Jahre her ist, in Vergessenheit gerät er an der Führungsakademie der Bundeswehr aus vielerlei Gründen nicht. Denn Major Tholi absolvierte im Jahr 2008 seinen Stabsoffizierlehrgang an der Generalleutnant-Graf-von-Baudissin-Kaserne in Hamburg. Im Hörsaal 9 eignete er sich die Grundlagen für seine zukünftigen Aufgaben als Stabsoffizier an. Er war ein Soldat, so sagte es der damalige Verteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière bei der Trauerfreier im Juni 2011, der durch außerordentliche Pflichterfüllung herausragte. Seine Geschichte ließ auch frühere Lehrgangsteilnehmende aus dem Hörsaal 9 nicht kalt. Sie schlugen vor, Major Tholi an der höchsten militärischen Ausbildungsstätte in Deutschland zu gedenken. Sie wollten erst den Hörsaal nach ihm benennen. Doch im Gespräch mit der Tochter des gefallenen Soldaten kamen sie auf eine andere Idee.

Im Hörsaal 9 des Basislehrgangs Stabsoffizier (BLS) hängt ein Foto des gefallenen Soldatens Major Tholi

Wer in den Hörsaal 9 des Basislehrgangs Stabsoffizier (BLSBasislehrgangs Stabsoffizier) kommt, sieht eine Erinnerungstafel des gefallenen Soldaten Major Thomas Tholi

Führungsakademie de Bundeswehr/Marie Kellermann

Verstorbener Vater dient als Figur für Gefallene

„Ich fand es schön, als ich gehört habe, dass an meinen Vater gedacht werden sollte und ich ein Teil des Prozesses sein durfte, ein würdiges Andenken für ihn zu finden. Die Lehrgangsteilnehmenden haben schöne und kreative Ideen gebracht, ich wollte es jedoch schlichter und unaufdringlicher“, sagt die heute 27-jährige Nina Tholi, die im vergangenen Sommer Lehrgangsteilnehmende in Hamburg besuchte. Wer nun in den Hörsaal 9 kommt, sieht an der Wand ein Bild ihres verstorbenen Vaters mit einer Gedenkplakette. „Ich wollte nicht, dass mein Vater als Mahnfigur angesehen wird. Ich fand es aber schön, dass er als Figur oder Beispiel für die gefallenen Kameraden genommen wird. Es war mir sehr wichtig, dass immer in den Kontext gebracht wird, dass er stellvertretend für alle gefallenen Kameraden steht. Es sollte nie nur um ihn allein gehen, wenn im Hörsaal 9 über das Bild gesprochen wird. Das ist nun gelungen“, sagt Nina Tholi mit Blick auf das Foto.

„Er hatte einen speziellen Humor“

„Mein Vater war oft für die Bundeswehr unterwegs gewesen. Bei seinem letzten Einsatz war er die rechte Hand von General Kneip“, sagt sie. Mehr als 500 Einsatztage zählte ihr Vater, darunter waren Einsätze in Bosnien-Herzegowina und Afghanistan. „Ich wollte immer wissen, was er da genau macht. Doch er hat immer gesagt: Nina, ich bin Soldat. Mehr musst du darüber nicht wissen.“ Die Angst, dass ihrem Vater etwas zustoßen könnte, war groß. „Er meinte dann: ‚Solange ich mich nicht melde, ist alles gut. Und wenn mir was passiert, dann haben die deine Nummer.‘“ Es war seine Art, mit der Situation umzugehen. Schließlich sei man davon ausgegangen, dass nichts passieren würde. Ihr Vater hatte eine ganz besondere Art, sagt Feldwebel Tholi. „Er hatte einen sehr speziellen Humor. Meiner Meinung nach war er der einzige Mensch, der seinen Humor lustig fand“, so die  27-Jährige mit einem Lächeln. „Rückblickend finde ich seinen Humor auch lustig. Er war zudem sehr charmant. Aber trotzdem hat man nie den Respekt vor ihm verloren, weil er das einfach ausgestrahlt hat - als Vater und demnach zu folgen, was ich über ihn gehört habe, auch als Kamerad.“

Sie tauschen sich über Major Tholi aus

Hörsaalleiter Oberstleutnant Wolfgang Janker, Professor Dr. Loretana de Libero, Feldwebel Nina Tholi und Generalmajor Oliver Kohl tauschen sich aus

