Luftwaffe
NATO Integrated Air Missile Defence System

Ein Schutzschirm für Europa

Ein Schutzschirm für Europa

Datum:
Ort:
Berlin
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7 MIN

Krieg in Europa: Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine mit seinen Schreckensbildern und -nachrichten stellen sich immer mehr Menschen besorgt die Frage: Wenn die Gewalt auf unser Land übergreifen würde, wie kann sich Deutschland im Ernstfall verteidigen? Die Antwort auf diese Frage: Wir sind nicht allein.

Unter dem Schriftzug NATO – OTAN sind mehrere Flaggen von Mitgliedsstaaten zu sehen.

Die NATO wurde 1949 von zwölf Staaten gegründet. Heute hat der Nordatlantikpakt 30 Mitglieder. Jüngstes Mitglied ist seit 2020 Nordmazedonien.

Bundeswehr/NATO

Die NATO: Gemeinsam gegen jeden Angreifer

Deutschland ist Mitglied der NATO, eines Verteidigungsbündnisses von 30 europäischen und nordamerikanischen Staaten. Als Teil dieses Bündnisses verpflichten sich alle Mitglieder zum gegenseitigen Schutz im Verteidigungsfall. Damit müsste sich die Bundesrepublik also nicht im Alleingang verteidigen, sondern kann auf die Unterstützung der Bündnispartner zählen. Der Schutz Deutschlands ist Aufgabe der gesamten NATO. Andere Mitgliedsstaaten können sich der Unterstützung Deutschlands im Verteidigungsfall ebenso sicher sein.

Luftverteidigung: so aktuell wie selten zuvor

Bei Betrachtung der aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen und der Berichterstattung über den Einsatz neuer Waffensysteme, ist das Thema Luftverteidigung aktuell wie selten zuvor. Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht das.

Mitte des 20. Jahrhunderts befand sich die Welt im Kalten Krieg. Der Ostblock und die westliche Allianz standen sich bis an die Zähne bewaffnet gegenüber. Die Furcht vor einem Überraschungsangriff durch Luftangriffskräfte auf das NATO-Bündnisgebiet seitens des Warschauer Paktes war groß. Dabei standen Kampfflugzeuge aufgrund ihrer Geschwindigkeit und Zerstörungskraft als „Waffe der ersten Stunde“ im Fokus.

NATO-Luftverteidigung seit den 1960er-Jahren

Um sich gegen einen solchen Überraschungsangriff zu schützen, begann Ende der 1960er-Jahre der Aufbau der Integrierten NATO-Luftverteidigung: Es handelte sich dabei um ein existierendes Führungssystem aus Sensoren und Gefechtsständen vom Norden Norwegens bis zur Südflanke in Südosteuropa. Ihnen unterstellt waren Luftverteidigungskräfte mit unterschiedlichen Waffensystemen, die 24 Stunden an sieben Tagen die Woche, jahrein, jahraus, einsatzbereit waren. Multinationalität war schon damals das Maß aller Dinge und so standen unter anderem Dänen, Engländer, Niederländer, Belgier, Amerikaner und Deutsche Schulter an Schulter bereit, um die Unversehrtheit des NATO-Luftraums sicherzustellen.

Soldat mit dem Waffensystem Nike.

Das Waffensystem Nike war das erste Flugabwehrraketensystem der Luftverteidigung der NATO. Die deutschen Nike-Systeme bildeten zusammen mit niederländischen, belgischen und USUnited States-amerikanischen Einheiten den sogenannten „Nike-Gürtel“.

Bundeswehr/Günther Oed

Wie so viele Bereiche der NATO wurde auch die NATO-Luftverteidigung mit Ende des Ost-West-Konflikts in den 1990er-Jahren deutlich reduziert. Doch der kontinuierliche Schutz des Bündnisgebiets durch die Mitgliedsstaaten wurde stets weiter aufrecht gehalten.

Abwehr von Raketen und Flugkörpern

Zu Beginn der 2010er-Jahre wurde die Integrierte Luftverteidigung um die Aufgabe der Flugkörperabwehr erweitert. Das heißt, auch gegnerische anfliegende Raketen konnten zerstört werden. Deshalb spricht man heute von der Integrierten Luftverteidigung und Flugkörperabwehr (Integrated Air and Missile Defence – IAMDIntegrated Air and Missile Defence) der NATO.

Diese ist weiterhin eine kontinuierliche Mission der NATO-Aufgabe in Friedens-, Krisen- und Konfliktzeiten mit dem Ziel, vor Bedrohungen und Angriffen aus der Luft zu schützen. Daher ist die NATO IAMDIntegrated Air and Missile Defence ein wesentliches Element der Abschreckung und der Verteidigung der NATO. Sie trägt somit zur Stabilität, Sicherheit und Handlungsfreiheit des Bündnisses und seiner Mitgliedsstaaten bei.

