Herr Gady, wie oft waren Sie seit Kriegsausbruch an der Front in der Ukraine?

Ich bin seit Beginn des Krieges regelmäßig in der Ukraine – alle paar Wochen oder Monate für mehrere Tage oder Wochen. Frontbereiche erstrecken sich oft weit hinter die Hauptkampflinie, gerade durch neue Bedrohungen wie Drohnen. Eine konkrete Zahl möchte ich nicht nennen, aber ich war immer auch im Frontbereich.
Wie wichtig ist Ihrer Beobachtung nach eine funktionierende sanitätsdienstliche Versorgung im Verteidigungskampf?

Sie ist enorm wichtig, auch für die Moral. Aber extrem herausfordernd. Die klassische „golden hour“ ist kaum umsetzbar. Oft bleiben Verwundete 24 bis 48 Stunden ohne Evakuierung, da russische Drohnen die Bergung massiv erschweren. Sobald Evakuierungsversuche stattfinden, geraten die Soldaten unter Feuer. Seit kurzem setzen die Ukrainer verstärkt unbemannte Systeme, also Bodenroboter, zur Verwundetenbergung ein. Größere Hauptverbandsplätze können meist nur bei Wetterverhältnissen aufgebaut werden, die den Drohneneinsatz erschweren. An sonnigen Tagen werden sie oft schnell entdeckt und beschossen – trotz Kriegsrecht.
In Ihrem Buch „Die Rückkehr des Krieges“ widmen Sie der Militärlogistik ein eigenes Kapitel. Was muss Logistik in Streitkräften leisten?

Kurz gesagt: Die Logistik muss die Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte aufrechterhalten. Das bedeutet, Versorgung der Truppen mit Munition, Betriebsstoffen, medizinischer Unterstützung und anderem lebenswichtigen Material. Ohne verlieren selbst die besten Truppen ihre Wirkung. In modernen Kriegen wird Logistik noch entscheidender, ein kritischer Erfolgsfaktor, weil Bedrohungen auch auf die Etappe zielen.
Steigt die Bedeutung von diesen und anderen Unterstützungskräften wie ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehr oder Militärpolizei?

Ja, eindeutig. Moderne Kriegsführung braucht Unterstützer und setzt auf Informationsüberlegenheit. Auch Führungsunterstützung wird zentral, um schneller und präziser wirken zu können. Ohne starke Unterstützungseinheiten wird dies kaum möglich sein.
Wie bewerten Sie die Neuausrichtung der Bundeswehr auf Landes- und Bündnisverteidigung?

Das Umdenken ist zwingend notwendig. Deutschland ist Aufmarschgebiet der NATONorth Atlantic Treaty Organization und somit im Kriegsfall Ziel potenzieller Angriffe. Daher braucht es Schutz und Durchhaltefähigkeit auch in der Tiefe des Raumes. Ein Schlüssel dazu sind leistungsfähige Unterstützungskräfte. Unterstützungsstrukturen müssen wieder auf operativer Ebene gedacht werden – weg vom Denken in Friedensstrukturen. Deutschland müsste auch ein Ersatzheer aufbauen, das die aktiven Truppen im Ernstfall verstärken kann. Darin sehe ich aktuell noch ein Defizit, aber die neue Richtung ist richtig.
Wie sehen Sie die Bündelung der Enabler-Fähigkeiten im neuen Unterstützungsbereich?

Ein erster guter Schritt. Ressourcen werden besser gebündelt und skalierbare Strukturen ermöglicht. Aber es wird noch mehr operatives Denken und weitere Anpassungen brauchen.
Wäre eine direkte Zuordnung zu Teilstreitkräften besser gewesen?

Nein. Für Multidomänen-Operationen ist die zentrale Bündelung sinnvoller, um Synergien zwischen den Domänen optimal zu nutzen. Natürlich bleiben integrierte Unterstützungselemente auf taktischer Ebene notwendig. Operativ aber braucht es zentrale Strukturen. Die jetzige Entscheidung der Bundeswehr unterstützt diese Zukunftslogik besser.
Stimmt es, dass erst Unterstützungskräfte glaubwürdige Abschreckung ermöglichen?

Absolut. Ohne Durchhaltefähigkeit ist nachhaltige Abschreckung unmöglich. Wir sehen es in der Ukraine: Künftige Kriege werden stark durch Abnutzung geprägt sein – hier entscheidet, wer länger durchhalten kann. Ein Gegner wartet sonst einfach, bis die Systeme kollabieren. Deshalb ist der Unterstützungsbereich von zentraler Bedeutung.
Vielen Dank für Ihre Zeit, Ihre Offenheit und Ihre spannenden Einsichten!