Tief im Feindesland
Tief im Feindesland
- Datum:
- Ort:
- Eutin
- Lesedauer:
- 6 MIN
„Wir klären dem eigenen Gegenangriff voraus auf! Der Auftrag ist ein Wettlauf gegen die Zeit, verstanden?“ Die Soldatinnen und Soldaten des Spähtrupps nicken ihrem Spähtruppführer zu. Als Aufklärer sind sie zeitkritische Operationen gewohnt. Das beweisen sie auch in der Spähaufklärungswoche der 1. Panzerdivision.
Von der Theorie zur Praxis
Das Aufklärungsbataillon 6 „Holstein“ aus Eutin richtet diese Trainingswoche mit den Soldaten des Aufklärungslehrbataillons 3 aus Lüneburg und des Aufklärungsbataillons 7 aus Ahlen aus. Am Dienstagmorgen beginnt die Ausbildung. Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Spähaufklärung in einem hochintensiven Gefechtsszenario, wie es im Soldatenjargon heißt. Einst war dies die Kernfähigkeit der Aufklärer, die jedoch wegen der Auslandseinsätze der vergangenen Jahre an Bedeutung verlor. Heute nimmt das Thema Landes- und Bündnisverteidigung und damit das hochintensive Gefechtsszenario wieder an Bedeutung zu. Um sich alten Fähigkeiten wieder anzunähern, üben die Aufklärer wichtige Abläufe theoretisch und praktisch, bevor es in die freilaufende Übung außerhalb von Kasernenzäunen geht. Hier sollen die Soldaten das neu Erlernte anwenden. Während die Aufklärer früher selbst über schwere Waffensysteme wie Kampfpanzer verfügten, sind sie heute eher leicht und mobil aufgestellt. In einem konventionellen Konflikt, mit einer starken feindlichen Sicherung, können sie von Kampftruppen temporär unterstützt werden. So gelingt es den vergleichsweise leicht bewaffneten Aufklärern, ihren Auftrag, also das Gewinnen von Informationen hinter den feindlichen Linien, erfolgreich auszuführen. Dabei schlägt die Kampftruppe eine Bresche in die feindliche Sicherungslinie, durch die die Spähtrupps dann weiter in das feindliche Gebiet eindringen. Genau dieses Vorgehen wollen die Soldaten gemeinsam mit der Kampftruppe in der Spähaufklärungswoche trainieren.
Der Auftrag beginnt
Am Abend wird es ernst für die übende Truppe: Mit dem Kompaniebefehl beginnt die freilaufende Übung im Raum Ostholstein. Gerade für Aufklärer ist es wichtig, nicht nur auf einem begrenzten Übungsplatz zu agieren, sondern draußen weite Distanzen für ihre Ausbildung nutzen zu können. Schließlich müssen sie im Ernstfall weit hinter feindlichen Linien operieren.
Nachdem die Spähtruppführer in der Nacht im Verfügungsraum ihren Auftrag geplant haben, leuchten die ersten Sonnenstrahlen am Horizont. Die Spähtrupps melden sich bei der eigenen Truppe ab, die vorn in Stellung liegt. Jetzt befinden sie sich im Feindgebiet. Ihr Ziel ist es, unerkannt das eigene Beobachtungsversteck zu erreichen, um von dort aus Aufklärungsergebnisse zu sammeln. Das können beispielsweise gegnerische Truppenbewegungen auf einer Straße oder die Standorte feindlicher Artillerie sein.
Schon bald merken die Spähtrupps, dass an der gegnerischen Sicherungslinie kein Durchkommen ist. Jetzt gilt es, das frisch erlernte theoretische Handwerk auf dem Gefechtsfeld umzusetzen. Sofort erhalten die Panzergrenadiere den Befehl, eine Lücke in die feindliche Verteidigung zu reißen. Der Angriff gelingt, die Spähtrupps stoßen durch die Bresche und setzen ihren Auftrag fort. Anschließend weichen die Schützenpanzer Marder aus. Und wieder sind die Aufklärer auf sich gestellt.
Hinter feindlichen Linien
Jetzt beginnt das Grundhandwerk der Späher: Sie müssen unerkannt und möglichst schnell durch feindliches Gebiet gelangen. Die Trupps wollen rechtzeitig ihre Ziele erreichen, denn sie sind dem Gegenangriff der eigenen Brigade voraus und klären auf. Damit dieser Gegenangriff gelingen kann, müssen die Aufklärer Informationen liefern. Während ihrer Fahrt durch die Landschaft Ostholsteins begegnen den Aufklärern immer wieder gegnerische Fahrzeuge oder Stellungen. Diese müssen die Soldaten melden und unerkannt umgehen.
Endlich ist es soweit. Noch in der Abenddämmerung erreichen die ersten Spähtrupps die Aufklärungsobjekte. Doch an Ausruhen ist nicht zu denken. Um unentdeckt zu bleiben, müssen die Fahrzeuge getarnt und die Spuren verwischt werden. Die leichten Späher sitzen ab und nähern sich ihrem Ziel - noch einige Kilometer - zu Fuß. Jetzt sind sie in der Lage, noch unauffälliger in besonders schwierigem Gelände aufzuklären.
