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Pilotentraining in Hochleistungszentrifuge: Schneller, härter, besser

Pilotentraining in Hochleistungszentrifuge: Schneller, härter, besser

Datum:
Ort:
Königsbrück
Lesedauer:
6 MIN

Im Kampfjet wirken enorme Kräfte auf den menschlichen Körper. Ob die Pilotinnen und Piloten der Bundeswehr fit genug dafür sind, wird im sächsischen Königsbrück untersucht – in einer Hochleistungszentrifuge und einer Höhenklima-Simulationsanlage.

Ein Soldat mit Maske und Helm sitzt in der Kabine einer Zentrifuge

Das Innere der Zentrifugenkapsel ist dem Cockpit eines Kampfjets nachempfunden. Die Piloten bestimmen selbst, welche G-Kräfte auf sie wirken.

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Oberstleutnant Gerd Schnell kennt den Weg zur Zentrifuge in Königsbrück genau. Schließlich sind es noch vier Stufen hinauf zur Kapsel, hinein in den Sitz und anschnallen. Der Kommandeur der Fliegenden Gruppe beim Taktischen Luftwaffengeschwader 31 „Boelcke“ ist schon zum siebten Mal hier – und tiefenentspannt. Am frühen Morgen hat er den Medizincheck absolviert. Jetzt wird er verkabelt. Während des folgenden Tests werden Blutdruck und Herzfrequenz gemessen und ein EKG aufgezeichnet. „Als ich das erste Mal hier drin saß, war ich wirklich nervös. Aber jetzt weiß ich, wie mein Körper reagiert.“ Für mehr Worte bleibt keine Zeit. Schnell legt er die Sauerstoffmaske an, dann schließt ein Techniker die Klappe der Kabine. Es geht los.

Über Mikrofon besteht Kontakt zum Kontrollraum ein Stockwerk höher. Dort übernimmt die Crew von Matthias Richter, dem technischen Leiter der Zentrifuge. Eine medizinische Assistentin, ein Flugmediziner, ein ITInformationstechnik-Spezialist und mehrere Ingenieure beobachten die vielen Informationen, die über die Monitore flirren.

Matthias Richter
Die Bundeswehr ist in dem Bereich führend.

Die Hochleistungszentrifuge ist ein Wunderwerk der Technik und sucht in Europa ihresgleichen. Zwölf Meter tief im Boden verankert, steht sie in einem Ende der 1980er-Jahre eigens für sie errichteten Kuppelbau. Die Luftstreitkräfte der DDR wollten mit dem Gerät ihre Piloten auf die damals neue MiGMikoyan-Gurewitsch-29 vorbereiten. Es kam anders. Seit 30 Jahren gehört die Liegenschaft nun zum Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe.

„Bei rund 40.000 Volt Betriebsspannung entwickelt der Elektromotor in der Spitze 5,4 Megawatt“, erklärt Richter. Das entspricht gut 7.000 PS. „Aber das schafft sie nur für 30 Sekunden. Sonst läuft sie heiß. Die Dauerleistung liegt bei 1,4 Megawatt.“ Das reicht, um die Kabine mit bis zu 100 Kilometer pro Stunde im Kreis zu drehen. Die Liste der Partnernationen, die ihre Flieger nach Sachsen schicken, ist lang. Neben NATO-Partnern sind es etwa Österreicher, Schweizer und Israelis. „Die Bundeswehr ist in dem Bereich führend“, sagt Richter.

Ein technisches Gerät mit drehbaren Lager, langen Arm und Kabine in einer Halle

Die Hochleistungszentrifuge ist einzigartig in Deutschland

Bundeswehr/Sebastian Wilke
Eine geöffnete Kabine an einem technischen Gerät in einer Halle

Die Kabine dreht sich mit bis zu 100 Stundenkilometern im Kreis. Ein 15 Tonnen schweres Gegengewicht sorgt dafür, dass sie in der Spur bleibt.

