Persönliche Eindrücke

Die Isolation vor dem Einsatz

Die Isolation vor dem Einsatz

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Lesedauer:
6 MIN

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Aufgrund der aktuellen COVID-19Coronavirus Disease 2019-Situation müssen alle Soldaten vor dem Einsatz in eine sogenannte „qualifizierte Isolation“. Auch unsere Redakteurin Hauptmann Janet W. ist davon betroffen. Hier schildert sie ihre ganz persönlichen Eindrücke aus der Isolation.

Im Vordergrund liegt die Ausrüstung und Bekleidung eines Soldaten

Die "qualifizierte Isolation" ist Pflicht zum Schutz der Kameradinnen und Kameraden im Einsatz.

Bundeswehr/Michael Laymann

Den Marschbefehl hatte ich in der Tasche, meine Sachen waren gepackt und die letzten Verabschiedungen waren auch durch. Eigentlich würde ich jetzt gern in den Einsatz fliegen. Denn vor mir liegen sechs Monate bei Resolute Support in Afghanistan. Doch den Hindukusch und mich trennen noch 14 Tage. 14 Tage in qualifizierter Einzelisolation – auch umgangssprachlich Quarantäne genannt. Schuld daran ist das Coronavirus und die Tatsache, dass auch die Bundeswehr eine Eindämmung des Virus versuchen musste.

Deshalb ging mein Weg nicht direkt zum Flughafen, sondern erst einmal in ein Hotel in Hannover. Eine Handlungsanweisung hatte ich bekommen und deshalb wusste ich halbwegs, was mich erwarten würde. Ich würde 23 Stunden am Tag in meinem Zimmer verbringen müssen und dürfte eine Stunde am Tag raus. Menschen dürfte ich mich nur noch bis auf drei Meter Abstand nähern und das auch nur auf Aufforderung. Es würde drei Mahlzeiten am Tag geben und ich könnte hier Post empfangen oder Marketenderwaren erwerben.

Eine Viertelstunde vor dem Meldetermin um 18:00 Uhr kam ich am Hotel an. Draußen standen schon Soldaten bereit, die mein Gepäck entgegennahmen und mich zum Meldekopf weiterschickten. Dort wartete dann eine 45-minütige Einweisung auf mich. Was ich in den nächsten zwei Wochen dürfte und was nicht.

Auf einem Gepäckwagen liegen viele Gepäckstücke, davon mehrere Seesäcke. Daneben

Viel Gepäck für die nächsten 14 Tage und den Einsatz danach.

Bundeswehr/Katharina Kobienia

Die Isolation beginnt

Danach ging es auf mein Zimmer, und als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, blieb es erst einmal still. Zwei Wochen, 14 Tage und 15 Nächte, würde dieses Zimmer mein Lebensmittelpunkt sein. Und spätestens als ich mein Abendbrot nur nach vorheriger Ankündigung vor meiner Tür empfangen durfte, wurde mir klar: Ich bin jetzt eingesperrt.

Seitdem sehen meine Tage alle ähnlich aus: Aufstehen, Essen, Sport und der Hofgang und danach wieder ins Zimmer. 23 Stunden verbringe ich hier drinnen. Vor allem Sport würde gut ablenken, aber das ist hier in der qualifizierten Einzelisolation so eine Sache. Natürlich kann ich in der Stunde, die ich am Tag Ausgang habe, auch Sport machen. Persönlich nutze ich die Zeit aber lieber, um ein paar soziale Kontakte zu pflegen und mit Kameraden zu reden. Auf dem Zimmer geht es aber auch. Einfach eine Yoga- oder die Isomatte mitnehmen, und schon kann man alle möglichen Freeletics-Sachen machen. Und für Liegestütze, Planks, Burpees und Crunches braucht es eben nicht viel – außer dem eigenen Willen.

Über einem Doppelbett hängt ein Bild. Links daneben steht ein Sessel.

Ein Zimmer mit Bett, Fernseher und Schrank und ein Bad mit WC sind für zwei Wochen die Heimat der Soldatinnen und Soldaten.

Bundeswehr/Martin Buschhorn

Struktur als Anker

Pünktlich um 13:00 Uhr kommt das Mittagessen. Bis dahin habe ich wahrscheinlich schon telefoniert oder ein bisschen gelesen. Meistens versuche ich meinen Tag wirklich sehr streng zu gestalten und mir auch eigene Auflagen zu setzen. Das Heimkino, also einen netten Film, hebe ich mir ganz bewusst für den Abend auf, denn so habe ich die Möglichkeit, mich den ganzen Tag darauf zu freuen. Außerdem kann ich ein wenig Zeit darauf verwenden, mir einen passenden Film auszusuchen.

Bewusst durch den Tag zu gehen hilft mir nämlich dabei, keinen Lagerkoller zu bekommen.
Trotzdem gab es schon Tage, die gefühlt nicht enden wollten. Gedanklich bin ich bereits in Afghanistan, aber noch immer in Deutschland zu sein und gleichzeitig eben nicht nach Hause zu dürfen, fällt mir teilweise schwer. Vor allem, weil noch über 200 Tage vor mir liegen, bis ich dieses Zuhause wiedersehen kann. Da ist es besonders wichtig, gerade auch für die Psyche, dass man versucht, sich auch ein bisschen zu verwöhnen. Ein Glas vom Lieblingswein oder eine besondere Schokolade. Das kann schon helfen, um wieder ein bisschen klarzukommen. Es sind die kleinen Dinge, die man hier zu schätzen lernt.

