Interview

„Stauffenberg hat die innere Freiheit genutzt“

„Stauffenberg hat die innere Freiheit genutzt“

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
7 MIN

Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg platzierte die Bombe, die Adolf Hitler am 20. Juli 1944 töten sollte. Seine Enkelin Sophie von Bechtolsheim ist jetzt Gast der Führungsakademie der Bundeswehr gewesen. Im Interview spricht sie über Befehl und Gehorsam, Maßstäbe und Schicksale. Und über Fragen, die sich wohl nie beantworten lassen.

Sophie von Bechtolsheim spricht über die Widerstandsgruppe vom 20. Juli 1944. Dieser Gruppe gehörte ihr Großvater an.

Zugeschaltet aus Oberbayern: Sophie von Bechtolsheim. Die Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg sprach jetzt vor Teilnehmenden des Lehrgangs Generalstabs-/ Admiralstabsdienst National 2021. Coronabedingt per Videokonferenz.

Bundeswehr/Katharina Roggmann

Frau von Bechtolsheim, Sie haben gerade vor und mit Stabsoffizierinnen und -offizieren gesprochen, die so alt sind wie ihr Großvater, als er sich zum Anschlag auf Hitler entschloss. Wie haben Sie diesen Austausch erlebt?

Vor Lehrgangsteilnehmenden der Führungsakademie zu referieren, war interessant und spannend. Der Austausch wäre sicherlich intensiver ausgefallen, wenn uns nicht Corona auf Distanz gehalten und zu einem Vortrag per Videokonferenz gezwungen hätte. In jedem Fall hat mich die Einladung von Professorin Loretana de Libero geehrt. Zugleich war die Teilnahme an ihrer Vorlesungsreihe eine gewisse Herausforderung für mich, denn ich muss zugeben: Von den Strukturen der Bundeswehr verstehe ich wenig. Ich hoffe, dass ich dennoch einiges zum Menschen Stauffenberg, zu seinen Beweggründen und Nachwirkungen vermitteln konnte. Nicht als Biografin – sondern aus der Sicht eines Familienmitglieds.

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, gebunden an Recht und Gesetz, geprägt vom Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Was können die heutigen Offizierinnen und Offiziere vom 20. Juli lernen?

Gewissensmut und Verantwortung, die auch in existenzieller Krise zum Handeln befähigen. Diese Verantwortung geht über das enge Verständnis von Zuständigkeitsgrenzen, Befehl und Gehorsam hinaus. Zitate, Briefe sowie protokollierte Aussagen geben Einblick in die Motive der Verschwörer. Diese Menschen spürten die Verantwortung, die sie aufgrund der Erkenntnis in den verbrecherischen Charakter des Regimes und in die eigenen Möglichkeiten verspürten. Stauffenberg fühlte sich verantwortlich für die Soldaten, deren Vorgesetzter er war; für die Mütter, deren Söhne in einem grausamen Krieg fielen; für die Kriegsgefangenen, die er zu versorgen hatte; für die verfolgten Juden, für die Menschen in den besetzten Gebieten, für seine Familie und letztlich für die Menschen des Landes, dem er dienen wollte und das sich in der Weltgemeinschaft durch Verbrechen verunmöglichte. Letztlich, und das kann man an vielen Stellen auch bei anderen Beteiligten lesen, fühlten sie sich vor ihrem Gewissen verantwortlich und nutzten die innere Freiheit.

Die eingangs erwähnte Vorlesungsreihe der Führungsakademie setzt sich mit neueren Forschungen zur Gewaltgeschichte auseinander. Knapp acht Jahrzehnte nach dem 20. Juli 1944, nach einer Vielzahl an Veröffentlichungen über den Umsturzversuch und die Verschwörer: Kann die Wissenschaft noch neue Fakten liefern – oder nur neu deuten?

