Villa Plaut

„Ein trauriges Kapitel meiner Familiengeschichte“

„Ein trauriges Kapitel meiner Familiengeschichte“

Datum:
Ort:
Hamburg
Lesedauer:
4 MIN

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Es ist das älteste Bauwerk auf dem Kasernengelände der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg - die Villa Plaut. Für Margaret Carver hat dieser Ort eine emotionale Bedeutung. Denn das Gebäude gehörte ihren Großeltern, dem Historiker Hans Liebeschütz und der Physiologin Rahel Liebeschütz-Plaut, bis es die Nationalsozialisten beschlagnahmten.

Margaret Carver blickt in die Kamera, hinter ihr ist ein Bild mit einem Portrait zu sehen

Margaret Carver ist die Enkelin von Hans Liebeschütz und Rahel Liebeschütz-Plaut. Sie besichtigte die Villa an der Führungsakademie

Bundeswehr/Christian Gelhausen

Auf dem Kasernengelände der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg fällt ein Gebäude besonders auf. Es ist das Gebäude 13. Die Villa Plaut. Wer die Geschichte dazu nicht kennt, könnte darin erst einmal „nur“ ein Gebäude sehen. Für andere ist es ein stiller Zeitzeuge der Geschichte. Doch welche Bedeutung hat die Villa für Sie persönlich?

In meiner Familie wurde die Villa Plaut mit ihren wunderschönen Grünanlagen immer „Dockenhuden“ genannt. Meine Großeltern wie auch meine Mutter haben sich immer besonders gerne in Dockenhuden aufgehalten; dort waren sie glücklich. Sie hatten schöne Erinnerungen an diesen Ort und daran, wie sie beispielsweise zu Pferd unterwegs waren oder die Ruhe an dem kleinen See genossen. Ihr Zuhause in England nannten sie ebenfalls „Dockenhuden“. Für mich steht diese Villa für ein trauriges Kapitel meiner Familiengeschichte. Gleichzeitig bin ich aber auch froh, dass es sie noch immer gibt.

Die Villa Plaut wurde 1896 erbaut und 1901 von Hugo Carl Plaut erworben. Sie wurde vor allem in den Sommermonaten bewohnt. Doch das Gebäude war nicht nur ein Wohnhaus, es war zeitweise auch ein Schulgebäude. Im Salon der Villa wurden von 1936 bis 1938 sieben Kinder von der Lehrerin Henriette Arndt unterrichtet, da Juden der Schulbesuch in dieser Zeit untersagt worden war. Heutzutage ist die Villa ein Bürogebäude. Auch wenn Sie selbst nicht in dem Gebäude gewohnt haben, mit welchen Augen sehen Sie die Räumlichkeiten?

Die Villa Plaut war für unsere Familie ein Zuhause. Das Gebäude ist ein Beispiel für den unverwechselbaren Architekturstil, der für die Zeit der Jahrhundertwende in Deutschland charakteristisch war. Meine Mutter hat dort Schulunterricht erhalten. Wir freuen uns sehr darauf, die Villa im renovierten Zustand zu sehen und uns so vorstellen zu können, wie es gewesen sein mag, als unsere Familie noch dort gewohnt hat.

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie – vermutlich aus den 1930er Jahren – zeigt den Teich im Vordergrund und die Villa Plaut.

Die Villa Plaut damals – das Foto stammt vermutlich aus den 1930er Jahren

Bundeswehr/Führungsakademie der Bundeswehr

Die Villa Plaut ist ein Teil Ihrer Familiengeschichte. Was fühlen Sie so kurz vor der Besichtigung?

