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Mit Eispickel und Steigeisen

Mit Eispickel und Steigeisen

Datum:
Ort:
Österreich
Lesedauer:
6 MIN

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Im österreichischen Pitztal klettern die Heeresbergführer einen gefrorenen Wasserfall hinauf. Mit dieser einzigartigen Fähigkeit erschließen sie abgelegene Regionen für die Truppe.

Soldaten klettern an einem gefrorenen Wasserfall

Wer Heeresbergführer sein möchte, der muss auch einen gefrorenen Wasserfall hinaufklettern können.

Bundeswehr/Johannes Heyn

Präzise schlägt Johannes Huber seine Eisgeräte in den gefrorenen Wasserfall. Er zieht sich nach oben und setzt die Zacken der Steigeisen an seinen Füßen ins Eis. Nun wird sein ganzes Körpergewicht von wenigen messerscharfen Spitzen getragen, die nur wenige Zentimeter tief im Eis stecken. Schritt für Schritt klettert der Hauptfeldwebel so die Eiswand vor sich hoch. Die Anstrengung ist ihm dabei anzusehen – die Winterkampfausbildung der Gebirgsjäger hat es in sich. Huber und neun weitere Soldaten wollen Heeresbergführer werden.

„Es klingt schon etwas verrückt, einen gefrorenen Wasserfall nach oben zu klettern“, erklärt Hauptmann Hermann Pape. Der Ausbilder ist Truppenfachlehrer für Bergrettung und Heeresbergführer am Ausbildungsstützpunkt für Gebirgs- und Winterkampf in Mittenwald. „Für Heeresbergführer gehört es aber zu ihrem Aufgabenbereich.“ Und der ist vielseitig und verantwortungsvoll. So bilden die Heeresbergführer Soldatinnen und Soldaten im alpinen Gelände aus oder beraten die Kommandeure im Gebirgskampf. „Wir müssen auch den Weg für die Truppe gangbar machen. Um zum Beispiel im Winter eine Seilbrücke über einen breiten Graben aufzubauen, seilen sich Bergführer ab und klettern an der vereisten Wand gegenüber wieder nach oben“, berichtet Pape. „Ein anderer Fall wäre, dass ein Scharfschütze in eine exponierte Position verbracht werden muss. Auch hierzu rundet Eisklettern das breite Fähigkeitsspektrum der Bergführer ab.“

Pape steht am Boden und beobachtet jeden Schritt von Hauptfeldwebel Huber. Nach wenigen Zügen hängt dieser einige Meter über dem Boden und macht sich bereit, die erste Sicherung zu setzen. An einer Hand hängend, nimmt er eine Eisschraube vom Klettergurt und dreht sie in das Eis. Die Schraube ist innen hohl und drückt das verdrängte Eis beim Eindrehen nach außen. Damit nichts schief geht, üben die angehenden Bergführer noch in Bodennähe. Später, in bis zu 40 Metern Höhe, dürfen keine Fehler mehr passieren. Eisklettern ist extrem anspruchsvoll für Körper und Psyche. Neben dem richtigen Umgang mit der Ausrüstung müssen die Soldatinnen und Soldaten ihre Umwelt perfekt einschätzen können. Auch das lernen die handverlesenen Teilnehmer bei der Ausbildung zum Heeresbergführer.

Robert Grillhösl, Oberstleutnant
Wer zu uns kommt, der ist bereits ein guter Bergsteiger.

Am Eis zeigt sich, wie gefährlich der Auftrag der Heeresbergführer sein kann. Deshalb sind die Voraussetzungen hoch. „Wenn die Teilnehmenden zu uns kommen, müssen sie charakterlich geeignet und bereits gute Bergsteiger sein“, erklärt Oberstleutnant Robert Grillhösl. „Für Grundlagenausbildungen haben wir hier keine Zeit.“ Neben Skifahren müssen die Aspiranten klettern und auf Steigeisen gehen können. Dazu kommt die nötige körperliche Kondition.

Ab in die Vertikale

Der 50-jährige Grillhösl ist seit 25 Jahren Bergführer und bringt die Erfahrung aus etlichen hunderttausend Höhenmetern mit. Nach vielen Jahren als Hörsaalleiter ist er jetzt Chef der VIII. Inspektion am Ausbildungsstützpunkt in Mittenwald. Er leitet die Ausbildung, wenn der Lehrgang auf deutscher Seite stattfindet. Die Gebirgsjäger wechseln sich mit ihren österreichischen Kameradinnen und Kameraden vom Gebirgskampfzentrum Saalfelden ab. Diese Kooperation ist ein Alleinstellungsmerkmal. Das macht den Lehrgang auch international sehr begehrt.

Am ersten Klettertag am Wasserfall im österreichischen Pitztal passt alles zusammen. An flachen Stellen üben die Feldwebel und Offiziere des Hörsaals 81 die Schlagtechnik für Eisgeräte und das Klettern auf den Steigeisen. Im Toprope-Klettern geht es dann in die Vertikale. Ein Seil läuft dabei am oberen Ende des Wasserfalls durch eine Umlenkung. Der Kletterpartner steht am Boden und sichert. Bei einem Sturz würde der Kletterer nur so weit fallen, wie es die Seildehnung hergibt. Johannes Huber und seine Kameraden können sich deshalb zu hundert Prozent auf Technik und Gefahren am Eis konzentrieren. Nicht zuletzt die Stahlspitzen bergen eine hohe Verletzungsgefahr. Wer abrutscht, riskiert mehr als nur einen Kratzer.

