Geschichte: Der Sanitätsdienst der Bundeswehr im Wandel der Zeit

Die Geschichte des Sanitätsdienstes ist seit seiner Gründung im April 1956 von den verschiedensten Veränderungen und Reformen bestimmt. Aufgestellt als Teil einer Verteidigungsarmee des Kalten Krieges, entwickelte er sich zu einem der wichtigsten Elemente einer modernen Einsatzarmee. Im Laufe der Jahrzehnte führten veränderte politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu tiefgreifenden Strukturreformen.

Schwarzweiß-Aufnahme: Zwei Soldaten laufen mit einem Verletzten auf einer Trage zum Sanitätspanzer Hotchkiss.

Geschichte des Sanitätsdienstes: Anfang und Statusfragen

Die Anfänge der Entwicklung und damit auch der Geschichte des Sanitätsdienstes nahmen schon bald nach Gründung der Bundeswehr Fahrt auf: Die ersten Grundlagen zu dessen Struktur erarbeitete ab November 1955 die Unterabteilung IV H „Gesundheitswesen“ im Bundesministerium für Verteidigung, das erst wenige Monate zuvor aus dem sogenannten Amt Blank hervorgegangen war. Der Zustimmung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages zu der vorgesehenen Gliederung am 11. April 1956 ging eine lange Debatte über die Statusfrage der zukünftigen Militärmediziner und -apotheker voraus. Während sich Vertreter der Gruppe „Gesamtstrategie/G4/Sanitätswesen“ sowie ziviler ärztlicher Standesorganisationen und Gremien für die Zuerkennung des Status „Sanitätsoffizier“ einsetzten, wurde diese Forderung durch die damalige Bundesregierung zunächst nicht unterstützt. Nach unzähligen Debatten fiel schlussendlich dann doch die Entscheidung zugunsten des Status als Sanitätsoffizier heutiger Prägung für alle vier Approbationen.

Personalsituation in der Geschichte des Sanitätsdienstes

Leber und Soldatinnen nebeneinander

Bundesverteidigungsminister Leber mit den ersten Soldatinnen

Bundeswehr/Oed

In seiner Geschichte hatte der Sanitätsdienst von Beginn an mit einem teilweise dramatischen Personalproblem zu kämpfen. Eine Deckung des Bedarfs an längerdienenden Sanitätsoffizieren aller vier Fachrichtungen (Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie) gelang in den 1960er und 1970er Jahren kaum, obwohl die Personalführung versuchte, mit unterschiedlichen Maßnahmen den Besetzungsgrad der Dienstposten zu erhöhen. Ein wichtiges Instrument waren dabei seit 1964 grundwehrdienstleistende Ärzte, Zahnärzte und Apotheker, die trotz ihrer oft fehlenden militärischen Ausbildung und Berufserfahrung eine wichtige Stütze der sanitätsdienstlichen Versorgung bildeten.

Finanzielle Anreize in Form von Studienbeihilfen für Medizinstudenten, die Einführungen der Laufbahn der Sanitätsoffizieranwärter 1969, ab dem Wintersemester 1973/74 mit Zuteilung eines Studienplatzes sowie die Einstellung von weiblichen Sanitätsoffizieren im Jahre 1975 verbesserten die personelle Situation bis Ende der 1980er Jahre. Eine vollständige Besetzung der Dienstposten mit Zeit- und Berufssoldaten konnte allerdings zunächst bei weitem nicht erreicht werden. Erst mit der Zeit gelang die dauerhafte Bedarfsdeckung an Zeit- und Berufssoldaten durch die kontinuierliche Ausbildung von Sanitätsoffizieranwärtern; diese Laufbahn war 1989 auch für Frauen geöffnet worden.

Kalter Krieg schreibt Geschichte: Sanitätsdienst versorgt im V-Fall

Marschkolonne auf Straße

Marschkolonne der deutschen Sanitätskompanie während einer Allied Command Europe Mobile Force Übung 1966.

