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Mehrbesatzungsmodell: „Mein Schiff“ auf Zeit

Die Marine hat mehr Besatzungen als Schiffe. Für die vier Fregatten der Baden-Württemberg-Klasse zum Beispiel stehen prinzipiell acht Crews bereit. Sie wechseln sich im Dienst auf See und im Einsatz regelmäßig ab.

Mehrere Soldaten in blauer Arbeitsuniform stehen nebeneinader im Hangar eines Kriegsschiffs.

Warum mehr Besatzungen haben, als es Schiffe gibt?

Zwei Soldaten in sandfarbener Arbeitsuniform nebeneinander und eine Soldat in Wüstentarn Uniform mittig mit rot-gelben Fahne.

Die Korvetten-Besatzung Alpha übergibt die „Ludwigshafen am Rhein“, und damit ihre Aufgaben im UNIFILUnited Nations Interim Force in Lebanon-Einsatz, an die Bravo. Mit einer kleinen Zeremonie tauschen die Kommandanten die Truppenfahne des Schiffs.

Bundeswehr/Franziska Scharf

Die persönliche Belastung, mehrere Monate im Auftrag ihres Dienstherrn Bundeswehr unterwegs und im Einsatz zu sein, ist für alle Soldatinnen und Soldaten groß. Für die Marine bedeutet das: Die Besatzungen der Schiffe und Boote der Flotte sollen ihre Seefahrten einschließlich ihrer Auslandseinsätze verlässlich planen können und ein Maximum an Tagen fern der Heimat nicht überschreiten.

Unter anderem mit dem Mehrbesatzungsmodell stellen die Personal- und Organisationsplaner der Marine deshalb sicher, dass niemand länger als nötig vom Heimatstandort abwesend sein muss. Das Modell strebt für alle Crewmitglieder eine Abwesenheit von durchschnittlich maximal 120 Tagen beziehungsweise vier Monaten pro Jahr an.

Auch können die Einheiten der Flotte mithilfe des organisatorischen Werkzeugs Mehrbesatzungsmodell länger in Einsatzgebieten bleiben. Die Mannschaften müssen nicht mehr nach vier Monaten zusammen mit ihrem Schiff für Ruhephasen wieder in den Heimatstützpunkt zurückkehren. Ebenso bleiben mehr Betriebsstunden des Waffensystems Kriegsschiff für seine Kernaufgaben übrig. Es muss nicht mehr tage- oder wochenlang aus dem Einsatz in den Heimathafen pendeln, denn es stehen verschiedene Besatzungen zur Verfügung.

Wie wird das Mehrbesatzungsmodell umgesetzt?

Das Mehrbesatzungsmodell ist nur ein Grundgerüst. Die Geschwader der Marine wenden es auf ihre Bedürfnisse und Besonderheiten angepasst in einem eigenen Konzept an, um die Besatzungen auf ihren Schiffen oder Booten rotieren zu lassen – wenn diese Schiffs- oder Bootstypen sich technisch dafür eignen.

Einer der entscheidenden Aspekte dabei: Es gibt keine unlösbare Verbindung mehr zwischen je einem Schiff und einer Besatzung. Das 4. Fregattengeschwader zum Beispiel hat für die vier Fregatten der Baden-Württemberg-Klasse acht Besatzungen und ein damit verknüpftes Mehrbesatzungskonzept.

Warum eignen sich bestimmte Schiffstypen besser für das Mehrbesatzungsmodell?

Das Mehrbesatzungsmodell ist ein modulares System, das auf alle Schiffs- und Bootsklassen spezifisch ausgestaltet werden muss. Es unterscheidet zwei grundsätzliche Varianten: Kriegsschiffstypen, die sich für eine Trennung von Besatzung und Plattform eignen, sowie Typen ohne Trennung von Besatzung und Plattform.

Ein graues Kriegsschiff in See.

DIe „Baden-Württemberg“: Das Typschiff seiner Klasse setzt neue technische Maßstäbe, die eine konsequente Umsetzung des Mehrbesatzungsmodells erst möglich machen.