Soldat klettert mit seinem Eispickel eine Eiswand rauf.

Schritt für Schritt arbeitet sich der Kletterer nach oben.

Bundeswehr/Johannes Heyn
Robert Grillhösl, Oberstleutnant
Die Teilnehmer müssen das Eis lesen können.

Neben dem perfekten Umgang mit ihrer Ausrüstung müssen die Teilnehmer die Umwelteinflüsse erkennen. „Die Teilnehmer müssen das Eis lesen können und nicht einfach drauflos klettern“, sagt Grillhösl. „Eisklettern funktioniert nur bei bestimmten Voraussetzungen.“ Wenn es zu kalt ist, wird das Eis spröde. Es kann leichter ausbrechen und würde im schlimmsten Fall zum Absturz führen. Ist es zu warm, schmilzt das Eis und es kann zu Steinschlag kommen. „Im schlimmsten Fall wird der Eisfall an der Felsseite von Schmelzwasser hinterspült und könnte kollabieren“, fügt Pape hinzu. Die besten Bedingungen herrschen bei einer Temperatur von zwei und sechs Grad unter null.

Sind die gegeben, zählen vor allem körperliche Fitness und Klettertechnik. Die bis zu fünf Zentimeter langen Zacken an den Steigeisen verlängern die Hebelwirkung, die auf die Wade wirkt. Anders als beim Felsklettern, muss man am Eis die Ferse hängen lassen. Dadurch greift auch das zweite Zackenpaar ins Eis und entlastet die Muskulatur. „Daran muss man sich gewöhnen. Andernfalls kommt das Discobein zum Vorschein“, sagt Huber mit einem Schmunzeln und zeigt auf das zitternde Bein eines Kameraden.

Auch die Arbeit mit den Eisgeräten in den Händen ist eine Herausforderung. Die unmittelbare Nähe zum Eis sorgt schnell für kalte Finger. Dicke Handschuhe sind keine Option. „Damit könnten wir nicht arbeiten“, so Huber. „Knoten binden, Eisschrauben setzen oder die Kameradensicherung funktionieren dann nicht.“ Einige Teilnehmer haben Fäustlinge dabei, die sie in den Pausen anziehen. Wer friert, ist selber schuld. Die Gebirgsjäger haben dazu auch die passende Kleidung. Zu warmer und atmungsaktiver Unterwäsche kommen funktionale Zwischenlagen und eine Außenschicht aus Gore-Tex. „Das hält bei miesem Wetter und an langen Tagen warm und trocken“, sagt Inspektionschef Grillhösl. Der Bestand sei gut, bei den Handschuhen könne die Bundeswehr noch nachbessern.

Am zweiten Tag ist das Wetter ein Problem. Bei den „Hängenden Gärten“, wie die Route im österreichischen Sellrain bei Lüsens heißt, sind die Temperaturen knapp am Gefrierpunkt. „Es ist etwas zu warm. Doch im Ernstfall müssen wir unseren Auftrag erfüllen“, sagt Pape mit Blick auf den Wasserfall, der mehr als 140 Meter in die Höhe ragt.

Besser nie komplett aufs Seil verlassen

Später, im Einsatz und unter Realbedingungen, gibt es keine Seilumlenkung wie im Toprope-Klettern. Deswegen trainieren die Lehrgangsteilnehmer am zweiten Tag den Vorstieg mit der Halbseiltechnik. Während sie zwei Sicherungsseile hinter sich herziehen, wird in regelmäßigen Abständen eine Eisschraube platziert. Darin werden abwechselnd die Seile in die Karabiner gelegt. „Das verringert im Sturzfall die Belastung auf die Eisschrauben. Außerdem erzeugt es Redundanz für den Fall, dass mal eine Eisschraube ausbricht oder durch Steinschlag ein Seil zerstört wird“, beschreibt Huber.

Das ist bei den Temperaturen an diesem Tag nicht unwahrscheinlich. Deshalb haben die angehenden Bergführer ihre Umgebung jederzeit im Blick und warnen sich gegenseitig vor Eisschlag. Durch die einsetzenden Sonnenstrahlen am Vormittag brechen immer wieder Eiszapfen aus dem Wasserfall. Die Brocken schlagen laut und dumpf im Schnee auf. Eine unmissverständliche Mahnung, dass das Klettern am Eis sehr gefährlich ist.

Die Seile dienen zur Sicherheit, was im Ernstfall überlebenswichtig für die Bergführer ist. Beim Sturzfall oberhalb der letzten Sicherungsstelle würde der Kletterer doppelt so tief nach unten rauschen, bis das Seil wieder spannt. Zeit für Grübeleien haben Huber und seine Kameraden aber keine. Sie kennen sich nun gut mit ihrer Ausrüstung aus und sind bereit für den nächsten Ausbildungsabschnitt. In ein paar Wochen geht es für die angehenden Bergführer in die Schweiz nach Andermatt. Dort erwarten sie ausgedehnte Skitouren und harte Tage im alpinen Hochgebirge. Insgesamt zwölf Monate dauert die Ausbildung zum Heeresbergführer, danach sind die Kameraden auf alle alpinen Herausforderungen vorbereitet.

von Philipp Rabe

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