Funkkreis

Funkkreis

Datum:
Lesedauer:
11 MIN

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A = Barbara Gantenbein
B = Flottillenarzt Stephan Laumann

Nach 168 Tagen auf See ist der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ in seinen Heimathafen Wilhelmshaven zurückgekehrt. Für die Soldatinnen und Soldaten an Bord hieß das mehr als fünf Monate kein Landgang. Wie die Mannschaft das verkraftet hat, darüber spreche ich jetzt mit dem Flottillenarzt Stephan Laumann. Ich bin Barbara Gantenbein und hatte im April bereits in einem anderen Podcast mit Herrn Laumann darüber gesprochen, wie die „Berlin“ im Einsatz unter COVID ist. Umso mehr freue ich mich jetzt, dass wir uns gesund wiederhören. Guten Tag, Herr Doktor Laumann. Erstmal herzlich willkommen zurück an Land und danke, dass Sie bereit sind für diesen Podcast.

B: Ja, vielen Dank. Guten Tag, Frau Gantenbein.

A: Sie waren ja jetzt über fünf Monate isoliert mit Ihren rund 180 Crewmitgliedern. Vermissen Sie die jetzt?

B: Na ja, um ehrlich zu sein, wir waren fünfeinhalb Monate zusammen. Es wäre etwas geheuchelt, wenn ich sagen würde, ich könnte gar nicht mehr ohne das Schiff und ohne meine Kameraden. Wobei wir aber auch erst seit vier Tagen wieder hier sind.

A: Hm, aber es ist wahrscheinlich doch ein gutes Gefühl, mal wieder an Land zu sein. Sie haben ja einen neuen Marinerekord auf See aufgestellt. Fühlt sich das für Sie jetzt komisch an, nach über fünf Monaten wieder andere Menschen zu sehen? Also muss man sich umstellen?

B: Ja, das ist in der Tat eine Umstellung, auch im familiären Bereich. Man muss sich erst wieder etwas aneinander gewöhnen. Wobei das eigentlich schnell geht. Auf der anderen Seite, so ein Schiff, das ist ein hochkomplexes System und das ist ein eigener Mikrokosmus.  Man kann auch gut an Bord überleben, ohne eine Kenntnis von der Außenwelt drum herum.

A: Okay, und jetzt? Stürmen jetzt viele Dinge auf Sie ein, die ungewohnt sind? Also, ich denke jetzt auch an die Situation beim Einlaufen. Normalerweise, die Piers sind voll, die Familie ist da, ein Riesenhallo und jetzt hatten wir ja die Maskenpflicht und Abstand. War das für Sie komisch? War das anders als sonst?

B: Es ist vor allem anders als beim Auslaufen. Beim Auslaufen haben wir von einer gespenstisch menschenleeren Pier abgelegt. Das hatten wir jetzt diesmal nicht. Es gab Hygieneregeln, relativ streng. Maximal drei Angehörige pro Besatzungsmitglied, Abstandsregelung und Maskengebot. Aber ansonsten war es eigentlich wie immer. Das Marinemusikkorps war da und hat uns musikalisch begrüßt, und die Pier war auch, unter Einhaltung von Abständen, voll.

A: Wunderbar. Also auch ein gutes Gefühl für alle an Bord, dann runterzugehen und die Familie in die Arme zu nehmen.

B: Ja.

A: Schön! Super! Wie haben Sie das unterwegs ausgehalten über fünf Monate? Wie konnten Sie die Verbindung nach Hause halten?

B: Na, belastend ist das schon. Aber was die Verbindung nach Hause angeht, war es jetzt nicht wesentlich anders als bei anderen Seefahrten. Wir hatten Internet, wir hatten Telefon, wir hatten Betreuungstelefone. Die konnten auch kostenlos von allen Besatzungsangehörigen genutzt werden, um zu Hause über Satellitentelefon anzurufen. Und dadurch, dass wir meistens in Landnähe waren, hatten wir auch fast ständig Mobilfunkabdeckung.

A: Also das ging einigermaßen?

B: Ja, das ging.

