Brückenbau zwischen Kontinenten

Brückenbau zwischen Kontinenten

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
8 MIN

Sie ist die weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation, deckt drei Kontinente ab und setzt sich dafür ein, dass rund eine Milliarde Menschen in Frieden und Freiheit leben können: die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa).

Mitarbeiter der internationalen Organisation OSZE besprechen sich während einer Nachtschicht in der Ukraine

Unterwegs in der Ukraine: OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa-Beobachter während einer Nachtschicht

Evgeniy Maloletka/OSZE

Wie diese Plattform für Dialog und Kooperation arbeitet, welchen Beitrag die deutschen Streitkräfte leisten – damit haben sich jetzt an der Führungsakademie der Bundeswehr knapp 70 junge Stabsoffiziere aus mehr als 30 Nationen befasst. Die Teilnehmer des Lehrgangs General- und Admiralstabsdienst International, kurz LGAI, erfuhren dabei „Beeindruckendes, teils Bedrückendes“, bilanzierte Brigadegeneral Holger Neumann, Direktor Ausbildung an der Führungsakademie in Hamburg.

Mit der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beschäftigte sich der Lehrgang in Form eines Regionalen Informationstags (RIT). Die Veranstaltungsreihe baut Brücken, indem sie das Verständnis für Länder, Menschen und Kulturen fördert. So sind Präsentationen, in denen Lehrgangsteilnehmer ihre Heimat vorstellen, fester Bestandteil der jährlich rund zehn RITs. Dieses Mal standen Vorträge zu Staaten aus Nordamerika und Europa auf der Agenda. Über die Ukraine, wo das Krisenmanagement der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eine wesentliche Rolle spielt, sprach Oberstleutnant Sergii Bogrieiev. Der 36-jährige LGAI-Teilnehmer ging unter anderem auf die Besetzung der Krim durch Russland sowie die separatistischen Bestrebungen im Osten seines Landes ein. Russland agiere gegenüber der Ukraine als Aggressor, meinte Bogrieiev, betonte aber auch: „Der Konflikt muss friedlich gelöst werden.“

Der Lehrgangsteilnehmer Sergii Bogrieiev aus der Ukraine stellte sein Heimatland vor

Informierte über seine Heimat: Oberstleutnant Sergii Bogrieiev aus der Ukraine

Führungsakademie der Bundeswehr/Katharina Roggmann

Ergänzt wurde der RIT durch externe Expertise. Von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Wien zugeschaltet, sagte Oberst i.G. Lars Jacobs: „Der Ukraine-Konflikt beschäftigt uns am meisten, er ist das beherrschende Thema.“ Bedeutend seien etwa die OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa-Sonderbeobachtermission in der Ukraine und die Beobachtermission an den russischen Grenzkontrollposten Gukowo und Donezk, unterstrich der Bundeswehroffizier (siehe auch unten stehendes Interview). Dr. Brigitta Triebel und Philipp Dienstbier von der Konrad-Adenauer-Stiftung wiederum näherten sich dem Thema aus wissenschaftlicher Sicht, wobei Triebel auf ihre Eindrücke als aktuelle Büroleiterin im ukrainischen Charkiw zurückgreifen konnte.

Höchstrangiger Gast des RITs war die Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, Dr. Iryna Tybinka. Als Moderator, Organisator und sogenannter RIT-Meister führte der deutsche LGAI-Teilnehmer Oberstleutnant Marc Popanda durch die Veranstaltung. Drei weitere Offiziere steuerten Porträts von OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa-Staaten bei, während Major Flavio Hernandez seine Heimat Mexiko und damit die Sichtweise eines Landes außerhalb dieser Organisation vorstellte. Dergestalt vermittelte der Tag einen Eindruck von der thematischen und geografischen Bandbreite der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – eines sicherheitspolitischen Akteurs für den Raum zwischen Vancouver und Wladiwostok.

Teilnehmer des Lehrgangs General- und Admiralstabsausbildung International unterhalten sich während einer kurzen Pause

Zur Ausbildung in Hamburg: Teilnehmer des Lehrgangs General- und Admiralstabsausbildung International während des Regionalen Informationstags

Führungsakademie der Bundeswehr/Katharina Roggmann

Der ganzjährige Lehrgang LGAI ermöglicht intensive Einblicke in die Sicherheitsarchitektur Europas. Konzipiert ist die deutschsprachige Ausbildung für angehende Spitzenkräfte aus Staaten, die nicht der EUEuropäische Union oder NATO angehören. Deutsche Lehrgangsteilnehmer stehen ihren ausländischen Kameraden als Mentoren zur Seite. Die internationalen Absolventen von Heer, Luftwaffe und Marine stammen aus nahezu allen Erdteilen; Vielfalt prägt die Lernatmosphäre. Mit der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa setzt sich der LGAI nicht nur in Form eines RIT auseinander: Seit 2018 führt eine der Lehrgangsreisen nach Wien, zum Hauptsitz der Organisation.