Führungsakademie der Bundeswehr/Marie Kellermann

Kommandeur und Hörsaalleiter kannten Major Tholi persönlich

Auch der Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, Generalmajor Oliver Kohl, kannte Major Tholi persönlich. „Wir waren zusammen in einem Einsatz, der mich sehr geprägt hat. Ich war der Kommandeur des Provincial Reconstruction Team Feyzabad und wir haben uns 13 Stunden vor dem Anschlag noch persönlich getroffen und unterhalten. Ich denke häufig an ihn und das hat nichts mit dem heutigen Tag zu tun. Ich höre seine Stimme immer noch, wenn ich daran zurückdenke“, erzählt er bei der Gedenkveranstaltung im Hörsaal 9. Für ihn ist die Erinnerung an den gefallenen Kameraden aber auch aus einer weiteren Sache wichtig: Das Bild von Major Tholi verdeutlicht jedem, der den Hörsaal betritt, was der „ultimative Preis“ des Soldatenberufes sein kann.

Oberstleutnant Wolfgang Janker, Hörsaalleiter
Major Tholi und seine Familie haben den höchsten Preis bezahlt, den man für die Pflichterfüllung in seinem Land überhaupt geben kann.“

Auch Hörsaalleiter Oberstleutnant Wolfgang Janker erinnert sich an Major Tholi: „Ich habe seine entspannte und ehrliche Art auf Fehler hinzuweisen in Erinnerung. Er hat mir in der Vorausbildung das beigebracht, was ich im Einsatz wissen musste. Das Gedenken an Major Tholi wird in diesem Raum eine würdige Form finden und die werden wir beibehalten.“ Im Lehrgang wird viel über das Thema Innere Führung gesprochen. Dazu gehöre es, „Themen wie Verwundung und Tod, Umgang mit Angst und Fragen nach Schuld und Versagen ehrlich und einfühlsam zu besprechen.“

Lehrgangsteilnehmer gedenken dem gefallenen Kameraden

Lehrgangsteilnehmer gedenken dem gefallenen Kameraden

Führungsakademie der Bundeswehr/Marie Kellermann

Auf der Suche nach Struktur

Wenn Feldwebel Tholi über ihren Vater spricht, werden ihre Augen glasig. Es habe lange gedauert, bis sie begriffen hat, dass ihr Papa nicht wiederkommen wird. Der Tod ihres Vaters hat ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Als sie vom Anschlag erfahren hat, ging sie noch auf das Gymnasium. Doch in der Schule wussten Mitschüler und Lehrer nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten. Sie brach die Schule ab und begann eine Ausbildung zur Fitness- und Gesundheitskauffrau. Als das Unternehmen jedoch Insolvenz angemeldet hat, begriff sie es als Chance, nun zur Bundeswehr zu gehen. „Ich fand die klaren Strukturen sehr ansprechend. Die wurden mir durch den Tod meines Vaters genommen. Mein Vater war zu Hause sehr streng, es musste für ihn immer alles klar strukturiert sein. Mir waren viele Freiheiten gegeben, solange ich Leistung zeigte. Ich war ohne meinen Vater sozusagen erst einmal führungslos und habe mich wieder nach Strukturen gesehnt, die ich dann bei der Bundeswehr wieder gefunden habe.“

Feldwebel Tholi befindet sich nun in ihrem fünften Dienstjahr: „Ich bin Materialbewirtschaftungsfeldwebel und seit letztem Jahr mit der Ausbildung fertig“, sagt sie stolz. Eingesetzt ist sie im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr in Koblenz. Bereut hat sie ihre Entscheidung nicht. „Die Entscheidung selbst zur Bundeswehr zu gehen, war genau die richtige für mich. Ich bin sehr glücklich darüber, diesen Schritt gegangen zu sein. Unabhängig davon ehrt es mich sehr, auch von der militärischen Seite zu erleben, welchen Eindruck mein Vater als Vorgesetzter hinterlassen hat. Es erfüllt mich mit Stolz, diese Ehren für ihn stellvertretend entgegenzunehmen.“

von Sophie Düsing  E-Mail schreiben

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Hauptfeldwebel Wiliam: "Hinter jedem Kreuz steckt eine Geschichte"

Der Volkstrauertag erinnert an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltbereitschaft. Hauptfeldwebel William hilft, Grabstätten zu pflegen.

Weiterlesen