Marine
Teil 2

U-Boot-Abwehr: Der Heuhaufen ist größer geworden

U-Boot-Abwehr: Der Heuhaufen ist größer geworden

Datum:
Ort:
Rostock
Lesedauer:
5 MIN

Die allgemeine Bedrohung durch U-Boote wächst, die NATO muss dringend nachsteuern. Auch die Deutsche Marine ist an dieser Modernisierung für die Landes- und Bündnisverteidigung beteiligt.

Ein aufgetauchtes U-Boot klein im Hintergrund in offener See.

Unter den U-Jägern der NATO halten nur noch wenige Modelle den westlichen Vorsprung gegenüber potentiellen Gegnern. Hier das deutsche U-Boot „U 33“ vom Typ 212A, 2019 in der Ostsee

Bundeswehr/Bastian Fischborn

Die Fähigkeit der NATO, anspruchsvolle Anti-U-Boot-Operationen zu führen, ist substantiell verkümmert.“ Leona Alleslev beschönigt nichts, wenn sie die Fähigkeiten des Bündnisses beschreibt, Gefahren unter Wasser abzuwehren. „Wenn gegenwärtige Trends anhalten, verliert das Bündnis bald sogar die Fähigkeit, auch nur einzelne russische U-Boote zu beschatten“, schreibt sie. Die Allianz habe viel von dem Vorsprung aufgegeben, den sie auf diesem Gebiet am Ende des Kalten Kriegs besessen hatte.

Die kanadische Unterhausabgeordnete und Verteidigungsexpertin hat diese Feststellungen in einem Sonderbericht für den Wissenschafts- und Technologieausschuss der Parlamentarischen Versammlung der NATO getroffen, vorgelegt im Oktober 2019. Gründe dafür gibt es laut Alleslev mehrere. Seit Ende des Kalten Krieges seien westliche Verteidigungsbudgets stark gesunken, nach der Finanzkrise 2007/2008 noch einmal mehr. Parallel hätten sich die Streitkräfte der NATO hin zu Interventions- und Stabilisierungseinsätzen strategisch neu orientiert.

Für die Seestreitkräfte des Bündnisses resultierte das darin, dass sie sich mehr auf generelle maritime Sicherheit im Kampf gegen den Terrorismus konzentrierten und dass sie Schiffe, die auf die U-Boot-Jagd spezialisiert waren, am Ende ihrer Nutzungsdauer nicht mehr ersetzten. Das betraf etwa die USUnited States Navy, die, laut einem aktuellen Forschungsbericht des Washingtoner Hudson Institute, U-Jagd-Flugzeuge der Flugzeugträger ohne Ersatz ausmusterte, Zerstörer hauptsächlich für maritime Sicherheit, Raketenabwehr und Marschflugkörperangriffe sowie Jagd-U-Boote meist für Aufklärung nutzte.

Die „Friedensdividende“ beschnitt die Fähigkeiten zum Unterwasser-Seekrieg

Für die Fachgemeinde sogar extreme Konsequenzen zog das britische Verteidigungsministerium 2011: Ausgerechnet die Inselnation und Seemacht par excellence stellte ihre in die Jahre gekommenen Langstreckenaufklärer vom Typ Nimrod ersatzlos außer Dienst.

In der Deutschen Marine zeigt sich dieser Trend an den acht Fregatten der Bremen-Klasse. In den späten 1980er Jahren für die sogenannte Anti-Submarine Warfare, kurz ASWAnti-Submarine Warfare, gebaut, waren sie im Laufe der letzten 30 Jahre praktisch nie in dieser Rolle eingesetzt.

Ein viermotoriges, olivgrünes Düsenflugzeug startet.

Ein Maritime Patrol Aircraft vom Typ Nimrod MR2 der Royal Air Force 2003 bei der USUnited States-Operation Iraqi Freedom. Seefernaufklärer lassen sich auch für Aufklärungsflüge über Land einsetzen, es ist aber nicht ihr Hauptzweck.

US Air Force/Matthew Hannen

Die vier Schiffe der Baden-Württemberg-Klasse, die die Bremen-Klasse zurzeit ablösen, sind zwar hauptsächlich für Stabilisierungseinsätze konzipiert, die seit den 1990er Jahren zur Einsatzpraxis der Marine geworden sind. Aber: Die Schiffe sind bereits jetzt an der Lage, sich an der U-Boot-Abwehr zu beteiligen, wenn sie Hubschrauber eingeschifft haben. Zudem sind bereits so gebaut, dass sich ein leistungsfähiges Schleppsonar für die ASWAnti-Submarine Warfare nachrüsten lässt.

Wie notwendig Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung bleiben, haben Krim-Krise und Russland-Ukraine-Konflikt 2014 zu Tage gelegt. Das Nordatlantikbündnis hat sich mit seinen Gipfeln 2014 in Wales und 2016 in Warschau dorthin rückorientiert. Wie deutlich der Kurswechsel ist, symbolisiert auf dem Feld der U-Boot-Abwehr, dass das britische Verteidigungsministerium seine Entscheidung von 2011 umkehrte: Die Royal Air Force erhält nun doch neue Seefernaufklärer vom Typ P-8 Poseidon.  

