Cyber- und Informationsraum

Erfahrung ist das Kapital der Geopolitik

Erfahrung ist das Kapital der Geopolitik

Datum:
Ort:
Euskirchen
Lesedauer:
5 MIN

„Geopolitik? Klar, kenne ich“, denkt sich so mancher. „Ich lese auch viel Zeitung, vor allem im Internet. Da weiß man doch selbst, was los ist in der Welt. Geopolitik, das kann ich doch auch…“.

Ein Mann hinter einem Schreibtisch

Dr. Heinz Hüttl verfügt über langjährige Erfahrung in der Geopolitik.

Bundeswehr/Dr. Steffen Schobel

„Tja“, da schüttelt Dr. Heinz Hüttl aus dem Dezernat V (3) Geopolitik/Geographie des Zentrums für Geoinformationswesen der Bundeswehr (ZGeoBwZentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr) den Kopf. Das hört er oft und tatsächlich lesen auch er und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dezernates viel Zeitung, online und sogar analog. „Wir dürfen und müssen das im Dienst und sogar von Dienst wegen“, betont er augenzwinkernd, „und den täglichen Service der Fachinformationsstelle, mit dem hausinternen Verteiler von Zeitschriften, nutzen wir gerne und ausgiebig“. Denn zu wissen, was aktuell auf der Welt passiert und dies dann mit bestehenden Konfliktlinien zu verknüpfen, zu bewerten und neue Krisenherde zu erkennen, das sind Kernkompetenzen der Geopolitik im Zentrum. Im Fachjargon heißt das dann: „Konfliktmonitoring“ und „Krisenvorhersage“. Es ist klar, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geopolitik nicht den Sportteil der Tageszeitungen lesen, aber auch politische Nachrichten allein sind nicht ihr Kerngeschäft.

Was sind mögliche Ursachen für Konflikte?

Was unterscheidet denn Politik von Geopolitik? Das Handeln politischer und gesellschaftlicher Akteure bestimmt täglich unser Gemeinwesen, oftmals durch verbindliche Entscheidungen – so eine Definition von Politik. Das klingt abstrakt, aber wir alle bekommen als Bürgerinnen und Bürger viel, manchmal Verwirrendes, von diesem „Alltagsgeschäft“ der Politik mit. Denn, um zu diesen Entscheidungen zu gelangen, wird viel gestritten, Pro und Contra ausgiebig von den Politikern, Medien und Fachleuten kontrovers diskutiert. Das macht schließlich eine Demokratie aus.

Doch was passiert, wenn eine Demokratie oder ein Staat schwächelt oder sogar zerfällt - Aufstände, Bürgerkriege, ja Kriege drohen oder ausbrechen? Warum werden manche Staaten als „fragil“ oder gar als „gescheitert“ bezeichnet? Was verstärkt bestehende Konfliktlinien und was sind die Auslöser von gewalttätigen Konflikten und Kriegen?  Antworten hierzu kommen fast ausschließlich aus den Sozialwissenschaften, allen voran den Politikwissenschaften. Doch Geopolitik als Fach kann man an keiner deutschen Universität studieren, wozu also das „Geo“ vor der Politik?

Dezernat Geopolitik/Geographie als „Think Tank“ der Bundeswehr für Geopolitik

Da sich Geopolitik in der Bundeswehr hauptsächlich mit Konflikten beschäftigt, hat sie viele Schnittmengen mit der „Sicherheitspolitik“. Geopolitik fragt aber hauptsächlich nach dem „Geo“-Anteil von Krisen und Konflikten – Fragen, zu denen dann die interdisziplinäre Fachexpertise von Geographen und Geowissenschaftlern benötigt wird. Das verantwortliche Dezernat Geopolitik/Geographie ist ein Teil der Ressortforschungseinrichtung des Bundes, quasi der „Think Tank“ der Bundeswehr für die Geopolitik. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen der Natur- und Kulturraum sowie die sie bestimmenden „Geofaktoren“ im Vordergrund. Die Kernfrage ihrer täglichen Arbeit ist: „Welche Auswirkungen haben Geofaktoren auf politische Entscheidungen und wie wirken sich diese wiederum auf den Natur- und Kulturraum aus?“ Die Beantwortung dieser Frage steht im Mittelpunkt der geopolitischen Analysen und Bewertungen des Dezernates Geopolitik/Geographie. Diese dienen zum einen der geopolitischen Beratung für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verteidigung im Rahmen von Fachaufträgen. Zum anderen verfasst das Dezernat eigene umfangreiche Studien, die als eigene Zeitschrift „Geopolitische Information“ veröffentlicht werden.