Hauptsache raus 

Anfangs sind wir zum Spazierengehen am Nachmittag noch auf einen Parkplatz geführt worden.
Dort gab es vor allem Bauzäune und Beton. Das Hotel nebenan hingegen verfügt über eine Parkanlage mit einem See. Da war der Neid schon vorprogrammiert.

Seit ein paar Tagen dürfen auch wir das Gelände um den See nutzen. Und gerade beim ersten Mal habe ich mich einfach nur über die Wiese und das Gras gefreut, über das ich laufen konnte. Gerade das hat meine Laune wieder richtig verbessert.

Um einen größeren Parkbereich stehen grün werdende Bäume. Es ist Frühling.

Dieser abgesperrte Parkplatz dient als Fläche für einen Spaziergang. Hier können sich die Isolierten unter Berücksichtigung aller Schutzmaßnahmen die Beine vertreten.

Bundeswehr/Martin Buschhorn

Das Abendbrot leitet den Abend ein 

Um 18:00 Uhr bringen Hotelangestellte das Tablett vor die Tür und ich darf mein Essen hereinholen.
Es steht immer auf einem kleinen Schuhschrank vor dem Zimmer und erst, wenn ich drei Meter Abstand zum Personal und den Soldaten gewähren kann, darf ich mich dem Tablett nähern. Diese Befehle gibt es nicht ohne Grund. Sie sollen einfach verhindern, dass wir das Coronavirus in den Einsatz einschleppen. Und das ist auch wichtig! Denn selbst ein riesiges Camp wie Marmal in Masar-e-Sharif in Afghanistan kann nur eine bestimmte Anzahl an Soldaten isolieren, ausfliegen oder behandeln. Und kranke Soldaten gefährden am Ende die Mission und auch das Einsatzland. #FlattenTheCurve muss also auch für den Dienstherrn die Devise sein, und dazu gehört eben auch die qualifizierte Einzelisolation vor den Einsätzen. Die Flexibilität und die Einsatzbereitschaft, die wir einmal geschworen haben, umfasst eben auch Situationen wie diese.

In einem Hotelflur steht neben jeder Tür ein Tisch. Auf diesem stehen Essenstabletts.

Zimmerservice mal anders - die kontaktlose Bereitstellung des Essens.

Bundeswehr/Katharina Kobienia

Wichtig ist es, sich immer wieder kleine Ziele zu setzen 

Ich zum Beispiel arbeite meinen Tag in „Terminen“ ab und versuche einfach, von Zeitpunkt zu Zeitpunkt durchzuhalten. Dann fällt es mir auch leichter, nach der ersten Woche, dass ich gerade einmal die Hälfte der Isolationszeit hinter mir und noch genauso viele Tage vor mir habe. Ich versuche auch mit Absicht, nicht so viel über die momentane Situation nachzudenken und die kleinen Sachen zu schätzen. Kopfhörer rein, Musik an und dann ans Fenster setzen. Den Wind im Gesicht zu fühlen hilft. Wirklich.

Und wenn es doch zu schwierig werden sollte, gibt es auch noch die Möglichkeit, sich psychologisch betreuen zu lassen. Man kann jederzeit ein Gespräch mit einem Psychologen vereinbaren und dann zusammen schauen, wie die Unterbringung erträglicher gestaltet werden kann. Auch das militärische Personal vom Lufttransportgeschwader 62, welches die Isolation durchführt, gibt sich hier viel Mühe, uns zu unterstützen. Die Soldaten vor Ort fahren zum Beispiel jeden Tag für uns einkaufen, wenn wir Marketenderwaren benötigen. Man sollte nur vorher das Mengenverhältnis überdenken. Jeden Tag nur eine Schachtel Zigaretten zu bestellen oder eine Tafel Schokolade ist vielleicht kontraproduktiv, wenn man sowieso mehr haben möchte. Das Bargeld für die Bestellungen stecke ich dann in einen Briefumschlag und erhalte abends die Bestellung und mein Restgeld. Auch Alkohol darf geordert werden. In den Handlungsanweisungen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein verantwortungsvoller Konsum vorausgesetzt wird. Schließlich gehen wir alle bald in den Einsatz und müssen auch da in der Lage sein, uns zu disziplinieren. Vielleicht kann man die qualifizierte Einzelisolation auch als Übung betrachten. Denn im Einsatzland müssen wir uns auch in Verzicht üben.

Am Ende werde ich wahrscheinlich auf die Zeit zurückblicken und feststellen, dass es gar nicht so schlimm war. Die Quarantäne hätte auch im Einsatzland stattfinden können, ohne die Möglichkeit fernzusehen oder jeden Tag einen Spaziergang im Park zu machen.

Ich will endlich los

In der Einzelisolation selbst passieren aber mehrere Sachen im Kopf. Jeden Tag werde ich ein bisschen dünnhäutiger. Das Frustrationslevel steigt. Gestern wurden die Zeiten zu denen wir nach draußen dürfen verschoben und allein das hat gereicht, um sich noch eingesperrter zu fühlen. Andererseits steigt meine Vorfreude. Ich würde am liebsten heute schon meine Einsatzuniform anziehen, meine Stiefel schnüren und in den Flieger steigen. Denn durch die Zeit hier lerne ich: Ich bin bereit! Bereit für meinen Auftrag und den Einsatz, der auf mich wartet. Und ich will endlich los.

von Janet W.  E-Mail schreiben

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