Nachdem das Westufer gesichert wurde, ist es Zeit für Phase zwei. Unvermittelt preschen nacheinander vier Schwimmschnellbrücken Amphibie M3 in voller Fahrt und mit hochgeklappten Schwallbrettern in die Elbe. Binnen weniger als zehn Minuten koppeln die Besatzungen ihre Fahrzeuge in der Flussmitte und melden sich einsatzbereit. Unmittelbar darauf rücken die ersten Schützenpanzer heran und werden ans andere Ufer gebracht. Das Übersetzen der Gefechtsfahrzeuge hat begonnen – und damit auch die Arbeit des Crossing Site Commanders, der für die Koordination der Übersetzstelle verantwortlich ist.
Ein zusätzlicher Auftrag für Hauptmann Michael S., den Chef der 5. Kompanie des Deutsch/Britischen Pionierbrückenbataillons 130. Schon kurz nach Sonnenaufgang hatten Pioniertaucher seiner Kompanie den Uferbereich nach Hindernissen abgesucht und einige große Steine entfernt. „Diese Form der Erkundung unter Wasser ist wichtig“, sagt Hauptmann S. „Im Moment könnten sonst Treibgut oder Steine die Übersetzmittel beschädigen.“ Schon das wäre schlimm genug. Doch unter Gefechtsbedingungen müssten die Pioniertaucher zudem prüfen, ob der Gegner die Furten vermint oder sonst mit pioniertechnischen Hindernissen gespickt hat. All das hätten sie dann auch zu beseitigen.
Disziplin am Flussübergang reduziert Risiken
Hauptmann S. sorgt jetzt als Crossing Site Commander mit einigen seiner Kameraden außerdem dafür, dass es an den Anmarschwegen zum Flussübergang nicht zu Behinderungen kommt. „Wir stehen über Funk ständig in Kontakt mit den Einheiten. Es gibt einen Ablaufplan, an den sich alle zu halten haben“, sagt er. Konkret halten sich die Besatzungen mit ihren Fahrzeugen im Verfügungsraum bereit. Erst wenn sie „dran sind“, begeben sie sich in die unmittelbare Nähe der Übergangsstelle. „Unter gefechtsmäßigen Bedingungen wäre sonst die Gefahr groß, dass sie in feindliche Artillerie- oder Luftangriffe geraten“, sagt Hauptmann S.
Einige hundert Meter weiter flussabwärts haben ebenfalls Panzergrenadiere aus Marienberg in Schlauchbooten die Elbe überwunden und einen weiteren Brückenkopf eingerichtet. An dieser zweiten Übergangsstelle koordiniert Hauptfeldwebel Felix K. vom Pionierbrückenbataillon 130 das Übersetzen. Anders als an der südlichen Übergangsstelle wird hier eine Faltschwimmbrücke (FSBFaltschwimmbrücke) eingesetzt. Und als Zugführer des amphibischen Brückenzuges ist Hauptfeldwebel K. zugleich der Leiter Fährbetrieb.
„Die Brigade möglichst schnell über den Fluss bringen“
Die modular aufgebaute FSBFaltschwimmbrücke besteht im Wesentlichen aus mehreren Pontons, die gekoppelt und im Fährbetrieb von 320-PS-starken Motorbooten bewegt werden. Die Auffahrrampe am Ufer wird durch eine Schubverankerung gesichert, deren Ankerplatte durch massive Erdnägel gehalten wird. Zusätzlich ist im Wortsinne Pionierarbeit erforderlich, um den Übergang zu ermöglichen. Auf die natürliche Uferbeschaffenheit vor Ort könne sich die Truppe nicht einfach verlassen, erklärt K. Bei ihrer Erkundung haben die Pioniere das Areal gründlich geprüft. „Anschließend ist der Pionierpanzer Dachs als unser Multitool zum Einsatz gekommen“, ergänzt der Hauptfeldwebel. „Gräben schieben, eine Furt schieben.“ Die Spuren im Uferbereich sind eindeutig. Dafür können nun Rad- und Kettenfahrzeuge gleichermaßen problemlos an die FSBFaltschwimmbrücke heranfahren. Und darum geht es, wie Hauptfeldwebel K. sagt: „die Brigade möglichst schnell über den Fluss bringen“.