Zahlreiche aktuelle Beispiele geopolitischer Machtausübung

Ein Schachspiel

Geopolitik fragt aber hauptsächlich nach dem „Geo“-Anteil von Krisen und Konflikten

Bundeswehr/ Dr. Steffen Schobel

Wenn politische Macht auf den Raum übergreift, kommt man nicht nur zur „Geo“-Politik, sondern auch zu dunklen Aspekten der jüngeren deutschen Geschichte, zum „Kalten Krieg“, zu Regional-, Groß- und Weltmächten, die sich feindlich gegenüberstehen und räumliche Fakten schaffen, um sich „geo“-strategische Vorteile zu verschaffen. Hierzu muss man aber nicht nur die Geschichte bemühen, sondern es gibt auch zahlreiche aktuelle Beispiele geopolitischer Machtausübung.

Aber auch Dürren und der weltweite Klimawandel sind typische Beispiele, wo es eine Geokomponente im Ursachenmix der Krisen- und Konfliktentstehung gibt. Führt das Klima zu Dürren und in der Folge zu Hungerkatastrophen, werden Geofaktoren zu Stressfaktoren für das Leben und Wirtschaften von Menschen. Armut, Hunger, Perspektivlosigkeit und der Kampf um begrenzte Ressourcen haben immer eine oder mehrere Geokomponenten. Bereits bestehende gesellschaftliche Konflikte können sich hierdurch zuspitzen bis hin zum Ausbruch von Gewalt und Krieg. So wird der „Arabische Frühling“ in Nordafrika und im Nahen Osten auch mit Dürren und einer resultierenden „Brotkrise“ in Verbindung gebracht. Auch die jahrzehntelangen Krisen und Konfliktlinien in der Sahelzone beruhen letztlich auf der geringen geoökologischen Tragfähigkeit der Region, die durch die menschliche Nutzung überstrapaziert wurde. Hinzu kommt massives Staatsversagen der Eliten.

Vom Quereinsteiger zum „Senior-Scientist“

Ein Mann vor einem vollen Schreibtisch

Kein Quadratzentimeter an Ablagefläche im Büro von Dr. Hüttl ist frei von Kopien, Büchern, und Karten.

Bundeswehr/Dr. Steffen Schobel

Gerade dieses Zusammenspiel von natur- und geisteswissenschaftlichen Faktoren macht für den Geographen den besonderen Reiz dieses Querschnittsfachgebietes „Geopolitik“ aus. Dr. Heinz Hüttl hat, kurz vor seinem regulären Renteneintritt, sogar zwei weitere Jahre in der Geopolitik „gebucht“. Er kam, im Alter von 50 Jahren, als Quereinsteiger zum ZGeoBwZentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr, hatte aber auch vorher keine Berührungsängste mit der Bundeswehr. Er leistete seinen Grundwehrdienst, hatte seitdem rund 40 Wehrübungen absolviert, bis er 2002 zum Oberstleutnant der Reserve befördert wurde. Sein Diplom in Geowissenschaften und seine Promotion zum Doktor der Naturwissenschaften legte er an der Ruhr-Universität Bochum ab. Beruflich war er unter anderem als Ausbilder in Fernerkundungstechniken und viele Jahre als Geschäftsführer einer Altlastenerkundungsfirma tätig, bevor er 2005 am damaligen Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr startete, zuerst in der Fernerkundung, um dann, seit 2006, im frisch gegründeten Dezernat Geopolitik/Geographie zu wirken. Dem sonst üblichen Rotationsverfahren im Dienst zum Trotz, ist er seinem Dezernat treu geblieben, in das er fachlich hineingewachsen ist und welches er durch seine langjährige Erfahrung bereichert. Er ist schlicht das „Urgestein“ der Geopolitik im ZGeoBwZentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr, ein „Senior-Scientists“ – nicht das einzige, aber ein wesentliches Kapital der Geopolitik. Man darf den Wert solider „analoger“ Handwerkskunst aus Literatursuche, Literaturauswertung, Reflektion und Schreibfertigkeiten in der Wissenschaft nicht vergessen. Ein anschaulicher Beleg hierfür ist sein Büro. Kein Quadratzentimeter an Ablagefläche ist frei von Kopien, Büchern, Karten – und dazwischen ein dampfender Früchtetee.


von Dr. Steffen Schobel  E-Mail schreiben

Publikationen der Geopolitik

Das Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr publiziert regelmäßig verschiedene Informationen zur Geopolitik.

Menschen

Lernen Sie die Menschen des Cyber- und Informationsraum kennen

Weiterlesen

Meldungen aus dem Organisationsbereich CIRCyber- und Informationsraum