Flüchtlinge im Ukrainekrieg

Militärpfarrer Kramer über eine Bahnreise im März 2022

Militärpfarrer Kramer über eine Bahnreise im März 2022

Datum:
Ort:
Wesel
Lesedauer:
4 MIN

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Ein Reisebericht von Militärpfarrer Heinrich Kramer über eine Bahnreise von Berlin nach Duisburg im März 2022

Militärpfarrer Heinrich Kramer in Afghanistan

Militärpfarrer Heinrich Kramer während seiner Einsatzbegleitung in Afghanistan

Bundeswehr

Der Priestertag an der Kurie des Katholischen Militärbischofs war nach dem Mittagessen zu Ende und da mein Zug zurück nach Wesel erst um 14.46 Uhr ab Berlin Hbf. abfuhr, hatte ich noch ein wenig Zeit, meine Seele baumeln zu lassen. So fuhr ich zunächst vom Bahnhof Friedrichstraße zum Hauptbahnhof und begab mich dort in die DBDeutsche Bahn Lounge, wo ich eine schöne Aussicht auf das Reichstagsgebäude und das Bundeskanzleramt genoss. Auf dem Vorplatz stand ein Zelt vom Roten Kreuz zur Möglichkeit der Corona-Testung, vor dem sich eine Menschentraube gebildet hatte. Ein ganz normales Bild unter Corona-Bedingungen, nichts Außergewöhnliches …

Circa eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges ging ich zum Bahnsteig Nummer 13. Dort nahm ich eine große Menschenmenge wahr, junge Menschen mit roten und gelben Warnwesten sprachen mit den Wartenden, die ihr Gepäck nicht nur in Koffer, sondern auch in Plastiktüten verpackt hatten. So langsam kam mir zu Bewusstsein, dass es sich um Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine handelte und die jungen Menschen mit den Warnwesten freiwillige Helfer waren.

Ein mir vom Sehen her bekannter Arzt (Chefarzt der Kardiologischen Klinik Mühlheim) kam auf mich zu und wir kamen ins Gespräch über die Flüchtlinge. Nicht weit von mir entfernt sah ich zwei junge Soldaten unserer Bundeswehr, die sich wohl auf ihrer Heimfahrt befanden. Der Arzt – ich vermute mit Migrationshintergrund aus dem Iran/Irak/Indien kommend – teilte meine Meinung, dass ein Krieg in der heutigen Zeit und Welt nicht mehr vorkommen muss: Eine Menschheit, die gebildet ist, könnte bei Auseinandersetzungen ihren Verstand benutzen.

Der Zug traf ein und wir begaben uns an Bord, was sich als nicht so einfach herausstellte, denn zunächst war alles bis auf den letzten Zentimeter ausgefüllt. Das gut geschulte Bahnpersonal löste die Enge auf und wir konnten unsere Plätze einnehmen. Ich schaute mir die Flüchtlinge ein wenig genauer an und stellte fest, dass es sich fast ausschließlich um Frauen jeden Alters mit Kindern handelte.

Nach ca. einer halben Stunde beruhigte sich die Situation im Zug und die Fahrt nach Hause nahm ihren Lauf …

Kurz vor Bielefeld kam eine Frau, ich schätze mal so um die 40 Jahre, mit drei Mädchen, bepackt mit Rucksäcken und Musikinstrument, um ihr Gepäck am Ausgang abzulegen. Zwei Kinder mussten auf das Gepäck aufpassen und die Frau mit dem größeren Mädchen holte noch einige weitere Rucksäcke und immer wieder auch diverse Musikinstrumente. In unserem Abteil saß eine ältere Dame, die sich mit den Flüchtlingen unterhalten konnte. Hinter mir saßen links und rechts zwei Frauen, die genauso aufmerksam wie der Arzt und ich der Szene betrachteten. Die ältere Dame teilte uns nach einiger Zeit mit, dass es sich um ein Jugendorchester handele, welches ganz schnell aus der Ukraine geflüchtet sei. In Bielefeld angekommen, stiegen dann etwa 25 bis 30 gut gekleidete Jugendliche aus. Begleitet wurden die jungen Menschen von einer weiteren Dame.

Der ICEIntercity-Express fuhr weiter und kurz vor dem Halt in Hamm stand eine Mutter mit einem Baby auf dem Arm, den Kinderwagen schiebend, hinter sich wohl die Oma des Babys, in unserem Abteil – das Baby schrie fürchterlich. Der Arzt und die ältere Dame, die russisch sprach, versuchten zu helfen. Es entstand eine chaotische Situation auf dem Hammer Bahnsteig, selbst das Zugpersonal half. Als der ICEIntercity-Express wieder anfuhr, sah ich, wie eine farbige Frau ihren Pullover hob und dem Baby die Brust zum Stillen reichte. Ich hatte Tränen in den Augen: Ich dachte an meine Einsatzbegleitung in Afghanistan 2013–14, als wir Spenden zum Camp Quali`n Bafan brachten, das Elend, welches ich damals gesehen hatte, stand mir wieder vor Augen. Ich habe unsere Soldaten schon des Öfteren in diversen Einsätzen begleitet, jetzt aber ist der Krieg unter uns. Dabei erlebe ich nun ganz konkret, wie gut es ist, wenn Menschen zusammenstehen, egal welcher Hautfarbe, egal welcher Nationalität, egal ob Mann oder Frau. Wir alle sind Menschen der einen Erde und Kinder des einen Gottes – wenn wir Menschen uns als Geschwister begreifen, dann kann das Leben schön sein …

Übrigens: Ein junger Soldat, der auch an Bord war, versuchte ebenfalls zu helfen. Gut, dass wir die Bundeswehr haben, die uns beschützt. Gut, dass die Flüchtlinge bei uns Schutz erfahren.

Dann kurz vor dem Halt in Essen stand ein kleiner Junge vor mir, und obwohl ich kein russisch spreche, habe ich das Wort Babuschka verstanden. Der kleine Junge suchte seine Mutter …

von Heinrich Kramer

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