Bundeswehr/Wehrgeschichtliche Lehrsammlung

Der Sanitätsdienst bestand aus sechs großen Teilbereichen, dem Sanitätsdienst vom Heer, der Luftwaffe und der Marine, den Zentralen Sanitätsdienststellen, dem Sanitätsdienst der zentralen Bundeswehrdienststellen und dem ärztlichen Dienst im Wehrersatzwesen. Bis zum Ende des Kalten Krieges war der Sanitätsdienst neben der Realversorgung im Frieden überwiegend auf die medizinische Versorgung im Rahmen eines Verteidigungskrieges auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet: den „V-Fall“. Zu diesem Zweck verfügte er im Verteidigungsfall über verschiedene Organisationsstrukturen, die im Laufe der Jahrzehnte einem permanenten Wandel unterworfen waren. Neben dem Truppensanitätsdienst sind hier vor allem die Sanitätsregimenter und Sanitätsbataillone – letztere für die Errichtung und den Betrieb des Hauptverbandplatzes (HVPlHauptverbandsplatz) zuständig sowie die „Lazarette 200“, benannt nach der Anzahl der Betten, und die Bundeswehrkrankenhäuser, bis 1970 als Lazarette bezeichnet, zu nennen.

Neuausrichtungen machen Geschichte: Der Sanitätsdienst im Wandel

Aufstellungsappell

Auf dem Weg der Neuausrichtung der Bundeswehr: Aufstellungappell des Kommando Sanitätsdienst Anfang Oktober 2012 am Deutschen Eck in Koblenz.

Sanitätsdienst Bundeswehr / Westphal

Die friedliche Revolution in der DDR mit der sich anschließenden Wiedervereinigung Deutschlands und die Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) – so die offizielle Bezeichnung des Warschauer Paktes – stellten die Streitkräfte und damit auch den Sanitätsdienst vor große Herausforderungen. Es galt, wie in der gesamten Truppe, die aus der Nationalen Volksarmee übernommenen Soldaten zu integrieren und auf ihre neuen Aufgaben in den Streitkräften eines demokratischen Staates vorzubereiten.

Bereits kurz vor den politischen Veränderungen in Osteuropa und der sich anschließenden veränderten Auftragslage der deutschen Streitkräfte gab es erste Forderungen, durch Strukturänderungen im Sanitätsdienst eine teilstreitkraftübergreifende Aufgabenwahrnehmung und damit eine Effizienzsteigerung zu erreichen. Das endgültige Ende des Kalten Krieges zum Ausgang der 1980er Jahre und die daraus resultierende notwendige Neuausrichtung der Bundeswehr führte schließlich zur Gründung des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr, in dem ab 2001 sanitätsdienstliche Kräfte und Mittel unter weitestgehend einheitlicher fachlicher, fachdienstlicher und truppendienstlicher Führung gebündelt wurden. Die Schaffung der neuen Führungsstrukturen in einem eigenständigen Organisationsbereich ist rückblickend als eine der tiefgreifendsten Reformen des Sanitätsdienstes anzusehen.

Mit der beschlossenen Neuausrichtung im Jahre 2011 erlebte auch der Sanitätsdienst nochmals eine grundlegende Strukturänderung. Am 1. Oktober 2012 wurden das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr und in der Folge zwei weitere sanitätsdienstliche Fähigkeitskommandos aufgestellt: das Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung in Diez und das Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung in Weißenfels. Während das Diezer Kommando für die ambulante medizinische Behandlung aller Soldatinnen und Soldaten, die sanitätsdienstliche Ausbildungs- und Übungsunterstützung der Teilstreitkräfte und der militärischen Organisationsbereiche verantwortlich ist, übernimmt das Kommando in Weißenfels die Leitfunktion für alle Einsätze mit Beteiligung des Zentralen Sanitätsdienstes, zusätzlich territoriale Aufgaben der zivil-militärischen Zusammenarbeit sowie nationale und internationale sanitätsdienstliche Übungsunterstützungsleistungen.

Der Weg zur Einsatzarmee

Deutscher Soldat spricht mit Einwohnern

Am 22. Mai 1992 beginnen Bundeswehrsoldaten in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh mit dem Aufbau eines Lazaretts für die medizinische Versorgung der Mitarbeiter der VN-Friedensmission UNTACUnited Nations Transitional Authority in Cambodia.