Aufklärung hat System
Die Späher liegen in ihren Verstecken, weit jenseits der eigenen Reihen. Währenddessen klären auch die anderen Kameraden mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten intensiv auf. So operiert die unbemannte abbildende Aufklärung mit ihren Flugsystemen LUNALuftgestützte unbemannte Nahaufklärungsausstattung und KZOKleinfluggerät für Zielortung ebenfalls weit in feindlichem Gebiet, jedoch aus der Luft auf. Während besonders heikler Phasen, etwa dem Durchstoßen der feindlichen Sicherung durch die Spähtrupps, können die Systeme aus der Luft das Vorgehen überwachen und die Soldaten am Boden vor unliebsamen Überraschungen bewahren. Nur der Verbund aller Sensoren gewährleistet den Erfolg der Heeresaufklärungstruppe. Die Truppe arbeitet in einem Zusammenspiel verschiedener Fähigkeiten und bildet ein System.
Dazu gehören auch die Radarkräfte. Diese haben sich an der Ostseeküste positioniert, um die eigene Flanke zu überwachen. Sie klären in der Nacht zum Donnerstag starke See- und Luftziele auf. Der Gefechtsstand erkennt, wie Feindkräfte mit amphibischen Fahrzeugen anlanden, die dann die eignen Kräfte in die Zange nehmen wollen.
Zurück vom Feind
Der geplante Gegenangriff kann so nicht erfolgen. Für die Spähtrupps bedeutet das: zurück zur eigenen Truppe. Donnerstagmorgen, nach zwei Tagen Abgeschiedenheit müssen sie nun erneut durch Feindesland. Diesmal geht es in die andere Richtung. Haben sie das geschafft, wartet noch ein heikler Moment. Bei der Begegnung der Spähtrupps mit der eigenen Stellungstruppe, der sogenannten Aufnahme, muss alles gut koordiniert und abgesprochen sein. Warum? Die Aufklärer kommen aus der Richtung, aus der sonst nur der Feind kommt. Mit Erkennungszeichen und in enger Abstimmung mit der Stellungstruppe gelingt es den Spähern, sicher und unbeschadet in die eigenen Reihen zurückzukehren.
Endspurt
Die Ausbildung stellte hohe Ansprüche. Absolute Konzentration und ständige Aufmerksamkeit war von den Aufklärern gefordert. Doch auch nach der Rückkehr auf eigenes Terrain ist die diesjährige Spähaufklärungswoche der 1. Panzerdivision mit den Schwesterbataillonen aus Ahlen und Lüneburg noch nicht beendet. Es gilt, noch eine weitere Herausforderung der Übungswoche zu meistern. Jeweils ein Spähtrupp aus jedem Bataillon tritt in einem Hindernisparcours gegeneinander an. Neben einem Gewässerhindernis und Verwundetentransport geht es vor allem um den sogenannten militärischen Erkennungsdienst, bei dem die Soldaten ihre Kenntnis über gegnerische und eigene Waffensysteme beweisen müssen - eine weitere Kernfähigkeit der Aufklärer. In einem knappen Finale setzt sich das Team aus Ahlen letztendlich durch und nimmt den Wanderpokal mit nach Nordrhein-Westfalen.
Abschlussabend am Meer
Seinen Abschluss findet die Spähaufklärungswoche 2021 vor der beeindruckenden Kulisse des Ostseestrands. Bei einem kleinen coronakonformen Abschlussantreten lassen der Kommandeur des Aufklärungsbataillons 6 „Holstein“, Oberstleutnant Tobias Aust, sowie der Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 41 „Vorpommern“, Oberst Christian Nawrat, die letzten Tage noch einmal Revue passieren. Die Verbände haben zusammen geübt, Standards übereinandergelegt und viel von- und miteinander gelernt. Zuletzt übergibt der General der Heeresaufklärungstruppe, Oberst Ralph Malzahn, den Wimpel der Ausbildungswoche an das Aufklärungslehrbataillon 3 aus Lüneburg, das im kommenden Jahr die nächste Ausbildungswoche, dann hoffentlich wieder mit allen Aufklärungsbataillonen und selbstständigen Einheiten Deutschlands, ausrichten wird.
Tradition fortgesetzt
Die traditionelle Übung der Bundeswehr richten die Aufklärungsverbände jährlich im Wechsel aus. In diesem Jahr ist das gemeinsame Planen pandemiebedingt für die Heeresaufklärungstruppe eine besondere Herausforderung. Am Ende wird aus der Aufklärungswoche die Spähaufklärungswoche der 1. Panzerdivision, an der zwar nicht alle Aufklärer Deutschlands, wohl jedoch die aus Eutin, Ahlen und Lüneburg teilnehmen. Panzergrenadiere aus Hagenow sowie Jäger aus Torgelow unterstützen die Aufklärer mit Soldatinnen und Soldaten.
Um die Corona-Schutzmaßnahmen einzuhalten, wurde im Vorfeld ein umfangreiches Hygienekonzept erstellt. So wurden nach der Anreise in Putlos zunächst alle Übungsteilnehmenden auf eine Coronainfektion getestet. Anschließend verblieben sie in festgelegten Gruppen.