NATINAMDSNATO Integrated Air and Missile Defence System : Ein Sicherheitsnetz für Europa

NATO IAMDIntegrated Air and Missile Defence verfolgt dabei einen 360-Grad-Ansatz im gesamten NATO-Gebiet, um alle taktischen und strategischen Bedrohungen aus der Luft zu bekämpfen. Aufgrund der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten in den vergangenen Jahren ist das ursprüngliche Netz der NATO IAMDIntegrated Air and Missile Defence weiter gewachsen – zu einem fast den gesamten Kontinent überspannenden System, dem sogenannten NATO Integrated Air and Missile Defence System (NATINAMDSNATO Integrated Air and Missile Defence System ). Wie in der Vergangenheit besteht dieses Netz aus miteinander verbundenen nationalen und NATO-Systemen, das aus Sensoren, Führungs- und Kontrollmitteln sowie Waffensystemen besteht. Das NATINAMDSNATO Integrated Air and Missile Defence System untersteht dem Obersten Alliierten Befehlshaber Europa der NATO (Supreme Allied Commander Europe) mit dem Hauptquartier im belgischen Mons.

Die IAMDIntegrated Air and Missile Defence der NATO ist die defensive Komponente der gemeinsamen Luftstreitkräfte des Bündnisses. Sie umfasst alle Maßnahmen, die dazu beitragen, Luft- respektive Raketenbedrohungen abzuschrecken oder die Wirksamkeit feindlicher Luftangriffe zunichte zu machen oder zu verringern. Dem 360-Grad-Ansatz liegt zugrunde, dass die NATO mit modernen Luftkriegsmitteln wie unbemannten Luftfahrzeugen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen aus jeder Richtung angegriffen werden könnte. Die Überwachung des Luftraums kann sich daher nicht auf eine Richtung beschränken. Dafür stellt NATO IAMDIntegrated Air and Missile Defence eine äußerst reaktionsschnelle, robuste und dauerhafte Fähigkeit bereit.

Gewappnet für Frieden, Krise und Krieg

Dieses Netzwerk ist dabei flexibel. Während in Friedenszeiten nur wenige Kräfte dauerhaft Teil von NATINAMDSNATO Integrated Air and Missile Defence System sind, werden bei einer Alarmierung viele zusätzliche Kräfte, wie die bodengebundene Luftverteidigung, der NATO unterstellt.

In Krise und Krieg teilen sich bodengebunde und fliegende Luftverteidigung die Aufgaben. Dabei werden die zu schützenden Lufträume den jeweiligen Waffensystemen zugewiesen und die Waffensysteme zentral durch NATO Gefechtsstände geführt. Besonders schutzbedürftige Ziele, wie beispielsweise Atomkraftwerke, weist die NATO dabei zentral als Schutzaufträge der bodengebundenen Luftverteidigung zu.

Für den Schutz der Landstreitkräfte werden ebenfalls Einheiten der bodengebundenen Luftverteidigung eingesetzt. Diese begleiten die Bodentruppen und bleiben dabei mit dem Netzwerk des NATINAMDSNATO Integrated Air and Missile Defence System verbunden. Sie bilden damit die vordersten Linien der NATO IAMDIntegrated Air and Missile Defence.

Die NATO-Luftverteidigung setzt sich aus verschiedenen Waffensystemen zusammen. Diese ergänzen sich und schützen einander mit überlappenden Wirkbereichen, so dass ein potenzieller Gegner im Idealfall keine Lücke findet, die er nutzen könnte.

Air Policing: Luftpolizei in Friedenszeiten

Gegenwärtig gibt es bei der NATO IAMDIntegrated Air and Missile Defence zwei Aktivitäten in Friedenszeiten: das NATO Air Policing und die NATO Ballistic Missile Defence (BMDBallistic Missile Defence).

Beim Air Policing übernehmen die NATO-Mitglieder gemeinsam kontinuierlich und dauerhaft luftpolizeiliche Aufgaben, um die Integrität des Luftraums der Allianz zu wahren. Dazu gehört die ständige Überwachung des NATO-Luftraums durch einsatzbereite Eurofighter-Abfangjäger und militärische Führungseinrichtungen.

Der Luftraum über Deutschland wird permanent beobachtet und überwacht, um Luftraumverletzungen oder Zwischenfälle im Luftraum unmittelbar erkennen und darauf reagieren zu können. Dafür sorgt ein flächendeckendes Netz aus Radarsensoren am Boden. Diese sind in den verschiedenen Mitgliedsstaaten stationiert. Darüber hinaus verfügen die NATO und ihre Mitgliedsstaaten über flugzeugbasierte Systeme zur Luftraumüberwachung, das Airborne Early Warning and Control System, besser bekannt als AWACSAirborne Early Warning and Control System.

Eine NATO E-3A AWACS startet von der Air Base in Ämari, Estland.