A: Und jetzt auf dem Schiff. Das stelle ich mir schon schwierig vor. Also, ich habe gelesen, die „Berlin“ ist 173 Meter lang und 24 Meter breit. Was die Quadratmeterzahl angeht, etwa so wie ein Fußballplatz minimal sein muss. Gut, wir haben da jetzt noch Etagen, das hat ein Fußballplatz nicht. Aber das ist ja ein sehr begrenzter Platz. Was kann man denn dann machen, auf so einem Schiff, in der dienstfreien Zeit?

B: Man kann schon eine ganze Menge machen. Wir hatten uns auch schon vor der Seefahrt viele Gedanken gemacht. Naturgemäß sehr kurzfristig. Denn das Ausbrechen der Pandemie konnte drei Wochen vorher ja noch niemand vorhersehen. Also insofern hatten wir jetzt auch keine fertigen Pläne in der Schublade. Wir haben uns schon zeitig beim Losfahren Gedanken gemacht. Wie können wir die psychische Widerstandsfähigkeit der Besatzung stärken? Wir hatten in den etwa ersten zwei Monaten einen Militärpfarrer dabei. Der hat sich dieser Aufgabe, der Stärkung der psychischen Widerstandsfähigkeit, angenommen. Wir haben Gruppen gebildet, ein sogenanntes Resilienzteam, mit dem Militärpfarrer, den Vertrauenspersonen, mit den Peers und mit mir. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, was kann man für die Besatzung tun.

A: Und was kam dann, so ganz konkret, dabei heraus?

B: Wir haben zunächst damit angefangen mit Unterrichten zur Resilienz, Stärkung zur Stressprävention, und wir haben vor allem ein sehr breit gefächertes Betreuungsprogramm aufgestellt, reichlich Sportveranstaltungen geboten: Turniere, Märsche, Tischtennisturnier, Federballturnier, eine Spaßolympiade. Wir haben häufig gegrillt, wir hatten Kinoabende.

A: Klingt toll. Wie muss ich mir den Marsch vorstellen? Also, auf dem Flugdeck, oder?

B: Nein, den haben wir auf der Pier gemacht. Also grundsätzlich waren wir in einer sogenannten Kohortenisolation. Die Besatzung war nahezu hermetisch abgeriegelt zu der Außenwelt. Es gab fast keine Kontakte zu schiffsfremden Personen. Aber wir hatten, wenn wir eingelaufen sind, immer nur den gleichen Hafen, Souda Bay auf Kreta. Dann hatten wir da einen kleinen Abschnitt auf der Pier, den wir nutzen konnten. Wo auch kein fremdes Personal hinkam. Da haben wir dann in 13 oder 15 Runden einen Sechs-Kilometer-Marsch gemacht.

A: Ah, okay. Ja, das kling gut. Dann wenigsten mal so ein bisschen Land unter die Füße kriegen. Ja, das ist bestimmt ganz schön. Und haben Sie auch so etwas wie Meditation oder Yoga, also diese Entspannungstechniken, angeboten? Oder kommt das bei so einer Schiffsbesatzung nicht so gut an?

B: Doch, das hatten wir auch. Wir hatten fast jeden Abend auf See Trainingsprogramme. Unter anderem auch Yoga.

A: Und das wurde auch angenommen?

B: Also, der Teilnehmerkreis blieb leider überschaubar.

A: Verstehe. Aber generell, wie hat sich das angefühlt? Ist es jemals zu so etwas wie einem Lagerkoller gekommen? Waren die Besatzungsmitglieder doch sehr eingestellt auf das, was ihnen blüht durch diese lange Zeit?

B: Wir haben da mit dem Schlimmsten gerechnet. Das zum Ende hin die Nerven blank liegen könnten. Aber die Stimmung war wirklich zu keinem Zeitpunkt sehr gereizt. Es ist durchaus mal zu Affektausbrüchen gekommen, die aber nie feindselig waren. Es gab nie wirklich erwähnenswerte Aggressionen. Aber es war doch zum Ende hin eigentlich bei allen schon eine deutliche Ermüdung zu erkennen.

A: Das man einfach runter wollte?