Sicher gibt es noch unentdecktes Quellenmaterial. Die Beschäftigung mit unbekannteren Persönlichkeiten aus dem Kreis der Verschwörer könnte neue Details zutage fördern. Jedes einzelne Lebensbild ist wertvoll und entreißt dem 20. Juli einmal mehr die vermeintliche „One-Man-Show“ Stauffenbergs. Missdeutet wurde der 20. Juli von Beginn an. Hitler sprach von einer „ganz kleinen Clique ehrgeiziger, gewissenloser Offiziere“. Diese Deutung hallt noch heute nach. Die Rezeption sagt viel über den jeweiligen politischen Zeitgeist aus. Der 20. Juli hatte es zu keiner Zeit „leicht“. Meine Sorge ist, dass, je weiter wir uns von dieser Zeit entfernen, damalige Quellen zu sehr mit der Jetzt-Zeit-Brille gelesen und an die Texte heutige Maßstäbe angelegt werden. Menschen schreiben und sprechen in einer Diktatur aber anders. Das muss decodiert werden.

Nahaufnahme von Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Das Bild entstand, bevor er im Jahr 1943 das linke Auge verlor.

Schleuste am 20. Juli 1944 einen Sprengsatz in das „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ ein: Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Bundeswehr/Filmschau

Als Nachkommin Stauffenbergs, aber auch als Kuratoriumsmitglied der Stiftung 20. Juli 1944 setzen Sie sich intensiv mit dem damaligen Widerstand auseinander. Welche Fragen konnten Sie sich bisher nicht beantworten? Was lässt sich nicht erklären?

Prinzipiell lässt sich nicht beantworten, wer wann was gedacht hat. Also Fragen, die auf die geistigen Prozesse von Menschen abzielen. Wir wissen, dass Stauffenberg 1941/42 sinngemäß davon sprach, dass Hitler umgebracht werden müsse. Nicht aber, wann er diesen Gedanken erstmals hatte. Auch die Frage, was er kurz vor seiner Hinrichtung tatsächlich gerufen hat, wird nicht zu klären sein, außer man findet ein Aufnahmegerät. Offen ist: Waren noch mehr Menschen in die Planungen des 20. Juli involviert? Warum wurde nur ein Sprengsatz gezündet? Warum haben die Angehörigen der Widerständler überlebt? Eine interessante Frage, die sich wissenschaftlich schlecht erschließen lässt: Wie stünde es um das Selbstverständnis der Deutschen, wie stünde es um den Platz Deutschlands in der Welt, hätte es den 20. Juli 1944 nicht gegeben?

Das öffentliche Interesse an der Person Stauffenberg ist groß. Sie selbst schreiben Bücher über ihn, geben Lesungen, halten Vorträge, gehen in Talkshows. An ihn erinnern Gedenkveranstaltungen, Straßen und Plätze. Auch in Hamburg, wo die Stauffenbergstraße von der Führungsakademie bis hin zur Elbchaussee verläuft. Ist die Allgegenwart Ihres Großvaters mitunter auch eine Belastung für Sie?

Als Jugendliche war es für uns nicht immer leicht zu spüren, dass manche einem mit Ehrfurcht begegnen; zu wissen, dass dies nichts mit einem selbst zu tun hat, sondern mit der Herkunft. Aber, da wir nicht andauernd mit der Bedeutung Stauffenbergs befasst waren, auch weil es in der Familie keinen heroisierenden Umgang mit dem Thema gab, hat es mich nicht belastet. Ich habe mich auch erst spät mit dem 20. Juli auseinandergesetzt, obwohl mein Interesse immer der Zeit des Nationalsozialismus galt, besonders der Verfolgung der Juden. Meine Beschäftigung mit dem Thema wurde immer durch Impulse von außen ausgelöst. Ich wurde gefragt, ob ich diese oder jene Aufgabe übernehmen könne. Meine spontane Reaktion ist dann: Kann ich wirklich einen inhaltlichen Mehrwert beitragen? Oder besteht der „Mehrwert“ allein in der Nachkommenschaft? Letzteres reicht für mich persönlich nicht aus. Heute bin ich schlicht dankbar, dass die Menschen, zu denen Stauffenberg gehörte, versucht haben, das Grauen zu beenden.