Die AWACSAirborne Early Warning and Control System-Flugzeuge der NATO sind mit ihren Radargeräten auf dem Rumpf die Überwachungs- und Frühwarnsysteme des Bündnisses

Bundeswehr/Christian Timmig

Die permanent in Deutschland einsatzbereiten Eurofighter können im Fall einer Luftraumverletzung jederzeit starten, um Luftfahrzeuge in Notlagen zu unterstützen und um bei Zwischenfällen im Luftraum einzugreifen. Für Deutschland sind zwei Quick Reaction Alert (QRAQuick Reaction Alert) Interceptor Fighters zuständig, die bei Auslösen eines Alarms direkt eingreifen können. Über den deutschen Luftraum hinaus unterstützt die deutsche Luftwaffe auch im Baltikum und in Rumänien bei der Sicherung des Luftraums.

Ein deutscher und ein britischer Eurofighter fliegen gemeinsam als QRA-Team in Litauen.

Bei den Air Policing-Einsätzen im Baltikum und in Rumänien fliegen die deutschen Eurofighter in Teams zusammen mit den Maschinen anderer NATO-Partnerländer

MOD Crown/Iain Curlett

Schutz vor ballistischen Flugkörpern

Eine weitere ständige Aufgabe der NATO ist die NATO Ballistic Missile Defence (NATO BMDBallistic Missile Defence) zur Abwehr ballistischer Flugkörper. Sie dient dem Schutz der Bevölkerung, des Territoriums sowie der Streitkräfte in NATO-Europa vor der zunehmenden Bedrohung durch ballistische Flugkörper.

Die Verbreitung ballistischer Flugkörper stellt eine deutliche Gefährdung für das westliche Verteidigungsbündnis dar. Denn diese Raketen mit Reichweiten von 1.000 Kilometer und mehr folgen nach ihrem Abfeuern einer ballistischen Flugbahn. Das heißt, sie verlassen für einen Teil der Strecke zu ihrem Ziel die Erdatmosphäre in einem hohen Bogen, bevor sie einschlagen. Besonders gefährlich sind diese Flugkörper deshalb, weil sie potenziell mit Massenvernichtungswaffen bestückt werden können. Wenn sie nukleare, biologische oder chemische Waffen tragen, bedrohen sie nicht nur punktuelle Ziele, sondern große Areale.

PatriotPhased Array Tracking Radar to Intercept on Target unterstützt bei NATO BMDBallistic Missile Defence

Viele Nachbarländer der NATO verfügen bereits über ballistische Raketen oder versuchen, welche zu kaufen oder zu entwickeln. Die NATO verfügt für die Aufgabe BMDBallistic Missile Defence über eigene Gefechtsstände zur Führung und stützt sich vor allem auf Fähigkeiten der USA, die sowohl permanent in Europa stationiert sind als auch temporäre Kräfte zu Land und auf See haben. Die BMDBallistic Missile Defence-Fähigkeiten bilden, neben den konventionellen Streitkräften und der nuklearen Abschreckung, einen wesentlichen Bestandteil des strategischen Mixes der NATO. Deutschland kann mit seinen PatriotPhased Array Tracking Radar to Intercept on Target-Einheiten einen Beitrag zur NATO BMDBallistic Missile Defence durch den Schutz besonders gefährdeter Einrichtungen leisten.

Ein Lenkflugkörper wird aus dem Flugabwehrraketensystem Patriot abgeschossen.

Ursprünglich zur Abwehr von Flugzeugen gebaut, kann PatriotPhased Array Tracking Radar to Intercept on Target heute Flugzeuge, Marschflugkörper und ballistische Raketen mit modernster Technik bekämpfen. Es erkennt automatisch, wer Freund und wer Feind ist.

Bundeswehr/Francis Hildemann

80 Millionen Quadratkilometer Einsatzgebiet

Damit NATO IAMDIntegrated Air and Missile Defence alle verfügbaren Luftverteidigungs- und Flugkörperabwehrfähigkeiten koordinieren und synchronisieren kann, müssen alle diese unterschiedlichen Systeme integriert werden und möglichst nahtlos zusammenarbeiten.

Ein wichtiges Beispiel dafür sind die NATO-Luftüberwachungssysteme (AirC2Air Command and Control), mit der das Bündnis Luftoperationen innerhalb und außerhalb des euro-atlantischen Raums steuern kann. Die NATO-Luftverkehrskontrollsysteme umfassen unter anderem Kontrollfunktionen für Lufteinsätze, Luftverkehr, Luftraumüberwachung, Luftraummanagement sowie für die Verwaltung von Ressourcen und die Streitkräfteführung.

Diese Systeme decken zusammen ein Einsatzgebiet von etwa 80 Millionen Quadratkilometern ab, das vom nördlichsten Punkt Norwegens bis zum Mittelmeer und vom östlichsten Punkt der Türkei bis zum Nordatlantik reicht. Sie bilden eine der wichtigsten Säulen der NATINAMDSNATO Integrated Air and Missile Defence System , um das Bündnisgebiet, die Bevölkerung und die Streitkräfte vor Luft- und Raketenbedrohungen und -angriffen zu sichern und zu schützen.

von Matthias Thalmayr  E-Mail schreiben

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