Der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gehören 57 Staaten an: die europäischen Länder, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die USA, Kanada und die Mongolei. Die Organisation dient als System kollektiver Sicherheit und bietet eine Basis für Verhandlungen und Entscheidungen in den Bereichen Frühwarnung, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Konfliktnachsorge. Ihr weit gefasster Sicherheitsbegriff beinhaltet die politisch-militärische, wirtschaftliche und ökologische sowie die menschliche Dimension der Sicherheitspolitik. Die Ursprünge der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gehen auf die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zurück, die in den 1970er-Jahren als multilaterales Forum für den Dialog zwischen Ost und West gegründet wurde.

Unter dem Banner der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Im Interview: Oberst i.G. Lars Jacobs, Bundeswehroffizier und Militärberater in Wien

Oberst Lars Jacobs arbeitet bei der OSZE. Hier ist er bei einer Sitzung der internationalen Organisation zu sehen

Militärberater in Zivil: Oberst i.G. Lars Jacobs (Bildmitte, mit aufgeklapptem Laptop) bei einer Flugquotenkonferenz zum Vertrag Offener Himmel

Micky Kroell/OSZE

Herr Oberst, welchen Beitrag leistet die Bundeswehr zur OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa?

In der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa werden alle Lebens- und Politikbereiche diskutiert, die sich mit Sicherheit befassen. Menschliche und ökonomisch-ökologische Dimensionen stehen dabei gleichberechtigt neben der Sicherheit im klassisch militär- und sicherheitspolitischen Sinn. Für die Bundeswehr haben die OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa-Themenfelder Militärpolitik und vor allem Rüstungskontrolle besondere Relevanz, etwa in Form des Vertrags über den offenen Himmel, des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa und des Wiener Dokuments als Eckpfeiler vertrauensbildender Maßnahmen. Innerhalb dieses Rahmens bieten wir Expertise und erfahrene Kräfte zur Implementierung an – und setzen sie tagtäglich ein.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Zentraler Akteur ist das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen. Von dort aus arbeiten militärische Experten, deren Auftrag in der Förderung von Offenheit und Transparenz besteht: Sie besuchen Streitkräfte anderer Staaten und beobachten Übungen, gerade auch der russischen und der weißrussischen Armee. Sie kontrollieren die Bestände an Waffen und Munition, nachdem sie den Informationsaustausch der Vertragsstaaten sorgsam ausgewertet haben. Ein wichtiger Aspekt hierbei sind die sogenannten mil-mil-Kontakte zwischen den Angehörigen der Streitkräfte, denn an anderer Stelle ist der Dialog zwischen Soldaten weitgehend zum Erliegen gekommen. Unter dem Banner der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wird er aber extensiv weitergeführt.

Was heißt das im Einzelnen?

Erst kürzlich, im Februar dieses Jahres, hat der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Generalleutnant Markus Laubenthal, am Militärdoktrinenseminar der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa teilgenommen. Wichtig ist jedoch, dass nicht nur die Streitkräftechefs der 57 Teilnehmerstaaten miteinander reden, sondern dass der Dialog breit und auf vielen Ebenen geführt wird. Ein Beispiel: Projekte vieler OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa-Staaten und gerade auch Deutschlands, oft umgesetzt von der Bundeswehr, helfen insbesondere auf dem Balkan und in Zentralasien, kritische Infrastrukturen zu sichern, überschüssige Rüstungsgüter abzubauen, militärisches Personal zu schulen. Da ist es von Bedeutung, in Staaten, in denen Streitkräfte noch nicht umfassend in demokratische Strukturen eingebettet sind, das Soldatsein in der Demokratie vorzuleben.

Worin bestehen Ihre diesjährigen Schwerpunkte als Militärberater der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa?

Als Militärberater bei der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa arbeiten wir überwiegend, aber nicht ausschließlich, in der politisch-militärischen Dimension. Ein Schwerpunkt ist weiterhin der Strukturierte Dialog über die aktuellen und künftigen Herausforderungen und Risiken im OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa-Raum. Dieser Dialog wurde 2016 unter deutschem Vorsitz ins Leben gerufen. Wir unterstützen den derzeitigen Vorsitz Spanien in der Themensetzung, in der inhaltlichen Vorbereitung und mit Vortragenden, oft Angehörigen der Bundeswehr. Hohe Priorität hat für uns Militärberater die Modernisierungsdiskussion des Wiener Dokuments: Es wird endlich Zeit, beispielsweise die Vorgaben für Inspektionen und Überprüfungen von Streitkräften an veränderte technische Entwicklungen anzupassen. Russland lehnt die von der weit überwiegenden Mehrheit der Teilnehmerstaaten getragenen Vorschläge leider beharrlich ab. Wir wollen für mehr Unterstützung werben und Russland in den Prozess einbinden, letztendlich Russland mit ins Boot holen.

Inwiefern beschäftigt Sie der Vertrag Offener Himmel, die Grundlage für gegenseitige Beobachtungsflüge?