Ich persönlich habe gemischte Gefühle, was die Villa Plaut betrifft. Einerseits bin ich froh, dass sie noch erhalten ist und renoviert wurde – und dass solche Anstrengungen unternommen wurden, ihre Geschichte am Leben zu erhalten, damit der Holocaust sich nicht wiederholt. Andererseits bin ich traurig, dass meine Familie – aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Judentum – gezwungen wurde, einen geliebten Ort zu verlassen.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: Die Villa Plaut ist für mich…

...eine schmerzliche Erinnerung daran, was für schreckliche Dinge geschehen können, wenn man nicht verhindert, dass Vorurteile extreme Formen annehmen.

#WeRemember ist eine Kampagne des jüdischen Weltkongresses und der Unesco, der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Jedes Jahr wird damit an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Auch die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg erinnert jedes Jahr an diesen schmerzhaften Teil deutscher Geschichte. So werden unter anderem zum Volkstrauertag Kränze niedergelegt oder wie im Fall der Villa Plaut, wurden Plaketten, die an die Zeit und die Personen erinnern, angebracht. Wer sich mit Ihrer Familiengeschichte auseinandersetzt, stellt fest, dass Wert daraufgelegt wurde, Kindern ein „selbstbewusstes Judentum“ näherzubringen und sie darin zu bestärken, sich gegen Antisemitismus zur Wehr zu setzen. Inwiefern ist auch Ihrer Generation das Wachhalten der Erinnerung an diese Zeit wichtig?

Meiner Generation ist es sehr wichtig, die Erinnerung an diese Zeit wachzuhalten – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Angehörigen der Generation, die die Schrecken des Holocausts am eigenen Leib erleben musste, nun nach und nach von uns gehen. Wir beteiligen uns aktiv an Veranstaltungen zum Holocaust-Gedenktag in England und unsere Tochter hat zu dem Thema auch schon einmal eine Rede gehalten. Zudem engagieren wir uns bei anderen Projekten im Kampf gegen Antisemitismus. Außerdem halten wir es für wesentlich, dass wir uns auch auf andere Weise in die Gesellschaft einbringen, damit Juden nicht nur als Opfer wahrgenommen werden, sondern als nützliche Mitglieder der Gesellschaft.

Das Bild zeigt eine beigefarbene Villa – die Villa Plaut auf dem Gelände der Führungsakademie der Bundeswehr

Die Villa Plaut wurde 1896 erbaut. Heute wird es als Büro- und Verwaltungsgebäude genutzt

Bundeswehr/Christian Gelhausen

Ihre Familienangehörigen haben aufgrund Ihrer Religion soziale Ausgrenzung erfahren, durften später ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen und wurden bei der Auswanderung nach England eines Großteils ihres Eigentums beraubt. Ab 1939 wurde das Gelände, auf dem die Villa steht, für militärische Zwecke genutzt. Und seit 1958 befindet sich dort die Führungsakademie der Bundeswehr. Wie geht es Ihnen damit, dass die Villa heutzutage Teil eines Kasernengeländes ist und damit gleichzeitig immer ein stiller, aber mahnender Zeitzeuge bleiben wird?

Es ist sehr interessant, dass das Anwesen militärisch genutzt wird. Alle Männer in meiner Familie, die für kriegstauglich erklärt wurden, haben im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft. Mein Großvater kämpfte in der Schlacht an der Somme. Für seine Tapferkeit bei der Rettung verwundeter Soldaten unter feindlichem Beschuss wurde ihm das Eiserne Kreuz verliehen.

Zwar war der Holocaust ein Produkt des Nationalsozialismus und die Situation spitzte sich im Zweiten Weltkrieg zu, doch die eigentliche Ursache dafür lag in den Vorurteilen, die auch meine Familie über viele Generationen hinweg erfahren musste. Diese Vorurteile bestehen bis zum heutigen Tage in ganz Europa fort. Es ist deshalb von wesentlicher Bedeutung, dass wir alle gemeinsam dafür Sorge tragen, dass wir nicht nur mehr über den Holocaust erfahren, sondern auch über die Ursachen von Vorurteilen, damit etwas Derartiges nie wieder geschieht.

von Sophie Düsing  E-Mail schreiben

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