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Die größte Gefahr: bewusstlos werden

Jetzt setzt sich die Zentrifuge langsam in Bewegung. Die anfängliche Belastung liegt bei etwa 1,4 Gramm – kaum mehr als die Norm –, aber das ändert sich schnell. Bei Luftkampfmanövern wirken nämlich gewaltige Beschleunigungskräfte auf den Körper. Die entstehen, wenn der Körper entgegen seiner eigenen Trägheit mitgerissen wird. Je nach Geschwindigkeit wirkt nun das Vielfache der eigenen Masse auf ihn. Für kurze Zeit kompensiert der menschliche Organismus diese G-Kräfte problemlos. Aber bei längerer Dauer kann das Herz nicht mehr genug Blut ins Gehirn pumpen. Es wird stattdessen in die Extremitäten gepresst. Die Folge: Sauerstoffmangel im Gehirn. „Eine Ohnmacht, der sogenannte G-LOC (Loss Of Consciousness), würde eintreten“, sagt Richter. Sonnenklar, dass so etwas im Flug auf keinen Fall passieren darf. Der Anti-G-Anzug für Kampfpilotinnen und -piloten wirkt dem ebenso entgegen wie die Beatmung mit Überdruck. Trotzdem müssen die Pilotinnen und Piloten noch spezielle Atemtechniken lernen und anwenden. Außerdem müssen sie körperlich absolut fit sein, denn bereits bei drei G kann eine untrainierte Wirbelsäule Schaden nehmen.

Matthias Richter
Das ist wie Leistungssport.

Schnell ist Teilnehmer eines Lehrgangs, den Kampfpilotinnen und -piloten alle vier Jahre absolvieren müssen, um nachzuweisen, dass sie den extremen Belastungen weiterhin gewachsen sind. Ein Eurofighter fliegt rund 2.900 Kilometer pro Stunde und ist besonders agil. Wer ihn fliegen möchte, muss deshalb in der Zentrifuge für 15 Sekunden neun G aushalten können, beim Tornado sind es nur sieben G. So ist es in den NATO-Standardverfahren geregelt, die den Tests hier zugrunde liegen. „Die erfahrenen Pilotinnen und Piloten haben es selbst in der Hand, wann sie diese Last ziehen“, sagt Richter und blickt wieder auf die Monitore. Der 42-jährige Schnell macht seinem Namen alle Ehre. Nach kaum einer Minute in der Zentrifuge zieht er den Steuerknüppel abrupt nach hinten, die neunfache G-Kraft ist bald erreicht. „Fünf Sekunden“, sagt die Assistentin über das Mikro durch. Schnell atmet stoßweise aus. Sein Keuchen ist gut zu hören. Die Herzfrequenz steigt. „Das ist wie Leistungssport“, sagt Richter. „Untrainierte Menschen wären jetzt schon bewusstlos.“ Die Zentrifuge rast, kaum zwei Sekunden dauert eine komplette Umdrehung. „Zehn Sekunden.“ Über die Kamera in der Kapsel ist die Anstrengung in Schnells Gesicht zu erkennen, die Augen treten hervor. Der Puls klettert auf 170. Dann sind 15 Sekunden vorbei. Alles in allem hat die Aktion kaum mehr als drei Minuten gedauert. „Wir sind durch. Gut gelaufen, alles in Ordnung“, sagt Richter. Schnell wirkt erschöpft, als er aus der Kapsel steigt. „Beim Fliegen sind die Belastungen weniger spürbar als hier in der Zentrifuge“, sagt er. Der Unterschied erklärt sich aus dem viel kleineren Radius, den die Zentrifuge bei einer Umdrehung beschreibt. Sichtbare Zeichen der Belastung sind kleine rote Flecken an den Armen und Beinen. Sie zeigen, wo wegen der G-Kräfte kleinste Kapillargefäße geplatzt sind. Schnell hat den Rest des Tages frei – zur Regeneration.

Mehrere Soldaten mit Helm, Sauerstoffmaske und Notebook sitzen in einer Unterdruckkammer nebeneinander

In der Unterdruckkammer werden die Umweltbedingungen in großen Höhen simuliert. Die Pilotinnen und Piloten müssen Aufgaben lösen, während die Sauerstoffzufuhr von außen gesteuert wird.