Bundeswehr/Marcel Kröncke

Zusätzlich ist die neue Fregattenklasse 125 intensiv nutzbar. Das bedeutet, dass ihre Technik im Vergleich zu den übrigen Schiffen und Booten der Flotte äußerst wartungsarm ausgelegt ist, die Anlagen möglichst viele Betriebsstunden zwischen vorgeschriebenen Werftzeiten zur Verfügung haben. Denn auch Kriegsschiffe müssen regelmäßig zum TÜV. Je seltener das aber nötig ist, desto länger können sie auf See und im Einsatz bleiben.

Die Fregatten der Klasse 125 sind nun so modern, dass es möglich gewesen ist, dieses Ziel optimal umzusetzen. Deshalb verfügt das 4. Fregattengeschwader auch über die meisten Besatzungen für einen spezifischen Schiffstyp. Für die älteren, und personalintensiveren, Fregatten der Klasse 122 zum Beispiel hat die Marine dagegen auf die Umsetzung des Mehrbesatzungsmodells verzichtet.

Was bedeutet das Mehrbesatzungsmodell für die Fregatten der Klasse 125?

Jede der acht Besatzungen kann auf jedem der vier Schiffe der Baden-Württemberg-Klasse zur See fahren. Voraussetzung dafür ist aber nicht nur, dass es ausreichend Crews zum Tauschen gibt. Speziell die Schiffe dieses Typs sind so gebaut, dass sie sich intensiv, also über längere Zeiträume nutzen lassen.

Deshalb können die Stabilisierungsfregatten auch durch einen Tausch der Besatzung länger in einem Einsatzgebiet bleiben. Erst nach maximal zwei Jahren Abwesenheit vom Heimathafen kehren die Schiffe wieder zurück. Dann gehen sie in ihre normale Werftphase, eine Art mehrmonatiger TÜV-Prüfung plus Wartungsarbeiten, um sie für die nächsten Seefahrten und Einsätze fit zu machen.

Seit wann tauschen Besatzungen ihre Schiffe und Boote?

Die neuen Fregatten der Baden-Württemberg-Klasse sind nicht die ersten Kriegsschiffe, auf denen die Crews wechseln. Die Marine hatte das Mehrbesatzungsmodell schon 2010 entwickelt. Korvetten und U-Boote, aber auch Minenjagdboote haben auf dieser Basis bereits öfter ihre Besatzungen in In- und Auslandshäfen komplett ausgetauscht. Das 1. Ubootgeschwader hatte 2011 das Mehrbesatzungsmodell erstmals umgesetzt.

Welchen Bezeichnungen tragen die Besatzungen?

Ein blauer Sticker mit einem großen gelben B in der Mitte.

B wie Bravo: Die Besatzungen identifizieren sich mit ihrem Team und einer ganzen Schiffsklasse

Bundeswehr/Marcus Mohr

Alpha, Bravo, Charlie und so weiter – die Namen der Besatzungen sind aus dem NATONorth Atlantic Treaty Organization-Alphabet abgeleitet. Beginnend mit der Alpha für den Buchstaben A, den die erste Crew eines Geschwaders trägt. Im 4. Fregattengeschwader zum Beispiel kann also die F125-Besatzung Alpha etwa auf der „Nordrhein-Westfalen“ fahren, und von ihr kann vielleicht die Charlie übernehmen, die Echo oder jede andere Crew – je nachdem, was der Plan der Personalabteilung im Geschwader vorsieht.

Die Bezeichnungen werden übrigens englisch ausgesprochen. Hörbar ist das immer bei der fünften Besatzung im Geschwader, der Crew Echo: gesprochen „Ecko“.

Was macht eine Besatzung, die gerade nicht auf einem Schiff ist?

Blick vom Bug auf die Brücke eines grauen Schiffs im Hafen in der Dämmerung; im Hintergrund Hafenkräne.