B: Ja!

A: Einfach mal die eigene Familie sehen und so weiter? Natürlich.
 
B: Genau, dass man gesagt hat: „Jetzt reicht es eigentlich.“

A: Gab es denn irgendjemanden an Bord, der so, wie man das kennt, am Maßband die Tage abgeschnitten hat oder Strichliste geführt hat? Gab es so etwas?

B: Ja, wir hatten auf den Messen PCs. Da konnte man, bis auf die Sekunde genau, sehen, wie lange wir noch haben. Das fing bei 170 an und dann wurde runtergezählt, ja.

A: Ach, das ist ja auch spannend. Aber ist das nicht manchmal auch eher frustrierend, wenn man sieht „Ach, jetzt sind es noch 80 Tage, noch 60„? Ist es nicht so, dass man manchmal sagt „Augen zu und durch“? Oder ist das eher typabhängig?

B: Weiß ich nicht. Ich glaube, das ist typabhängig. Ich habe immer scherzhaft gesagt, wir sind in einer Gruppenhaft. Da ist auch was dran. Das waren schon irgendwie haftähnliche Bedingungen. Aber anders als in einer Vollzugsanstalt hatte ja jeder seine Aufgabe und wir haben jeden Tag gearbeitet.

A: Ja eben, und die Arbeit ist ja auch viel an Bord. Da ist ja auch nicht so viel freie Zeit. Das ist schon sehr ablenkend, das ist schon gut.

B: Und Schifffahrt ist schon anstrengend. Nicht für alle gleichermaßen, aber schon. Ein Schiff muss ja auch nachts fahren. Auch nachts müssen die Betriebsräume gerundet werden, muss jemand im Leitstand sitzen, muss die Brücke besetzt sein: Das geht dann im Dreischichtbetrieb. Ja, auch mit ungünstigen Zeiten, zum Beispiel von null Uhr bis vier Uhr, von vier Uhr bis acht Uhr. Und das ist einfach anstrengend. Also Schifffahrt bedeutet immer auch Schlafentzug.

A: Auf jeden Fall, natürlich. Wie war denn das mit den Smuts, waren die so die meistgeliebten Menschen an Bord? Wegen des Essens? Und haben die das geschafft, das Essen abwechslungsreich zu halten über diesen langen Zeitraum?

B: Ja, also das Budget ist natürlich begrenzt, aber von dem, was es hergegeben hat, haben die wirklich Hervorragendes geleistet. Sie haben das Beste rausgeholt, was ging.

A: Gerade auf einem Schiff, finde ich, ist das so wichtig, dass das Essen stimmt. Also das hat funktioniert?

B: Ja, ja, bis hin zu Events. Also Subway-Abende, Grillabende, griechischer Abend.

A: Ach super. Und gegrillt haben Sie dann wahrscheinlich auf dem Helideck, auf dem Flugdeck, oder?

B: Ja, genau.

A: Das klingt gut. Dann vielleicht auch ein bisschen mit Sonnenuntergang. Das vielleicht ein bisschen Ruhe reinkommt. Klingt super.
Sie hatten mir im April erzählt, dass es wegen der Desinfektionsmaßnahmen gegen Corona praktisch keine anderen Infektionen gab. Hat sich dieser Zustand gehalten über die Dauer der ganzen Seefahrt?

B: Ja, das hat sich tatsächlich gehalten. Ich habe in den ganzen 169 Tagen nicht einen einzigen grippalen Infekt behandeln müssen.

A: Das ist enorm! Haben Sie jetzt Sorge, dass durch diese lange Isolation von allen möglichen Krankheitserregern, dass das Immunsystem jetzt vielleicht ein bisschen geschwächt ist? Oder ist das kein Problem?

B: Nein, das würde mich wundern.

A: Eigentlich sind die jetzt alle topfit und gesund und gut.

B: Ja.

A: Cool.

B: Aber wenn wir jetzt wieder in Deutschland sind, wird schon der ein oder andere auch einen grippalen Infekt bekommen.

