Militärischer Führungsprozess

Angst vor Fehlentscheidungen? Der soldatische Umgang mit der Entschlussfassung

Angst vor Fehlentscheidungen? Der soldatische Umgang mit der Entschlussfassung

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

Man sieht den ganzen Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wenn das der Fall ist, ist eine strukturierte Entschlussfassung einiges wert. Da die Bundeswehr mit Entschlüssen in Drucksituationen vertraut ist, entscheiden die Streitkräfte unter anderem mithilfe eines Schemas. Es erleichtert, den Überblick über alle Handlungsalternativen zu behalten.

Vier Soldaten stehen zusammen und schauen auf eine Karte.

Lagefeststellung, Entscheidungsfindung, Planung, Befehlsgebung, Kontrolle und von vorne: Der Führungsprozess der Streitkräfte ist ein zyklischer Prozess. Er hilft, einen Entschluss zu fassen und unter Druck zu entscheiden.

Bundeswehr/Marco Dorow

Links oder rechts? Die Angst vor einer falschen Entscheidung kann lähmend sein, gerade, wenn man unvollkommene Informationen hat. Für die meisten Menschen ist die Entscheidungsfindung bei wegweisenden Punkten ein großes Problem. Eine strukturierte Vorgehensweise gibt Sicherheit und hilft, einen Entschluss zu fassen: Die Bundeswehr hat dafür ein Schema, das an einen systematischen Denk- und Handlungsablauf erinnert. Der Führungsprozess der Streitkräfte beruht auf dem Prinzip des Führens mit Auftrag. Dadurch wird dem zugeteilten Führer oder der Führerin Handlungsfreiheit gewährt und dennoch eine linke und rechte Grenze aufgezeigt.

Das Schema beruht auf einer Schnittmenge aus taktischen Erfahrungswerten und Planungsorganisation. Kern des Führungsprozesses ist es, rechtzeitig einen zweckmäßigen und Erfolg versprechenden Entschluss zu fassen und darauf basierend eine klare Planung und Befehlsgebung zu gewährleisten. 

Ins Nichtmilitärische übersetzt: Bevor eine Entscheidung getroffen wird, gilt es zunächst, sorgfältig zu planen und Handlungsalternativen abzuwägen. Das wird möglichst mit denen, die von der Entscheidung betroffen sind, abgestimmt. Denn was für die einen eine vorteilhafte Entscheidung sein mag, kann für andere nachteilig sein. Doch wie genau sieht das angesprochene Schema aus?

Den Führungsprozess unter die Lupe genommen

Soldatinnen und Soldaten werden regelmäßig darin geschult, Entscheidungen so frei wie nur möglich von Emotionen zu treffen. Damit dies auch gelingt, ist es wichtig, erstmal eine analytische Feststellung des Istzustandes, eine Lagefeststellung, zu machen.

Schritt eins beinhaltet Fragestellungen wie: was wird jetzt eigentlich von mir verlangt, bis wann, in welchem Maße und was brauche ich noch alles, um das zu erledigen? Es wird also priorisiert und analysiert, was zu tun ist, wann eine Entscheidung getroffen werden muss und welche Informationen noch zu beschaffen sind. In der Realität ist es jedoch meistens so, dass Informationen unvollständig, widersprüchlich oder nicht rechtzeitig vorliegen. Daher kommt es nicht selten vor, dass man mit Annahmen und Vermutungen arbeiten muss. Auch das geht problemlos, wenn man alle W-Fragen beispielsweise in einem Entscheidungsbaum ordnet.

Orientierung in der Informationsflut

Schritt zwei: Die komplexeste Stufe ist die Entscheidungsfindung. Im Militär wird sie in aufeinander aufbauende Abschnitte gegliedert. Im Prinzip wird dort nochmals zwischen Lagefeststellung und der Frage „Was für ein Ziel möchte ich mit meinem Handeln erreichen?“ unterschieden. Die Beantwortung dieser Frage nennt sich Auswertung des Auftrages (AdA).

Die Beurteilung der Lage (BdL) dagegen dient der Vorbereitung von Entscheidungen und führt rechtzeitig zu einem logisch abgeleiteten, zweckmäßigen Entschluss. Auch hier ist die Zuhilfenahme eines Entscheidungsbaumes sinnvoll, bei dem jede Information mit einem eigenen Bewertungspfad beziffert wird. Dieser Prozess macht Stolpersteine sichtbar und beugt einer Entschlussfindung, die nicht zu den vorhanden Informationsaspekten passt, vor.

Eine Grafik zeigt den Führungsprozess in vier Schritten

Der militärische Führungsprozess ist ein Kreislauf: Am Ende steht die Kontrolle des Erreichten, das die Basis für die daraus folgende neue Lagefeststellung bildet. Und so beginnt der Prozess stetig von vorne.

Bundeswehr

Ansprechen, Beurteilen, Folgern (ABF)

Das ABF-Schema ist eine abgespeckte Form des Führungsprozesses, um zu einem Entschluss zu kommen. A: Ansprechen des zusammengefassten Sachverhaltes. B: Beurteilen der Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihrer möglichen Wirkung auf das eigene Handeln und das Handeln Dritter. F: Folgern aus der Beurteilung. Der mitunter komplexeste Prozess ist das Beurteilen und damit die Entscheidungsfindung. Darunter fällt unter anderem das Feststellen des eigenen Leistungsvermögens und der Rahmen der eigenen Handlungsmöglichkeiten.

Was bedeuten meine Entscheidungen für mich und andere?

Es kann noch so gut vorbereitet und geplant werden: Einer Entscheidung geht eine realistische Eigenbeurteilung voraus: Was bin ich imstande zu leisten und wie viel Einsatz meinerseits ist dafür notwendig? Im Militär wird unter anderem in diesem Schritt die Kampfkraft – die personelle und materielle Stärke, der Zustand der Ausrüstung und die Fähigkeiten – beurteilt.

Doch auch die Einschätzung der Auswirkungen meiner Entscheidungen auf andere darf nicht außer Acht gelassen werden. Aus der Symbiose von Eigen- und Fremdbeurteilung lassen sich dann Folgerungen ziehen.

Die Entschlussfassung der Bundeswehr geht noch weiter…

Der Führungsprozess endet an dieser Stelle für Nichtmilitärs. Bei der Bundeswehr ist er aber erst abgeschlossen, wenn nach der AdA und der BdL die Befehlsgebung erteilt wird. Dort kommunizieren die Führer vor Ort Anweisungen zum weiteren Vorgehen und das Einzelverhalten der Soldatinnen und Soldaten.

Ein weiterer wichtiger Schritt im militärischen Führungsprozess ist die Kontrolle. Auch, wenn es sich zunächst etwas negativ anhört, dient die Kontrolle dem Ist-Soll-Abgleich für eine optimale Zielerreichung – und nicht der Überwachung der Untergebenen wegen fehlenden Vertrauens.  Die Dienstaufsicht ist ein entscheidender Effekt der Kontrolle. Die Untergebenen haben dadurch zudem die Möglichkeit, Nachfragen an die Führungsperson zu richten.

Auch, wenn die Ausgangslage bei militärischen Entscheidungen eine andere ist als im alltäglichen Leben: Der Führungsprozess der Streitkräfte kann bei komplexen Entschlüssen hilfreich sein. Die geordnete, strukturierte Vorgehensweise des Schemas zwingt den Entscheider oder die Entscheiderin nämlich dazu, an alle Faktoren zu denken und jede Entscheidungsposition aus verschiedenen Perspektiven einzunehmen.

von Lara Weyland