Wie aktuell ist noch die „Jagd auf Roter Oktober“?

Unterseeboote haben indes nichts von ihrer Gefährlichkeit verloren. Strategische Raketen-U-Boote zum Beispiel, die atomare Zweitschlagwaffe des Kalten Krieges, gibt es noch immer. Die russische Marine stellt zwar mittlerweile ihre Schiffe der Typhoon-Klasse, bekannt aus dem Hollywood-Thriller „Jagd auf Roter Oktober“, außer Dienst. Aber die acht Boote der Borei-Klasse, die die Typhoon ersetzen, sind auf dem neuesten Stand der Technik. Das heißt vor allem: Sie sind leiser als alle Vorgängerklassen – und damit im Ernstfall deutlich schwieriger zu finden.

Auch verbreitet sich moderne U-Boot-Technologie immer mehr. China etwa hat zwischen 2006 und 2020 seine sechs ersten echten strategischen Atom-U-Boote gebaut. Experten sagen Nordkorea solche Ambitionen ebenfalls nach. Und weltweit beschaffen immer mehr Marinen konventionelle Boote.

Die U-Boot-Fähigkeiten von Konkurrenten sind deutlich gewachsen, auch wenn sie mit den modernsten Booten des westlichen Bündnisses nicht mithalten können“, hält der NATO-Sonderbericht fest. „Heutzutage sind Unterseeboote, nicht Flugzeugträger oder amphibische Streitkräfte, die High-End-Fähigkeit in den meisten Marinen“, stellt auch eine aktuelle Analyse des amerikanischen Think Tanks Hudson Institute fest. „Mehr als vierzig Staaten verfügen über U-Boote.“

U-Boote, die im Meeresrauschen verschwinden

Noch ist die technologische Qualität westlicher U-Boote ein Vorteil für die Abwehr von U-Booten. Immerhin gelten sie seit den letzten Jahren des Kalten Krieges noch als die besten Jäger ihrer eigenen Art – vor allem weil sie sich in der gleichen Dimension wie ihre Beute bewegen. Die Boote der Klasse 212A der Deutschen Marine sind daher ganz weit vorne, auch wenn es nur sechs, und mit denen vom deutsch-norwegischen Typ 212CD bald acht an der Zahl sind.

Ein aufgetauchtes U-Boot in einem Hafen.

Typhoon-Nachfolger: Die strategischen Atom-U-Boote der Borei-Klasse sind zur Hauptstütze der nuklearen Abschreckung Russlands geworden. Hier die „Alexandr Newskij“ im Hafen von Wiljutschinsk, Kamtschatka

Verteidigungsministerium der Russländischen Föderation

Aber je geräuschloser moderne Typen von Unterseebooten werden, desto schwieriger wird ihre Ortung. So wird auch Quantität wieder zu einer relevanten Größe für die Abwehr – immerhin gleicht die Jagd auf U-Boote immer mehr der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Je leiser U-Boote werden, desto eher verschlucken übrige Meeres- und vor allem Schiffsgeräusche die wenigen Schallsignale, die sie noch von sich geben. Das gilt besonders für die vielbefahrenen Seewege, die wegen der Dichte potentieller Ziele besonders aus der Tiefe bedroht sind.

Auch wenn also die Zahl der U-Boote, über die mögliche Gegner der NATO verfügen, seit den 1990er Jahren abgenommen hat – der dreidimensionale Raum, den ihre Abwehr überwachen müsste, ist derselbe geblieben. Und wächst noch mit größeren Tauchtiefen neuer U-Boot-Typen.

Die neue Arithmetik der U-Boot-Abwehr

Schon deshalb muss die Zahl der U-Jäger deutlich größer sein als die von gegnerischen Unterwassereinheiten. Es ist wie mit der Observierung von Verdächtigen an Land: Um allein ein U-Boot permanent im Auge behalten zu können, brauche man sieben bis acht Langstreckenaufklärungsflugzeuge, schätzt eine Studie des Joint Airpower Competence Center der NATO von 2016. Dabei hätte das westliche Bündnis am Ende der 1980er Jahre nur über 1,8 Seefernaufklärer pro sowjetischem U-Boot verfügt. Heute habe sich das Verhältnis sogar umgedreht: Für jedes russische U-Boot besitze die NATO rechnerisch nur 0,5 Seefernaufklärer. Zu diesen gehören zum Beispiel die acht P-3C Orion der Deutschen Marine.

Solche Zahlen sind zu gering für auch nur die wichtigsten defensiven Einsätze. Um die Durchfahrtswege in den offenen Atlantik zwischen Grönland, Island und Großbritannien kontinuierlich zu überwachen, bräuchte es kontinuierlich 14 Seefernaufklärer, 4 Fregatten mit 8 Bordhubschraubern und 3 Jagd-U-Boote, wie die Experten des Hudson Institute berechnet haben. Das überschreitet die Anzahl einsatzbereiter Einheiten wohl aller NATO-Marinen – bis auf die der USA.

von Marcus Mohr  E-Mail schreiben

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