Bundeswehr/Sebastian Wilke
Ein Mann sitzt vor zwei Bildschirmen und einer technischen Anlage im Kontrollraum

Techniker im Kontrollraum überwachen die Piloten in der Unterdruckkammer über Kameras und Bildschirme. Damit sollen Gesundheitsrisiken minimiert und Verhaltensänderungen schnell erkannt werden.

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Schwindel bei Sauerstoffmangel

Am nächsten Tag geht es für Schnell in der Höhenklima-Simulationsanlage weiter. Sie steht in einer anderen Halle in demselben Gebäude wie die Zentrifuge. Ein großer Zylinder mit Bullaugen dominiert den Raum. Davor wieder Monitore und viele Geräte zur Steuerung und Überwachung. „Die Höhenklima-Simulationsanlage ist eine Unterdruckkammer“, erklärt Bernd Häntschel, der zuständige Techniker. „Damit simulieren wir die Bedingungen in bis zu 25 Kilometer Höhe“, beschreibt er den Zweck der Kammer. Jede Pilotin und jeder Pilot muss mit den physikalischen Gegebenheiten in der Atmosphäre vertraut sein, denn diese beeinflussen das Fliegen entscheidend. Je höher man kommt, desto geringer ist nämlich der Luftdruck. Auf 5.000 Metern hat er sich im Vergleich zum Niveau des Meeresspiegels bereits halbiert, weswegen auch die Zahl der Sauerstoffteilchen in der Luft sinkt. Die Luft wird buchstäblich dünner.

„Um dieselbe Menge Sauerstoff zu bekommen, muss man häufiger einatmen“, sagt Häntschel. „Flugzeuge sind heute in der Regel mit Druckkabinen und Sauerstoffmasken ausgestattet. Aber die könnten kaputtgehen. Wir zeigen den Leuten, welche Auswirkungen die ungewohnte Höhe und der Sauerstoffmangel auf den Körper haben.“ Die körperlichen Symptome sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. „Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Wärme- oder Kältegefühl und Konzentrationsprobleme sind am häufigsten“, weiß Häntschel.

Ein Soldat mit Helm und Sauerstoffmaske im Fokus sitzt vor einem Notebook zwischen anderen Soldaten in einer Unterdruckkammer

Als erfahrener Pilot erkennt Oberstleutnant Gerd Schnell, wenn der Sauerstoff knapp wird, und weiß, wie er reagieren muss. Routine reicht aber nicht.

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Schnell sitzt seit einer guten halben Stunde mit einigen Kameraden in der Druckkammer und muss einfache Aufgaben auf einem Notebook lösen, Flugkarten unter schlechten Lichtverhältnissen lesen oder Farbtafeln erkennen. Das technische Personal kann die Sauerstoffsättigung bei jedem der Probanden einzeln steuern. Sinkt der Sauerstoffgehalt, sollten die Piloten das merken – und zwar möglichst bald. Spätestens, wenn die Sauerstoffsättigung des Blutes unter 70 Prozent gefallen ist, wird den Probanden wieder mehr Sauerstoff zugeführt. „In sehr großer Höhe bleibt weniger als eine Minute Zeit, um auf den sinkenden Sauerstoffgehalt zu reagieren“, erklärt Häntschel.

Die Druckkammer in Königsbrück bietet unter ärztlicher Kontrolle und in sicherer Umgebung optimale Voraussetzungen fürs Training dieser Fertigkeit. „Unser Durchgang heute besteht aus erfahrenen Piloten. Bei denen schauen wir, ob sie ihre Symptome wiedererkennen oder ob es neue gibt.“ Bei angehenden Fliegerinnen und Fliegern muss dieses Wissen dagegen erst gewonnen werden. Eurofighter-Pilot Schnell erkennt seine Symptome rasch. „Ich hatte Schwierigkeiten, mich auf die Aufgabe zu konzentrieren“, berichtet er später. „Außerdem ist mir warm geworden.“ Am Ende aller Tests steht fest: Schnell ist topfit. Die Fliegende Gruppe bei „Boelcke“ wird er deswegen auch weiterhin kommandieren können.

von Markus Tiedke