A: Gut, aber das ist jetzt wahrscheinlich auch einfach die Zeit jetzt. Es geht auf den Herbst zu. Wir lassen uns alle impfen.
Gab es denn auch irgendwelche Running Gags oder Anekdoten an Bord, die Sie mir erzählen könnten ?

B: Da muss ich leider passen. Hm, wir hatten noch ein Großevent. Das kann ich noch erzählen, auch wenn das keine Anekdote ist. So ziemlich genau in der Mitte unserer Seefahrt ist jeder Einzelne für vier Tage in ein Hotel gegangen, zur Erholung. Sozusagen als Rehabilitationsmaßnahme. Die Bundeswehr hat ein Hotel vollständig angemietet. Das Hotel hatte auch sehr strenge Corona-Auflagen. Die Angestellten waren alle getestet, hatten alle durchgehend Masken getragen. Und es gab vor allem auch dort keine externen Kontakte, außer mit dem Personal. Die Kohortenisolation wurde nicht gebrochen. Es war weit außerhalb von Loutro auf Kreta, sodass niemand den Reiz verspürte, das Hotel zu verlassen. Und in drei Schichten war jeder im Hotel und konnte sich tagsüber schön an den Pool legen und die Poolbar besuchen.

A: Das hat doch bestimmt die Stimmung gehoben.

B: Ja, der ein oder andere kam wie ausgewechselt zurück.

A: Wie war denn das so zwischenmenschlich? Haben sich andere Cluster gebildet, andere Gruppen gebildet also normal? Oder haben sich Paare gefunden, auch sowas kann ja sein. Oder war es relativ wie immer bei einer Seefahrt?

B: Gut, dadurch, dass wir aufeinander beschränkt geblieben sind und es keine Außenkontakte gab, war es vielleicht ein bisschen vermehrt gegenüber früheren Seefahrten. Aber dem allgemeinen Seefahrer ist nichts Menschliches fremd.

A: Und wahrscheinlich gab es auch die üblichen Sportgruppen, also die, die mehr Kraftsport machen, und die anderen. Hatten Sie eigentlich auch Hubschrauber an Bord? Oder haben Sie im Hangar so eine Art Kraftraum aufgebaut?

B: Die „Berlin“ hat sowieso einen eigenen kleinen Kraftraum. Und für diese lange Seefahrt haben wir noch zusätzlich andere Sportgeräte bekommen. Also insbesondere Spinning-Räder. Zwei Kicker hatten wir auch. Wir hatten sogar einen hochtechnischen Massagestuhl. Wir haben ein Volleyballfeld im Hangar eingerichtet. Ja, Volleyball wurde tatsächlich weniger gespielt. Aber für Federball war das perfekt. Es gab auch mal Versuche mit einem Hockeyfeld auf dem Flugdeck. Das ist weniger gut angenommen worden. Wir haben aber auch improvisiert eine Minigolfanlage aufgebaut.

A: Herrlich! Das ist gut. Aber eine Badechance gäbe es sicherlich nicht?

B: Nein, abgesehen von den vier Tagen im Hotel gab es keine Badechance.

A: Das finde ich ja immer so total schade. Da ist man auf dem Mittelmeer unterwegs und dann darf man da nicht rein. Das ist nicht schön.
So, und wie doll freuen Sie sich jetzt auf Zuhause? Endlich nach Hause fahren und vier Wochen lang ausspannen?

B: Da freue ich mich sehr drauf.

A: Dann wünsche ich Ihnen eine ganz gute Heimfahrt und ganz herzlichen Dank, dass Sie Zeit hatten. Genießen Sie Ihren wohlverdienten Urlaub. Vielen Dank!

B: Danke, Ihnen auch Frau Gantenbein.

A: Eine enorme Leistung ist, was die Crew der „Berlin“ da gebracht hat. Ich wünsche von hieraus wirklich gute Erholung zu Hause.

Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, können den nächsten Podcast wie gewohnt am nächsten Donnerstag hören. Auf den üblichen Podcast-Portalen und auf Instagram oder Youtube. Eine schöne Woche wünsche ich Ihnen. Machen Sie es gut. Ich melde mich ab aus dem Funkkreis.


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