Der Vertrag Offener Himmel (OHOffener Himmel) steckt nach dem Rücktritt der USA im November 2020 in einer Krise. Der Russischen Föderation ist der Partner „auf Augenhöhe“ abhandengekommen. Ob und wann Russland seine Rücktrittsdrohung auch formell in die Tat umsetzt, ist noch nicht klar. Es hängt sicher maßgeblich davon ab, ob die neue USUnited States-Administration nach einer Bestandsaufnahme eventuell eine Rückkehr zum Vertrag beschließt. Wir wollen bis dahin Maßnahmen zur Implementierung des OHOffener Himmel-Vertrags weiterführen, also Beobachtungsflüge auch in Pandemiezeiten koordinieren und unter anderem bei der Zertifizierung des neuen deutschen Beobachtungsflugzeuges unterstützen. Die deutsche Delegation ist hier im Vorsitz einer Reihe von Arbeitsgruppen und verantwortet die jährliche Festlegung von Beobachtungsquoten.

Damit dürfte Ihre To-do-Liste gefüllt sein …

Darauf sind noch einige weitere Punkte zu finden. So ist die Kleinwaffenkontrolle ein zentrales Thema: Im Rahmen der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa setzen wir unsere globale Strategie zu Kleinwaffen derzeit auf dem Balkan um. Auch die demokratische Kontrolle von Streitkräften bleibt bedeutsam, hier fördern wir Projekte in der Ukraine mit erheblichen finanziellen Mitteln der Bundesregierung. Daneben nehmen wir an Aktivitäten und Diskussionen teil, die sich mit Grenzsicherung und -management befassen, mit grenzüberschreitender Polizeizusammenarbeit, der Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und Terrorismus. Schließlich vertreten wir in Konferenzen der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit ihren Partnerstaaten aus Asien und dem Mittelmeerraum deutsche Interessen. Und wir wirken in der Arbeitsgruppe Cybersecurity aktiv mit, ihr Schwerpunkt in 2021 ist die praktische Umsetzung der maßgeblich von Deutschland mitgeprägten vertrauensbildenden Maßnahmen zur Cybersicherheit.

Sie selbst haben die Generalstabsausbildung an der FüAkBw von 1993 bis 1995 absolviert. Welche damals vermittelten Kenntnisse oder Methoden helfen Ihnen bei Ihrer heutigen Arbeit?

Ich erinnere mich gerne an meine Hamburger Zeit. Sie ist eine wertvolle „Inkubationszeit“ vor dem Antritt anspruchsvoller Verwendungen in der Truppe, in Stäben und Kommandos. Besonders die umfassenden streitkräftegemeinsamen und im Verbund mit Alliierten durchgeführten Übungen und Reisen zu Schlüsselorten der militärpolitischen Entscheidungsfindung, unter anderem zur NATO und EUEuropäische Union in Brüssel, haben das notwendige Rüstzeug vermittelt. Zudem hatte ich das Glück, im Anschluss an die Führungsakademie komplementär an der französischen École de Guerre und einige Jahre später an dem dortigen Centre des Hautes Études Militaires studieren zu können. Damit wurde ich umfassend vorbereitet auf meine Aufgaben im Ministerium, in deutschen Auslandsvertretungen, multinationalen Stäben der NATO, auch im Einsatz, sowie in der EUEuropäische Union und der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Was geben Sie jungen Stabsoffizieren mit auf den Weg?

Ein früherer Generalinspekteur sagte mir einmal, er habe „nach der FüAkFührungsakademie der Bundeswehr“ keine Lehrgänge mehr benötigt. Dagegen bin ich zur Erkenntnis gelangt, dass nicht nur die rasante technologische Entwicklung zunehmend ein Lifelong Learning erfordert. Angesichts umfassender politischer Veränderungen ist es nützlich, arbeitslebensbegleitend Wissen und Sachkenntnis öfter einmal einem Update zu unterziehen. Ich selbst habe ja der Bundeswehr in der Zeit des Kalten Krieges, der Perestroika, dem postulierten Ende der Geschichte und der nunmehr alles andere als einfacher gewordenen multipolaren Weltordnung gedient.

Oberst i.G. Lars Jacobs als Videoschlatung auf einen Bildschirm im Vortragsraum

Zugeschaltet aus Österreichs Hauptstadt Wien: Oberst i.G. Lars Jacobs nahm an dem Regionalen Informationstag per Videoschaltung teil.

Führungsakademie der Bundeswehr/Katharina Roggmann

Zur Person

Oberst i.G. Lars Jacobs arbeitet seit 2016 als Militärberater der deutschen Ständigen Vertretung bei der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Wien. Zuvor war er als Heeresattaché in der deutschen Botschaft in Frankreich tätig. Zu den Stationen seines beruflichen Werdegangs zählen unter anderem der Dienstposten als G4 der 13. Panzergrenadierdivision in Leipzig sowie des Einsatzführungskommandos in Schwielowsee bei Potsdam. In die Bundeswehr trat Jacobs 1980 in Bremen ein.

von Mario Assmann  E-Mail schreiben

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