Bundeswehr / Modes

Diese strukturellen Veränderungen waren kein Selbstzweck oder politische Willkür, sondern stellten immer Reaktionen auf die Entwicklungen des sicherheitspolitischen Umfeldes dar. Bereits Anfang der 1990er Jahre hatte sich das Aufgabenspektrum der Bundeswehr deutlich verändert, was nicht ohne Einfluss auf die Geschichte des Sanitätsdienstes bleiben konnte. Im Jahre 1992 beschloss die Bundesregierung, dass die Bundeswehr nicht mehr nur „Deutschland und seine Staatsbürger gegen politische Erpressung und äußere Gefahr“ schütze, sondern „dem Weltfrieden und der internationalen Sicherheit im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen“ diene. Über die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieser sogenannten „Out-of-area“-Einsätze wurde jahrelang diskutiert. Erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 1994 – also nach dem ersten UNUnited Nations-Kontingent­einsatz der deutschen Streitkräfte 1992/93 in Kambodscha – billigte schließlich die Entscheidung der damaligen Regierungskoalition.

Ein Jahr später, 1995, wurde die „Fachliche Leitlinie für die sanitätsdienstliche Versorgung von Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz“ erlassen. Darin legte der Inspekteur des Sanitätsdienstes als Maxime fest, dass die medizinische Versorgung jedes deutschen Soldaten im Auslandseinsatz im Ergebnis dem Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland entsprechen muss.

Der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 und der daraus resultierende Kampf gegen den internationalen Terrorismus stellte für den Sanitätsdienst erneut einen Einschnitt dar. Stand bis zu diesem Zeitpunkt überwiegend die Behandlung von Angehörigen der Stabilisierungs- und humanitären Missionen im Vordergrund, begann im Jahre 2002 in Afghanistan der erste Kampfeinsatz für die deutschen Streitkräfte nach Ende des Zweiten Weltkrieges, was zu veränderten Verletzungsmustern und damit einhergehenden notwendigen Therapiemaßnahmen, aber auch ethischen Herausforderungen führte.

Meilenstein der Geschichte: Sanitätsdienst erhält sein Leitbild

In kaum einem anderen Bereich der Streitkräfte kam es zu häufigeren Diskussionen um die Stellung und das Selbstverständnis einer Berufsgruppe wie im Sanitätsdienst. Der historisch belegte Begriff vom „Spannungsfeld zwischen Arzt und Offizier“ beschreibt diese Situation treffend. Die Führung des Sanitätsdienstes hat sich zu der Fragestellung des beruflichen Selbstverständnisses von Sanitätsoffizieren klar positioniert.        

Am 8. Juli 2015 setzte der damalige Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke, als eine seiner letzten Amtshandlungen die Weisung zum „Selbstverständnis des Sanitätsdienstes der Bundeswehr“ und gleichzeitig das „Leitbild des Sanitätsdienstes der Bundeswehr“ mit dem Untertitel der „Der Menschlichkeit verpflichtet“ in Kraft.

Mit dem Satz „Wir schützen und erhalten die Gesundheit der uns anvertrauten Patientinnen und Patienten“ wird der deutliche Bezug zur ärztlichen Berufsordnung hergestellt. Die bedingungslose Anerkennung der im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten erlassenen nationalen und internationalen Vereinbarungen machen die Leitsätze „Wir leben und handeln nach den ethisch-moralischen Werten unseres demokratischen Rechtsstaates und des humanitären Völkerrechtes“ und „Wir nutzen unsere Waffen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht ausschließlich zur Verteidigung unserer Patientinnen und Patienten und zum eigenen Schutz“ deutlich.

Sowohl im Leitbild als auch in dem dazugehörigen Rahmenerlass wird somit der humanitäre Anspruch des Sanitätsdienstes als unabdingbare Grundvoraussetzung für das Handeln aller seiner Angehörigen klar zum Ausdruck gebracht.

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