Stauffenberg und der preußische Heeresreformer August Graf Neidhardt von Gneisenau (1760-1831) sind Schlüsselfiguren der deutschen Militärgeschichte; beide zählen zu Ihren Vorfahren. Weitere Verwandte haben als Offizier gedient, etwa Ihr Onkel Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg, ein Generalmajor a.D. der Bundeswehr. Welchen Einfluss hat diese Familientradition auf Sie gehabt?

Mich hat Militärisches wenig geprägt. Im Kontext meiner Stiftungsarbeit habe ich allerdings eindrucksvolle Begegnungen mit Offizieren gehabt. Die Begegnung mit einem ehemaligen Zeitsoldaten, für mein jüngstes Buch, gehört ebenfalls dazu. Ich bedauere, auch als Mutter von vier Söhnen, dass die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft wurde. In der Rezeption des 20. Juli ist das Wissen um Militärgeschichte von großer Bedeutung; die damals herrschenden militärischen Strukturen erschließen sich mir jedoch nur schwer. Meiner Ansicht nach haben auch manche Autoren, die über den 20. Juli schreiben, diese Kenntnis nicht in umfassendem Maße. Dahingegen sind die Stauffenberg-Bücher von Ulrich Schlie und Christian Müller sehr empfehlenswert.

2019 haben Sie Ihr erstes Buch vorgelegt: „Stauffenberg. Mein Großvater war kein Attentäter“. Wie sind Sie zu dieser Feststellung gekommen?

Mit Attentäter verbinden wir eine Person, die mit ihren Taten Angst und Schrecken verbreitet, um der Welt mit maximaler Aufmerksamkeit ihr Weltbild aufzuzwingen. Die Verschwörer vom 20. Juli wollten das Gegenteil, sie wollten Tod und Tyrannei beenden. Der Titel war provokant; er war eine Reaktion auf ein Buch über meinen Großvater, das den Untertitel „Porträt eines Attentäters“ trägt. Darin wird ein radikalisierter Einzelkämpfer gezeigt, der rückwärtsgewandte Ideen ohne moralische Motivation in eine Bombe packt. Mich hatte erstaunt, wie ernsthaft Thesen diskutiert wurden, die auf zweifelhaften wissenschaftlichen Methoden basieren.

Ihr Vortrag an der Führungsakademie stand unter der Überschrift „Stauffenberg. Folgen“. Für Ihr gleichnamiges Buch haben Sie sich mit Zeitzeugen und Nachfahren getroffen. Welche Begegnung hat Sie besonders berührt?

Alle Begegnungen bereichern mich bis heute, ich könnte keine priorisieren. Wenn man „Stauffenberg. Folgen“ wörtlich nimmt, sind mit meiner Familiengeschichte zwei Schicksale besonders eng verwoben. Da ist mein Schwiegervater, der – völlig ahnungslos – nach dem 20. Juli in Untersuchungshaft gesteckt wurde. Auf dem Schreibtisch Stauffenbergs war lediglich ein Versetzungsgesuch mit seinem Namen gefunden worden. Und da ist Dorothea Johst, die Tochter des Stenografen Heinrich Berger, der durch den Sprengsatz meines Großvaters getötet wurde. Diese besondere Begegnung war, wie bei allen anderen Gesprächspartnern, der wunderbare Beginn für einen bis heute vertrauten Kontakt. Allein das Todesdatum 20. Juli 1944 auf Heinrich Bergers Grabstein hat mich – leider fällt mir kein anderes Wort ein – umgehauen.

Wann erscheint Ihr nächstes Buch? Worum geht es darin?

Oh, diese Frage kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Aber: Hätten Sie einen Impuls? Ich bin offen.

Sophie von Bechtolsheim sitzt auf einer Parkbank und lächelt. Die Autorin lebt und arbeitet in Oberbayern.

Stellt sich in ihren Büchern die Frage, was ihr Großvater Claus Schenk Graf von Stauffenberg hinterlassen wollte – und hinterlassen hat: Sophie von Bechtolsheim

Sophie von Bechtolsheim
von Mario Assmann  E-Mail schreiben