Einige Zeit ist vergangen. Oberstleutnant Carsten Oberländer setzt sein Fernglas ab und greift zum Funkgerät. Seit einigen Minuten schon beobachtet der Kommandeur des Panzerbataillons 393 die südlichen Übersetzstelle über die Elbe. Wenige Meter neben ihm ist einer der Leopard 2 A7V seines Bataillons in Stellung gegangen. Das mächtige 120-Millimeter-Geschütz ist aufs westliche Ufer der Elbe gerichtet. Und auch wenn es von außen nicht zu sehen ist – die Besatzung des Kampfpanzers ist hellwach. Mit ihren vielfältigen Sensoren spähen sie über den Fluss und schützen so ihre bereits übergesetzten Kameradinnen und Kameraden vor unliebsamen Überraschungen.
Mehrere Funksprüche setzt Oberländer kurz nacheinander ab. Er ist taktischer Führer vor Ort und somit in dieser Phase dafür verantwortlich, dass seine Kräfte wohlbehalten die Elbe überqueren können. Das Panzerbataillon 393 ist im thüringischen Bad Frankenhausen stationiert und ebenso wie das Panzergrenadierbataillon 371 der Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ unterstellt. Diese gehört seit 2022 zur NATONorth Atlantic Treaty Organization Response Force (NRFNATO Response Force). Im Rahmen der Übung Wettiner Schwert soll der deutsche Gefechtsverband zunächst die Elbe bei Hohengöhren überschreiten und dann zum Gefechtsübungszentrum Heer weitermarschieren. Heute übt die Truppe vor. Am nächsten Tag soll dann scharf geübt werden und der Kommandeur unterschätzt den Auftrag nicht.
Immer riskant: Der Angriff über Gewässer
„Der Angriff über Gewässer ist für Landstreitkräfte eine der komplexesten Operationen überhaupt“, sagt Oberländer. Schon die Durchführung unter friedensmäßigen Bedingungen sei riskant. Dies zeige bereits der stark schwankende Pegel der Elbe, so der Oberstleutnant weiter. Morastige Uferbereiche und angeschwemmtes Treibgut erschwerten den Zugang und Einsatz der Technik. „Deshalb muss hier jeder seine Aufgabe kennen, damit alle Rädchen ineinandergreifen können.“
Während der Kommandeur das sagt, rumpelt ein weiterer Leopard 2 seines Bataillons auf eine „Vierfachfähre“ aus vier gekoppelten Schwimmschnellbrücken Amphibie M3. Viel Platz bleibt nicht, wenn so ein Koloss auf die Fähre rollt. Der Blick des Fahrers ist starr auf den Fährenführer gerichtet, der ihn mit Handzeichen einweist. Luken und Türen sind aus Sicherheitsgründen während des Übersetzens immer geöffnet zu halten. In gestoppten vier Minuten ist der Leopard am anderen Ufer. Oberstleutnant Oberländer sieht zufrieden aus. Der Großteil seines Bataillons ist bereits im Brückenkopf, die Folgekräfte rücken nach. Bald kann der weitere Vormarsch beginnen.
Brigadegeneral Alexander Krone ist der Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 37 und hat die Übung seiner Truppe aufmerksam verfolgt. Grundsätzlich nicht unzufrieden, hat er doch einige Schwächen erkannt, an denen er arbeiten lassen wird. „Das Übersetzen erfolgte nicht überall stockungsfrei“, resümiert Krone. „Mitunter halten sich die Soldaten zu lange ohne Übersetzmittel in Ufernähe auf. Wir dürfen aber nie mehr als maximal 20 Prozent der Kräfte dort haben.“ Außerdem habe er bei Überflügen der Aufklärungsdrohne MIKADOMikro-Aufklärungsdrohne im Ortsbereich an einigen Stellen mangelhafte Tarnung festgestellt. Auch sei die Truppe nicht überall in der befohlenen aufgelockerten Formation unterwegs gewesen. „Das sind aber Punkte, an denen wir arbeiten können“, sagt Krone. Angesichts der Komplexität des Auftrags und der vielen noch jungen Kameradinnen und Kameraden in einigen Einheiten, sei das bislang erzielte Resultat in Ordnung. „Morgen machen wir es noch besser.“