Die „Baden-Württemberg“ in der Werf Blohm + Voss in Hamburg. Alle zwei Jahre müssen Schiffe ihrer Klasse zu einer Art TÜV-Überprüfung.

Bundeswehr/Alexander Gottschalk

Die Soldatinnen und Soldaten, die gerade kein Schiff „haben“, nehmen beispielsweise Urlaub oder sind für Weiterbildungen auf die Marineschulen oder auf geschwadereigene Ausbildungseinrichtungen verteilt. Darüber hinaus besuchen Crews, die gerade aus einem Auslandseinsatz wiedergekehrt sind, mehrwöchige Seminare für die Einsatznachbereitung.

Grundsätzlich kann die Besatzung für Urlaub und Weiterbildung auch von Bord gehen, wenn ein Marineschiff für eine geplante Instandsetzung in eine Werft kommt. Wenn dabei die Verbindung zwischen Crew und Schiff auch gelöst wird, kann eine sogenannte Werftgruppe aus dem Geschwader das Schiff für die Liegezeit übernehmen. Sie arbeitet gemeinsam mit dem Werftpersonal an Wartung und Reparatur der Technik. Für jede Schiffs- und Bootsklasse der Flotte gilt dabei die Faustregel: Rund ein Drittel aller Marineschiffe befindet sich immer in einer Werftphase.

Wie findet ein Besatzungswechsel statt?

Ein mögliches Beispiel: Die F125-Besatzung Bravo ist bereits seit vier Monaten mit der Fregatte „Baden-Württemberg“ im Einsatz im Mittelmeer. Die Crew Delta ist komplett und einsatzbereit, ihre Soldatinnen und Soldaten haben im Kalenderjahr bisher die geringste Abwesenheit von ihrem Heimatstützpunkt und ihrem Zuhause. Der Kommandeur des 4. Fregattengeschwaders hat daher entschieden, dass die Delta das Schiff in der griechischen Marinebasis Souda auf Kreta übernimmt.

Zwei Gruppen von Menschen in sandfarbener Arbeitsuniform stehen sich auf dem Oberdeck eines grauen Schiffes gegenüber.

Zwei Besatzungen auf einer Korvette: Auf der „Ludwigshafen am Rhein“ lösen sich zwei Crews ab, hier gut erkennbar im Blauhelm-Einsatz UNIFILUnited Nations Interim Force in Lebanon.

Bundeswehr/Franziska Scharf

Dort eingelaufen bereitet die alte Crew das Schiff für eine Übergabe vor. Die Soldaten überprüfen sorgfältig ihre Arbeitsräume und ihre Anlagen – von der Operationszentrale bis zur Kombüse, von der 127-Millimeter-Hauptkanone bis zum Handfunkgerät. Alle Systeme müssen funktionieren, alles Gerät muss vollzählig vorhanden sein. Funktioniert etwas nicht oder fehlt, fließt das in ein Übergabeprotokoll ein.

Währenddessen ist bereits ein Vorauskommando der Delta in Souda eingetroffen und hilft jetzt den Kameraden der Alpha mit den Übernahmen. Zwei Wochen haben sie Zeit, um die Aufgabe abzuschließen.

Am Ende dieser Zeit kommt der Rest der neuen Crew. Per Militärtransportflieger A400M sind sie mit all ihrem persönlichen Gepäck auf dem Flughafen Chania auf der anderen Seite der Bucht von Souda gelandet. Ihre Kameradinnen und Kameraden, für die der Einsatz jetzt vorbei ist, packen ihre Sachen und machen sich voller Vorfreude auf den Heimweg.

Veröffentlicht am: 16.11.2020, zuletzt aktualisiert am: 25.05.2021   
Ort: Rostock    
Lesedauer: 6 Minuten

Geschwader mit Mehrbesatzungskonzept

Alle Schiffs- und Bootsgeschwader der Marine nutzen Elemente eines Mehr- beziehungsweise Wechselbesatzungsmodells. Drei Verbände haben es umfänglich umgesetzt und die Verbindung zwischen Crew und Schiff gelöst.